Mein Sauhund, dieser Filou, ließ sich ewig lang bitten, mir weiter zu erzählen, was er am Hofe von Queen Victoria erlebt hatte. Ich weiß nicht, warum er das tat. Aber irgendwie hatte ich so eine Vorahnung, dass da einiges nicht mit rechten Dingen vor sich ging. Oder besser gesagt, er mir etwas verschweigen wollte. Warum auch immer. Er weiß, es war lange Zeit vor mir und ging mir eigentlich auch nichts an. Eifersüchtig war ich nie und werde es auch nie sein, jedenfalls nicht auf Frauen, die lange vor mir existierten und mir nichts mehr antun konnten.
Eines Abends… es waren bestimmt zwei Wochen vergangen, hielt ich es nicht mehr aus. Wir saßen am Abendbrottisch. Ich hatte gekocht, Sauhunds Lieblingsessen natürlich, um ihn gnädiger zu stimmen. Bei einem deftigen Rindersteak ließ er sich meist überreden.
Wir saßen also beim Abendbrot, jeder vor sich einen Teller mit einem riesigen Steak, medium, genau auf den Punkt gebraten und leicht blutig, dazu Ofenkartoffel mit Sauerrahm und Salat. Als Nachtisch gab es Schokoladenpudding mit einem Schuss Eierlikör drüber. Natürlich durfte auch Rioja, ein spanischer Rotwein nicht fehlen. Den mochte mein Sauhund am liebsten.
„Sag mal“, begann ich, nachdem ich einen Bissen vom Steak genüsslich verspeist hatte. „Wann möchtest du mir eigentlich mal weiter erzählen, was noch bei Queen Victoria vorgefallen ist?“ Normalerweise ging ich etwas forscher vor, wenn ich etwas erreichen wollte. Doch ich wusste, damit käme ich heute nicht weiter. Mein geliebter Sauhund würde nur die Schotten dicht machen und mich weiterhin auf dem Trockenen sitzen lassen. Wie er es bereits seit zwei Wochen tat, als er plötzlich seiner Erzählung ein Ende setzte und mich ins Bett zitierte.
„Was meinst du?“, fragte der Sauhund so, als würde er von nichts wissen. Das kannte ich schon und ging darauf ein.
„Du hast mir doch letztens erzählt, wie du an den Hof gekommen bist, aber nicht, was du dort erlebt hast.“
„Ach, hab ich das?“, erwiderte mein Geliebter.
„Ja, hast du…“
„Ach ja…“, er schien zu überlegen. „Und was habe ich dir da erzählt?“
„Als würdest du das nicht wissen“, erklärte ich ihm schmunzelnd. Ich wusste, worauf er aus war. Er wollte mich herausfordern. Na gut, wenn er es so will, bekommt er es. „Na ja“, sagte ich dann. „Da war noch die Zofe von Victoria, die Köchin Margareth, und natürlich die Queen höchstselbst und ihr Albert. Da muss doch was passiert sein, das erzählenswert ist.“ Ich sah ihn lächelnd an.
„Das meinst du“, sagte mein Sauhund und steckte sich ein weiteres Stück seines Steaks in den Mund. Mit einem Schluck Wein spülte er es hinunter.
Ich wollte mich schon echauffieren, besann mich aber lieber. Ruhig bleiben, Salika… ruhig.
Der Sauhund kannte mich gut genug, um meine Emotionen zu erkennen. Er grinste über alle Backen. „Ich soll also weiter erzählen?“
Nun grinste ich ihn an. „Na also“, dachte ich und nickte zustimmend.
„Was willst du denn wissen?“, ging er auf mein Geplänkel ein.
„Alles!“, platzte ich heraus.
„Aha!“, kam dazu trocken wie Heu.
„Natürlich alles! Immerhin will ich wissen, was für ein Filou du schon immer warst!“, echauffierte ich mich nun doch.
„Als würdest du das nicht längst wissen“, meinte mein Sauhund lachend, dass der Tisch wackelte.
„Ach du“, jammerte ich. „Wieder einmal kein Erbarmen mit mir und ich sterbe vor Neugierde. Du weißt doch, dass mich das alles interessiert.“
„Natürlich weiß ich das, meine geliebte Lustspalte“, entgegnete mein Sauhund und lachte erneut. „Aber ich will mal nicht so sein und dir von meinem Erlebnis mit Victorias Zofe Charlotta erzählen.“
„Die Zofe also, so so… und Charlotta hieß sie, dass du dich da noch daran erinnerst“, murmelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart. Wusste ich es doch, dass damit noch etwas kommen würde. Aber ich enthielt mich lieber der Stimme. „Dann fang mal an“, sagte ich stattdessen. „Ich bin ganz Ohr.“
„Also, das war so…“, begann mein Sauhund endlich…
Ich war etwa drei Wochen am Hof und machte meine Arbeit so gut es ging. Natürlich war es nicht einfach, Tag für Tag noch lange vor dem Morgengrauen aus den Federn zu müssen und mit der Arbeit zu beginnen. Doch dafür hatte ich etwa ab Mittag frei und konnte tun und lassen was ich wollte. Wenn, ja, wenn es niemanden einfiel, mich rufen zu lassen, wenn das Holz für einen der unendlich vielen Kamine im Palast zur Neige ging.
Morgens arbeitete ich nach einiger Zeit viel lieber. Schon nach ein paar Tagen hatte ich mich daran gewöhnt. Ich genoss die Stille im Palast. Niemand begegnete mir, wenn ich schwer beladen durch die Gänge schritt und Zimmer für Zimmer heimsuchte. Die Wachen, die in regelmäßigen Abständen herumstanden, beachteten mich nicht einmal mehr. Sie ließen mich passieren, ohne mich aufzuhalten. Natürlich musste ich mir anfangs noch so einige Späße gefallen lassen, vor allem wegen meinem Aussehen. Inzwischen aber hatten sich die Wachen an meinen eigenartigen Anblick gewöhnt. Die anderen bemerkten mich meist erst gar nicht, da sie oft noch schliefen, wenn ich in die Gemächer der höheren Gesellschaft kam. Üblicherweise waren in den frühen Morgenstunden nur die Mägde in den Zimmern dabei, aufzuräumen oder die Kleidung für die Herrschaften herzurichten.
Einmal konnte ich sogar Queen Victoria beim Schlafen beobachten. Damals war sie, wie ich bereits sagte, noch jung. Wie ein Engel lag sie in ihrem Bett, neben sich Albert, der sie im Arm hielt und auch noch schlief. Sie sahen so normal aus, als wären sie keine Majestäten. Durch eine offene Tür sah ich die Kinderbetten des kleinen Prinzen und der Prinzessin. Eine Frau schlief auf einer einfachen Matte zu Füßen der Kinder.
Doch nichts war schöner, als im Gemach der Zofe Charlotta meine Arbeit zu verrichten. Sie hatte nur einen einzigen Raum für sich. Nicht wie Victoria, die eine unendlich scheinende Anzahl an Kabinetten bewohnte, deren Kamine ich natürlich auch mit Holz bestücken musste. Für was eine einzelne Frau so viel Platz benötigte, entzog sich meiner Erkenntnis. Aber sie war halt die Königin und somit wohl dafür berechtigt.
Das riesige Bett der Zofe stand mitten in ihrem Wohnraum, mit einem Himmel darüber, wie ich ihn noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Neben einem der Fenster stand ein zierlicher Sekretär, mit einem noch zierlicheren Stuhl davor. Auf der anderen Seite konnte ich ein Chaiselongue entdecken, mit einem kleinen Tisch und ein paar Sesseln davor. Doch das interessierte mich nur wenig. Die schlafende Frau im Bett zog mich sehr viel mehr an. Wenn ich sie erblickte, schlug mein Herz so schnell, dass ich dachte, es springt aus meiner Brust. Nur schwer widerstand ich der Versuchung, mich zu der Frau zu legen und zu liebkosen. Daher verrichtete ich so leise wie möglich meine Arbeit, um die Schlafende nicht zu wecken. War ich damit fertig, schlich ich hinaus, ohne mich nochmals am Anblick der Schönen zu ergötzen.
Da ich herausgefunden hatte, dass die Zofe und auch die Queen gerne länger schliefen, verlegte ich die Arbeiten in deren Zimmer so, dass ich sie zuletzt ausführen konnte, und zwar kurz bevor sie dabei waren, ihr Tagwerk zu beginnen. Nicht auszudenken, wenn ich die Queen zu zeitig am Morgen aus dem Schlaf reißen würde. Sie womöglich noch bei Dingen ertappen würde, die sich nicht ziemten, dass fremde Augen sie zu Gesicht bekamen.
Obwohl, es interessierte mich eher weniger, die Queen bei gewissen Dingen zu beobachten. Viel eher interessierte es mich, die Zofe dabei zu beobachten. Doch sie war unbemannt und wie es damals üblich war, lebten unbemannte Damen keusch. Ja, die Queen verlangte es sogar, dass ihre Zofen absolut keusch waren. Ich verstand das nicht, die Liebe war so etwas Schönes, dass es jeder tun sollte, dem es danach verlangte.
„Es war damals ja auch eine andere Zeit, nicht so offen, wie wir heutzutage“, unterbrach ich meinen Sauhund.
„Du hast Recht“, stimmte er mir zu. „Obwohl es in der heutigen Zeit auch sehr prüde Menschen geben soll.“
„Mir ist da noch keiner begegnet“, erwiderte ich. „Aber will ich dich mal lieber nicht davon abhalten, mir deine Geschichte mit der Zofe zu erzählen.
Der Sauhund ließ sich nicht lumpen und fuhr fort:
Eines Tages war das Glück mir hold. Die schöne Zofe war bereits wach, als ich das Kaminholz brachte. In einem Nachtgewand, das eigentlich gar nicht als solches zu bezeichnen war, stand sie am offenen Fenster und schaute hinaus in den Garten. Eine leichte Brise wehte herein und brachte das Nachtkleid dazu, sich an den Körper der Frau zu schmiegen wie eine zweite Haut. Mir wurde heiß und kalt, beruhigte mich aber schnell. Immerhin war ich hier, um das Kaminfeuer neu zu entfachen und nicht, um keusche und wohlerzogene Damen beim Hinausschauen aus dem Fenster zu beobachten. Allerdings schwenkte mein Blick immer wieder hinüber zum Fenster.
Nebel versperrte die Sicht in die Ferne. Ich meinte, die Zofe beachtete dies nicht einmal. Den Blick starr gerade aus, schaute sie hinaus, als wäre der Nebel die schönste Aussicht des Tages. Sie schien nachzudenken und mein Eintreten nicht bemerkt zu haben.
Leise verrichtete ich meine Arbeit, um die Dame nicht zu stören. Dabei schielte ich verhalten zum Fenster. Durch das schal eintretende Licht wirkte sie in ihrem Nachthemd wie eine Fee. Der Saum des Hemdes berührte den Boden, dass es aussah, als hätte sie keine Füße und würde schweben. Der Anblick war atemberaubend.
Ich spürte, wie sich bei mir etwas regte, was ich äußerst peinlich fand. Was, wenn sie mich bemerkte und damit die Rebellion in meiner Hose. Es ziemte sich nicht, im Beisein einer Dame eine Erektion zu bekommen. Doch was sollte ich machen? Ich konnte nichts dafür, dass Meiner Einer sich so aufmüpfig benahm und tat, was er wollte.
Als ich mit meiner Arbeit fertig war, wollte ich mich entfernen. Gerade wollte ich die Tür öffnen, um hinauszuschlüpfen, drehte sich die wunderschöne Frau um und erblickte mich.
„Oh, wer bist du denn?“, fragte sie erstaunt.
„Ähm, ja…“, begann ich zu stottern. Dabei versuchte ich, mein Korpus Delikti diskret zu verdecken.
„Ja… du bist wer?“, fragte die Zofe noch einmal und musterte mich von oben bis unten.
„Ich bin der Sauhund“, bekam ich nun doch einigermaßen gesittet ein Wort heraus.
„Der Sauhund also…“, sagte sie darauf. „Und was tust du hier? Ich habe dich noch nicht im Palast gesehen.“
„Ich bin der neue Holzknecht, ich bin jeden Morgen hier, bringe frisches Holz und entfache den Kamin“, stellte ich mich vor. Ich wurde mutiger. „Ihr habt mich bereits gesehen.“
„Ach ja… Ich erinnere mich gar nicht an dich.“
„Schade“, tat ich ein wenig beleidigt.
„Wann soll das gewesen sein?“
„Am Tag, als ich hier ankam. Ihr habt mir die kleine Seitenpforte geöffnet, als ich hineinwollte“, erklärte ich.
Sie kam näher. Ich versuchte, mich aus ihrem Bann zu entziehen, doch es gelang mir nicht. Wie die Schlange das Kaninchen, starrte sie mich an. Ich errötete sogar, was sonst gar nicht so war bei mir. Die Frau machte mich verrückt, wie lange schon keine mehr. Meiner Einer wurde noch aufmüpfiger, dass ich ihn nun gar nicht mehr bändigen konnte. Doch ich musste. Eine Zofe der Queen zu belästigen, war ein Fauxpas, den ich mir in meiner Stellung nicht leisten konnte.
„Ich bin Charlotta, entschuldige bitte, dass ich meinen Namen noch nicht genannt habe“, sagte das feenähnliche Wesen zu mir und kam noch näher an mich heran.
Am liebsten wollte ich im Erdboden versinken. Doch der hatte kein Erbarmen mit mir, er öffnete sich nicht, damit ich auf Nimmerwiedersehen verschwinden konnte. Doch wollte ich das wirklich?
„Meinen Namen wisst Ihr ja bereits“, stotterte ich schon wieder.
„Ich weiß, Sauhund“, flötete Charlotta. Sie schien meine Bredouille gar nicht zu bemerken, oder wollte sie es auch nicht. „Du bist also der neue Holzknecht. Da hast du bestimmt viele Muskeln. Ich stelle mir vor, bei solch einer Arbeit, benötigt ein Mann sehr viel Kraft.“
„Naja, es geht so…“, versuchte ich abzulenken.
„Oh doch, ich spüre es. Du hast sehr viel Kraft.“ Während sie diese Worte aussprach, fuhr sie mit ihren Fingern an meinen Bizeps hoch und runter. Nicht einmal meinen Brustkorb verschonte sie. Mir wurde erneut heiß und kalt, mein Blut pulste bei den Berührungen heiß in meinen Adern.
„Das solltet Ihr nicht tun“, versuchte ich mich zu entziehen.
„So“, sagte sie nur und rückte mir noch näher auf die Pelle. Da ich bereits mit dem Rücken an der Tür stand, hatte ich keine Möglichkeit mehr, mich zu entziehen. Ich spürte ihren Atem in meinem Gesicht.
„Ihr solltet das nicht tun“, versuchte ich erneut mein Glück, ihr zu entkommen.
„Magst du keine Frauen?“, tat sie etwas beleidigt.
„Doch… Ihr seid sehr schön und bewundernswert, aber die Zofe der Queen…“
„Papperlapapp…“, wehrte sie ein. „Ich bin auch nur eine Frau, der beim Anblick eines starken Mannes heiß wird.“
Dazu wusste ich erst einmal gar nichts mehr zu sagen. Gingen meine Wünsche gerade eben in Erfüllung? Jedoch waren da immer noch meine Bedenken. Ich konnte doch nicht…
„Das gibt es doch nicht“, unterbrach ich meinen Sauhund bereits zum zweiten Mal. „Du und Bedenken. Das ist mir ganz was Neues.“
„Du wirst es kaum glauben“, erwiderte der Sauhund. „Bei keiner anderen Frau hatte ich solche Bedenken wie bei der Zofe der Queen. Ich habe sogar mit Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst, der späteren Katharina der Großen von Russland, ohne Skrupel herumgemacht und sie mit meiner Schnüffelschnauze beglückt. Aber bei der Zofe war etwas, was mich davon abhalten wollte.“
„Warum eigentlich?“, fragte ich. „So kenne ich dich gar nicht.“
„Ich weiß auch nicht, meine Lustspalte“, antwortete der Sauhund. „Vielleicht war es, weil ich so unendlich verliebt war in Charlotta, dass ich sie nicht entehren wollte.“
„Du warst was?!“, schrie ich fast.
„Du hast richtig gehört, ich war verliebt in Charlotta und hätte sie sofort von der Stelle weg geheiratet. Aber das ging natürlich nicht. Sie war eine Adelige, ihr Vater sogar Mitglied des Oberhauses und ich nur einfacher Knecht. Der Standesunterschied war zu groß.“
„Ich glaub es kaum“, sagte ich erschüttert. „So verliebt wie in mich?“
„Ja, so wie in dich…“, gab er zu. „Aber jetzt lass mir noch das Ende erzählen, ehe ich es mir nicht mehr wage.“
„Nein, das geht auf keinen Fall“, schoss es mir in den Kopf. „Ich kann nicht mit ihr, nicht mit ihr…“ Ich wollte mich erneut entziehen, so schnell es ging fliehen. Nur wohin? Ich wusste, jeden Morgen musste ich wieder an meine Arbeit gehen, auch in Charlottas Gemach. Ich konnte ihr nicht ausweichen. Sollte ich meine Bedenken einfach so wegwerfen? Ich mochte sie, sehr sogar. Aber da war noch mein Trieb, den ich befriedigen musste. Egal, bei welchem Weib, halt nur nicht bei Charlotta. Sollte ich ihr meine Liebe gestehen? Nein, widersprach ich sogleich diesen abstrusen Gedanken. Sie war eine Adelige, eine Zofe der Queen. Das konnte ich auf keinen Fall tun. Ich würde sie entehren.
„Was hast du?“, fragte Charlotta traurig. Sie ahnte nicht, wie es um mich stand. Konnte sie auch nicht, ich hatte mich ihr nicht offenbart.
„Es hat nichts mit Euch zu tun“, erwiderte ich. „Oder doch… ach, ich weiß es doch auch nicht.“ Ich war dabei, fast zu weinen.
„Aber was hast du denn?“, mitleidig sah sie mich an. Sie blickte an mir herunter. Meiner Einer hatte sich inzwischen in eine dunkle Ecke meiner Hose verkrümelt. „Kannst du womöglich nicht?“ Noch mehr Mitleid war zu erkennen.
„Oh, doch…“, wehrte ich ab. „Keine meiner bisherigen Damen musste sich beschweren“, wurde ich etwas mutiger, obwohl ich wusste, es wäre der falsche Weg. Keinesfalls konnte ich erzählen, was die Hexe mir damals angezaubert hatte. Sie käme womöglich auf dumme Ideen und ich in Teufels Küche.
„Was dann?“, drängte Charlotta weiter.
Ich schwieg. Erst musste ich nachdenken, um sie nicht zu erzürnen.
„Na…“, drängte Charlotta erneut.
„Es ist so“, stotterte ich schon wieder. Ich hasste es, vor Aufregung zu stottern, als wäre ich ein Depp.
„Mein Gott, nun sag endlich!“, brauste Charlotta auf. Sie war wohl mit ihrer Geduld am Ende. Doch in ihrer Wut war sie so wunderschön, dass ich sie am liebsten in meine Arme gezogen und geküsst hätte.
„Ich habe mich in Euch verliebt“, platzte ich mit der Wahrheit heraus.
Charlotta starrte mich an, ihr blieben die Worte im Halse stecken. „Du bist was?“, fragte sie noch einmal, immer noch ganz erstaunt über mein Geständnis.
„Ich habe mich in Euch verliebt und möchte Euch daher nicht entehren“, bekannte ich erneut. „Jeder anderen Frau hätte ich sofort gehorcht und ihr die schönsten Wonnen verschafft. Aber bei Euch kann ich es nicht, ich liebe Euch zu sehr, als Euch eventuell durch mein unbedachtes Tun in Schwierigkeiten zu bringen. Nicht auszudenken, die Queen erführe von unserem Fehltritt.“
„Ich glaube es nicht“, stotterte nun Charlotta. „Ich träume wohl. Kneif mich mal.“ Sie schwankte, als würde sie sogleich ohnmächtig werden. Ihr Busen hob und senkte sich unnatürlich schnell unter ihrem dünnen Nachthemd.
Wäre ich jetzt frech, würde ich sie anstarren. Doch ich tat es nicht. Verlegen senkte ich meinen Blick, um noch im selben Moment auf Charlotta zuzuspringen und sie aufzufangen, ehe sie auf dem Boden aufschlagen konnte. Sie hatte die Besinnung verloren und hing nun schlaff in meinen Armen.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. So trug ich sie zu ihrem Bett und legte sie vorsichtig darauf ab. Sie war blass wie das Leinentuch, das ich über sie deckte, um ihre bloßen Beine vor unzüchtigen Blicken zu schützen. Was sollte ich nur tun? Ich konnte sie nicht so ohnmächtig hier liegen lassen.
Aufgeregt rannte ich zur Tür, riss sie auf und stürzte hinaus. „Zu Hilfe, zu Hilfe“, schrie ich auf dem Flur. Eine der Wachen rannte herbei. „Schnell, Lady Charlotta lag ohnmächtig in ihrem Gemach“, rief ich der Wache entgegen. „Rufe nach Hilfe, ich weiß nicht, was ich tun soll.“
Der Bedienstete rannte los. Währenddessen öffneten sich die Türen entlang des Flurs und die Bewohner, die meine Rufe vernommen hatten, strömten herbei. Aufgeregtes Geplärre begann, doch niemand half mir in meiner Not. Bis eine herrische Stimme erklang.
„Was ist das hier für ein fürchterlicher Lärm?“, hörte ich Queen Victoria fragen, die mit einem Morgenmantel über ihrem Nachtkleid auf die Menge zugeeilt kam.
„Eure Majestät! Hoheit!“, ehrfurchtsvolles Gemurmel kam von einigen Anwesenden, die Damen machten einen tiefen Hofknicks, die Gentleman verbeugten sich, dass ihre Nasen beinahe den Boden berührten.
„Also! Was ist hier los?“, wollte die Queen nochmals wissen.
„Der da…“, hörte ich eine unbekannte Stimme, „rief um Hilfe. Eine Wache rannte eilig davon, wer weiß, warum.“
„Wer ist Er?“ Die Queen kam auf mich zu und musterte mich. Mir wurde ganz flau im Magen, ich schaffte es eben noch, mich ohne umzufallen zu verbeugen.
„Ich bin der Holzknecht“, presste ich hervor. „Ich war eben im Zimmer Eurer Zofe, Eure Majestät und…“, ich stockte kurz.
„Und…“, Ihre Majestät wurde ungeduldig.
„Ich fand Eure Zofe ohnmächtig auf dem Boden liegend vor, Hoheit“, erwiderte ich. „Ich rief sofort um Hilfe.“
„Hat Er sie unsittlich berührt?“, echauffierte sich die Queen.
„Unsittlich berührt? Aber Eure Majestät! Ich musste Eure Zofe berühren, um sie zu ihren Bett zu tragen. Aber nicht unsittlich berührt, niemals“, bekannte ich. „Ich konnte sie unmöglich auf dem Boden liegend lassen.“
„Schon gut, schon gut“, wehrte Victoria ab und rauschte ins Gemach ihrer Lieblingszofe. Die kam langsam zu Sinnen, war aber immer noch ein wenig benommen.
„Rufe Er den Arzt!“, befahl Queen Victoria einer Wache, die sich sofort entfernte, um dem Befehl Folge zu leisten. Die erste Wache, die ich um Hilfe gebeten hatte, war aus unerfindlichen Gründen immer noch nicht mit dem Doktor aufgetaucht.
„Meine Liebe, was ist Euch? Ist Euch nicht wohl?“, fragte Victoria besorgt.
„Ich weiß nicht, Eure Majestät. Mir wurde plötzlich schwarz vor Augen und ich fiel. An mehr erinnere ich mich nicht“, erwiderte Charlotta.
„Hat Er Euch belästigt?“, fragte Victoria und zeigte auf mich. Ich wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken, wie konnte sie nur so etwas behaupten?
„Oh nein…“, wehrte Charlotta ab.
„Eure Majestät“, mischte ich mich ein. „Ich beschwöre Euch. Ich habe einen einwandfreien Leumund. Niemals würde ich mich wagen, eine Eurer Damen zu belästigen. Bitte glaubt mir. Ich fand Eure Zofe hier und wollte nur helfen.“
Dass mein Ruf nicht gerade der Beste war, verschwieg ich lieber. In sehr expliziten Gegenden Londons war ich bekannt wie ein bunter Hund, den Damen, die sich eigentlich nicht so nennen sollten, ein begnadeter Liebhaber zu sein. Doch hier bei Charlotta, meiner heimlichen Geliebten, war ich keinesfalls ein Liebhaber. Ich liebte sie, ja, das tat ich von ganzen Herzen. Aber nie, niemals würde ich etwas tun, was sie in Verruf bringen könnte. Ich war zwar kein adeliger Gentleman, wusste mich aber trotzdem einer Dame gegenüber zu benehmen.
„Ist schon gut, schon gut. Ich glaube dir“, sagte Victoria, nachdem sie mich mit strengem Blick betrachtet hatte. „Er kann gehen“, meinte sie dann wie nebenbei, als wäre ich Luft. Der Arzt war eben eingetroffen und bahnte sich einen Weg durch die Gaffenden. „Beiseite, so geht doch beiseite“, machte er sich lautstark bemerkbar und ich machte mich lieber davon, ehe es der Queen nochmal einfiel, ich könne an der plötzlichen Ohnmacht ihrer Lieblingszofe Schuld sein und daher weitere unangenehme Fragen gestellt bekommen.
„Das ist ja eine Geschichte“, sagte ich, immer noch ganz baff, als mein Sauhund geendet hatte.
„Allerdings, das war schon harter Tobak für mich“, erwiderte mein Geliebter und sah mich an. „Du bist hoffentlich nicht eifersüchtig?“, fragte er ängstlich.
„Wie sollte ich!“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Außerdem war es nicht das erste Mal, dass du dich vor mir verliebt hattest. Die Frauen sind alle schon viele Jahre, wenn nicht sogar Jahrhunderte, tot. Jetzt bin ich deine Geliebte und ich weiß, dass ich jetzt deine Favoritin bin.“
Der Sauhund sah über den Tisch hinweg und lächelte. „Du erinnerst dich an Suleika, die Sklavin aus Istanbul?“ Sein Blick wurde leicht glasig, mir schien sogar, als würden Tränen darin schimmern. Ich konnte mich aber auch irren.
„Natürlich, mein Geliebter. Ich erinnere mich an jede deiner Erzählungen. Sie sind dein Leben, zu dem ich nun auch gehöre. Vielleicht erinnert sich nach mir, auch eine deiner mir folgenden Frauen an mich, wenn du ihnen von mir erzählst.“
„Hast du Charlotte eigentlich wiedergesehen?“, wollte ich dann noch wissen.
„Nur einmal ganz kurz, da war sie in Begleitung der Queen“, erklärte mein Sauhund.
„Und weiter?“
„Ein paar Wochen später hieß es, die Queen hätte sie mit irgendeinem Earl verheiratet und Charlotta wäre ihm in sein Haus gefolgt, was ja auch normal ist, wenn man vermählt ist. Seitdem habe ich nie wieder etwas von ihr gehört.“
„Schade eigentlich, vielleicht wäre trotzdem etwas aus euch geworden, wenn sie nicht hätte heiraten müssen“, sagte ich.
„Ach was, das wäre nie etwas geworden“, erklärte mein Sauhund. „Charlotta war die Tochter irgendeines hochgestellten Herrn aus der Regierung. Sie hätte mich nie geheiratet, auch aus Liebe nicht. Und ich…“, er überlegte kurz, „es war bei mir wohl nur ein Strohfeuer. Ob es richtig Liebe gewesen ist, die ich ihr gegenüber empfand, das kann ich nach so vielen Jahren nicht mehr sagen. Man wird halt vergesslich.“ Er feixte schräg. „Mich hat es wohl nur abgeschreckt, eine von Queen Victorias Bediensteten zu besteigen, nachdem ich gehört hatte, was sie mit denen tut, die dabei ertappt werden.“
„Was geschah mit solchen Leuten?“, wollte ich wissen.
„Ob es Wahrheit ist, weiß ich nicht“, erklärte er. „Mir kam zu Ohren, die wurden vom Hofe verbannt und in die entferntesten Winkel des Königreiches geschickt, von wo sie nie wiederkehren durften.“
„Das ist schon eine harte Strafe, nur, weil man Spaß haben wollte“, antwortete ich.
„Allerdings…“, mein Sauhund sah mich an. „Apropos Spaß, meine geliebte Lustspalte. Mich dürstet es nach etwas Spaß… mit dir.“
Ich grinste und stand auf. „Na dann komm“, antworte ich, „haben wir ein wenig Spaß miteinander.“
© Salika von Wolfshausen / 13.03.2024