Es gab Zeiten, da glaubten die Menschen an Götter, Geister und sogar an Hexen. Alles, das sich die Leute mit normalem Verstand nicht erklären konnten, oder wenn jemanden Schlimmes widerfuhr, wurde dies Hexen und bösen Geistern in die Schuhe geschoben. Heutzutage ist das ganz anders, es gibt wahrscheinlich auch immer noch Hexen und Geister. Doch wir sehen sie nicht mehr so wie früher. Es mag zwar bestimmt noch Menschen geben, die diesem Glauben erliegen. Aber es ist bei weitem nicht mehr so schlimm wie vor vielen Jahrhunderten, als Unschuldige deswegen bei lebendigem Leibe auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden.
Dass es wirklich Hexen gab, konnten wir an unserem Sauhund sehen, der solch einer widerlichen Person in sehr jungen Jahren in die Fänge geraten war. Wie er mir erzählte, war die Hexe so arg garstig und hässlich, dass ihm sogar die Lust auf Liebe machen vergangen ist. Sie jedoch zwang ihn dazu und zauberte ihm ungeahnte Kräfte an, damit sie sich mit ihm verlustieren konnte und dabei voll auf ihre Kosten kam. Sie gaukelte ihm vor, sie wäre ein wunderhübsches und begehrenswertes Mädchen. Der Sauhund fiel gutgläubig auf sie herein und tat ihr auch noch den Gefallen, es ihr schön zu machen.
Die Kehrseite der Medaille war, er musste seinen Lebtag lang mit fürchterlich grünen Haaren, Schweinsnase und einer riesigen Brille auf der Nase herumlaufen. Das brachte ihm oft den Spott der Leute ein. Klar, er ärgerte sich deswegen sehr. Aber die Vorzüge, die ihm die Hexe angezaubert hatte, kam nicht nur ihm zugute, sondern all den vielen Frauen, die er in seinem späteren langen Leben kennenlernte. Nicht nur eine war die Nutznießerin seiner besonderen Kraft. Ich selber zählte auch dazu.
Als Dank dafür war er die Hexe ein für alle Mal los. Den einen Wunsch, den sie ihm für seine Dienste gewähren musste, nutzte er, um sie verschwinden zu lassen. Sie ward auch niemals wieder gesehen, berichtete er mir. Clever, oder?
Oh je, ich schweife jetzt vom Thema ab. Dabei ist es meine Aufgabe, mir Gedanken über „unsichtbar“ zu machen und darüber zu schreiben und nicht mit Euch über Götter, Geister und Hexen zu diskutieren. Diejenigen jedoch, die die Geschichte des Sauhunds nicht kennen, sollten wenigstens ein paar kleine Informationen dazu bekommen, wie er in die missliche Lage kam, mit solch einem Aussehen bestraft zu sein. Nun aber genug am Thema vorbei gelabert. Jetzt will ich Euch lieber die Geschichte vom Sauhund und den unsichtbaren Plagegeistern erzählen. Macht es Euch gemütlich, nehmt einen Keks und einen Tee, es geht los:
Eines Tages wanderte der Sauhund mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen durch den Zauberwald. Seit die Hexe ihn verzaubert hatte, lebte er dort. Ihm war wieder einmal langweilig und er suchte nach Zerstreuung. Was sollte man inmitten eines Waldes auch tun, außer einen Spaziergang zu machen oder sich über einen sonnigen Tag freuen. Vielleicht mal Pilze, Kräuter oder Beeren sammeln. Viel Abwechslung gab es dort nicht, außer es kam etwas Unvorhergesehenes vor.
Oft half es ihm auch über die Langeweile hinweg, einfach nur ein wenig durch den Wald zu spazieren und sich all die schönen magischen Dinge anzuschauen, die sich dort finden ließen. Oh ja, da gab es sehr viel. Das hatte er bereits erfahren. Elfen hatte er gesehen, und Feen, Gnome, Zwerge und noch viele andere Zauberwesen. Ein kleiner feuerspeiender Drache wurde auch gesehen. Der aber musste den Wald verlassen, nachdem er beinahe alles im Schutt und Asche gelegt hatte. Nur Trolle liefen ihm nicht über den Weg. Ich glaube, die hatten sogar Hausverbot im Zauberwald, da sie nur allen möglichen Unsinn trieben und die Bewohner schikanierten.
Der Sauhund war mit seinem eigenartigen Aussehen der Einzige, ein Exot sozusagen. Niemand störte sich daran. Manchmal war er auch ein wenig schrullig. Aber was machte das schon. Im Zauberwald konnte man sich geben, wie man war und musste sich nicht verstellen.
An diesem Morgen war das Wetter besonders schön. Die Sonne blinzelte durch das dichte Blätterdach des Waldes. Der Sauhund genoss die Wärme des beginnenden Sommers. Obwohl es erst früh am Tage war, musste er aufpassen, sich auf den Lichtungen keinen Sonnenbrand zu holen. Er liebte es nämlich, dort Halt zu machen, sich ins Gras zu setzen und vor sich hin zu träumen. Sich in der Sonne zu aalen, war ihm eine Wonne. So verweilte er an diesen Stellen anfangs nur kurze Zeit und schlug sich dann wieder in die Büsche, um seinen Weg in weniger gefährlichen Gefilden fortzusetzen.
Als er gerade mal wieder von einer Lichtung in den dunkleren Teil des Waldes eintauchte, bemerkte er in einiger Entfernung einen eigenartigen Schimmer. Es schien so, als würde zwischen den Stämmen der Bäume eine riesige, beleuchtete Glaskugel hängen. Die durchsichtige Kugel erinnerte ihn an einen Weihnachtsbaumbehang. Doch das konnte nicht sein. Wo sollte um diese Jahreszeit mitten im Wald eine Weihnachtskugel dieser Größe herkommen.
So schlich sich der Sauhund näher. Der Sache musste er auf den Grund gehen. Neugierig, wie er war, blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Schnüffelschnauze in Sachen stecken, von denen er sich lieber fernhalten sollte. Wenn er vorausgesehen hätte, welchen Ärger ihm der Gegenstand noch bringen sollte, hätte er wahrscheinlich freiwillig das Weite gesucht. Doch Wahrsagen war nicht so sein Ding.
Je mehr er sich der Kugel näherte, desto unheimlicher wurde es ihm. Mit dem Ding musste etwas nicht stimmen. Mal war es winzig klein. Dann konnte er es kaum erkennen und musste sich mächtig anstrengen, um es nicht aus den Augen zu verlieren. Dann nahm es wieder an Größe zu. In diesem Fall zwängte es sich zwischen den Baumstämmen hindurch. Dabei quietschte die eigenartige Kugel so laut, dass der Sauhund fast einen Hörsturz bekam und sich die Ohren zuhalten musste.
Nach einiger Zeit gelang es ihm, ganz nah an die Kugel heran zu kommen. Mit neugierigem Blick betrachtete er sie. Jetzt schimmerte sie in den schönsten Regenbogenfarben. Obwohl sie fast durchsichtig war, konnte er nicht erkennen, was sich darin befand. Über diesen Anblick war er geplättet. So etwas hatte er noch nie gesehen. Er befand sich zwar immer noch im Zauberwald und dort war alles möglich, aber so etwas war einmalig.
Die Oberfläche der Kugel schien robust zu sein. Immer wenn er sie mit dem Finger antippte, wurde sie kleiner und hüpfte davon wie ein Gummiball. Dabei stieß sie oft auf Stock und Stein, aber sie zerplatzte nicht. Er musste die Füße in die Hand nehmen, um ihr folgen zu können. Berührte sie beim Hüpfen den Boden, vernahm er ein zweistimmiges Kichern, als würde sich jemand über etwas lustig machen.
„So warte doch, nicht so eilig“, rief er der Kugel hinterher und lief ihr, so schnell er konnte, nach.
In einiger Entfernung kam die Kugel zum Stehen. Zwei eng nebeneinander stehende Bäume waren im Weg und verhinderten, dass sie sich noch mehr vom Sauhund entfernte. Ganz außer Atem kam auch er an der Stelle an, wo sie hängengeblieben war. Neugierig umrundete er sie. Ab und an stupste er sie mit dem Finger an, worauf er erneut das zweistimmige Kichern hören konnte.
„Hi, hi, hi, das kitzelt. Hör auf damit“, vernahm er geheimnisvolle Stimmen aus der Kugel.
„Wie komme ich dazu, dich zu kitzeln“, antwortete der Sauhund kopfschüttelnd. Seit wann konnten Kugeln sprechen und lachen, das auch noch zweistimmig? Oder war doch jemand in der Nähe, der sich gekonnt vor seinen Blicken versteckt hatte. Er schaute sich um, konnte aber niemanden entdecken. Also musste das Kichern aus der Kugel kommen.
„Doch, du kitzelst uns“, behauptete eine der Stimmen.
„Das geht hier nicht mit rechten Dingen zu! Zeigt euch!“ Während er dies aussprach, berührte er mit der flachen Hand die Oberfläche der Kugel. Prompt erscholl erneut das mysteriöse Lachen. Dem Sauhund wurde es zu viel. Wütend geworden, stampfte er mit dem Fuß auf. „Wollt ihr mich veräppeln? Kommt heraus“, rief er erbost.
Plötzlich bemerkte er, wie jemand an seinem linken Ohr zupfte. Er drehte sich in die Richtung. Doch da war niemand, nur wieder dieses Kichern. Dieses Mal einstimmig. Verwirrt schüttelte er den Kopf. „Ich werde hier noch meschugge und sehe wohl nur Geister“, knurrte er in seinen nicht vorhandenen Bart.
Als wäre es nicht schon genug, wurde ihm in die Nase gekniffen. Er schlug um sich, um den Störenfried zu verscheuchen. Dabei bemerkte er nicht, wie seine Schnürsenkel geöffnet wurden. Der Bösewicht ließ sich nicht vertreiben und zwickte und zwackte mal hier, mal da. So richtig wütend geworden, wetterte der Sauhund lautstark, dass es durch den gesamten Wald schallte. Er hatte genug von der Gaukelei. „Ich lass mich doch nicht verarschen“, schimpfte er wie ein Rohrspatz. „Ihr könnt mich mal“, rief er noch und wollte sich entfernen. Dabei trat er auf einen seiner Schürsenkel, stolperte und fiel prompt auf die Nase.
„Hi, hi, hi, ha, ha, ha“, dröhnte Gelächter um ihn herum. Nur sehen konnte er immer noch niemanden. Allerdings wackelte die schillernde Kugel verdächtig.
„Na wartet, euch werde ich es zeigen“, grummelte der Sauhund leise, während er sich mühsam aufrappelte. Er tat so, als würde er sich die Schuhe zubinden. In Wirklichkeit riss er ein handtellergroßes Stück Moos samt Erde aus dem Boden und schleuderte es auf die Kugel. Erst tat sich nichts. Dann aber begann sie zu vibrieren. Sie plusterte sich auf, nahm an Umfang zu, rollte hin und her und blieb zu guter Letzt zwischen zwei Baumstämmen hängen. Aus ihrem Inneren hörte er erschrockenes Geschrei. Noch einmal griff sich der Sauhund ein großes Stück Moos und warf es auf die Kugel. Sie erzitterte noch stärker, das Geschrei wurde größer. Dann gab es einen lauten Knall und die Kugel zerplatzte wie eine Seifenblase. Während sie sich in Luft auflöste, fielen zwei kleine Gestalten heraus. Sie purzelten übereinander, untereinander, dass keiner von beiden wusste, wo oben oder unten war. Es gab ein heilloses Durcheinander und ein umso lauteres Geplärre.
Der Sauhund sprang zu den Gestalten und schnappte sie sich an den Ohren. „Hab ich euch, ihr Lausebengel! Was fällt euch ein, friedliebende Leute zu verarschen! Man sollte euch den Hintern versohlen!“, schimpfte er. „Was seid ihr eigentlich für welche?“, fragte er, nachdem er sich die Zwei genauer angesehen hatte.
„Wir sind Elfen“, jammerte der eine und verzog schmerzgeplagt das Gesicht.
„Ach, Elfen seid ihr! Dass ich nicht lache. Plagegeister wäre besser ausgedrückt“, palaverte der Sauhund weiter.
Das Gezeter der Elfen war groß, da der er sie partout nicht loslassen wollte. Die Spitzbuben hatten bereits Hasenohren, so sehr zog er an deren Horchgeräten.
„Ja, was ist denn hier los?“, hörte der Sauhund auf einmal eine Stimme hinter sich. Er ließ die kleinen Gauner los, die purzelten erneut wild durcheinander. Zwei zornig blickende Augen sahen den Sauhund an.
„Was tust du mit den Beiden? Schämst du dich nicht, so kleinen und zarten Wesen Leid zuzufügen?“, wurde er von der feingliedrigen Elfe gefragt, die er nur vom Sehen her kannte. Sie lebte in ihrem Häuschen am anderen Ende des Zauberwaldes. Nur selten bekam er sie zu Gesicht. Empört stemmte sie ihre kleinen Fäuste in die Seiten und schaute ihn böse an. Eben wollte sie den leidgeplagten Sauhund weiter beschimpfen, da schnitt er ihr das Wort ab.
„Gehören die zu dir? Eine Saubande ist das!“, schimpfte der Sauhund zornig und erzählte, was vorgefallen war.
„Ist das wahr?“, fragte die Elfe und schaute sich zu den Angeklagten um. Die nickten nur mit dem Kopf. Mehr mussten sie nicht sagen. Unter den empörten Blicken der Elfe wurden die beiden Bösewichte immer kleiner und wollten mit flinken Füßen verschwinden. „Merowin, Arowin! Hat euch jemand erlaubt, euch zu entfernen!“, fuhr die Elfe die Zwei an. „Was fällt euch eigentlich ein, freundliche Waldbewohner zu belästigen und zu foppen? Ihr solltet euch schämen! Eure Mutter hat euch wohl kein Benehmen beigebracht?“
Die kleinen Stinkstiefel standen da, als hätten sie sich in die Hosen gemacht. Kein Wort der Verteidigung kam über ihre Lippen. Verlegen tuend kratzten sie mit ihren Schuhspitzen über den Boden.
„Sofort ab nach Hause mit euch. Wir sprechen uns noch. Und wagt es ja nicht, Umwege zu machen”, befahl ihnen die Elfe streng. Mit hängenden Köpfen und wie bedröppelt schlichen sie sich von dannen. Sie wussten bereits, welches Donnerwetter sie zu Hause erwartete. Es würde riesig sein.
„Entschuldige, mein Lieber“, wandte sich die Elfe später an den verärgerten Sauhund, als die beiden außer Hörweite waren. „Die beiden Kinder meiner Schwester sind seit einigen Wochen zur Erziehung und zum Erlernen des Elfenzaubers bei mir. Anstatt zu lernen und brav meinen Anweisungen zu folgen, machen sie nur Blödsinn. Seit sie den Unsichtbarkeits- und Täuschungszauber erlernt haben, ist es besonders schlimm geworden. Sie treiben nur noch bösen Unsinn mit den Waldbewohnern. Beinahe täglich kommen neue Klagen. Du bist nicht der erste, der von ihnen malträtiert wurde. Ich weiß schon gar nicht mehr, was ich noch mit ihnen machen soll. Am liebsten würde ich sie zu ihrer Mutter zurückschicken.“ Sie zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich will meine Schwester aber nicht enttäuschen. Doch mir ständig von ihren Gören auf der Nase herumtanzen lassen, will ich auch nicht. Hast du nicht einen Rat für mich?”
Die Elfe klagte und klagte, dass dem Sauhund die Ohren klingelten. Aber dann grinste er schelmisch und meinte: „Keine Sorge. Da fällt mir schon was ein. Die werden sich umgucken. Den Schabernack werden wir ihnen austreiben.“
„Was hast du vor?“, fragte die Elfe, neugierig geworden.
„Warte ab. Gehab dich wohl. Du hörst von mir“, sagte der Sauhund nur noch und verließ den Ort des Geschehens.
© Salika von Wolfshausen / 08.05.2019