Die verschiedenen Jäger machten ihr Platz, als Veath Makami auf ihrem Raptoren durch die Menge ritt. Ihr Reittier, ein junges Männchen, das sie erst vor kurzem gezähmt hatte, lief bereits mit stolz erhobenem Kopf und regelmäßigem Rhythmus wie die Tiere, die Veath jahrelang dressiert hatte. Mort – so der Name des Raptors – war ihr Zeichen an die anderen Jäger, dass sie immer noch die beste Trainerin war.
Doch die Blicke, mit denen sie bedacht wurde, waren feindselig, abschätzig, manchmal hörte sie sogar Beschimpfungen oder gemurmelte Bemerkungen. Niemand wusste so genau, warum sie ihren Posten verlassen hatte, also verdächtigte man sie des Hochverrates, der Unfähigkeit, noch schlimmerer Verbrechen. Das war Teil von Jaydens Politik. Er ließ niemanden spüren, wie leicht sie selbst an Veaths Stelle hätten sein können.
Anthony Jayden hatte seinen Flugsaurier auf einem Hügel gelandet, von dme der große Quetzal überall zu sehen war. Veath konnte auch die aufgerichtete, stolze Gestalt von Jayden sehen, wie er auf dem Hügel stand und sein Heer überblickte.
Neben ihm stand bereits jemand, dort, wo Veath so viele Jahre lang gestanden hatte. Ihr Herz krampfte sich zusammen.
Mort lief federnden Schrittes den Hügel hinauf und trug Veath vor ihren Anführer. Jayden sah ihr mit kaltem Blick entgegen.
Das Mädchen an seiner Seite erkannte Veath ebenfalls. Nokori.
Sie hatte die zierliche Kriegerin aufgenommen, und das war nun der Dank? Veath fühlte sich verraten. Doch sie bemühte sich, Jayden nichts davon spüren zu lassen.
„Makami“, sagte Jayden mit ruhiger Stimme. „Du hast dir Zeit gelassen. Hast du die Gruppe gefangen?“
Veath musste verneinen. „Im Schneegebiet haben sie uns abgeschüttelt. Sie sind klug.“
Jayden seufzte, aber er klang nicht einmal besonders enttäuscht, nur müde. Veath sah auf den Boden. „Wir haben ihre Spuren gefunden und sind ihnen hierher gefolgt. Sie sitzen auf der Seite des Berges fest. Ein Erdrutsch oder so hat sie eingekesselt. Wir werden sie bald besiegt haben.“
„Also war dein ganzer Auftrag unnötig“, schloss Jayden. Veath brachte kein Wort heraus. Wenn er ihr doch nur einmal in die Augen sehen würde, ohne die falsche Maske aus Kälte und Hartherzigkeit, dann würde er wissen, dass sie bedingungslos loyal war!
Jayden hob einen Arm mit der Waffe. Rings um den Hügel kehrte Stille ein. Sie breitete sich ringförmig aus, wie Wellen auf einem Teich. Bald hätte man ein Blatt zu Boden fallen hören können. Männer, Frauen und Saurier sahen zu Anthony Jayden auf.
„Der Tag ist angebrochen“, sagte der ruhig. Nur die wenigsten konnten ihn verstehen, doch der Rest des Heeres wusste, was er sinngemäß sagte. „Bereitet euch vor!“
Der Befehl wurde brüllend weitergegeben. Die letzten Jäger sprangen auf ihre Reittiere, Soldaten verschwanden ein letztes Mal im Gebüsch, um sich zu erleichtern, Sattelgurte und Waffe wurden überprüft, stehen gebliebene Zelte abgerissen. Es wimmelte wie in einem Ameisenhaufen, doch Veath erkannte die Ordnung, die Jayden seinen Mannen eingetrichtert hatte.
Sie war entgegen aller Logik stolz auf Jayden, der es schaffte, so viele unterschiedliche Menschen zu vereinen und zu führen.
„Makami. Du nimmst die Raubsaurier und führst sie über die Flanke. Ich will, dass diese Gruppe vernichtet wird, diesmal wirklich.“
Sie starrte Jayden an. Das war ein weiterer Stoß vor den Kopf: Sonst hatte sie immer an seiner Seite gekämpft!
„Aber … was ist mit Nokori?“, stammelte sie irritiert.
„Nokori“, Jayden Blick huschte zu dem blassen Mädchen, das zusammen zuckte, „bleibt an meiner Seite.“
Veath nickte. Sie salutierte. Sie wendete Mort und ritt davon, stolz aufgerichtet brüllte sie ihre Befehle.
Aber innerlich blutete ihr Herz. Sie konnte es nicht ertragen, Jayden an der Seite einer anderen Frau zu sehen. Noch dazu an der Seite eines so jungen, unerfahrenen, undankbaren Görs. Was bildete Nokori sich auch ein?
Veath blieb nur die Hoffnung, dass Nokori im folgenden Krieg sterben würde.
Die Jäger setzten sich widerwillig in Bewegung und folgten Veath die Flanke des Hügels herab und auf den Berg zu, wo die Schlacht stattfinden würde. Raptoren, Dilos und Tyrannosaurier verfielen in einen leichten Trab, angeheizt von dem Duft der Angst, der in der Luft lag. Verborgen zwischen den Bäumen ließ Veath die Gruppe anhalten. Sie warteten. Und lauschten.
Bald donnerte der Boden unter den Schritten von Giganten. Der riesige Langhals, Herzstück der Armee und so groß wie der Hügel, setzte sich in Bewegung. Die anderen, kleineren Pflanzenfresser umringten ihn wie Küken die Glucke. Der Himmel wurde verdunkelt von den Schwingen unzähliger Flugsaurier. Nur einer blieb zurück, der große Quetzal von Jayden. Als Heerführer würde er warten und beobachten. Doch er schickte seine ganze Macht gegen die beiden Lager. Die acht Menschen, ihre einzigen Gegner, standen keine Chance.
Veath kam es ziemlich übertrieben vor, mit einer Armee gegen acht Personen zu ziehen. Doch sie würde keine Zweifel äußern. Irgendwie musste sie ihre Position zurückerlangen, die ihr von Nokori gestohlen worden war.
Ein Hornsignal erklang. Veath richtete sich im Sattel auf und schwang ihre Waffe, ein Schwert, das man ihr vor kurzem gegeben hatte.
„Angriff!“, brüllte sie und die Raubsaurier rannten los. Mort flitzte voran, Veath beugte sich tief über seinen Rücken. Ihr Gefolge bestand aus unzähligen räuberischen Echsen, doch auch aus riesigen Wölfen und Säbelzahntigern, aus Insektenschwärmen und langsameren Krokodilen.
Sie führte ihren Teil der Armee die Bergflanke hinauf und gegen die vier, denen sie nun schon so lange gefolgt war. Der Krieg begann.
Und doch weilten ihre Gedanken woanders. Sie kreisten um Jayden, der sich mehr und mehr von ihr abwandte, wo sie doch versucht hatte, ihm alles zu geben. Sie kreisten um Nokori, die sich wie ein Flittchen in Jaydens Vertrauen geschlichen hatte.
Was hatte Nokori, das Veath fehlte?
Und sie sorgte sich um das, was vor ihnen liegen würde. Sie kannte das schwarzhaarige Mädchen, die Anführerin der Gruppe, von dem langen Kampf während ihrer Flucht. Das Mädchen war klug, sicherlich hätte sie eine Falle gestellt. Obwohl sie einander nie wirklich begegnet waren, empfand Veath tiefen Respekt vor dem Kind, das ihr nicht nur für so lange Zeit entgangen war, sondern ihr ebenfalls ihre Raptoren gestohlen hatte.
Das Mädchen war eine ernstzunehmende Gegnerin. Doch sie ahnte nichts von Veaths Geheimwaffe.
Während es den Berg hinauf zur Schlacht ging, pfiff Veath eine schrille, aufpeitschende Melodie.
Sie hörte eine Antwort im allgemeinen Lärm, Keckern und Gurren, hohe, spitze Schreie.
Das waren ihre Raptoren, diejenigen, die ihr gestohlen worden waren. Doch Veath war eine Trainerin. Sie wusste, dass ihre Kinder zu ihr zurückkehren würden.
Mit etwas Glück würde das Mädchen völlig verdutzt auf dem Rücken von einem davon hocken.
Veath erstürmte den Berg, der von unzähligen Wasserläufen durchzogen war. Ihre Raptoren kamen ihr entgegen, stießen dabei freudige Laute der Wiedervereinigung aus.
Doch etwas stimmte nicht.