Mehrere Stunden zuvor genoss es Bei En Rui richtig, als sich die Aufzugstüren schlossen und er nicht länger gezwungen war die Maskerade aufrecht zu erhalten.
Sein so oft geübtes Engelslächeln wandelte er schadenfroh zu einem spöttischen Grinsen um und beobachtete zufrieden, wie sich die Haltung des Jungen gleich versteifte. Was die körperliche Präsenz doch für eine Macht in einer Auseinandersetzung hatte…
„Du hast heute einen Fehler begangen, Bahe“, sagte er ernst und verlieh seiner Aussage zudem noch einen bedrohlichen Unterton.
Die Wirkung zeigte sich schlagartig. Der Junge war so verunsichert, dass er sogar unbewusst einen Schritt vor ihm zurück wich.
„Ich… ich weiß nicht wovon Sie sprechen“, rang der Jugendliche sichtlich mit den Worten.
Amüsiert machte En Rui daraufhin zwei Schritte auf den jungen Ausländer zu und baute sich groß auf, ehe er nicht minder bedrohlich als zuvor sagte: „Glaubst du wirklich, dass du es dir noch länger erlauben kannst, dich so zu verhalten?“
„Weswegen denn nicht?“, fragte der Junge mit einem letzten Rest von Willenskraft. „Weil Sie sonst meine Familie bedrohen?“
„Hehe“, gab Bei En Rui von sich und meinte kopfschüttelnd: „Was redest du denn da? Sowas würde ich doch nie tun. Unfälle passieren täglich, darauf hat niemand einen Einfluss. Falls sowas jemals deiner Familie zustoßen sollte, musst du mir versprechen, dass du stark bleibst und nicht dir selbst die Schuld gibst, in Ordnung?“
Ein Grinsen umspielte seine Lippen während der ganzen Zeit, da er sich sehr wohl bewusst war, wie die Leichtfertigkeit seiner Worte verstanden werden konnte.
Letztlich kam es im Leben immer nur auf Geld, Status und Beziehungen an. Geld allein war noch nicht Macht. Macht entstand durch alle drei Dinge zusammen. Knöpfe die man drücken konnte, um jemanden springen zu lassen. Entweder naive Idioten, die sich als Freunde verstanden und die man ausnutzen konnte oder Personen in hohen Positionen, deren schmutzigen Geheimnisse man kannte.
Ohne sich die Hände dreckig zu machen, kam keiner nach ganz oben. Aber da wollte er nun mal hin, dass hatte er sich geschworen.
Dieser lächerliche kleine Ausländer hatte ihm mit der Geschichte um seine verzweifelte Familie schon genug Schwierigkeiten bereitet. Es wurde Zeit diesen Wurm in seine Schranken zu verweisen.
Der Junge rang sichtlich mit sich und En Rui konnte all den Zorn erkennen, den er zu unterdrücken versuchte. Wie leicht der Ausländer einfach zu lesen war…
„Ziemlich schwach, findet Ihr nicht?“, warf der junge Ausländer ihm schließlich vor.
„Oh?“, zog En Rui überrascht die Augenbrauen hoch, sollte das etwa ein letztes Aufbäumen werden?
„Fühlt Ihr Euch wirklich so überlegen?“, spie der Junge ihm kurz danach entgegen, offensichtlich darum bemüht, seinen Mut nicht zu verlieren. „Es sieht eher so aus, als ob Ihr Euch nicht einmal traut mir die Wahrheit ins Gesicht zu sagen! Ihr versteckt Euch hinter diesem Anwaltstitel, obwohl Ihr so viel älter seid und blickt auf mich herab, nur weil das Schicksal es besser mit Euch meinte. Doch was ist hinter dieser Fassade? Ein kleiner Wicht, der Angst hat, sich mit einem fünfzehn Jahre jüngeren Jugendlichen anzulegen? Nur, weil dieser im schlimmsten Fall Eure Schauspielerei aufdecken könnte? Seid Ihr wirklich so feige?“
„Ha…“, keuchte der Junge keinen Augenblick später, während er vornüber zusammen klappte.
Nur mit Mühe riss sich En Rui wieder zusammen und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, während er seine andere, zur Faust geballte Hand aus der Magengrube des Jungens löste. Wie konnte dieser Bastard es wagen!
„He… he…“, zog der Junge mit einem, nach Luft hechelnden, Lachen erneut seine Aufmerksamkeit auf sich. „Da habe ich wohl einen Nerv getroffen, was?“
Das reichte endgültig!
Wütend packte En Rui den jungen Ausländer am Kragen, riss ihn mit voller Wucht auf die Beine und presste zornig hervor: „Du hast soeben eine Grenze überschritten, von wo es kein Zurück gibt, du kleiner Bastard! Ich ein Wicht, ja?“
„Arg!“
Ein zweiter Schlag in die Magengrube ließ den Ausländer erneut zusammen klappen, nur um daraufhin wieder empor gerissen zu werden.
„Scheinbar muss ich klarer werden, damit so ein einfältiger Idiot wie du, es auch verstehen kann“, erklärte er wütend, während er sich geringfügig am Leid des Jungen weidete. „Ich hatte nie vor deinen belanglosen Fall zu übernehmen. Was kümmert mich das Leid von mittellosen Schnorrern, die schon längst in irgendeiner Gasse verrotten sollten?“
„Pah!“, spie er aus und fuhr fort: „Dein bester Schachzug war es tatsächlich diesen Sesselfurzer, Hua Han Ning, für dich zu gewinnen. Dabei hatte ich ihn dir nur zur Seite gestellt, um in der Firma mein Ansehen zu bewahren. Wer konnte schon damit rechnen, dass der Trottel auf seine alten Tage noch einmal eine geistige Genialität zustande bringen würde, die mir die Hände vorübergehend bindet und gleichzeitig deinen Fall löst. Mai Ping Lun mit ins Spiel zu bringen… Wenn ich nicht rechtzeitig einen Tipp von einer meiner Quellen bekommen hätte, wäre ich wahrscheinlich am Wochenende gleich bei meiner ersten Begegnung mit diesem gerissenen Schwein einen Kopf kürzer gemacht worden…“
„Nur zu dumm, dass Ihr mich noch nicht losgeworden seid“, säuselte er nach einer kurzen Pause. „Haha… Ihr beide ward so sehr damit beschäftigt mir das Leben zur Hölle zu machen, dass ihr gar nicht bemerkt habt, welche Vorteile ihr mir unbemerkt verschafft habt. Mein Plan sah vor, dich vor den Medien zu einer Aussage zu zwingen. Mir war klar, dass ich besten Falls mit schlechten Ergebnissen rechnen konnte und was macht ihr? Ihr liefert mir die perfekte Pressekonferenz, in der ich vollkommen glaubhaft weder zu positiv noch zu negativ dargestellt werde. Jetzt bleibt mir nur noch übrig, meinen Kontaktmann bei den Medien ein paar ach so vertrauliche Informationen zu zusenden. In denen wird erklärt, wie ich entgegen deiner Meinung zum Trotz darauf bestanden habe, dass du deine persönlichen Daten für dich behältst, um dein Privatleben zu schützen, ganz egal was mit mir passiert und voila! Der aufopferungsbereite Bei En Rui, der Staranwalt der Stadt, ist wiedergeboren!“
„Das… das…“, stotterte der Junge und En Rui labte sich an der Unsicherheit des Ausländers.
„Ach ja und was diesen Mai Ping Lun betrifft… Ich muss sagen, dass wir ziemlich auf einer Wellenlänge liegen“, erwähnte En Rui fast beiläufig und richtete seinen Anzug wieder. „Insgesamt scheint er ein angenehmer Geselle zu sein, der mir helfen wird die Karriereleiter ganz nach oben zu erklimmen. Denn Beziehungen sind der Unterschied zwischen so armseligen Kreaturen wir dir und einem erfolgreichen Anwalt wie mir. Jetzt kostet es mich wahrlich nur noch einen Anruf und das Leben, welches du kennst wird aufhören zu existieren. Von Ping Luns Seite wurde mir zugetragen, dass du zwei kleine Geschwister hast? Du willst doch nicht, dass ihnen etwas zustößt, oder? Menschen- und Organhandel ist etwas Furchtbares sagt man, aber wer weiß, vielleicht findet deine kleine Schwester ja etwas daran mit acht oder neun Jahren einen erwachsenen Freier zu beglücken. Kleine Jungs sollen wohl auch inzwischen im Trend liegen…“
„Du Bastard, wehe du rührst sie an!“, rief der junge Ausländer entsetzt und machte sich daran, ihm einen Schlag zu verpassen. Doch En Rui konnte dem tölpelhaften Versuch problemlos ausweichen, trat dem Jungen von hinten in ein Kniegelenk und brachte ihn so zu Fall. Ein, zwei schnelle Tritte in die Seite beendeten die Aktion, indem sie dem Jungen sämtlichen Ehrgeiz nahmen sich zu erheben.
„Du solltest deine Gewaltausbrüche ein wenig zügeln, mein Kleiner“, schmunzelte En Rui. „Keine Ahnung wie du mit deinem Gerechtigkeitswahn soweit unten auf der sozialen Leiter überhaupt überleben konntest. Aber glaube mir wenn ich dir sage, dass dir dein Glück nicht mehr lange hold sein wird, wenn du dich hier auch nur noch einmal blicken lässt, verstanden?“
„…“
Keine Reaktion, was?
Mit guter Laune trat En Rui zwei weitere Male zu und meinte süffisant: „Sei froh, dass Ping Lun zurzeit seinen Wahlkampf im Auge hat, sonst wärst du längst unter der Erde. Also fick deine Vorfahren bis zur achtzehnten Generation und mach, dass du hier verschwindest. Haha.“
Danach wandte er sich von dem Haufen Elend am Boden ab und betrat den Aufzug. Er hatte lange genug seine Zeit mit diesem Arschloch verschwendet.
Teil 1/1! Für mich ist immer noch Sonntag...
Spätestens Donnerstag geht es weiter!
RiBBoN