29.10.2019
Sprung
Du stehst am Abgrund, schaust hinab in die Tiefen und weißt nicht weiter. Wieso stehst du hier? Was hat dich hierhergebracht? Natürlich kannst du dir all diese Fragen stellen. Letztlich aber ist es doch egal.
Dein Blick richtet sich nach vorn. Dort, ein paar Meter von dir entfernt, strahlt ein Licht. Sein Schein lädt ein, doch macht er dir auch ein wenig Angst. Bei dem Gedanken daran, was dich dort erwarten würde, spürst du Unruhe in dir aufkommen. Was, wenn du nicht gut genug bist? Was, wenn du die falschen Entscheidungen getroffen hast? Doch nun gibt es kein Zurück mehr.
Kein Zurück ...
Einmal noch blickst du hinter dich. Siehst Bilder deiner Gedanken, deiner Erinnerungen. All jene, die dich bisher auf deinem Weg begleitet haben. Manche von ihnen werden dich vielleicht auch auf der anderen Seite begleiten. Doch viele von ihnen wirst du wohl nicht mehr wiedersehen. Auch jene, die dir in der Zeit ans Herz gewachsen sind. Nicht alle können dich weiterhin begleiten, denn sie alle haben ihre eigenen Wege, denen sie folgen werden. Wehmütig seufzt du und richtest deinen Blick wieder nach vorn.
Du schluckst. Wieder schwirren dir die Fragen von zuvor durch den Kopf. Bist du gut genug? Wirst du es schaffen? Du weißt es nicht. Dein kurzer Blick nach hinten aber hat dir gezeigt, dass du nicht allein bist. Dass jeder mal dort stand und stehen wird, wo du nun stehst. Dass dies ganz normal ist. Dass du schonmal dort warst.
Man landet nie nur einmal dort, so erinnerst du dich.
An diesem Übergang zu einem neuen Lebensabschnitt.
Du atmest tief ein und aus und rufst dir all das in Erinnerung, was man dir auf deinem bisherigen Pfad auf den Weg gegeben hat. Dein Blick zurück hat dir nicht nur die Menschen gezeigt, deren Wege du gekreuzt hast, sondern auch, was du bisher erreicht hast. Und seien es noch so kleine Dinge, du hast etwas in ihren Leben bewirkt und sie etwas in deinem Leben. Ihr habt voneinander gelernt und seid zu besseren Menschen geworden. Manchmal muss man erst ganz genau darüber nachdenken, um dies zu begreifen.
Und so atmest du noch ein weiteres Mal tief ein und aus. Dein ganzer Körper zittert. Du weißt nicht, ob du es schaffen kannst oder ob dein aktuelles Ich noch zu unreif für diesen Sprung ins unbekannte Gefilde ist - aber du weißt, dass du es versuchen musst. Und so nimmst du Abstand zum Abhang, sammelst deine Kraft und läufst los. Im letzten Moment springst du und spürst für einen Moment eine Schwerelosigkeit, die dich bereits sorgen lässt, dass du es nicht geschafft hast.
Dann aber, nach einen kurzen Moment, der dir wie eine Ewigkeit vorkam, spürst du den stabilen Boden unter deinen Füßen.
Geschafft.
Du hast den Sprung auf einen weiteren Abschnitt im Buch des Lebens überstanden. Nun ist es an dir, deine Geschichte weiterzuschreiben.