Ich wunderte ich doch schon ein wenig, wie einfach es war, meinen Sauhund zu überreden, mir mehr über Victoria und Albert zu berichten. Und deswegen hatte ich mir wochenlang den Kopf zerbrochen. Sogar den Zorn des Sauhunds hatte ich mir aufgrund meines Verhaltens zugezogen. Eigentlich wegen nichts. Ich hätte ihn nur fragen müssen.
Doch in meinem Wahn stellte ich mir Dinge vor, die es in Wirklichkeit gar nicht gab. Nun gut, aus Schaden wird man klug und wer den Schaden hat, brauchte für den Spott nicht zu sorgen. Spötteln konnte mein geliebter Sauhund nämlich nur zu gut. Dem frönte er den ganzen Nachmittag mit ganzen Herzen. Und ich hatte zu leiden. Selber schuld.
Zum Glück zürnte mir der Sauhund nicht mehr. Eigenartigerweise verstand er mich sogar. Nicht nur einmal musste ich erleben, dass er explodierte wie eine Bombe, wenn ich ihn zu etwas drängen wollte. Aber nun war ich froh, mich ihm endlich geöffnet zu haben. Der Druck war weg und ich erleichtert. Jetzt musste ich ihm nur noch vertrauen, mir seine Geschichte zu erzählen. Das „hoffentlich bald“ versuchte ich rigoros aus meinem Kopf zu verbannen. Ihr wisst ja, meine Geduld ist nicht die Beste.
Zum Glück wurde sie nicht allzu lange auf die Probe gestellt. Nach dem Abendessen wollte ich wie immer den Fernseher anstellen. Doch meine Schnüffelschnauze hielt mich davon ab. „Heute nicht“, sagte er zu mir.
Fragend blickte ich ihn an.
„Ich habe noch ein Versprechen einzulösen“, meinte er zu mir. „Setz dich schon mal. Ich hole noch schnell eine Flasche Wein aus dem Keller. Mit trockenem Hals spricht es sich schlecht.“ Kurze Zeit später kam er mit dem Wein und zwei Gläsern zurück. Inzwischen hatte ich seine Lieblingsknabbereien bereitgestellt und eine Kerze angezündet. Ich wollte noch eine etwas intimere Atmosphäre schaffen. Es fiel ihm dabei leichter, sich zu öffnen, wusste ich nur zu gut.
Der Wein funkelte in den Gläsern, als wir anstießen und jeder einen Schluck nahmen. Süffig rann die dunkelrote Flüssigkeit meinen Hals herunter. Genüsslich verdrehte ich die Augen. „Eine gute Wahl“, sagte ich dazu.
Wir saßen nebeneinander auf dem Sofa. Ich spürte die Spannung des Sauhunds, sagte aber nichts. Er brauchte scheinbar noch etwas Zeit.
„Leicht fällt es mir nicht“, begann er das Gespräch.
Ich schaute ihn an. Fragezeichen blitzten in meinen Augen.
„Was ich gesehen habe, ist eigentlich nicht dazu gedacht, an Außenstehende weitergetratscht zu werden“, sagte der Sauhund. „Es ist zu heikel, vor allem auch, da ich nicht direkt dabei war, sondern nur ein heimlicher Beobachter. Also wirst du von mir keinerlei Details hören.“
„Aber das ist doch nun schon so lange her“, warf ich ein.
„Da hast du Recht. So wie ich mich erinnere, etwa 170 Jahre. Victoria und Albert waren sehr jung und noch nicht lange ein Ehepaar.“
„Na siehst du. Wer sollte sich da noch an dem Geschehen mokieren. Es ist ewig lange her, die Beteiligten weilen nicht mehr unter uns. Und was geschehen ist, ist nun mal geschehen. Es lässt sich weder rückgängig machen, noch ändern.“
„Richtig, meine Samtspalte“, meinte der Sauhund, holte noch einmal tief Luft und sagte: „Also hör gut zu.“
Die junge Victoria war schon ein sehr ansehnliches Wesen. Obwohl sie nur 1,50 Meter groß war, wusste sie, wo der Hase langlief, und sie ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Seit 1837 war sie Königin von England und seit 1840 mit ihrem Albert verheiratet. Sie wurde jung Königin. Gerade mal achtzehn Jahre zählte sie, als sie den Thron bestieg und das als Mädchen beziehungsweise Frau. In der Geschichte Englands gab es in der Vergangenheit nur eine einzige Königin. Das war, wie viele wohl wissen, Elisabeth I., die letzte Tudorkönigin.
Mein Sauhund grinste etwas anzüglich, als er Elisabeth I. ins Gespräch brachte.
„Hast du mir da vielleicht etwas zu beichten?“, fragte ich, aufmerksam geworden.
Er schmunzelte. „Kann sein.“
Mir schwante Schlimmes.
„Nun halte deinen Mund und höre mir zu“, befahl mir mein Geliebter.
Auf meinen Rundgängen durch den Palast kam ich viel herum. Und es ergab sich, dass ich den einen oder anderen kennenlernte. Einige der Herrschaften zogen es nämlich vor, zeitig aufzustehen und ihrem Tagwerk nachzugehen. Dabei gab es auch welche, die sich nicht schämten, mit einem einfachen Holzknecht, wie ich einer war, zu plaudern. Dabei erfuhr ich oft das eine oder andere, was eigentlich nicht für meine Ohren bestimmt war. Natürlich behielt ich das für mich. Getratsche im Palast wurde nicht geduldet. Jeder, der dabei erwischt wurde, verlor schneller seinen Posten, als er Ja und Amen sagen konnte.
Die höheren Bediensteten schliefen in einem anderen Trakt. Alleinstehende Männer und Frauen hatten eigene Schlafsäle. Das war für die Menschen billiger, als in der Stadt eine teure Unterkunft bezahlen zu müssen. Außerdem war, wie in vielen Städten, Wohnraum Mangelware und meist überteuert.
Oft kam es vor, dass zehn oder mehr Leute in einem Raum schliefen. Kaum vorstellbar heute. Nur Ehepaare mit Kindern hatten eigene Räume, die sie ohne Entgelt bewohnen durften. Die Zimmer waren oft winzig und ohne jeglichen Komfort. Ein Kamin war schon Luxus. So kannte ich das bisher nur von Versailles bei den Damen und Herren des Adels.
Die Herrschaften hohen Standes bekamen Gemächer in der Nähe der Hoheiten, um auf schnellsten Wege zu ihnen gelangen zu könnten, sollten sie gerufen werden. Genau wie die Zofen Ihrer Majestät, die in einer Gemeinschaftsunterkunft gleich neben dem Schlafgemach der Königin übernachteten.
Die höheren Herrschaften waren nur sporadisch am Hof, dass die von ihnen bewohnten Räume oft leer standen und nur im äußersten Notfall von anderen Personen genutzt wurden. Rief Ihre Majestät sie an den Hof, war es natürlich ganz anders. Da mussten sie erscheinen, ob sie wollten, oder nicht.
Eines Tages hatte ich wieder im Trakt der hohen Herrschaften zu tun. Die meisten Gemächer standen gerade leer. Es hatten sich aber einige Earls angemeldet, um einedas Audienz bei der Königin zu bekommen. Es dauerte oft mehrere Tage oder Wochen, bis Ihre Majestät Zeit dazu hatte. Daher blieben die Earls lieber vor Ort, um den Termin nicht zu verpassen, oder auch um nicht zu spät zu kommen. Die Meisten erledigten während der Wartezeit geschäftliche Dinge, um nicht ganz untätig in London weilen zu müssen. Das Warten am Hof konnte nämlich arg lästig werden. Aber so war es nun mal.
Daher hatte ich die Order bekommen, die Kamine in den Gemächern der Earls mit Holz zu bestücken. Da ich wusste, die Räume standen leer, tat ich dies, nachdem ich meine Arbeit in den bewohnten Zimmer erledigt hatte. Mit meiner Kiepe voller Holz lief ich durch die noch menschenleeren Flure. Es war gespenstisch still. Bald jedoch sollte sich das ändern.
Plötzlich vernahm ich etwas, ganz leise nur, aber für meine sehr empfindlichen Ohren doch wahrnehmbar. Was war das nur? Benötigte jemand Hilfe? War jemand unberechtigt in den Palast eingedrungen?
Ich versuchte, den Ursprung des Geräuschs auf die Schliche zu kommen. So leise wie möglich ging ich weiter. Sollte es doch ein Einbrecher sein, musste ich diesen stellen und seiner gerechten Strafe übergeben.
Das eigenartige Geräusch wurde lauter. Also näherte ich mich diesem.
Endlich erreichte ich den Ursprung. Wieder hörte ich diese befremdenden Töne und traute meinen Ohren kaum. Es war ein Stöhnen, von einer Frau und einem Mann. Meine Neugier war erwacht. Ich sollte kein Sauhund sein, nicht wissen zu wollen, was da hinter verschlossenen Türen vor sich ging. Diese Gelegenheit wollte ich mir keinesfalls entgehen lassen.
Meinen Holzkorb ließ ich Holzkorb sein. Mein Ohr näherte sich dem Türblatt. Das Stöhnen wurde etwas lauter. Als ich mein Horchgerät direkt auf das Holz legte, vernahm ich es noch genauer. Es war wirklich das Stöhnen einer Frau und eines Mannes, die sich wohl miteinander vergnügten.
Plötzlich riss ich vor Erstaunen die Augen auf. Was war das? Hörte ich richtig? Waren da nicht nur zwei Personen zugange? Es hörte sich nach mehr als zwei an.
„Egal“, dachte ich mir. „Ich habe in meinem langen Leben schon genug gesehen. Warum also nicht auch das.“
Ich konnte die Neugier kaum noch bezähmen. So wie es sich anhörte, schienen vier Leute ordentlich Spaß miteinander zu haben. Mir gefiel das Gehörte, meinem Einen natürlich auch, denn der machte sich in meiner Hose mächtig bemerkbar. Trotzdem musste ich mich zusammenreißen. Jeden Moment konnte jemand den Flur entlangkommen und mich beim Spannen ertappen. Dann käme ich in Erklärungsnöte und in Teufels Küche. Die da drinnen natürlich auch. Den Spaß wollte ich ihnen nicht verderben.
Dennoch wollte ich unbedingt wissen, wer sich in diesem Gemach so ungezügelt der Lust hingab. Vorsichtig öffnete ich die Tür und schlüpfte hindurch. Wie es damals üblich war, versperrte ein dicker Vorhang die direkte Sicht ins Innere des Gemachs. Der Vorhang war wohl aber auch dafür da, um das Eindringen von kalter Luft aus dem Flur in die geheizten Räume zu verhindern. Das kam mir nun zugute.
Ich verbarg mich hinter dem Behang, wohl darauf bedacht, nicht entdeckt zu werden. Vor Anspannung hielt ich die Luft an. Dann lugte ich vorsichtig in den Raum. Auf dem großen Bett in der Mitte des Raumes frönten, wie ich angenommen hatte, vier nackte Unbekannte dem Liebesspiel. Es roch nach menschlichen Ausdünstungen und deren Körpersäften. Eine Frau schien gerade einen Höhepunkt zu haben. Ihr Stöhnen wurde lauter und endete mit einem schrillen Schrei. Der Mann zwischen ihren weit gespreizten Schenkeln hab sein Bestes, sie über die Klippe zu jagen.
Ich riss die Augen auf, als ich den Mann genauer anschaute. Vor Schreck hätte ich beinahe eine Schrei ausgestoßen. Der Mann war doch…
Ich konnte es kaum glauben, es war Albert, der Gemahl der Königin. Aber die Frau unter ihm konnte nicht Victoria sein. Dazu war sie groß und zu flachbusig. Das konnte nicht sein! Betrog Albert womöglich seine Frau.
Wer war dann das zweite Paar? Die Frau kniete inzwischen am Fußende des Bettes, wo der zweite Mann Platz genommen hatte und ihr sein Gemächt entgegenstreckte. Die Frau schaute ihn von unten her an. Sie öffnete den Mund und…
Da erkannte ich sie. Es war Victoria.
Vor Aufregung klopfte mein Herz wie verrückt. So erregend die Szene auch war, so empörte sich mich auch. Wie konnte es sein, dass… ich mochte gar nicht weiterdenken. Doch dann erkannte ich, auch Herrscher waren nur Menschen mit sexuellen Gelüsten, die sie genießen wollten, auch wenn es sich nicht geziemte.
Eines war ich mir aber sicher: Es durfte niemals jemand davon erfahren. Deshalb schwieg ich…
„Bis jetzt“, beendete ich den Satz. „Danke, dass du mir davon erzählt hast, meine geliebte Schnüffelschauze“, sagte ich zu meinem Schatz.
„Irgendwann musste es mal raus“, erwiderte er.
„Hast du jemals herausfinden können, wer die anderen beiden waren?“, fragte ich den Sauhund.
Der schüttelte nur den Kopf. „Ich weiß es bis heute nicht. Sie sind mir nie wieder begegnet, oder ich habe sie nicht erkannt. Ich weiß es nicht.“
„Wie hast du dich damals nach der Entdeckung gefühlt?“, wollte ich dann noch wissen.
„Ich war verwirrt, geschockt, ja sogar empört. Victoria war nach außen hin immer eine so keusche Frau und dann das“, antwortete der Sauhund. „Na gut, ich gebe zu, ich war auch erregt. Man sieht nicht jeden Tag, wie sich vier Leute miteinander vergnügen.“
„Da hast du Recht“, erwiderte ich. „Wie fandest du diese Victoria eigentlich?“, fragte ich dann.
Mein Sauhund überlegte nicht lange. „Sie war ein sehr beeindruckendes Persönchen. Eigentlich konnte sie einem nur leidtun, so viel Last auf ihren Schultern. Als dann 1861 ihr Albert starb, war sie nur noch ein Schatten ihrer selbst. Ich glaube, ihr Tod 1901 nach 63 Jahren Regierungszeit war für sie eine Erlösung. Ich habe die gemocht, geschätzt, manchmal aber auch ein wenig beneidet.“
„63 Jahre, Wahnsinn“, antwortete ich. „Respekt. Nur Elisabeth II. von Windsor regierte länger.“
*Victoria, Königin von England – 24.05.1819 bis 22.01.1901 – Königin von England von 1837 bis 1901
**Elisabeth II. von Windsor – 21.04.1926 bis 08.09.2022 regierte vom 06.02.1952 bis zu ihrem Tod 2022, also 70 Jahre. Sie war 27 Jahre jung, als sie nach dem Tod ihres Vaters den Thron bestieg.
© Salika von Wolfshausen/ 26.11.2024