25.10.2019
Vorheriger Teil: Luxus (https://belletristica.com/de/books/17565-writeinktober-2019-saki/chapter/65281-luxus)
Unfall
Sekt ergoss sich über seinen Anzug, als Marco mit einem der beiden Männer zusammenstieß. Nun, das gehörte nicht zum Plan. Ganz und gar nicht. Das machte alles nur unnötig aufwändiger. Und Sekt stank Marcos Meinung nach fürchterlich.
Dennoch ließ er sich nichts anmerken, lächelte den Herrn nur an und schüttelte leicht den Kopf. Welch Trunkenbold. Wer hat dich denn eingeladen?
"Ich mache das schon." Damit wollte er sich abwenden, doch spürte er, wie ihn plötzlich jemand am Arm packte.
"Hey ...", ertönte es hinter ihm.
"Hm?" Immer noch das Lächeln auf den Lippen drehte er sich zur Stimme um und sah einem verärgerten Gesicht entgegen. Auch das noch. Er ahnte bereits, wohin diese klischeebenetzte Situation führen konnte.
"Du hast meinen Kollegen angerempelt, was sollte das?", wollte der verärgerte Mann wissen.
Sein Kollege stand mit einem Glas, so leer wie sein Blick, neben den beiden und war sichtlich verwirrt.
Marco seufzte leise und deutete auf den eigenen, durchtränkten Anzug. "Ich glaube, sowohl dein Kollege, als auch du hätten weniger Grund, zu meckern, als ich. Wenn ihr mich also entschuldigen würdet."
Damit wandte er sich schnell ab, ignorierte die Pöbeleien hinter seinem Rücken und tauchte in der Menge unter, um zu den Toiletten zu gehen. Ein Glück hatte er es offenbar geschafft, einer möglichen Eskalation zu entkommen.
Marco schloss sich in einer Kabine ein und atmete durch. Was waren heute nur für seltsame Leute dort unterwegs? Die ein oder andere Person hatte er zwar durchaus erkannt, wie zum Beispiel Ernesto, aber sowohl die Frau, als auch diese beiden Trinker waren ihm gänzlich unbekannt. Und irgendwie schienen sie nicht so recht zur Szenerie zu passen.
Er sollte dafür sorgen, dass man sie loswurde - zumindest die beiden Trunkenbolde. Denn sonst, so befürchtete er, konnte es zu ganz üblen Komplikationen führen, wenn die Auktion vonstattenging.
Dies gedacht, blickte er auf die Uhr. Es war Zwanzig vor Acht. Bald würde es losgehen. Nun wurde Marco doch ein wenig nervös, wenn er daran dachte, wie er vor all den Leuten stehen würde und die Statuetten seines Bruders als die Seinen zum Verkauf präsentierte. Bis dahin sollte er den Fleck auf seinem Anzug entfernen ... oder sich einen neuen besorgen. Und er sollte einen Rausschmeißer auf die beiden Kollegen ansetzen. Er seufzte und schloss die Kabinentür wieder auf.
Dann mal los.
Als die beiden Trunkenbolde nach draußen geführt wurden und Marco seine Anzugjacke mit der des Rausschmeißers getauscht hatte - welche zwar zu groß, aber dennoch tragbar war - war es an der Zeit, mit der Auktion zu beginnen. So ließ Marco seine Stimme durch den Raum erschallen und rief seine Gäste dazu auf, Platz im großen Saal vor der Bühne zu nehmen und zuzuhören, was der Gastgeber anzubieten hatte.
Als Marco dort oben auf der Bühne stand, spürte er, wie seine Nervosität stetig zunahm. Dennoch musste er sich zusammenreißen, da sowohl Luis' Ruf, als auch die ganze gemeinsame Aktion hiervon abhingen. Er musste dafür sorgen, dass die Menschen ihr Interesse an den Waren entdeckten und gewillt waren, möglichst großzügige Summen dafür springen zu lassen. Gleichzeitig musste er anhand der Gebote ablesen und sich schließlich merken, wer genau zwar viel Geld besaß, es aber nicht durch die Auktion loswurde. Marco musste sich also potenzielle Opfer seiner anschließenden Taschendiebstähle suchen. Und, das war wohl das Wichtigste: Er musste "Luis" sein.
Marco schloss kurz die Augen und atmete tief ein und aus, ehe er auf die Menge vor sich blickte und die Arme zu einer einladenen Geste ausstreckte.
"Sehr geehrte Damen und Herren, erstmal ein herzliches Willkommen hier in meinem bescheidenen Heim. Ich hoffe, die Ankunft war nicht beschwerlich."
So begann er, zu erzählen, zu witzeln und zu erklären. Manche der Gäste waren noch unerfahren mit Auktionen und so erklärte er ihnen den genauen Ablauf. Nach der Auktion, so fuhr er fort, würde es ein großes Feuerwerk im Garten geben, das die Anwesenden auf keinen Fall verpassen sollten. Das Feuerwerk sollte laut seinen Worten dazu dienen, denjenigen, die an diesem Abend unglücklich leer ausgehen würden, wenigstens schöne Erinnerungen zu bescheren. Natürlich bestand der eigentliche Grund darin, dass Marco so erneut Gelegenheit bekam, sich unter die Leute zu mischen und deren Geld an sich zu nehmen. Aber das verriet er keinem.
So leitete er also die Auktion ein und zählte zu jeder Statuette, so beiläufig, wie möglich, all die Fakten auf, die sein Bruder Luis ihm zuvor eingebläut hatte. Die Leute waren begeistert. Da zeigte sich wieder das Händchen für gute Waren, das Luis besaß. Er war einfach ein Genie.
So stiegen die Gebote und stiegen, immer weiter, bis sie beachtliche Höhen erreicht hatten. Marco prägte sich nebenbei ein, wer ebenfalls hoch bot, aber dennoch nicht Höchstbietender wurde. So suchte er sich sorgfältig seine sehr baldigen Opfer aus.
Die Zeit verstrich und die Waren, die noch zum Verkauf standen, wurden immer weniger. Bald war das letzte Stück auf der Bühne und der letzte Höchstbietende wurde auserkoren, das Exemplar an sich zu nehmen.
Die beiden Brüder hatten gutes Geld verdient. Doch noch war der Abend nicht vorbei.
Es stand immer noch das Feuerwerk an. So wies Marco seine Gäste ein weiteres Mal darauf hin, dass das Highlight der Feier bevorstünde, welches sie unter keinen Umständen verpassen sollten. Einige wollten dennoch schon nach Hause gehen, doch die meisten blieben und waren gespannt.
Sie versammelten sich auf der Terrasse und während die letzten Vorbereitungen abgeschlossen wurden, kamen sie wieder wie gewohnt in Gespräche. Lautes Geschwätz, das nie über Oberflächlichenkeiten oder Berufliches hinausging. Gerede, das Marco nur allzu gut kannte und von dem er wusste, dass er es hasste. Dennoch mischte auch er sich unter die Leute, fand schnell Gesprächspartner und fügte sich perfekt in die Gesellschaft ein. So, wie es sein sollte.
Als dann das Feuerwerk losging, begann er seine Arbeit, nutzte die Ablenkung und das Verblüffen über die bunten Explosionen und tanzenden Funken, um den auserkorenen Leuten die Taschen zu leeren. Es war noch einfacher, als erwartet. Ein weiterer großer Erfolg für heute.
Nach getaner Arbeit zog Marco sich auf den Balkon zurück. Er lehnte sich ans marmorne Geländer und genoss nun in vollster Aufmerksamkeit das Feuerwerk, welches seine Bediensteten veranstalteten. So verweilte er eine ganze Weile dort, allein. In Ruhe.
Erst, als Ernesto neben ihm stand, realisierte Marco, dass er hinter ihm aufgetaucht war. Der etwas dickliche Investor lehnte sich ans marmorne Balkongeländer und schnupperte genießerisch den Duft des Feuerwerks.
"Ist wirklich eine schöne Veranstaltung", sagte er.
Marco beobachtete, wie eine Rakete quietschend gen Himmel flog und in tausend rote, gelbe und blaue Funken zerbarst. "Danke, das freut mich."
"Du hast auf der Feier Mayla wiedergesehen, nicht wahr?" Während er die Frage stellte, wandte Ernesto sich "Luis" zu.
Marco erwiderte den Blick. Meinte er diese seltsame Frau vom Büffet, die sich offenbar sehr für die menschliche Psyche interessierte? Er nahm es an, also nickte er.
"Eine wirklich besondere Person ist sie. Noch schräger, als letztes Mal."
"Letztes Mal?", fragte Ernesto sichtlich verwundert.
Marco runzelte die Stirn. Hatte er etwas Falsches gesagt? Er legte sich eine Hand auf die Stirn und ergänzte: "Ah, ich vergaß. Wie konnte ich nur? Du warst letztes Mal ja gar nicht dabei."
"So?", fragte Ernesto und rückte ein Stückchen näher. "Ich bin ganz Ohr. Was war denn letztes Mal passiert?"
"Nun", grinste Marco nervös. Sein Kopf fühlte sich an, wie in Watte verpackt. "Eine ganz verrückte Geschichte ... ich weiß gar nicht, wo ich da anfangen soll ..."
"Musst du auch gar nicht", unterbrach ihn Ernesto kalt lächelnd. Er machte einen Wink zur Tür ins Anwesen und eine Person schälte sich aus dem Schatten. "Denn helfen wird es dir nicht mehr. Ich weiß um dieses Spielchen und du hast dich soeben selbst verraten", fügte er hinzu.
Marco blickte erstarrt zur Person, die zu ihnen kam.
Es war die seltsame Frau von zuvor.
"Guten Abend, Luis. Auch, wenn das nicht dein richtiger Name ist", lächelte sie ihm verschmitzt entgegen.
"Darf ich vorstellen? Mayla", verkündete Ernesto. "Meine Nichte und eine Person, die du vor dem heutigen Tage ganz sicher noch nicht kanntest."
Marco wollte etwas erwidern, doch blieben ihm die Worte im Halse stecken.
Stumm stand er da, während die Stille, die zwischen den Dreien herrschte, nur durch den Knall der Feuerwerke und dem menschlichen Raunen und Staunen auf der Terrasse unterbrochen wurde.
Er schluckte, sah seine Niederlage aber schließlich ein. Jetzt dagegen angehen zu wollen, würde es nur verschlimmern. "Sag ... wer hat dir davon erzählt?"
"Luis höchstpersönlich."
Marcos Augen weiteten sich.
[Marco Teil 2/2 Ende]