Der nächste Tag begann mit Schweigen.
Die Mitglieder der kleinen Gruppe standen nacheinander auf und begaben sich nach draußen. Dort, noch auf dem trockenen Fleckchen Sumpfland, lag Foxy aufgebahrt. Es konnte kein Zweifel daran aufkommen, was heute zu tun sei.
Die meisten aßen wenig. Henry allerdings gehörte zu den Leuten, deren Magen vollkommen losgelöst von den äußeren Umständen funktionierte. Er hatte Hunger, sogar großen. Aber weil sonst niemand zu frühstücken schien, zwang auch Henry sich, nicht mehr als ein Stück Fleisch zu essen. Und selbst das tat er mit schlechtem Gewissen. Irgendwie schmeckte ihm das Fleisch nicht, was vielleicht der trauerbedrückten Atmosphäre geschuldet war.
Es wurde etwas besser, als Galileo erschien. Der dürre Mann schien ebensolchen Kohldampf wie Henry zu haben, und gemeinsam aß es sich schon besser.
Doch das Frühstück blieb eine stille und nachdenkliche Angelegenheit.
Direkt nach dem Frühstück fanden sich alle von selbst bei dem aufgebahrten Mädchen ein. Inzwischen verströmte ihr Körper bereits einen leicht süßlichen Geruch. Obwohl dieser nicht besonders intensiv nahm, hatte er doch einen eigenen, sehr aufdringlichen Charakter. Es roch nach Tod, und hatte man das einmal wahrgenommen, so konnte man es nicht mehr ausblenden.
Lucy hatte das Grab für Foxy fertig gestellt, am Rand des Lagers.
Das Mädchen trat neben Henry.
„Henry? Du bist der Stärkste von uns, glaube ich. Könntest du … ?“
Sie sprach nicht aus, was ihre Frage war. Er wusste es, sah es in ihrer Haltung, ihrem Blick. Er nickte, trat vor und hob Foxys steifen Körper sanft an. Dann trug er das blonde Mädchen zu der Grube, mit langsamen Schritten. Er legte sie am Rand auf die Erde und kam sich schäbig vor, dass er die Tote auf dem Sumpfboden ablegen und selbst in das Grab klettern musste, dass er sie dann vom Rand herabziehen musste.
Schließlich lag Foxy in der Grube, der Körper zerschmettert, die Augen geschlossen. Ihre Haut war unnatürlich weiß, die blauen Flecken zeichneten sich darauf überdeutlich ab.
Galileo stand am Rand bereit und half Henry, aus dem Grab zu klettern. Ihm pochte das Herz wild in der Brust. Er strich sich die Hände am Hemd ab.
Dann stand die Gruppe schweigend um das offene Grab. Niemand sprach. Nokori schniefte leise und verbarg ihr Gesicht hinter einem Vorhang nussbrauner Haare.
Schließlich trat Lucy vor.
„Leb wohl, Foxy. Du warst uns eine gute Freundin, und ein treues Mitglied dieser Gruppe. Wir werden dich nicht vergessen, und selbst wenn Erde deinen Körper deckt, wirst du doch für immer in unseren Herzen bleiben.“
Es war keine besonders ausführliche Grabrede. Und Lucys dunkle Augen wirkten kalt und leblos, während sie sprach. Sie bückte sich, nahm den Spaten, und schaufelte eine Ladung Erde auf Foxy herab. Dann zog sie sich zurück, als wüsste sie, dass sie bei der Beerdigung keine große Rolle spielen konnte.
Kasia trat als nächste vor. Sie sagte nichts, jedenfalls nicht laut, sie bewegte nur die Lippen mit einem Flüstern. Auch sie warf Erde auf Foxy.
Als nächstes kam Nokori. Sie sagte nur eines: „Es tut mir leid.“
Henry sah, wie einer nach dem anderen die Mitgleider der Gruppe vortraten, ein paar letzte Worte loswurden oder schwiegen. Erde wuchs über Foxy, sie versank darin.
Henry war der letzte. Er sah nach unten, wo nur noch Foxys Gesicht zu erkennen war. Und er konnte ihr nichts sagen, fand keine Worte.
Ihr Tod war schrecklich. Und nun fühlte Henry, wie nah sie alle dem Tod waren. Wie viel Glück sie bisher gehabt hatten.
Das Wissen um ihre eigenen Sterblichkeit war Foxys furchtbares Vermächtnis. Henry fand keine tröstenden Worte.
Er nahm den Spaten und warf Erde auf das blonde Mädchen.
Dann schaufelte er weiter, immer und immer weiter. Lucy kam bald zu ihm und gemeinsam schlossen sie das Grab.
Am Ende legte Ashley noch einen Strauß Wildblumen auf den Erdhaufen. Ashley sagte nichts, sah nicht auf. Sie legte die Blumen ab und ging zurück.
Sie machten mit dem Tag weiter wie früher. Sie zogen Mittags los, denn der Vormittag war vergangen. Henry ging diesmal mit den Sammlern, um Foxy zu ersetzen. Sonst änderte sich nichts.
Am Abend aßen sie in einer schweigenden Gruppe, aber sie aßen alle. Der lange Tag hatte den Hunger zurückgebracht.
„Wir haben im Wald weitere Gruben gefunden“, sagte Kassia irgendwann. Henry war erleichtert darüber, dass die Stille durchbrochen worden war.
„Gruben?“, fragte Lucy.
Nokori warf einen schnellen Blick auf Kassia.
„Ja, Gruben. Wie die, in die Foxy damals gefallen ist.“
Niemand sagte etwas auf Foxys Erwähnung.
„Was ist mit diesen Gruben?“, fragte Lucy.
„Sie sind einen halben Tagesmarsch von hier. Es sidn viele, sie sind tief und offensichtlich gefährlich. Irgendjemand muss diese Gruben gegraben haben.“
Henry beugte sich vor und griff nach einem Wasserschlauch. „Vielleicht sollen wir die Gruben zuschütten. Oder anders kennzeichnen.“
„Und damit denjenigen, der dafür verantwortlich ist, auf uns aufmerksam machen?“, fragte Galileo. „Die Gruben sind offensichtlich von jemandem, der Dinosaurier fangen will – vielleicht auch Menschen. Sollten wir ihm da verraten, wo wir sind?“
„Meint ihr … meint ihr, es ist Drachenblut? Das andere Lager?“, fragte Nokori.
Schweigen. Lucy sah über das Feuer, die Flammen spiegelten sich in ihren dunklen Augen: „Glaubst du, das könnte das Werk von Drachenblut sein, Ashley?“
Die Späherin sah erschrocken auf, blass geworden. Sie zog den Kopf zwischen die Schultern und schüttelte dann den Kopf. „Ich weiß nicht“, hauchte sie.
„Wenn das Drachenblut ist“, sagte Kassia langsam und warf Nokori dabei einen Blick zu, „dann sind sie näher, als wir gehofft hatten. Wir sollten hier weg!“
Mehrere hoben alarmiert die Köpfe, darunter Henry. „Wir haben uns gerade etwas aufgebaut!“, protestierte er. „Das war viel Arbeit!“
„Ruhe“, sagte Lucy scharf. „Wir ziehen noch nicht um. Allzu viele Umzüge können wir uns nicht leisten. Aber wir müssen wachsamer sein. Wenn Drachenblut in der Nähe ist, will ich das wissen. Ashley? Du bist unsere Späherin, finde heraus, was es mit den Löchern auf sich hat.“
Ashley nickte schwach und machte Anstalten, aufzustehen.
„Doch noch nicht jetzt!“, sagte Lucy. „Du ziehst morgen mit den Sammlern los, aber dann gehst du weiter. Und sei vorsichtig, verstanden?“
„Verstanden“, flüsterte Ashley mit gesenktem Kopf.
„Und auch alle anderen müssen wachsam sein“, sagte Lucy und sah in die Runde. „Beim Sammeln und beim Jagen. Ich will keine Unfälle mehr.“