Zayn strich beruhigend über Deynaras Gefieder. Der kleine Flugsaurier hockte auf Zayns Schulter und schnatterte unruhig.
„Still, meine Kleine“, flüsterte Zayn zärtlich, um seinen Begleiter zu beruhigen. Doch auch er spürte die Unruhe in der Luft. Ferner Donner rollte heran, zu regelmäßig, um von einem Gewitter zu stammen: Drachenblut machte sich kampfbereit.
Zayn wusste, dass ihre kleine Festung auf dem Berg nicht gegen die geballte Macht des Drachenblut-Lagers bestehen konnte. Mit den anderen als Verstärkung – jenen, die sie aus Versehen auf dem Berghang festgesetzt hatten – würden sie vielleicht einige Stunden länger durchhalten, doch alles in allem bestand keine Hoffnung.
Zayn seufzte. Schon bald würde er wieder ein Tierpfleger im Drachenblut-Lager sein und Dinodung wegkarren. Wenn Anthony Jayden gnädig gestimmt war. Es war durchaus möglich, dass Zayn den nächsten Tag auch nicht mehr erleben würde.
Der Wind trug ihm kalte Luft und den Geruch nach Regen zu. Es würde ein stürmischer Tag werden.
Plötzlich zuckte Deynara zusammen und stieg schnatternd in den Himmel auf. Zayn drehte sich um. Durch den Instinkt seines Sauriers vorgewarnt, konnte er Mikail und Kassia auf sich zukommen sehen.
Er erhob sich vom Boden, wo er im Schneidersitz neben dem bewusstlosen Mori gesessen hatte. Maurice hatte den ganzen vergangenen Tag durchgeschlafen, langsam beschlich Zayn das Gefühl, dass sein Freund sich vielleicht verstellte. Die Flucht hatte ihm viel zu viele neue Rätsel aufgegeben. Wer war diese Ashley und warum wurde Maurice ihretwegen bedrängt? Die ganze Sache wurde Zayn langsam unheimlich.
„Wir hatten keinen Erfolg“, sagte Mikail, als er auf die Lichtung trat. „Lucy will sich uns nicht anschließen.“
„Nicht?“, wiederholte Zayn und verdrängte die Sorgen auf Später: „Wieso denn nicht? Zu viert haben sie keine Chance gegen Drachenblut!“
Und wir auch nicht, fügte er nicht hinzu. Das war offensichtlich, sonst hätten sie nicht versucht, sich mit den anderen zu einer größeren Gruppe zu verbünden.
„Lucy meint wohl, dass sie alleine besser dran ist“, meinte Kassia leise, die die Verhandlungen geführt hatte. „Zayn, sagt dir der Name Liara etwas? So heißt die Fremde, die bei Lucy war. Liara, die Schlange.“
Zayn überlegte. Als stiller Beobachter in Drachenblut hatte er viel mitbekommen und kannte fast alle wichtigen Personen im Lager. Er schüttelte den Kopf: „Nie gehört. Tut mir leid.“
Mikail zuckte mit den Schultern. „War einen Versuch wert. Dann ist sie vielleicht eine Einzelgängerin.“
„Wenn sie Drachenblut entgehen konnte, muss sie gut sein“, überlegte Zayn laut. „Nicht viele Einzelgänger können sowohl dem Tod als auch unserem Lager entgehen!“
„Vielleicht haben sie ja doch eine Chance“, murmelte Kassia leise. „Ich hoffe, dass sie überleben. Henry und Galileo wirkten beide nicht, als ob sie in ihrem Lager glücklich wären. Aber … sie stehen unter Lucys Fuchtel.“
„Dieses Mädchen ist unheimlich“, meinte Mikail und kam nun zu Zayn. „Wie geht es deinem Freund?“
„Gut.“
Diese Stimme gehörte Maurice. Zayn fuhr herum und stellte fest, dass der braunhaarige Junge sich aufgesetzt hatte und sie drei nun aus großen Augen musterte.
„Wie lange bist du schon wach?“, entfuhr es Zayn.
„Eine Weile“, Maurice starrte auf den Boden und rieb sich mit der einen Hand das andere Handgelenk.
„Unglaublich“, hauchte Kassia leise, deren Blick auf Maurice' Tattoo gefallen war. „Das gleiche Tattoo hatte Ashley auch!“
Zayns Magen krampfte sich zusammen. Schon wieder Ashley. Wer war sie?
Zu seinem Erstaunen reagierte Maurice nicht so abwehrend wie damals im Drachenblut-Lager. Stattdessen streckte er die Arme von sich und präsentierte den anderen seine Runentattoos auf den Hangelenksinnenseiten.
„Ich kann es mir nicht erklären“, flüsterte er, den Blick fest auf den Boden gerichtet. „Ich dachte, ich sterbe. Aber dann bin ich wieder aufgewacht. Ihr wart alle weg. Und mein Körper … sah so aus. Ich bin umhergeirrt. Dann hat Drachenblut mich gefunden.“
„Was?!“, fragte Zayn, der nichts mehr verstand.
„Du … bist Ashley?“, fragte Kassia. Sie war bleich geworden.
Maurice sah schüchtern auf. „Ich war Ashley. Ich erinnere mich. Soll ich es beweisen?“
Zayn sah vom einem zum anderen, niemand brachte ein Wort heraus. Schließlich nickte Mikail, die Lippen fest aufeinander gepresst.
„Du bist Mikail“, sagte Maurice leise. „Ihr habt euch mir noch nicht vorgestellt, also kann ich nicht wissen, dass du ein Erfinder bist. Thanatos wollte dich zwingen, eine Waffe zu bauen, doch du hast dich geweigert. Als Thanatos verschwand, bist du ebenfalls geflohen. Ich vermute Kassia hat dir geholfen? Es war ein Fehler von dir, zurückzukommen. Ich weiß noch, dass Drachenblut kam und dass es einen Kampf gab. Ich wurde getroffen …“
Maurice' Stimme erstarb, als hätte er mit dieser langen Erzählung seine Atemluft für ein ganzes Jahr verbraucht. Sein Blick wanderte in die Ferne.
Zayn starrte Kassia und Mikail an.
„Wir haben dich alle für tot gehalten“, flüsterte Kassia. „Wir sind geflohen, als der Kampf begann. Und dann haben wir Lucy, Henry und Galileo gesehen, die auf Raptoren fort geritten sind. Ich dachte …“
Kassia brach ab, ging auf Maurice zu und zog ihn in eine Umarmung. Maurice ließ das verwundert und regungslos über sich ergehen.
„Aber wir hast du dich so verändert?“, fragte Mikail und musterte Maurice von oben bis unten. „Das ist doch wohl nicht normal?“
Maurice, aus Kassias Umarmung gelöst, drehte sich einmal und lächelte dann blass. „Ich mag es.“
Zayn konnte sehen, wie Maurice den Kopf zwischen die Schultern zog. Offenbar wurde ihm die Aufmerksamkeit langsam zu viel.
„Gut, dafür haben wir später Zeit!“, sagte Mikail und bewies damit erstaunliches Taktgefühl. „Wir müssen uns auf einen Kampf vorbereiten. Zayn – kann ich davon ausgehen, dass Drachenblut ebenfalls Flugsaurier besitzt?“
Zayn nickte. Er war immer noch verwirrt. Aber er freute sich, dass Maurice nicht in Panik geraten war.
Ein Schatten legte sich auf Mikails Gesicht. Als er sprach, klang seine Stimme kalt und hart: „Ich werde mich vorbereiten. Vor Landbewohnern sollten wir hier oben sicher sein. Ich werde dafür sorgen, dass wir uns auch gegen Angriffe aus der Luft wehren können!“
„Mikail …“, setzte Kassia an und streckte die Hand nach ihm aus, doch Mikail drehte sich von ihr weg und marschierte davon zur Mitte der Bergkuppe.
Sie sahen ihm hinterher. Zayn erinnerte sich an das, was Maurice über Mikail und den Konflikt wegen einer Waffe gesagt hatte.