Foxy fluchte halblaut, als sie im Dunkeln schon wieder über eine Wurzel stolperte. Man konnte die Hand nicht vor Augen sehen. Irgendwo in ihrer Nähe hörte sie Nokori, Kassia und Ashley, die sich durch das Gestrüpp arbeiteten.
Seufzend zog sie einen Ast aus ihren Haaren und tastete sich blind weiter.
„Echt geniale Idee, Noko“, rief sie über die Schulter.
Nokori antwortete nicht. Foxy ging stolpernd weiter, eine Hand vor dem Gesicht, damit sie sich nicht am Ende an einem Ast das Auge ausstach.
„Vielleicht machen wir besser eine Pause und warten bis morgen früh“, schlug Kassia vor. Ihre Stimme klang bereits ein ganzes Stück entfernt.
„Ich will nicht noch eine Nacht in diesem beschissenen Wald verbringen“, schimpfte Foxy. Seit sie damals in die Fallgrube gestürzt war, stand sie dem Sumpfwald mit tiefsitzendem Misstrauen gegenüber.
„Und wenn wir uns verlaufen?“, fragte Kassia.
Auch davor fürchtete sich Foxy. Aber sie warf nur einen Blick in die Richtung, aus der sie die Geräusche von Nokori hörte. „Du kennst den Weg, Noko, richtig? Wir verlaufen uns schon nicht?“
Auf ihre Fragen kam zuerst keine Antwort.
„Doch, sicher“, meinte Nokori dann. „Aber zuerst möchte ich von Kassia hören, dass sie Lucy nichts verraten wird.“
Ein Stöhnen kam von Kassia. Auch Foxy verdrehte die Augen. Jetzt ging das wieder los!
„Es ist mir egal, was ich Lucy sage oder nicht“, erklärte Kassia zum allgemeinem Erstaunen. „Aber ich finde es nicht gut, wenn wir anfangen, Geheimnisse voreinander zu haben.“
Dem Tonfall nach war Kassia offenbar entschlossen, die Situation zu entspannen.
„Du wirst Lucy kein Wort sagen“, wiederholte Nokori drohend.
„Was ist denn mit Lucy?“, fragte Kassia. „Sie ist nur ein Mädchen!“
„Ich vertraue ihr nicht“, murmelte Nokori.
Kassia schwieg eine Weile. Dann sagte sie mit erstaunlich bitterer Stimme: „Und ich vertraue dir nicht, Nokori.“
Die knackenden Geräusche ihrer Schritte brachen ab. Nokori war stehen geblieben. Foxy nutzte die Gelegenheit für eine Pause.
„Ach?“, fragte Nokori.
„Du hast Mikail eingesperrt“, sagte Kassia ruhig. Foxy horchte aus. Das war ihr neu.
„Halt die Fresse“, sagte Nokori. „Du verstehst davon nichts.“
„Doch, ich verstehe es. Du wolltest Thanatos helfen, Waffen zu bauen. Und Mikail sollte euch helfen, ob er nun wollte oder nicht. Ich verstehe sogar, dass ihr uns schützen wolltet“, Kassia atmete tief durch. „Aber das war der falsche Weg!“
Wieder herrschte Schweigen. Dann erklang Nokoris Stimme, leise und kalt: „Nichts verstehst du!“
„Hör doch zu!“, Kassia klang verzweifelt. „Ich will mit dir reden. Erklär es mir, wenn ich es nicht verstehe. Ich will nicht, dass die Gruppe auseinander bricht!“
„Wir sind schon lange auseinander gebrochen“, sagte Nokori. „Und du sagst mir jetzt, auf wessen Seite du bist! Bist du für mich oder gegen mich?“
„Ich bin für und gegen niemanden!“, rief Kassia. „Wir sind eine Gruppe – wir brauchen uns gegenseitig.“
„Also bist du gegen mich?“, fragte Nokori.
„Nein!“, rief Kassia.
„Du kannst nicht neutral bleiben!“, Nokoris Stimme wurde lauter. „Du musst dich für eine Seite entscheiden, für Lucy oder für mich!“
„Ich werde mich nicht entscheiden!“, auch Kassia brüllte jetzt. „Hör auf damit, Nokori!“
„Siehst du denn nicht, was passiert? Was Lucy mit dieser Gruppe macht?“
Nokori wollte noch mehr sagen, doch sie wurde unterbrochen. Das, was sie unterbrach, war ein lautes Brüllen, von dem Foxy die Trommelfelle zu platzen schienen.
„Lauft!“, erklang wispernd die Stimme von Ashley. „Lauft, das ist ein Krokodil!“
Foxy sprang vorwärts, aber in der Finsternis konnte sie nichts erkennen. Sie konnte nicht einmal sagen, aus welcher Richtung das Brüllen kam. Blindlings stieß sie gegen einen Baum, dann stolperte sie in einen Strauch und fiel in eine Pfütze, die nach Algen und fauligem Wasser roch.
Sie hörte die anderen, die durch die Nacht stolperten, fielen und schrien. Nokori brüllte voller Panik, dass alle zu ihr kommen sollten – doch Foxy konnte Nokori nicht sehen, und auch ihre Stimme nicht orten.
Plötzlich fühlte sie das Untier, mehr als dass sie es sah oder hörte. Sie fühlte den großen Schatten, der eine Barriere für die Geräusche ihrer Freunde bildete, spürte die Wellen, die sein Körper im Teich auslöste.
Das Krokodil war ihr ganz nah!
Foxy drückte sich vom Boden hoch und rannte, wie sie noch niemals gerannt war. Ihre Kleidung war nass und kalt vom Sumpfwasser. Sie riss die Hände vor den Kopf und fing damit die Baumstämme ab, die scheinbar aus dem Nichts erschienen, gegen sie prallten.
Der ganze Wald schien sich ihr in den Weg zu stellen. Kletterpflanzen rissen an ihrer Kleidung, Dornenbüsche wollten sie festhalten.
„Hilfe!“, schrie Foxy dünn.
„Foxy!“, rief irgendwo anders Kassia. „Foxy, wo bist du?“
Sie rannte weiter, sie durfte nicht stehen bleiben. Der Boden unter ihren Füßen war rutschig, uneben. Wo war sie? Sie wusste es nicht, aber sie hörte das grollende Knurren ihres Verfolgers.
Das Krokodil durfte sie nicht erwischen.
Plötzlich war da nichts mehr vor ihr. Kein Baum, kein Wasser, kein Boden.
Foxy hing in der Luft, spürte, wie ihr Herz wild zu schlagen anfing. Dann stürzte sie, ohne Halt, in eine furchtbare, unsichtbare Tiefe.
Etwas traf sie in den Magen und ohne Zögern hielt sie sich fest, reflexartig. Es war eine Wurzel, eine breite Wurzel, die sie im Sturz getroffen hatte. Ihr Herz schlug so wild, dass sie nichts anderes mehr hörte. Sie zappelte mit den Beinen in der Luft.
Wie tief war dieser Abgrund? War es nur eines der vielen Löcher im Sumpf? Oder hatte ihre Flucht sie an eine Klippe geführt, einen schrecklichen Abgrund, eine Schlucht?
Die Angst vor dem Krokodil war plötzlich nurmehr ein Schatten, denn nichts überwog Foxys Angst vor Höhen, vor dem Sturz in die Tiefe.
„Hilfe!“, brüllte sie laut. „Kassia! Nokori!“
Sie umklammerte die Wurzel und spürte, wie das Holz unter ihren Fingern zitterte. Die Wurzel saß nicht fest.
„Nein! Nein, bitte nein!“, flüsterte Foxy, presste die Lippen zusammen, schluchzte dann. Sie wollte nach einem anderen Halt tasten, einer anderen Wurzel, aber sie wagte nicht, den Griff der Hände zu lösen.
Ein Knacken. Ein Ruck ging durch die Wurzel. Sie schrie, doch die Angst würgte ihr den Schrei im Halse ab. Noch ein Knacken, noch ein Ruck.
„Nein!“
Dann brach die Wurzel. Foxy schrie gellend, während sie in die Tiefe stürzte. Sie merkte, wie lang ihr Sturz war, hörte die Luft rauschen, sah nichts als Schwärze.
Dann gab es eine kurze Explosion, etwas Festes traf sie, sie schmeckte Erde, spürte furchtbare Schmerzen – all das nur für einen Moment.
Danach fühlte sie nichts mehr.