04.10.2019
Schmiede
Wenn Leute in Welsah neue Waffen brauchten und ihnen dabei die Qualität besonders lieb war, wendeten sie sich früher gerne an den zwergischen Schmied Rudi. Nun war dieser in der Zwischenzeit allerdings in den Ruhestand gegangen und genoss fortan seine großzügige Freizeit, die er mit Rum oder Glücksspielen zu füllen wusste, wenn er nicht gerade am Stricken war. Doch seine Verdienste der Vegangenheit sollten in den Köpfen der Leute bestehen bleiben. Und so geschah es eines Tages, dass ein junger Paladin zu ihm nach Hause kam und ihn bat, die alte Schmiede, die Rudis Sohn geerbt hatte, noch ein letztes Mal selbst anzuwerfen.
Statt ihn anzumaulen, wie er seine Adresse gefunden hatte, fragte er den so verzweifelt dreinblickenden Jungspund, was denn Sache sei. Dieser erklärte, dass er das seit Jahrhunderten legendäre Schwert Gufrisa aus dem großen Stein der Prüfung gezogen hätte. Jahre habe er nur für diesen Moment trainiert, so erklärte er, und endlich habe es sich bezahlt gemacht. Der bärenähnliche Körperbau des jungen Paladins sagte dem alten Zwergenschmied, dass er nicht log, zumal Rudi den Griff des Schwertes vor seiner Nase schonmal vor sehr langer Zeit zu Gesicht bekommen hatte. Die markante, lilane Lackierung mit ihren einzelnen Absplitterungen hatte sich bis zum gegenwärtigen Tag in sein Gedächtnis gebrannt und so erkannte er, dass es das Original war. Doch eine Sache störte das Gesamtbild.
"Ja, mei!", entkam es ihm, als er einen schweren Riss an der Klinge entdeckte. "Wos host du denn do gemocht? Des scheene Stuck ..."
Nervös stotternd versuchte der junge Paladin, sich zu erklären und kramte einen kleinen Stoffbeutel hervor.
Rudi beugte sich vor, um den silbrig-verträumt schimmernden Inhalt zu betrachten. Feenstaub. Ein Material, so selten, wie wertvoll. Feen zeigten sich nicht oft den Wesen anderer Spezies. Davon abgesehen musste man sie schon länger bei sich halten, um solch große Mengen anzusammeln. Feenstaub entstand durch den Verschleiß ihrer zarten Flügel, die in etwa so kurzlebig waren, wie die Feen selbst. Man musste genau hinsehen, um den Staub auf dem Boden zu erhaschen und schneller sein, als der Wind, wenn man verhindern wollte, dass er davonwehte.
Natürlich könnte man Feen auch einfach fangen, doch war es vom König höchstpersönlich verboten worden. Ob dieses Verbot auf Gutmütigkeit zurückzuführen war, bezweifelte Rudi. Er vermutete vielmehr, dass der König große Aktien angelegt hatte und so die Preise oben halten wollte, um von diesen zu profitieren.
"Dera Schundmichl", knurrte der Zwerg bei dem Gedanken.
"Entschuldige, habt Ihr etwas gesagt?"
Er blickte zum Paladin auf und sagte: "Feenpfefferl."
Verdutzt blinzelte der junge Paladin. "Feenstaub", korrigierte er schließlich.
Mit rauer Stimme erwiderte Rudi: "Seg i do! Feenpfefferl."
Verdutzt nickte der Jungspund.
Der alte Zwergenschmied kraulte seinen lockigen Kupferbart, in dem einzelne Silbersträhnen verteilt waren und grübelte. Dann seufzte er und verkündete schließlich: "I moch des."
Und so nahm er dem kräftigen Paladin mit ein paar schnellen Griffen Schwert und Staub aus den Pranken. Ein langer Tag wartete in der Schmiede auf ihn.
"Ja, Kruzefix!", fluchte Rudi.
Ein Schlag. Es war nur ein einziger Schlag gewesen. Und nun zierte das legendäre Schwert nicht nur ein etwa fingerbreiter Riss, nein, es war gebrochen. Ja, richtig. Gebrochen!
Schnaufend vor Hitze legte er seinen Schmiedehammer beiseite und betrachtete die beiden Teile, die einen Augenblick zuvor noch eins gewesen waren.
Es war vorbei. Sein Leben war vorbei. Das hätte nie passieren dürfen. Nie hätte er diesen Auftrag annehmen dürfen. Seine Tage als Schmied waren gezählt, er war doch bereits im Ruhestand gewesen. Lieber hätte ein Jüngerer sich dem annehmen sollen. Der wäre nicht so verrostet gewesen, wie er und hätte es sicherlich besser hinbekommen ... doch gab es nun kein Zurück mehr.
"Kruzefix", murmelte er in seinen Bart hinein und strich über diesen, während er überlegte, was er tun konnte, um seinen Hals aus der Schlinge zu bekommen. Man würde ihm das sicherlich nicht verzeihen. Immerhin war es das legendäre Schwert Gufrisa, welches er da gerade in seinem Arbeitseifer zerstört hatte, statt es, wie versprochen, zu verbessern.
"Wes mach i nu ..." Grübelnd betrachtete er die noch glühende Klinge des Schwertes und stockte. Da war doch was Schmieriges ...?
Mit dickem Lederhandschuh über der Hand legte er einen Finger auf die seltsame Schmiere, welche ihm zuvor gar nicht aufgefallen war. Vielleicht brauchte er doch eine Sehhilfe.
Als er den Finger vom Stahl entfernte und Zeigefinger und Daumen aneinanderrieb, klebte es. So stark, dass er sie nicht mehr auseinanderbekam.
Seufzend zog er den Handschuh aus und zog sich seinen Ersatz über. Sehr starker Kleber also ...
"Ja, mei!", rief er mit großen Augen aus. Nun leuchtete es ihm ein. Ja, doch, das ergab Sinn. "Des bleede Stuck!" Er warf die abgebrochene Klinge beiseite und holte einen neuen Stahlrohling hervor, um ihn ins Feuer zu legen. Während er darauf wartete, dass dieser erhitzte, stemmte er den letzten Rest der zerbrochenen Klinge aus dem lilanen Griff. Rudi war klar, was er zu tun hatte: Er musste sein ganz eigenes legendäres Schwert schmieden!
An der Klingenspitze Gufrisas hatte man einen unglaublich starken Kleber verteilt. Seine Theorie war, dass man damit gezielt dafür sorgen wollte, das Schwert so fest im Stein zu verankern, dass fast schon unmenschliche Kraft vonnöten wäre, um es rauszuziehen. Durch Gerüchte hatte man über die Jahrhunderte dafür gesorgt, dass daraus die Legende des Schwertes Gufrisa wurde, welches nur von einem auserwählten Helden gezogen werden konnte. Zahlreiche Männer trainierten, um dieser Held sein zu können, doch all die Jahre war jeder gescheitert.
Außer dieser Paladin von neulich. Der war aber auch ein Tier! Sicherlich war er sogar stärker, als Rudi in seinen besten Jahren.
Der alte Zwergenschmied war sich sicher, dass man diese Legende gesponnen hatte, um die Leute dazu anzustiften, sich zu stählern, um so zu gewährleisten, dass sie bessere potenzielle Ritter abgaben. Man wollte wohl, dass sie sich nach ihrer Odyssee des Trainings und des damit verbundenen Scheiterns am Stein der Prüfung wenigstens als Soldaten des Königs bewarben. Nur leider waren die Meisten zu enttäuscht, 'unwürdig' zu sein, um sich darüber Gedanken zu machen. Lieber zogen sie sich zurück und lebten ihre bisherigen Leben ganz normal weiter.
Ihnen fehlte das, was man mit dieser Legende lehren wollte: Das Vertrauen in sich selbst. Stattdessen legten sie all ihr Vertrauen in ein Schwert gewöhnlicher Fertigung ab, nur um am Ende enttäuscht zu werden und sich wie geschlagene Hunde zurückzuziehen.
Ja, so musste es gewesen sein. Rudi nickte andächtig, als er sich diese Theorie von Anfang bis Ende durch den Kopf gehen ließ. Eine andere Möglichkeit sah er nicht.
"Oh", sagte er und griff schnell nach dem Rohling, um ihn aus dem Feuer zu ziehen. Er hatte inzwischen die perfekte Farbe zum Weiterverarbeiten angenommen. Die perfekte Farbe für ein legendäres Schwert.