26.10.2019
Führung
Leise spielte "St. James Ballroom" von Alice Francis in der Werkstatt, als Drew an seiner Kreation schraubte. Die Elektronik hatte er soweit fertigbekommen, nun musste er nur noch den Körper des Androiden zusammenbauen. Ein paar Schrauben fehlten noch. Leise summend bewegte er seinen Kopf leicht zum Takt, während er die letzten Schrauben zuzog. Dann zog er der Gestalt noch ein hellblaues Abendkleid, sowie eine blonde Perücke mit langen Haaren an und er war fertig.
Sich mit einem Lappen die Stirn vom Schweiß befreiend, betrachtete er lächelnd sein Werk.
Der weiblich anmutende Android sah vielversprechend aus und wirkte sehr menschlich. Doch war die Optik letztlich nicht das, was ihn interessierte. Er musste immer noch die Funktionen überprüfen. So griff er nach einer Fernbedienung auf dem Werkstatttisch und schaltete den Androiden erfolgreich ein. Die vorher trübe anmutenden, grünen Augen begannen, leicht zu leuchten. Die LEDs darin funktionierten also. Daran wollte Drew fortan erkennen, ob der Android, für den er noch einen Namen brauchte, aktiv war oder nicht. Einen Namen würde er sich später noch überlegen.
Er streckte seine Hand zu seiner Kreation aus und wartete auf deren Reaktion. Tatsächlich, sie senkte den Blick auf seine Hand, verarbeitete kurz die Situation und streckte dann ebenfalls die Hand aus, welche Drew nun ergriff. Überrascht wurde er vom Androiden rangezogen, welcher den anderen Arm um den Oberkörper seines Erschaffers schlang. Passend zur Musik bewegte sich der Android, während Drew sich unbeholfen führen ließ und hier und da die Bewegungen des Androiden störte, indem er versuchte, sich ein wenig aus dem strammen Griff zu winden oder seinem Gegenüber auf die Füße trat.
Während seine Kreation starre und irgendwie unnatürliche Bewegungen vollführte, stolperte Drew fast über seine eigenen Füße. Zwar hatte er den Tanz schon seit seiner Kindheit ausgiebig mithilfe von Videos und Büchern studiert, doch war die Theorie letztlich etwas völlig anderes, als die Praxis. Zumal Drew der Ansicht war, die Bewegungen seines Androiden seien zwar technisch perfekt ausgeführt, doch letztlich merkte er, dass ein gewisser Feinschliff fehlte, bei dem er sich nicht sicher war, wie er diesen umsetzen sollte.
Während er sich wie ein nasser Sack von seiner Kreation führen ließ, dachte er angestrengt nach, was wohl eine gute Lösung hierzu wäre.
"Ah, hier bist du also", hörte er plötzlich eine weibliche Stimme hinter sich. Drew entriss sich dem Griff seines Androiden und blickte panisch zwischen seiner Kreation und dem Neuankömmling hin und her. Es war seine Nachbarin, die die Werkstatt betreten hatte.
"Was ... was machst du hier?", fragte er mit leiser Stimme. Sicherlich hielt sie ihn jetzt für verrückt. Deswegen mied er andere Menschen. Er wollte nicht, dass man über ihn urteilte.
"Die Tür war offen. Tut mir leid", lächelte sie entschuldigend. "Ich wollte nur fragen, ob du diese Spieluhr für mich reparieren könntest. Ein altes Familienerbstück." Sie hielt ihm ein kleines Kästchen hin.
Er nickte und nahm es entgegen, um es zu öffnen und die Spule zu inspizieren. Schon jetzt sah er den Grund des Defekts.
"Was ist das eigentlich für eine tanzende Gestalt dort?", riss sie ihn aus den Gedanken.
Fast ließ er das Kästchen fallen. Dann lächelte er schüchtern. "Ah, das ... ist ein neues Freizeitprojekt." Sein Magen schnürte sich zu. Er blickte weg und beobachtete, wie der Android sich immer noch bewegte, als würde er mit einer unsichtbaren Gestalt tanzen.
"Beeindruckend, wie menschenecht sie aussieht. Wenn auch etwas steife Bewegungen ... Du magst also das Tanzen?", fragte sie.
"Mhm", entkam es ihm abwesend, während er das Kästchen auf dem Werkstatttisch ablegte. Vielleicht wäre es doch besser, den Androiden zu entsorgen? Fürs erste schaltete er ihn lediglich mit der Fernbedienung ab.
"Wie wäre es, wenn ich dir das Tanzen beibringe?"
Erschrocken fuhr er herum. Drew wollte etwas sagen, doch entkam seinem Mund nichts. Wie versteinert stand er da.
Seine Nachbarin derweil bot ihm ihre Hand an. Angespannt starrte er auf diese, schluckte und ergriff sie schließlich zaghaft.
Gleich darauf bewegte sie sich auch schon fließend zum Takt und forderte Drew mit ihrem Blick auf, es ihr gleichzutun. Wortlos kam er dieser Forderung nach.
"Mehr Gefühl", forderte sie bereits nach wenigen Sekunden und brachte Drew so kurz aus dem Rhythmus. Er besserte es so gut aus, wie er konnte. Was nicht viel veränderte.
"Deine Haltung", klopfte sie ihm auf die Schultern. "Stolz und erhobenen Hauptes."
Er schaute hilflos drein, während er seinen Hals reckte und so versuchte, eine bessere Körperhaltung anzunehmen.
Lächelnd schüttelte seine Nachbarin den Kopf und sagte nichts weiter dazu.
Sie führte ihn weiter zur Musik und deutete ihm hier und da mit kleinen Gesten oder einzelnen Worten an, was er verbessern sollte. Unbeholfen, aber doch versucht ging er ihren Hinweisen nach und strebte Verbesserung an. So vergingen die Minuten und wandelten sich gar in Stunden, während der Android, der zwar schön anzusehen war, sich aber völlig ohne Gefühl bewegte, allmählich in Vergessenheit geriet.
Während dieser Zeit nahm Drews Anspannung immer weiter ab und er stellte gar fest, dass das Tanzen mit seiner Nachbarin großen Spaß machte. Ein leichtes Lächeln zierte sein Gesicht, während er die gehörte Musik zusammen mit ihr in sich aufnahm und in immer fließendere Bewegungen übersetzte.
Nach so langer Zeit lernte er endlich das Tanzen. Seine Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Es war ein schönes Gefühl.