Mit mulmigem Bauchgefühl schaute Bahe auf die Schlacht hinab, die sich vor seinen Augen abspielte. Eine erste Angriffswelle hatte es scheinbar bereits gegeben und jetzt marschierte von rechts die restliche Goblinarmee den Hang hinab, um ihren Widersachen endgültig den Gar auszumachen.
Zu Bahes Linken bemühte sich nur noch die, ihm zugewandte, rechte Seite der Verteidiger mit einigen Riesengoblins ab. Hätte er ähnliche Kreaturen nicht schon damals mit dem Soldatentrupp kennengelernt, wäre er vielleicht auf der Stelle umgekehrt. Mit Level 9 hier einen Unterschied machen zu müssen… Gegen Level 20 Gegner, wenn nicht gar höhere Level…
Mit einem Seufzen straffte er sich. Es half alles nichts. Er musste diese Quest bestehen und dazu gehörte nun mal nicht wegzulaufen und vor allem nicht zu sterben.
Mit einem Blick hinter sich schöpfte er neue Hoffnung. Munings Ideen hatten sich mehr als ausgezahlt, musste er zugeben, als er an die letzten Stunden zurückdachte.
Kaum hatte er sich eingeloggt, war er zum Unterschlupf der Felsgnome aufgebrochen und hatte die Medizinfrau Huschuma um Hilfe im Kampf gegen die Goblins gebeten.
Natürlich lehnte sie anfangs ab, schließlich hatten die Goblins sie erst vor kurzem vernichtend geschlagen. Doch er war hartnäckig geblieben und hatte erklärt, dass sie an der Seite der alten Erdelementare kämpfen würden.
Die ganze Übersetzung, über Brocken und den uralten Erdelemtentar Felsur, dauerte natürlich ewig. Aber letztlich zeigte sich Huschuma nicht abgeneigt mit ihrem Stamm in den Kampf zu ziehen, wenn Bahe wirklich die anderen alten Erdelementarbeschützer ihres Volkes aus ihrem Schlaf erwecken konnte.
Wie Bahe im Laufe seiner letzten Spielsession erfahren hatte, brauchte man zur Erweckung der Erdelementare offensichtlich Erdelementarenergie. Und durch den Verlust und die Verseuchung der Tarsteine war es den Felsgnomen schlicht weg unmöglich, weitere Erdelementare zu erwecken. Selbst Felsur, ein Uralter seines Volkes, regenerierte in der verseuchten Umgebung nur langsam Erdelementarenergie und bei weitem nicht genug, um in der Kürze der Zeit von Nutzen sein zu können. Scheinbar hatte ihn die Rettung von Bahe und Balu mehr gekostet, als Bahe zunächst angenommen hatte.
Da war letztlich Munings Einfall zum Tragen gekommen.
Denn was war mit Bahe selbst?
Er beherrschte vielleicht nicht die Zaubersprüche oder Beschwörungsrituale, aber da Bahe inzwischen halbwegs gelernt hatte, wie er sein Mana lenken konnte, sollte es doch auch möglich sein, das eigene Mana in einen anderen Körper zu lenken.
Nachdem er das Gespräch mit Huschuma hinter sich gebracht hatte, übte er sich in den folgenden Stunden ununterbrochen an der Energieübertragung zu Felsur. Es hatte ganze drei Stunden gebraucht, ehe er endlich geschafft hatte fast all seine Energie auf Felsur zu übertragen.
Mit zittrigen Knien und durch Brockens Übersetzung schaffte es Bahe Felsur dazu zu bringen, im Anschluss weitere Erdelementare zu erwecken. Was folgte, war eine Kettenreaktion, in der die neu erwachten Erdelementare die Nächsten erweckten, bis sich schließlich ganze fünfzig Erdelementare unterschiedlichster Größen im Lager der Felsgnome tummelten und von den kleinen Knirpsen wie Götter verehrt wurden.
Glücklicherweise hatte er sich selbst auch freuen können, denn durch seine Aktion verbesserte sich seine Diplomatie-Fähigkeit. Ganze zwanzig Kommunikationspunkte konnte er einstreichen.
Als Bahe danach so schnell wie möglich zum Dorf aufbrechen wollte, machten ihm die Bräuche der kleinen Felsgnome jedoch einen Strich durch die Rechnung.
Nicht genug damit, dass die Felsgnome zunächst irgendwelche Kampftänze aufführten. Nein, die Erdelementare mussten tatsächlich ebenfalls mit einsteigen, was zu einem kleinen, lokalen Erdbeben führte…
Sämtliche Felsgnome als auch ihn selbst, hatte es natürlich von den Füßen gerissen. Doch während Bahe sich fluchend wieder hoch kämpfte, waren die Felsgnome in hysterischen Jubel ausgebrochen, der ganze fünfzehn Minuten angehalten hatte!
Danach mussten sich natürlich noch alle kämpfenden Felsgnome von ihren Partnern oder Kindern verabschieden, was sie zugegebenermaßen auf ziemlich heroische Art und Weise taten. Am liebsten hätte Bahe in dem Moment einen dramatischen Soundtrack abgespielt, dass hätte die Situation perfekt gemacht, dachte er zu dem Zeitpunkt schmunzelnd.
Dann waren die Felsgnome hoch erhobenen Hauptes mitsamt den Erdelementaren aus dem Lager marschiert.
Vierzig Minuten später kam er mit seiner Verstärkung gerade noch rechtzeitig am rechten Rand des Hangs an, der zum Schlachtfeld geworden war.
Nachdem er sich kurz einen Überblick verschafft hatte, duckte er sich schnell wieder hinter einem Felsen und dachte nach.
Scheinbar war die Verstärkung aus Söldnern tatsächlich rechtzeitig eingetroffen. Soweit er es beurteilen konnte, handelte es sich hauptsächlich um Spieler, da nur wenige Soldaten den Trupp um Hauptmann Pero verstärkt hatten.
Die Verluste hielten sich auf der gegenüber liegenden Seite und unter den Soldaten in Grenzen. Aber auf der rechten Seite der Verteidigungslinie, direkt unterhalb seiner momentanen Position waren die Goblins nahezu durchgebrochen.
Bahe riskierte einen weiteren kurzen Blick über die Felsen und der kräftige Wind blies ihm prompt die Kapuze seines Umhangs über den Kopf. Er wollte die Kapuze schon zurückstreifen, als er inne hielt und sie schließlich an ihrem Platz beließ. Anonymität konnte in den nächsten Minuten vielleicht sogar von Nutzen sein.
Nachdem er alles aufgenommen hatte, duckte er sich wieder nach hinten weg und drehte sich zu den wartenden Erdelementaren und Felsgnomen um.
„Was machen… wir, Anael?“, fragte Brocken mit strenger Miene und Bahe winkte ihn hinter sich her, als er an seine ungewöhnlichen Truppen heran trat.
Es wurde Zeit, dass sie sich nützlich machten, dachte er mit einem schadenfrohen Lächeln, ob der Idee, die ihm gerade gekommen war.
„Bevor wir angreifen müssen wir noch etwas vorbereiten“, grinste Bahe und machte sich daran Anweisungen zu erteilen.
Magnifus‘ Blick folgte dem ausgestreckten Arm des Soldaten und suchte schnell die rechte Seite des Berghangs ab.
Doch da war nichts.
„Sag mal, hast du was an den Augen oder was? Da ist doch gar nichts! Wo siehst du da Anael?“, schrie der Hauptmann der NPC-Soldaten seinen Untergebenen an und Magnifus blickte wieder zu den Soldaten.
„Ich hätte schwören können, ihn da oben gesehen zu haben“, verteidigte sich der Soldat.
„Bist du dir sicher?“, fragte ein anderer der Soldaten.
Magnifus sah, wie der Betroffene nur den Kopf schüttelte.
„Dann konzentriert euch jetzt besser auf die heran marschierenden Goblins vor euch!“, rief der Hauptmann. „Ganz egal, ob Anael dort oben ist oder nicht. Fürs Erste haben wir genug zu tun.“
„Hmm…“, gab Magnifus leise von sich, während er nachdachte.
Es konnte kein Zufall sein, dass einer der Soldaten glaubte diesen Spieler dort oben gesehen zu haben. Die Soldaten wussten logischerweise wie er aussah, schließlich war dieser Anael mit ihnen hier her gekommen.
Was aber machte ein Spieler, der am Vorabend der Schlacht aus dem Dorf verschwand, jetzt plötzlich dort oben auf dem Berghang?
Der Kerl sollte doch nur Level 3 sein… Wollte er etwa einfach nur zuschauen?
Irgendetwas sagte Magnifus, dass es nicht so einfach war.
„Hey Donnar!“, rief er den Bestienzähmer. „Schick deinen Vogel zur rechten Seite des Berghangs und sag mir, was du oben siehst!“
„Hä, aber die Goblins sind doch in einer Minute hier?“, fragte Donnar verwirrt.
„Stelle keine Fragen! Tu es einfach!“, blaffte Magnifus und widmete sich wieder seinen Leuten, nachdem er sich vergewissert hatte, dass Stahlklops mit seinem Trupp und den drei Bogenschützinnen drüben angekommen war.
„So Leute, macht euch bereit für das Endspiel!“, rief er laut. „Ab sofort habt ihr die Erlaubnis eure Fähigkeiten im freien Ermessen einzusetzen. Dieser Mistkerl da vorne glaubt wohl schon gewonnen zu haben. Es wird Zeit ihm zu zeigen aus welchem Holz wir geschnitzt sind!“
Das letzte Wort schrie er dann förmlich hinaus: „Spirit!“
„Of Dawn!“, ergänzten seine zweihundertfünfzig Gildenkameraden und ließen ihre Waffen klirren.
Magnifus nickte grimmig. So knapp alles auch war, sie waren noch lange nicht am Ende.
Teil 2/7!
RiBBoN