23.10.2019
Funke
"Weiche von mir, Hjalf!" Doch hörte der großgewachsene Mann nicht auf den Magus, sondern machte nun einen Satz auf ihn zu und holte mit seinem Speer aus.
Geweihter Stahl traf auf einen durchsichtigen Schild aus blau funkelnder Magie. Funken sprühten, als würde man eine Klinge am Stein schleifen. Der Speer zitterte auf dem Schild, rutschte ein wenig nach unten ab. Es quietschte ohrenbetäubend.
Hjalf schnaufte angestrengt, während er sein ganzes Körpergewicht - einzig und allein auf die Spitze des Speeres konzentriert - gegen den durchsichtigen Wall aus blauer Magie stemmte. Thafnirs Arme, die er in voller Länge vor sich ausgestreckt hatte, zitterten zunehmend durch die Wucht des Angreifers, die sich über den Schild direkt auf ihn übertrug.
"Erwache!", brüllte Hjalf und mit inzwischen rot gewordenem Kopf holte er seine letzten Kraftreserven hervor, um sie auf den Schild loszulassen. Feine Risse bildeten sich, wurden dicker und dicker, immer länger und länger, wie Wasser, das gerann und sich so immer weiter ausbreitete. Kleine Flüsse. Bald würde die Barriere zerbersten.
Thafnir konnte nichts dagegen unternehmen, das wusste er. Er konnte nur hilflos zusehen, wie seine materialisierte Kraft immer mehr versiegte. Man ihn besiegte.
"Nein ...", entkam es ihm leise und als das Splittern erklang, schloss er die Augen.
Es war, als fiele er. Ja, er hatte völlig den Halt verloren. Reinste Dunkelheit umhüllte ihn, machte ihn sich untertan. Er musste kämpfen, er musste ...
Moment.
Wogegen eigentlich? Und wofür? Auf welcher Seite stand er? Sein Verstand war ... so wirr, er wusste nicht ...
Es fühlte sich an, als würde sich etwas Brennendes in seinen Brustkorb bohren, als würde man ihm beim Entfernen dieses schmerzenden Fremdkörpers noch etwas weiteres rausreißen. Etwas Wichtiges.
Wichtig, wieso? Weil er es brauchte? Nein, das tat er nicht, oder?
Etwas in ihm sagte, dass er es nicht brauchte, nein, dass es ihm gar schadete.
Auf der anderen Seite wiederum vernahm er ein Wispern, das ihn einlud, es sich zurückzuholen.
Aber was war es?
Er … er musste ...
Thafnir schlug die Augen auf und rang nach Luft. Glimmendes Blau rieselte, wie kleine Schneeflocken in Zeitlupe, direkt vor ihm zu Boden, um dort knisternd, wie kleine Funken, zu versiegen.
Funken ...
Es hieß, wie die Magie mit ihrer Umwelt reagierte, hinge von der Persönlichkeit des Magus' ab. Funkensprühende Magie war ein Zeichen von starkem Lebenswillen und großer Lebensfreude.
Wo war seine Lebensfreude? Wohin war sie verschwunden?
Irgendetwas stimmte nicht mit ihm.
Ein Ruck ging durch Thafnir hindurch, dann wurde sein Verstand weiter ins Hier und Jetzt gebracht. Er sah an sich herab. Ein leises Knistern erklang, als wolle das Blut des Magus' den Speer vertreiben, indem es damit drohte, einen elektrischen Schlag auf ihn und seinen Nutzer loszulassen. Doch nichts geschah. Thafnir spürte nur, wie die Kraft seinen Körper verließ. Schwärze breitete sich auf seinem Blickfeld aus. Er meinte, noch gesehen zu haben, wie der Speer in seiner Brust sich in Luft auflöste, da war sein Verstand auch schon ...
...
...
...
"Hey, aufwachen", hörte er eine sanfte Stimme.
Thafnir öffnete vorsichtig seine Augen und stellte fest, dass man ihn auf ein Bett gelegt hatte. Er linste zu dem Gesicht, das ihn vertraut anlächelte.
"Willkommen zurück, Thaf", waren ihre Worte, als Shara ihn umarmte. Neben ihr stand Hjalf an einer Wand gelehnt und hielt mit verschränkten Armen den Blick gesenkt.
Thafnir allerdings verspürte in dem Moment nichts, als Apathie. Sie hüllte sein gesamtes Sein ein und ließ nicht zu, dass er gänzlich erfasste, was mit ihm eigentlich geschehen war. Nur die brennenden Schmerzen in seiner verbundenen Brust spürte er.
Sharas Griff um Thafnir festigte sich, als sie flüsterte: "Ich hatte wirklich Sorge, dass die Besessenheit dich uns endgültig genommen hat ..."
Thafnir konnte bei diesen Worten nur leer in die Ferne starren. Er fühlte nichts mehr. Die Funken, die seine Persönlichkeit sonst versprühte, waren erloschen. Und seine Begleiter würden es bald merken.