07.10.2019
Blinzeln
"Zwei Koffer, je eine Million", erklärte John mit trockenem Mund den drei Männern hinter sich. Seine Stimme klang brüchig.
Er legte die Koffer auf dem Container ab und richtete sie so aus, dass die Griffe zu den anderen zeigten. Mit gesenktem Blick trat er einen Schritt zurück und lauschte, wie der Frontmann - auch bekannt als "Sweeper" - vortrat, um die Koffer und ihren Inhalt zu begutachten. Zuerst tastete er die Außenhüllen ab, dann besah er jede Geldscheinbanderole einzeln. Er nahm sich alle Zeit, die er sich nehmen wollte.
Nachdem er den Inhalt für gültig befunden hatte, schloss er die Koffer wieder.
Mit jedem Klacken, das die Metallverriegelungen von sich gaben, musste John leicht zusammenzuzucken. Es erinnerte an das Geräusch sich entriegelnder Waffen. Im Hintergrund erntete er süffisante Blicke.
Sweeper gesellte sich wieder zu seinen Hintermännern und überreichte je einem von ihnen einen Koffer. Dann drehte er sich zu John um.
"Damit wären die Schulden wohl getilgt", verkündete er.
"Durchaus", bestätigte John und kam nicht umher, seinen Blick über die beiden Begleiter des Gang-Bosses schweifen zu lassen. Es war das erste Mal, dass man John eine Geldübergabe anvertraute. Er wusste nicht, ob das gutgehen würde.
Einer der beiden hatte einen kahlrasierten Kopf. An seinen Unterarmen befanden sich Tattoos, welche vermutlich Reptilienschuppen darstellen sollten. Er schaute John aus dunklen Augen grimmig an.
Der andere derweil starrte ihn nur an, ohne jegliche Mimik. Es schien, als würde er lediglich auf die nächste Anweisung warten.
"Nun, eine Sache wäre da allerdings noch", erklärte Sweeper. "Du bist neu, nicht wahr?"
Hastig nickte John.
"Frischfleisch, wie manche in unserem Etablissement zu sagen pflegen." Er sog die Luft ein und stieß sie wieder aus. "Scheinst mir ein fleißiger Bursche zu sein. Immerhin hat man dich mit solch einer vertrauensschweren Aufgabe betraut. Das schaffen nur die Wenigsten so früh. Wie nennt man dich?"
"John", erwiderte er kurz. Er ahnte bereits, wohin dieses Gespräch führen sollte. Immerhin hat man ihm schon viele Geschichten über solche Transaktionen erzählt. Die Infos kamen zwar meist aus zweiter Hand, erschienen ihm aber dennoch vertrauenswürdig. Immerhin erklärten die dort geschilderten Vorgänge auch, wieso man diese nur selten aus erster Hand erhalten konnte.
"Nun, John", fuhr er fort. "Es ist riskant, jemanden loszuschicken, der noch neu in der Familie ist. Weißt du, wieso?"
"Weil sie noch recht ungebunden sind?"
Sweeper schmunzelte. "Schlaues Kerlchen." Er machte einen Handdeut und die beiden Hintermänner zogen ihre Waffen hervor, um sie auf John zu richten.
"Es tut mir wirklich leid, aber ich kann dir nicht vertrauen. Neulinge und Transaktionen schmecken mir in Kombination gar nicht."
Abwesend hörte John dem Gerede zu. Seine Augen fokussierten nach und nach die beiden Waffen und ihre Halter. Er stand mit dem Rücken an der Wand. Hatte keine Möglichkeit, zu fliehen.
Aber das musste er nicht. Denn er hatte seine Augen. Und so begann er, zu blinzeln. Einmal lang, dann zweimal kurz, dann wieder einmal lang und zweimal kurz.
Unruhe machte sich bei den Hintermännern breit. Sie tauschten verdutzte Blicke aus und hielten inne.
Dann verschränkte John die Arme stramm hinterm Rücken und lächelte Sweeper freundlich an.
"Guten Abend, Sweeper. Oder sollte ich eher sagen: Omiros?"
Nun richteten die Hintermänner ihre Waffen auf den verwirrten Sweeper. Das Klicken der Sicherungen erschallte hinter seinem Kopf.
Dieser jedoch reagierte nicht darauf. Er konnte nur fassungslos auf den Mann vor sich starren, der sich John nannte. "Ich dachte, du wärst tot", hauchte er nur.
"Offensichtlich nicht. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich mich für lange Zeit in einem üblen Zustand befand. Brandverletzungen sind nicht ohne. Ich konnte froh sein, dass es da einige sehr fähige Fachleute gibt, die sich auf Gesichter spezialisiert haben."
"Und was gedenkst du jetzt zu tun, Blinkeye? Mich töten? Deinen alten Platz einnehmen?"
Genüsslich schloss Blinkeye seine Augen und ließ den Namen auf sich wirken. Wann hatte er ihn das letzte Mal vernommen? Er wusste es nicht mehr. Aber es fühlte sich gut an, ihn wieder zu hören. Noch besser aber war es, dass seine beiden Schüler sich noch an die Signale erinnerten, die er ihnen damals beigebracht hatte. Blinzeln konnte ja so unauffällig sein, und doch so effektiv.
"Das ist eine gute Frage", sagte Blinkeye schließlich.