Viele von Euch werden sich schon einmal gefragt haben, wie unser Sauhund zu seinem Zauberwald gekommen ist. Er selbst hat es Euch nie erzählt, wohl auch, um Euch nicht zu verwirren. Doch mich zog die Geschichte an, dass ich sie Euch nicht vorenthalten möchte. Wie es dazu kam, liegt sehr sehr lange zurück, in einer Zeit, in der noch niemand an uns hier dachte. Ihr werdet es wohl nicht glauben, aber es hat etwas mit Magie zu tun. Und das war so:
Eigentlich war der Sauhund nicht die Person, die viel von Magie hielt. Als junger Bursche war er ein Rabauke, der die Gegend unsicher machte und genügend Schabernack trieb. Damals, als er geboren wurde, nach seinem Reden muss das so um das Jahr 1300 gewesen sein, war die Welt immer noch mitten im finsteren Mittelalter. Alles, was mit Magie und Zauberei zu tun hatte, war Hexenwerk, schlecht oder ein Werk des Leibhaftigen. Wenn es besonders schlimm kam, wurden unschuldige Menschen der Hexerei oder Zauberei beschuldigt und auf dem Scheiterhaufen bei lebendigem Leibe verbrannt. Keine schöne Art und Weise, unserem Herrn gegenüber zu treten. Seit die widerwärtige Hexe den Sauhund verzaubert hatte, hielt er sich sowieso von solchen Frauen fern. Er wollte damit nichts mehr zu tun haben. Obwohl, was die Hexe ihn anzauberte, war auch nicht ohne. Welcher Mann konnte seine Liebste schon eine Stunde lang ohne Pause beglücken? Er kannte keinen. Die grünen Haare und die Schweinsnase waren dabei die Kehrseite der Münze, wohl aber das notwendige Übel.
Trotz der Finsternis gab es einen Ort, an dem die Magie alles Böse verdrängte und unschädlich machte. Die Menschen, die dort lebten, wurden sogar vor dem Unheil beschützt. Doch wie es so oft war, hatten die Menschen von außerhalb große Angst vor der Magie. Viele fürchteten sich davor sogar noch sehr viel mehr als vor dem Teuflischen selbst. So kam es, dass sich nur sehr wenige Erdenbürger dorthin verirrten. Diejenigen, die ungewollt vom Weg abgekommen waren, flohen meist wieder, da sie den geheimen Zauber des Ortes nicht erkannten. Sie ängstigten sich davor, von der Magie in den Bann gezogen zu werden. Nur die, die danach suchten, wussten vom wirklichen Zauber und schätzten ihn. Für sie war es kein Hexenwerk. Sie fanden dort den schönsten Fleck auf Erden vor, den sie jemals gesehen hatten. Kehrten sie zurück in die Menschenwelt, wurden sie verfolgt, gefoltert und, wie ich schon schrieb, auf grausame Art und Weise ums Leben gebracht.
Einer von denjenigen, die diesen Ort willentlich suchten, und auch fanden, war der Sauhund. Von einer mannstollen Hexe verzaubert, auf ewig dazu verdammt, mit grünen Haaren und Schweinsnase herumzulaufen, verfolgten ihn die Menschen. Die eigenartige Brille, die er tragen musste, da er blind wie ein Huhn war, machte das Ganze auch nicht besser. Er war ein Aussätziger, ein Geächteter, der nirgendwo gern gesehen war. Dabei war er ein argloser Zeitgenosse.
Überall, wo er hinkam, wurde mit dem Finger auf ihn gezeigt. Er wurde gehetzt, gejagt, mutwillig gequält und wäre sogar beinahe auf dem Scheiterhaufen gelandet. All das hatte er satt. Er wollte nur noch weg. Weg von den gemeinen, verbohrten und abergläubigen Menschen, die alles hetzten, was nicht in ihr angeblich heiles Weltbild passte. So machte sich der Sauhund eines Tages auf den Weg und suchte den geheimen Ort der Magie.
Viele Tage und Wochen war er unterwegs. Er lief sich die Füße wund und war nicht nur einmal daran, zu verzweifeln und sich seinem Schicksal zu ergeben. Aber immer wieder trieb es ihn vorwärts, als würde die Magie auf ihn warten und ihn anziehen.
Aber eines schönen Tages, er nahm schon an, seine fast blinden Augen trübten seine Sinne, sah er sie. Die Magie in Gestalt einer zauberhaften Fee. Sie stand an einem Waldesrand, fast im Dunkeln verborgen und sah zu ihm herüber. Ein zauberhaftes Wesen, von einem mystisch leuchtenden Lichtschein umgeben. Das hüftlange Haar des Wesens glänzte im Schein des geheimnisvollen Lichtes. Auf ihrem Kopf schwebte ein Krönchen aus glitzernden Sternen. In der Hand hielt es einen Stab. Immer, wenn es diesen bewegte, regnete glitzernder Staub herab, der sich auf dem fast durchsichtigen seidigen Gewand absetzte.
Wie gebannt starrte der Sauhund auf das Wesen, das ihn wie ein Magnet anzog. Er glaubte sich im Märchen. Solch eine wunderschöne Fee, für ihn musste es eine Fee sein, hatte er noch nie gesehen. Von weitem sah er, wie sie ihre Lippen, rot wie reife Kirschen, bewegte. Trotz der Entfernung vernahm er ihre Worte laut und deutlich, als würde sie neben ihm stehen und zu ihm sprechen.
„Sauhund, guter“, sagte sie flüsternd. „Hier ist der Ort, den du schon so lange suchst. Komm her und schau ihn dir an. Du bist willkommen. Du wirst sehen, er ist sehr viel schöner, als du es dir vorstellen kannst.“ Dabei richtete sie ihren Zauberstab auf den erstarrten Sauhund. Wieder rieselte der glitzernde Staub. Diesmal bildete er eine Straße in seine Richtung und wies ihm den Weg zu dem geheimen Ort der Magie. Der Glitzerstaub schwebte um ihn herum und nahm ihn gefangen. Wie auf watteweichen Wolken flog der Sauhund der zauberhaften Fee entgegen, die ihn mit offenen Armen empfing.
Sie nahm in bei der Hand und führte ihn hinein in den dunklen Wald. „Das ist mein Zauberwald, der geheime Ort der Magie“, sagte sie und lächelte den Sauhund verführerisch an. Der folgte ihr willenlos.
Je tiefer sie in den Wald hineingingen, desto mehr nahm die Magie den Sauhund gefangen. Überall sah er kleine Häuschen, die von diesem glitzernden, magischen Staub umgeben waren, wie der, der der Spitze des Feenstabes entsprang. Der Staub erleuchtete alles ihn Umgebende, so dass niemand je ein Licht brauchte, um die Dunkelheit des magischen Waldes zu erleuchten. Die Bewohner standen vor den Hütten, winkten ihm freundlich zu und hießen ihn in ihrem Reich willkommen. Viele kamen auf ihn zu und bald war der Sauhund umringt von lachenden Menschen. Sie kamen ihm sehr viel glücklicher vor, als die, denen er draußen begegnet war. Alle wollten ihn berühren. Seine grünen Haare zogen viele an. Sie wollten sie fühlen und betasten, ob sie auch echt waren. Staunend mussten sie feststellen, alles am Sauhund war echt. Doch ganz anderes, als er erwartete, fühlte sich niemand von ihm bedroht, weil er so arg eigenartig aussah. Keiner fürchtete sich vor ihm. Für sie war der Neuankömmling sofort einer von ihnen. Sein Aussehen war ihnen egal. Es schien, als würden sie wissen, er war, genau wie sie, geflohen vor der bitteren, dunklen, gefährlichen Welt da draußen. Vor allen Vorurteilen der Menschen, die dem Nachbarn nichts gönnten und Unheil über andere brachten.
Schnell erkannte der Sauhund, hier im Zauberwald war alles ganz anders, als er es bisher kennengelernt hatte. Es herrschte Liebe, Wärme, Gemeinsamkeit. Hier wollte er bleiben, fernab vom Bösen, beschützt durch den Zauberwald und der Magie der Fee.
Suchend blickte er sich um. Die Fee, wo war sie nur hin? Nirgends konnte er sie entdecken. Er bekam es mit der Angst zu tun. Wild klopfte sein Herz, furchtsam und heftig, dass es ihm beinahe den Atem raubte.
Ein alter Mann kam auf ihn zu, den Rücken gebeugt von einem langen Leben, das Gesicht gezeichnet vom hohen Alter, voller Furchen und Runzeln. „Du brauchst die Fee nicht mehr“, sagte er lächelnd zu ihm.
„Aber…“, wollte der Sauhund erwidern.
Der Alte hieß ihm, still zu sein. „Sie wies dir den Weg hierher, seit sie erkannte, du suchtest Zuflucht und welches Ziel du verfolgtest“, erklärte er. „Aber hier, hier wirst du deinen eigenen Weg finden. Dazu brauchst du die Fee nicht mehr.“ Er zeigt auf ein kleines Häuschen am Rande einer Lichtung. Auch dieses war hell erleuchtet vom magischen Staub der Fee. „Das wird deine Heimat sein, dein kleines Reich. Solange du es willst, kannst du hierbleiben. Niemand wird dich vertreiben. Wir sind alle eins, eine Gemeinschaft mit dir. Und nun geh. Erkunde dein Haus. Werde glücklich, hier mit uns im Zauberwald.“
Schmunzelnd schubste der Alte den Sauhund an. Wie in Trance betrat dieser seine neue Heimat und wurde glücklich, bis ans Ende seiner Tage.
Wie viele von Euch wissen, oder ahnen es vielleicht auch nur, lebte der Sauhund wirklich in seinem Zauberwald, abgeschieden von den Menschen. Dort, wo ich ihn eines schönen Tages entdeckte und bei ihm blieb. Auch ich suchte Ruhe und Frieden. Ich fand ihn, mitten im magischen Zauberwald. Nur die Fee bekam ich nie zu Gesicht. Aber ganz wahrscheinlich war sie auch da, wie hätte ich sonst ohne sie in den Zauberwald gelangen können. Dort lebten der Sauhund und ich glücklich, bis ans Ende seiner Tage.
Nun sitzt er dort oben, auf seiner Wolke und blickt auf uns hernieder. Vielleicht gefällt ihm sogar, was ich Euch von ihm alles erzähle. Wer weiß, wir werden es wohl nie erfahren. Aber eins könnt Ihr Euch sicher sein: Jedes Wort ist wahr, auch wenn es wie im Märchen klingt.
© Salika von Wolfshausen / 22.02.2018