Er stand einfach da, bewegungslos, ohne eine Miene zu verziehen, keine zehn Schritte von mir entfernt und sah mich an.
Nein, das war doch gar nicht möglich!
Unwillkürlich dachte ich an den Albtraum von letzter Nacht. Ging meine Fantasie jetzt völlig mit mir durch? Wünschte ich mir insgeheim so sehr, er wäre hier, dass ich bereits einbildete, ihn zu sehen?
Ein Trugbild, entstanden aus meinen innigsten Wünschen?
Das Trugbild setzte sich sehr real in Bewegung und war mit wenigen Schritten zum Greifen nah.
Meine Stimme versagte, und aus meinem Mund kam nur ein Flüstern:
„David?“
„Hallo Prinzessin!“
Ich starrte ihn fassungslos an und er starrte zurück. So standen wir uns sekundenlang regungslos gegenüber. Hätte er in diesem Augenblick etwas gesagt, wäre dieser magische Augenblick vermutlich zerplatzt wie eine Seifenblase.
Aber er sagte nichts.
Stattdessen tat er etwas Anderes. Etwas, gegen das ich völlig machtlos war: Er trat noch dichter an mich heran, nahm mein Gesicht zärtlich zwischen seine Hände und hielt meinen Blick mit seinen unergründlich dunklen Augen fest. Dann beugte er leicht den Kopf und küsste mich. Einfach so, als wäre dieser Kuss das momentan Wichtigste auf der Welt.
In meinem Inneren breitete sich ein Gefühl der Schwerelosigkeit aus, dass in Sekundenschnelle von mir Besitz ergriff und jeglichen Verstand ausschaltete. Der Boden schien unter meinen Füßen zu schwanken. Meine Knie gaben nach, genau wie meine Lippen, die sich wie von allein öffneten, als mich sein Mund berührte. Wie heiße Lava schoss die Hitze durch meinen Körper. Bevor ich wusste, was ich tat, hatte ich mich bereits haltsuchend an ihm festgeklammert, obwohl ich gar nicht fallen konnte, denn er hielt mich so fest umschlungen, als wolle er mich nie wieder loslassen. Er küsste mich voller Leidenschaft, als sei dies unser erster und zugleich auch unser letzter Kuss und ich erwiderte ihn mindestens genauso sehnsüchtig.
Er war da, hier bei mir…
Mein Verstand wollte ihn eigentlich aus ganzer Kraft hassen für alles, was ich in den letzten Tagen wegen ihm durchgestanden hatte, doch mein Gefühl war stärker und verwehrte mir in diesem Augenblick alle vernünftigen oder unvernünftigen Gedanken. Ich spürte es überdeutlich mit jeder Faser meines Körpers und meiner Sinne: Dieser Kuss und unsere Umarmung, all das fühlte sich gut an. Und was noch wichtiger war, es fühlte sich richtig an!
Irgendwann, Lichtjahre später, lösten sich seine Lippen von meinen. Wieder sahen wir uns an, fassungslos und erwartungsvoll zugleich.
„Du bist wirklich da“, flüsterte ich.
Er strich mir sanft mit den Fingerspitzen über die Wange und lächelte.
„Hatte ich eine Wahl? Du warst plötzlich fort und ich stand im Regen. Ich hasse Regen!“
Ich schluckte.
„Du weißt, warum ich gehen musste?“
„Ich weiß es, aber ich kann es nicht verstehen. Jessi hat versucht, es mir zu erklären. Genau wie deine Eltern.“
„Du warst bei meinen Eltern?“
„Na klar. Sie sind wirklich super, die beiden. Genau wie deine beste Freundin und deine Großeltern. Du kannst echt stolz auf deine Leute sein.“
An der Stelle in meinem Gehirn, wo ich noch vor kurzem mit einer ernstzunehmenden Blockade zu kämpfen hatte, überschlugen sich jetzt die Gedanken.
„Du hast… Du bist… Sie haben gewusst…“
David lachte.
„Sieht ganz so aus, als wären wir beide die einzigen gewesen, die in den letzten Tagen nicht miteinander telefoniert haben. Zwischen allen anderen in deiner Familie herrschte bis vor kurzem noch eine sehr rege Kommunikation.“
Ich ließ mich zurück auf die Bank sinken, denn meine Beine drohten mir nun gänzlich den Dienst zu versagen.
„Wie bist du eigentlich hergekommen? Ich meine… hierher?“, fragte ich benommen.
David setzte sich zu mir und sah mich an.
„Dein Großvater hat mich vom Flughafen abgeholt. Danach hat er mit dir telefoniert, um sich davon zu überzeugen, dass du auch wirklich dort bist, wo deine Großmutter dich hingeschickt hat.“
„Kaum zu glauben. Meine Familie, ein Verschwörer-Clan…“, murmelte ich fassungslos.
David grinste.
„Könnte man so sagen. Aber ich brauchte unbedingt ein Überraschungsmoment, um sicherzugehen, dass du mir nicht wieder irgendeine Tür vor der Nase zuknallst.“
Ich erwiderte nichts, und nach einem Augenblick des Schweigens sagte er mit leiser Stimme:
„Ich vermute, du erwartest eine Erklärung.“
„Die Wahrheit, David.“ Trotz der innerlichen Anspannung versuchte ich, meiner Stimme einen einigermaßen festen Klang zu geben. „Wenn du wirklich hergekommen bist, weil ich dir etwas bedeute, dann will ich keine verdammten Geheimnisse mehr, sondern die Wahrheit.“
„Okay.“ Er strich sich mit der Hand über die Stirn und nickte. „Aber ich kann dir nicht versprechen, dass sie dir gefällt.“
„Darauf kommt es nicht an. Wichtig ist nur, dass du ehrlich zu mir bist.“
David stand auf und griff nach meiner Hand.
„Lass uns ein Stück gehen. Nach den vielen Stunden im Flieger würde ich mir gern ein wenig die Beine vertreten.“
Wir verließen den Pier und gingen hinunter zum Strand.
„Zieh die Schuhe aus“, forderte ich ihn auf. „Es tut gut, barfuß durch den Sand zu laufen, wenn die Wellen deine Füße umspülen. Das bringt deinen Kreislauf nach dem langen Flug wieder in Schwung.“
„Um meinen Kreislauf in Schwung zu bringen, reicht schon ein Kuss von dir", erwiderte er mit einem Augenzwinkern, während er sich seiner Sneakers entledigte.
Eine Weile liefen wir schweigend nebeneinander her. David hielt meine Hand und irgendwann begann er leise zu erzählen:
„Sabrina und ich, wir kannten uns schon seit unserer Schulzeit. Nach dem Abi begann sie ein Kunststudium in Berlin, und wir haben uns ein paar Jahre aus den Augen verloren. In den Semesterferien vor ihrem letzten Jahr trafen wir uns zufällig wieder. Seitdem waren wir ein Paar. Ich hatte gerade meine Ausbildung an der Polizeiakademie abgeschlossen.
Wir gingen erst ein paar Monate miteinander, da wurde sie schwanger. Geplant war das Kind zwar nicht, aber wir freuten uns trotzdem darauf. Wir schmiedeten Pläne für die Zukunft und beschlossen, gleich nach ihrem Studium zu heiraten. Keine Ahnung, wie es dazu kam, aber sie verlor das Baby. Während ich noch halbwegs mit diesem Schicksalsschlag zurechtkam, drehte Sabrina völlig durch. Sie kapselte sich von mir und von ihrer Familie ab und versuchte, auf ihre Art mit dem Verlust des Babys fertig zu werden, indem sie sich plötzlich auf jeder Party vergnügte. Sie vernachlässigte ihr Studium und brach es schließlich ganz ab. Unsere gemeinsamen Interessen gab es mit einem Mal nicht mehr. Wenn ich nach dem Dienst nach Hause kam, war sie meistens nicht da. So ging das eine ganze Weile, dann kam ich hinter den Grund ihrer Veränderung: Sie hatte ein Verhältnis mit einem Kerl angefangen, der ihr Drogen beschaffte. Sie war längst abhängig, als ich es bemerkte, und sie wollte sich nicht helfen lassen. Unsere Beziehung zerbrach daran.
Meine Kollegen von der Drogenfahndung waren schon lange hinter dem Kerl her, mit dem Sabrina zusammen war. Und eines Abends hatten mein Partner und ich dann diesen Einsatz, von dem ich dir erzählt habe.“
Bisher war ich neben David hergelaufen und hatte ihm nur wortlos zugehört. Jetzt blieb ich stehen und sah ihn an. Mein Herzschlag hallt ein meinen Ohren wider, und ich wagte kaum zu atmen.
„Dann war Sabrinas neuer Freund der Drogendealer, den du zusammengeschlagen hast?“
Er nickte kaum merklich, und ich spürte, dass die Erinnerung ihn noch immer schmerzte.
„Wir fanden sie mit einer Überdosis in seiner Wohnung. Die Ärzte haben sie zwar erfolgreich reanimiert, aber sie war wohl ziemlich lange bewusstlos gewesen, und seitdem ist sie nicht mehr sie selbst. Es gibt Stunden, manchmal auch Tage, da scheint sie normal, dann wieder wird ihr Handeln unberechenbar, ja sogar gefährlich. Aber die meiste Zeit lebt sie in ihrer Traumwelt.“
„Und in dieser Welt bist du ihr Mann?“
„Ja.“
Langsam bekam alles einen Sinn.
„Dann ist sie der Freund, den du verloren hast, richtig?“
„Ja. Die Frau, die ich einmal geliebt habe, gibt es nicht mehr.“ Er ließ meine Hand los und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar.
„Ich bin damals auch nicht wirklich strafversetzt worden. Sie haben mir nur so ein lächerliches Anti-Aggressions-Seminar aufgebrummt“, fuhr er fort, während wir langsam weitergingen. „Ich habe selbst um diese Versetzung gebeten. Ein halbes Jahr war ich in einem Trainingslager im Süden. Dort haben sie mir alles rund um den Personenschutz beigebracht. Danach wurde ich auf eigenen Wunsch weit weg von zu Hause in deine Heimatstadt beordert.“
„Und Sabrina?“
„Nach einem Entzug wohnte sie bei ihren Eltern, aber sie war weder richtig clean noch psychisch gesund und hat immer wieder Probleme gemacht. Ihre Familie war mit der Situation total überfordert. Sie fand irgendwie immer wieder einen Weg, sich heimlich Drogen zu beschaffen. Dann ist sie manchmal regelrecht ausgeflippt und ließ niemanden an sich heran. In solchen Fällen rief mich meistens ihre Mutter an, und ich versuchte irgendwie zu helfen.“
„Die so genannten Notfälle in der Familie“, stellte ich nachdrücklich fest, und er nickte.
„Ich fühlte mich für sie verantwortlich. Unter Freunden lässt man sich nicht hängen.“
Das eben Gesagte rief eine Erinnerung in mir wach. Ich hatte diese Worte schon einmal von ihm gehört…
<<Keiner versteht das besser als ich, glaub mir. Man lässt sich unter Freunden nicht hängen. Niemals.>>
Genau das hatte er gesagt, damals, nach dem Reit-Tournier, als ich ihm zu erklären versuchte, dass ich heimlich am Wettkampf teilgenommen hatte, weil ich Jessi und die anderen nicht im Stich lassen wollte. Jetzt wurde mir klar, was er damit meinte. Er hatte von seiner Ex-Freundin gesprochen.
Ich schluckte und suchte krampfhaft nach den richtigen Worten, doch ich fand keine. Meine Kehle war wie zugeschnürt, während ich nur stumm auf die Wellen starrte, die sanft meine Füße umspülten.
„Sabrina war in der letzten Zeit immer mehr darauf fixiert, mich zu finden und mit mir zusammen zu sein. Mit mir und unserem Baby“, erzählte David weiter, und ich bekam trotz der Mittagshitze eine Gänsehaut. „Irgendwie hat sie schließlich herausbekommen, wo sie mich finden kann und ist mir nachgereist. Was dann passierte, weißt du ja.“
„Ja, das weiß ich“, erwiderte ich leise. „Und wenn du vorher mit mir über alles gesprochen hättest, anstatt ein großes Geheimnis daraus zu machen, dann hätte ich es sogar verstanden.“
David blieb erneut stehen und sah mich an.
„Als du mir von dem Anruf berichtet hast, dachte ich noch, ich könnte die Sache bereinigen, bevor ich dir davon erzähle. Ich wollte Sabrina zurückbringen, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie in ihren klaren Momenten durchaus gerissen sein kann. Sie hat mir irgendwas von ihrem Drogenzeug in den Kaffee getan, und ich war wohl eine Weile außer Gefecht.“
„Hat sie dir erzählt, dass ich da war?“
„Nein, das hat Jessi getan. Wir haben uns getroffen, nachdem ich Sabrina bereits wieder zurückgebracht hatte.“
„Du hast sie zu ihrer Familie gebracht?“
„Ihre Eltern haben nach diesem Vorfall endlich eingesehen, dass sie allein nicht mit ihr zurechtkommen. Sie ist zu schwierig und zu unberechenbar geworden. Als Ihr euch begegnet seid, stand sie schwer unter Drogen.“
„Einer unserer Lehrer hat uns mal erklärt, woran man erkennt, wann jemand Drogen genommen hat“, erinnerte ich mich in diesem Zusammenhang. „Sabrina hatte geweitete Pupillen, deshalb wirkten ihre Augen so groß und schwarz!“
„Groß, schwarz und leer“, ergänzte er resigniert. „Ehrlich gesagt hast du an diesem Tag verdammtes Glück gehabt.“
„Wieso?“
„Als du nach mir gefragt hast, war sie anscheinend noch sehr ruhig. Kurz nach dir tauchte Steve auf. Er hatte sich nach dem Gespräch mit dir Sorgen gemacht und wollte nach mir sehen. Sabrina ist mit einem Messer auf ihn losgegangen, als er die Tür aufgeschlossen hat.“
Ich sah ihn erschrocken an.
„Hat sie… Ich meine, ist er okay?“
David nickte mit zusammengepressten Lippen.
„Er konnte sie abwehren. Wir haben auch niemandem sonst von dem Vorfall erzählt.“
„Und wo ist sie jetzt?“
„In einer psychiatrischen Klinik. Und dort wird sie wohl auch bleiben müssen.“
Er starrte eine Weile wortlos aufs Meer hinaus.
„Weißt du, Caiti, ich selbst habe es irgendwie geschafft mit dem Unglück fertigzuwerden, das uns widerfahren ist“, sagte er nach einer Weile des Schweigens leise. „Sabrina war nicht so stark. Ich wollte ihr helfen, aber ich konnte nicht. Das habe ich mir nie verziehen.“
„Du wolltest ihr helfen, aber sie ließ es nicht zu“, stellte ich die Sache aus meiner Sicht richtig. „Das ist ein ganz entscheidender Unterschied!“
Er schaute mich nachdenklich an.
„So habe ich das nie gesehen.“
Ich erwiderte seinen Blick mit aller Entschlossenheit, die ich in diesem Moment aufzubringen vermochte.
„Dann sieh es jetzt so und verkriech dich nicht in irgendwelchen Schuldgefühlen! Ihr seid nicht das erste Paar gewesen, dem so ein Unglück widerfahren ist. Das, was Sabrina passiert ist, mussten schon unzählige andere Frauen durchmachen. Aber die wenigsten von ihnen haben deswegen Drogen genommen und sind mit dem Messer auf Unschuldige losgegangen!“
David erwiderte nichts, und nachdem ich meine eigenen Emotionen über das soeben Gehörte einigermaßen unter Kontrolle hatte, legte ich behutsam meine Hand auf seinen Arm.
„Ich habe dir von Anfang an blind vertraut, als mein Bodyguard und später als mein Freund, aber du hast dich in gewisser Weise immer verschlossen. Ständig hatte ich das Gefühl, dass du etwas vor mir verbirgst. Zuerst dachte ich, es ist dir vielleicht nicht ernst mit mir…“
„Das ist nicht wahr.“ widersprach er heftig.
„Kann sein, aber ich habe es so empfunden.“
„Das tut mir leid, denn ich habe es vom ersten Augenblick an ernst mit dir gemeint. Als ich dich damals auf dieser Bühne zum ersten Mal gesehen habe, wie du da oben gestanden hast, total überrascht von deinem Sieg, da wusste ich ganz genau: Die ist es!“
Ich musste lachen.
„Du hattest zuweilen eine sehr eigenwillige Art, mir das zu zeigen.“
„Hat aber funktioniert“, grinste er und griff erneut nach meiner Hand. „Weißt du, Caiti, in den paar Tagen, seitdem du weg warst, haben sich die Ereignisse regelrecht überschlagen“, gestand er kopfschüttelnd, als könne er das alles selbst kaum glauben. „Jessi hat unermüdlich alle Hebel in Bewegung gesetzt, um mich zu erreichen. Durch Steve ist ihr das schließlich gelungen, und wir haben ein langes und sehr aufschlussreiches Gespräch geführt. Danach war ich dann bei deinen Eltern, und so kam eins zum anderen.“
„Aber du hast nur zweimal versucht, mich anzurufen!“
„Was hätte es uns gebracht, wenn ich deine Mailbox zugetextet hätte? So etwas erklärt man nicht am Telefon. Und da du meine Anrufe ja sowieso nicht angenommen hättest…“
„Du kennst mich wirklich gut“, musste ich widerwillig zugeben.
Wieder ein leichtes Grinsen, dazu die anbetungswürdigen Grübchen auf seinen Wangen.
„Ich denke schon.“
Die Art, wie er dastand und mich ansah, ließ die Schmetterlinge in meinem Bauch aus dem Winterschlaf erwachen. Ich konnte noch immer kaum glauben, dass er den langen Flug trotz Flugangst auf sich genommen hatte, um mir nachzureisen. Aber so leicht wollte ich es ihm dann doch nicht machen. Ich atmete tief durch und sah ihn an.
„Würdest du mit mir auf dem Riesenrad fahren?“
Sein Grinsen wich einem nicht sehr intelligenten Gesichtsausdruck.
„Waaas?“
Ich lächelte so bezaubernd wie nur möglich.
„Na ja, dieses riesige Rad, das sich dreht, immer rund…“
„Das habe ich schon verstanden“, unterbrach er mich und schüttelte ratlos den Kopf. „Allerdings verstehe ich den Sinn nicht ganz. In Amerika fährt man Harley auf der Road 66 oder man lässt sich auf wilden Pferden durch die Prärie tragen. Aber warum um alles in der Welt willst du ausgerechnet auf dem Riesenrad mit mir fahren?“
„Das erkläre ich dir, wenn wir oben sind.“ Ich deutete auf das Ferris Wheel hinter uns auf dem Pier, das mittlerweile seinen täglichen Fahrbetrieb aufgenommen und damit begonnen hatte, sich gemächlich zu drehen. „Na, los, komm schon!“
Während wir schweigend Hand in Hand zurückgingen, lächelte ich still vor mich hin.
Er war hier, er hatte mir alles erzählt, und es gab endlich keine Geheimnisse mehr zwischen uns. Außerdem hatte er mir gestanden, dass er sich vom ersten Augenblick an in mich verliebt hatte.
<<…da wusste ich ganz genau: Die ist es!>> Was für eine schöne Liebeserklärung! Eine, die irgendwie zu ihm passte.
Als David und ich in eine der Gondeln stiegen, schlug mein Herz Purzelbäume.
Es war genauso, wie ich es mir in meinen Träumen immer ausgemalt hatte: Wir saßen eng umschlungen nebeneinander, während wir langsam nach oben fuhren.
Hoch über dem Ozean hielt das Riesenrad noch einmal kurz an.
Andächtig genossen wir für ein paar Sekunden diesen einmaligen Ausblick auf Santa Monica. Je höher wir aufstiegen, desto grandioser wurde das Bild, das sich uns bot. Malibu lag uns auf der einen Seite scheinbar zu Füßen, Venice, Marina del Rey und die Pazifikküste bis hinüber nach West-Los Angeles auf der anderen Seite. Ich erklärte David kurz die Aussicht, doch als sich das Rad wieder in Bewegung setzte, hatten wir bereits keinen Blick mehr dafür.
Es gab nur uns beide, wir hatten uns wieder…
Allerdings musste ich noch eine Sache loswerden, die mir unter den Nägeln brannte.
„Was sagen eigentlich deine Eltern zu allem, was passiert ist?“
„Meine Eltern hat die Sache sehr mitgenommen“, gab er nach kurzem Zögern ehrlich zu. „Sie mochten Sabrina, und es war schlimm für sie, das alles mitzuerleben. Vor allem, weil sie uns nicht helfen konnten, weder ihr noch mir.“
Er drehte den Kopf und sah mich an.
„Ich habe ihnen bei meinem letzten Besuch von dir erzählt. Sie würden dich gern kennenlernen und hoffen, dass du mir verzeihst. Das hoffe ich übrigens auch.“
Ich hielt seinem Blick stand.
„Weißt du, ich habe mich immer über diese Filme und Soaps geärgert, wo Paare sich trennen, weil sie nicht imstande sind, miteinander zu reden“, sagte ich leise. „Ich hätte nie gedacht, dass ich dumm genug sein würde, denselben Fehler zu machen.“
„Und was heißt das jetzt?“
„Das heißt, dass nicht du mich um Verzeihung bitten musst, sondern eher umgekehrt.“
Irritiert zog er die Augenbrauen zusammen.
„Du bittest mich um Verzeihung?“
Ich lächelte verschämt.
„Dafür, dass ich so dämlich war, einfach abzuhauen.“
Er musterte mich mit ungläubigem Blick und ich hob etwas unsicher die Schultern. „Ich meine ja nur… Das nächste Mal frage ich dich erst, bevor ich weglaufe.“
Wieder erschien dieses Grinsen, das ich so oft verflucht und gleichzeitig so sehr vermisst hatte, auf seinem Gesicht. Und in diesem Moment war mir klar, das Kribbeln in meinem Bauch kam nicht von der Fahrt auf dem Riesenrad.
„Na wenn das so ist, Prinzessin…“ David lehnte sich zurück und streckte genüsslich seine langen Beine aus. „Ganz so einfach kommst du mir nicht davon! Immerhin bin ich trotz extremer Flugangst zehn Stunden lang in dieser wackligen Sardinenbüchse über den Ozean geflogen, eingepfercht zwischen einem hyperaktiven Rentner aus Venice und einer übergewichtigen Mexikanerin, die den ganzen Flug über schnarchte wie ein Pferd!“
„Pferde schnarchen nicht“, belehrte ich ihn scheinbar ungerührt.
„Dieses schon“, beharrte er und verdrehte die Augen. „Pausenlos!“
„Du bist wirklich zu bedauern.“
„Stimmt. Meine Beine und meine Ohren waren taub, als wir gelandet sind. Es ging mir richtig schlecht, mal abgesehen von der Angst, dich für immer verloren zu haben. Also…“ Er holte tief Luft und sah mich bedeutungsvoll an. „Ich verlange Wiedergutmachung!“
Jetzt war ich es, die schelmisch grinste.
„Und wie soll die aussehen?“
Sein Grinsen war breiter als meines.
„Du solltest dir ganz schnell etwas einfallen lassen!“
Ich fühlte mich plötzlich unsagbar leicht, wie von einer zentnerschweren Last befreit, und das lag keinesfalls an den Umdrehungen des Riesenrades. David richtete sich auf, hob die Hand und strich mit den Fingerspitzen zärtlich über meine Wange.
„Was meinst du, Prinzessin? Können wir die Lichter noch einmal neu anzünden?“
Ich schüttelte kaum merklich den Kopf.
„Nein, das können wir nicht.“
Die Fingerspitzen verharrten sekundenlang.
„Nein?“
Ich sah ihm in die Augen und lächelte, ein Lächeln, das ich von ihm gelernt hatte.
„Warum willst du etwas neu anzünden, das niemals aus war?“
Sein darauffolgender leidenschaftlicher Kuss war eine würdige Entschädigung für alles, was mich in den letzten Tagen gequält hatte. Alle Anspannung fiel in diesem Augenblick von mir ab.
Jetzt war ich wirklich zu Hause.
Die Fahrt mit dem Riesenrad war viel zu schnell zu Ende. Wir verließen die Anlage und schlenderten Arm in Arm zum Ausgang.
Zuerst glaubte ich nur an eine zufällige Ähnlichkeit, aber als wir näherkamen, erkannte ich ihn.
Er stand, abwartend ans Brückengeländer gelehnt, einfach nur da und starrte uns mit finsterem Gesicht entgegen – Mason!