20.10.2019
Vorheriger Teil: Spur/Pfad (https://belletristica.com/de/books/17565-writeinktober-2019-saki/chapter/65279-spur-pfad)
Unterschrift
Die weitere Reise durch den historischen Escape Room gestaltete sich als nicht sonderlich ungewöhnlich, wenn man mit den moderneren Exemplaren vertraut war.
Nachdem wir die Bücherregale im Büro abgesucht hatten, mussten wir lediglich deren Titelschriften mit ein paar Symbolen an den Wänden abgleichen und bei den übereinstimmenden Zeichen die passenden Bücher dagegendrücken, damit die Wände an den Stellen kleine Steckplätze freigaben, in die die Bücher, welche im Übrigens ausnahmslos kein einziges Wort auf ihren Seiten enthielten, perfekt passten.
An sich war diese Aufgabe simpel gewesen. Wenn man erst darauf kam.
Wir kamen erst nach sicherlich ein paar Stunden darauf. Und so war ich entsprechend schlecht gelaunt, weil es stickig war, ich Hunger hatte und einfach nur raus wollte.
Leonard dagegen schien unbeeindruckt. Er versuchte immer mal wieder, mich daran zu hindern, in meinem Frust die Taschenlampe gegen die nächste Wand zu schmettern, als wir mit weiteren sinnlosen Rätseln belästigt wurden. So zogen sich die Stunden weiter hin, in denen wir irgendwelche abstrakten Aktionen ausführen sollten.
Leonard und ich gelangten schließlich zu einem kleinen Schacht mit einem Seil, von dem ich bezweifelte, dass es noch lange halten würde. Ich war sowieso verblüfft, dass es nach all der Zeit noch nicht zu Staub zerfallen war. Der verhältnismäßig gute Zustand war wohl nicht zuletzt der staubtrockenen Dunkelheit zuzuschreiben, die über so lange Zeit im Escape Room herrschen musste.
"Gib mir deine Wasserflasche", forderte ich, als mein Hals wieder trocken wurde.
Ohne Widerstand überließ er mir seine Flasche und ich legte den Kopf in den Nacken, um an den Inhalt zu kommen. Nur noch ein paar letzte Tröpfchen waren übrig gewesen.
Mit enttäuschtem Blick drückte ich ihm seine Wasserflasche wieder in die Pfoten.
"Du hättest deine Flasche nicht Zuhause vergessen sollen", kommentierte er unnötigerweise.
Missmutig sagte ich nur, während mein Magen knurrte: "Ich gehe vor."
Damit ließ ich meine Taschenlampe zwischen den Zahnreihen verweilen, griff nach dem Seil und hangelte mich langsam nach unten. Als ich bereits nach wenigen Sekunden merkte, dass das viel zu anstrengend wurde, ließ ich mich das Seil hinabgleiten. Mit schmerzlich brennenden Händen kam ich unten an und leuchtete mit der Taschenlampe nach oben, um Leonard zu symbolisieren, dass er nun dran war.
Ich schnalzte genervt mit der Zunge, als er sich seelenruhig und ohne jegliche Zeichen der Anstrengung die gesamten rund fünf Meter hinabhangelte. Danke, oh großer Löwe, dass du mich daran erinnerst, was für ein Lauch ich doch bin.
"Ist was?", fragte Leo ehrlich verwundert.
"Nein. Komm jetzt." Grummelig packte ich ihn am Handgelenk und zerrte ihn mit mir, während ich dem Schein meiner Taschenlampe folgte, um uns durch einen schmalen Gang zu lotsen.
Allmählich verging mir die Lust auf diese Spielchen. Was war das nur für ein komischer Kauz, der diese Escape Rooms erbauen ließ? Und wozu?
Ich dachte, dass es nicht verwunderlich wäre, wenn wir die Leiche dieses Verrückten irgendwo finden würden, mit Spuren einer Hinrichtung, weil er die Rohstoffe seiner Leute für solche läppischen Spielereien verprasst hatte.
Was wir stattdessen auffanden, war ein weiterer Raum, der nach antikem Büro aussah. Ich seufzte.
Wieder lag dort ein Pergament auf dem Steintisch.
Ich ließ Leo los und las mir die zittrige Handschrift durch, während er mir über die Schulter schaute.
"Wie gefällt euch dieser Vorgeschmack? Wenn ihr meine Idee unterstützt, dass durch solche - ich nenne sie 'Fluchträume' - Frieden geschlossen werden kann, indem man zwei verfeindete Stammesmitglieder derlei Abenteuer erleben und Rätsel lösen lässt, dann unterschreibt bitte in den vorgegebenen Feldern", übersetzte er wieder und kam mir somit zuvor. Ich trat ihm auf den Fuß - nicht, dass es etwas brachte.
"Was für eine bescheuerte Idee", kommentierte ich.
"Nachtrag: Wenn ihr nicht unterschreiben wollt, respektiere ich es natürlich. Für diesen Fall habe ich ein paar Vorräte für euch vorbereitet, von denen ihr eine Weile leben und die Entscheidung überdenken könnt. Ihr müsst sie aber erstmal finden. Viel Spaß!" Damit schnappte Leo mir auch den letzten Rest Text weg, den ich übersetzen wollte.
Perplex standen wir da und starrten auf die Felder, in denen bereits ein paar krakelige Unterschriften festgehalten wurden.
"... Hast du einen Stift?", fragte ich.
Kurz darauf zierten die Unterschriften der Namen Leonard Weiss und Ramona Kühn das Pergament.
Mit dem Niederschreiben unserer Unterschriften öffnete sich neben uns die Wand und gab den Blick auf eine Treppe frei, die in Kerzenlicht getaucht war. Ich tippte darauf, dass eine Druckplatte am Tisch dafür verantwortlich war, welche mit dem Druck unserer Stifte aufs Pergament aktiviert wurde.
So blickte ich seufzend zur Treppe im Schein des Kerzenlichts. Und stockte.
Moment, Kerzen?
Ohne auf Leo zu warten, ging ich näher zu ihnen.
"Die sind frisch", stellte ich schnell fest. Nur ein klein wenig abgebrannt.
Nun kam auch er zur Treppe und schaute erst auf die Kerzen, dann die Stufen hinauf.
"Interessant."
Nun wanderte auch mein Blick über die Treppenstufen hinweg nach oben. Eine schwere Holztür war dort zu sehen. Bevor Leonard auf die Idee kommen konnte, erklomm ich die Stufen und erreichte die Tür.
Schwer war sie, doch ganz langsam, Millimeter um Millimeter bekam ich sie auf.
Aber natürlich musste es ihm wieder nicht schnell genug gehen und so tauchte Leo hinter mir auf und stemmte sich mit beiden Händen gegen die Tür. Durch den Schwung fiel ich nach vorne und landete auf einer Wiese, während Sonnenlicht meinen Rücken wärmte.
"Hey", keuchte ich und blickte Leonard missmutig an.
Er aber hatte keinen Blick für mich. Starr schaute er nur geradeaus und bewegte sich kein Bisschen.
So folgte ich seinem Blick. Meine Augen weiteten sich. Dann zischte ich auf den Anblick hin genervt.
"Hallo", grummelte ich der Person entgegen, von der ich bereits ahnte, wer es war. Mir war die Unmöglichkeit der Situation in dem Moment egal.
Ich hatte zu viel Hunger und daher zu schlechte Laune, von den Stunden in der stickigen Dunkelheit gänzlich zu schweigen.
[Leonard Teil 3/3 Ende]