Die Jury – sprich: die anwesende Obrigkeit - wünschte umgehend ein Fotoshooting mit der neuen Lichterprinzessin.
Wie bereits vorab erwähnt gab es da diese dämliche Hintertreppe, die von der Bühne in den Saal führte, und zwischen deren Metallstreben der spitze Absatz meines Schuhes ausgerechnet in diesem Augenblick felsenfest steckenblieb.
Während sich mein Fuß in letzter Sekunde noch aus dem Schuh befreien konnte, siegte über den Rest meines Körpers die aus meinem Schwung resultierende Schwerkraft, und mit einem erschrockenen Aufschrei fiel ich…
In Erwartung eines schmerzhaften Aufpralls kniff ich vorsichtshalber beide Augen fest zu. Aber erstaunlicherweise stürzte ich nicht zu Boden.
Ich wurde aufgefangen und gehalten.
Vorsichtig blinzelnd und wie erstarrt vor Schreck öffnete ich die Augen. Ich sah schwarzes Leder und Jeansstoff, während mir der dezente Duft eines sehr männlichen Eau de Toilette in die Nase stieg und meine Sinne verwirrte.
„Alles okay, Hoheit?“
Die Stimme klang nicht so besorgt, wie sie zu diesen Worten hätte klingen sollen. Sie wirkte eher belustigt, vielleicht ein wenig sarkastisch, keinesfalls jedoch mitfühlend.
Mich noch immer an den lebensrettenden Armen festkrallend richtete ich mich langsam zu meiner vollen Größe auf und sah in ein faszinierendes Gesicht: unergründlich dunkle Augen, die mich mit unverhohlener Neugier musterten, schwarzes, etwas widerspenstiges Haar und markante Lippen, die sich - nur Zentimeter von meinen entfernt – zu einem schelmischen Grinsen verzogen, wobei sich zwei absolut denkwürdige kleine Grübchen unterhalb der Wangenknochen bildeten.
`Der attraktive Typ von vorhin!` schoss es mir durch den Kopf, und er sah aus der Nähe noch besser aus als von weitem!
„Danke…“, hauchte ich atemlos.
„War mir ein Vergnügen!“, erwiderte er und grinste noch breiter. Erbarmen!
Scheinbar mühelos stellte er mich auf die Füße, ließ mich los und widmete sich meinem Unglücks- (oder vielleicht doch besser Glücks-) schuh. Mit einer kräftigen Drehbewegung befreite er den Absatz aus den Metallstreben und begutachtete ihn kurz von allen Seiten. Dann nickte er zufrieden und hielt den Schuh abwartend vor meinen Fuß.
„Halb so schlimm. Kaum was zu sehen. Na los, hüpf wieder rein, Prinzessin.“
Ich schwöre, ich wäre ihm in diesem Augenblick voller aufrichtiger Dankbarkeit und stiller Bewunderung an die männlich breite Brust gesunken, wäre da nicht dieses eigenartige Grinsen gewesen, von dem mich auch die niedlichen Grübchen nicht ewig abzulenken vermochten.
Machte der Typ sich etwa insgeheim über mich lustig?
Mit einem energischen Ruck zwang ich meinen Fuß in den abtrünnigen Schuh und straffte die Schultern.
„Was grinst du eigentlich so? Lachst du mich aus?“, fragte ich ihn etwas zu angriffslustig und strich mit einer schnellen Bewegung mein Kleid glatt.
„Dich auslachen?“ Er grinste noch breiter und verneigte sich andeutungsweise, wobei mir die attraktiven Lachfältchen auffielen, die seine Augenwinkel umspielten. „Das würde ich mir doch nie erlauben, das wäre ja glatte Majestätsbeleidigung!“
Attraktiv hin oder her, das ging eindeutig zu weit! Ich fühlte mich verschaukelt, und mein Selbstwertgefühl drohte augenblicklich Alarm zu schlagen.
„Hey…“ Meinen Protest mühsam herunterwürgend schaltete ich im letzten Augenblick rasch auf Selbstkontrolle um. „Danke, dass du mich gehalten hast. Ich vermute, du hast mir dadurch einige blaue Flecken erspart.“
„Wie bereits gesagt, Hoheit, es war mir ein Vergnügen.“
Was sollte ich darauf sagen? Für einen Augenblick sahen wir einander nur wortlos in die Augen. Kleine samtbraune Fünkchen schienen sich in seinen dunklen Pupillen zu verlieren, und die feinen Linien der Lachfältchen waren noch immer deutlich sichtbar. Mir wurde erneut heiß, mein Blutdruck hatte mit Sicherheit bereits die Obergrenze erreicht, während es in meinem Bauch kribbelte, als hätte mich jemand unter Strom gesetzt.
Ich weiß nicht, wie lange wir so dastanden, doch irgendwann unterbrach er den Blickkontakt, indem er sich leise räusperte und mir übertrieben galant seinen Arm bot.
„Tja, Cinderella, bevor wir das berühmte Märchen neu erfinden, sollten wir vielleicht erst einmal hinausgehen und die Herren nicht länger warten lassen.“
Er machte mich sprachlos. Wollte er einfach höflich sein, war er gnadenlos arrogant, oder erlaubte er sich am Ende nur einen simplen Scherz mit mir?
„Was tust du eigentlich hier?“, erkundigte ich mich betont beiläufig, während wir uns gemeinsam den Gang entlang zum Bühnenausgang bewegten.
„Ich habe auf dich gewartet.“
„Auf mich… oder auf die Gewinnerin?“
„Auf euch beide.“
„Ja aber…“
„Ich habe gewusst, dass du gewinnst.“
Abrupt blieb ich stehen.
„Wer zum Teufel bist du?“
„Dein Schutzengel,“ erwiderte er, als sei dies die natürlichste Sache der Welt.
Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf.
„Mein… Was?“
„Na ja, man hat mich herbestellt und mir gesagt, die neu gewählte Prinzessin benötige Personenschutz. Und hier bin ich.“
Ich verdrängte das Verlangen, diese Aussage weiter zu hinterfragen, sondern hängte mich erneut wortlos bei ihm ein.
„Na los, gehen wir.“
Doch er blieb stehen, schloss er die Augen und bewegte seinen Kopf ganz dicht an meinem Gesicht vorbei.
„Mh, was benutzt du eigentlich für ein Parfüm?“
Da war er schon wieder, dieser eigenartige Unterton, der irgendwie nicht zu seinen Worten passte und mich auf eine Art verunsicherte, die mir ganz und gar nicht gefiel.
Wütend warf ich den Kopf in den Nacken.
„Samstagabend Auftritt, Marke Angstschweiß!“
Er lächelte, und diesmal war es kein Grinsen.
„Wie auch immer das Zeug heißen mag, dieser Duft macht süchtig! Ich hätte gern mehr davon.“
„Tut mir leid, so gut kennen wir uns… nicht.“
Fast hätte ich „noch nicht“ gesagt.
Er kam näher.
Ich war unfähig mich zu rühren, vielleicht auch einfach zu stolz um zurückzuweichen. Mutig hielt ich seinem Blick stand. Er hob die Hand und strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn, eine leichte, kaum wahrnehmbare Berührung, die mich erneut innerlich erzittern ließ.
„Noch nicht, Prinzessin“, flüsterte er, als hätte er meine Gedanken erraten und zwinkerte mir bedeutungsvoll zu. „Noch nicht.“
Mit diesen Worten nahm er meinen Arm und zog mich mit sich hinaus ins Rampenlicht.