So fassungslos Bahe in Anbetracht der nutzlosen Polizei auch war, ihm war klar, das Shang ihn diesmal komplett ausmanövriert hatte. Was würde er beim nächsten Mal machen, wenn diese gewalttätigen Idioten auftauchten? Wieder die Polizei rufen und sich erneut ein wildes Katz- und Mausspiel mit den Schlägern liefern?
Bahe bezweifelte, dass so ein mieser Plan ein zweites Mal funktionieren würde. Mehr als einmal hatte er heute unfassbares Glück gehabt, er sollte es wahrlich nicht ein weiteres Mal darauf ankommen lassen.
„Linuan, ich fürchte, dass ich hier nicht länger arbeiten kann“, durchbrach Bahes Großvater plötzlich die unangenehme Stille. „Ich werde mir etwas andres such… Autch!“
Der Aufschrei seines Großvaters schreckte Bahe aus seinen Gedanken. Entgeistert starrte er die Chefin seines Opas an, die sich wütend vor Feitong aufgebaut hatte und ihm offensichtlich gerade eins mit der Keksrolle in ihrer Hand über gezogen hatte.
„Du wirst nicht kündigen!“, herrschte sie Bahes Großvater an. „Ich sage es noch einmal, ohne dich hätte ich den Laden gar nicht erst kaufen können. Als Tante Titi damals gestorben ist und sich meine Familie wegen ihrem Nachlass zerfleischt hat, warst du die einzige Person in meinem Leben, die mir geholfen hat. Also unterstehe dich, wegen so einer Lappalie das Handtuch zu werfen! Hilf mir lieber beim Aufräumen.“
„Ah und du, junger Mann!“, wandte sie sich plötzlich an Bahe. „Du magst genauso stur wie dein Großvater sein, aber das hier ist ein Erwachsenenproblem. Also mach das du nach Hause kommst!“
Bahe brauchte einen kurzen Augenblick, um den unerwarteten Ausbruch der Ladenbesitzerin zu verdauen, ehe er dann zaghaft fragte: „Und was wollt ihr machen, wenn diese Bastarde wiederkommen?“
„Uns wird schon etwas einfallen, notfalls stelle ich Sicherheitspersonal an“, winkte Linuan ab, hielt kurz inne und meinte dann mit einem selbstzufriedenen Blick: „Wobei, jetzt wo ich so darüber nachdenke… Am besten ich stelle irgendwelche Shaolinabsolventen ein… die haben immer die dicksten Oberarme… und Sixpacks... Hehe…“
Bahe und seinem Großvater fielen fast gleichzeitig die Kinnladen runter. Wie konnte man dermaßen abrupt das Thema wechseln…
Für eine lange Sekunde stand Linuan mit einem sabbernden Lächeln da, bis sie die gaffenden Blicke der beiden Männer bemerkte.
„Was glotzt ihr denn so? Ab an die Arbeit Feitong und du haust jetzt endlich ab!“, sagte sie und scheuchte Bahe regelrecht aus den Laden hinaus.
Als sich die Ladentüren hinter Bahe schlossen, stand er für eine Weile einfach nur da und überlegte wie er weiter vorgehen sollte.
Er bezweifelte, dass sich die Chefin seines Großvaters wirklich qualifiziertes Sicherheitspersonal leisten konnte. Absolventen der Shaolintempel konnten sich als Bodyguards selbst heute noch eine goldene Nase verdienen. Die meisten Firmenbosse unterhielten mehrere dieser Nahkampffanatiker, aber in der breiten Masse waren sie kaum als Sicherheitskräfte anzutreffen. Hier dominierten viel mehr zwielichtige Sicherheitsfirmen, die mehr Show waren als alles andere…
Nach ein paar Minuten holte er schließlich sein Smartphone heraus und wählte eine Nummer. Er konnte nicht länger alleine weitermachen. Es wurde Zeit sich Unterstützung zu besorgen.
Als Bahe später zu Hause ankam, entdeckte seine Mutter natürlich sofort sein, sich gerade erst bildendes, blaues Auge, wo dieser vermaledeite Schläger ihn mit dem Knie im Gesicht erwischt hatte. Ohne eine andere Wahl konnte Bahe ihr schließlich nur die Wahrheit über die Geschehnisse des Abends gestehen. Verdammt durfte er sich daraufhin etwas von ihr und seiner Großmutter anhören…
Das Abendessen musste er als Strafe für sich alleine in seinem Zimmer einnehmen. Natürlich erst, nachdem alle Anderen schon fertig waren. Der Abwasch für die ganze Familie kam dann noch obendrauf.
Bahe kam deswegen erst zwei Stunden später online wie üblich.
Nachdem sich sein Blickfeld klärte, sah er Feiying, Stallion und Alucard deprimiert vor dem Eingang des Tunnels sitzen, der zur Ameisenhöhle führte.
Es war offensichtlich, dass sie in seiner Abwesenheit nicht erfolgreich gewesen waren.
„Ah, da bist du ja endlich, Bahe!“, rief Feiying erfreut.
„Hallo Anael“, begrüßte ihn auch Alucard kurz.
Stallion hingegen blieb stumm und blickte nur frustriert vor sich hin.
„Eurer Stimmung nach zu urteilen, hängen wir hier also fest?“, sprach Bahe seine Vermutung aus.
„Hmm…“, nickte Feiying und erklärte: „Wir machen einfach nicht genug Schaden an dieser verdammten Ameisenkönigin. Ihre Regenerationsfähigkeit ist dermaßen stark, dass wir sie auch nicht mit vielen, kleinen Verletzungen über einen langen Zeitraum hinweg zermürben können. Selbst Stallions ultimative Fähigkeit, die Rüstungswerte ignorieren kann und stärker wird, um so länger er in seinem Versteck sitzt, hat ein Limit. Wir haben es heute noch einmal versucht und ihm so viel Zeit erkämpft, bis sich sein Schaden maximal aufgeladen hatte. Selbst das hat nicht ausgereicht und dieses Riesenameisenvieh nur noch aggressiver gemacht. Wir sind erneut fast drauf gegangen. Diesmal war es jedoch erheblich knapper als gestern. Wenn wir so weitermachen ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir alle verrecken.“
Danach breitete sich wieder die deprimierte Stimmung aus, die Bahe bei seinem Erscheinen schon wahrgenommen hatte.
„Wie viel Schaden verursacht deine ultimative Fähigkeit maximal?“, fragte Bahe den Bogenschützen.
„Mein Schaden liegt bei Dreihundertzwanzig“, antwortete Stallion. „Da kommt zwar noch die Rüstungsreduzierung dazu, aber bei den krassen Rüstungswerten der Ameisenkönigin kannst du diesen Bonus vergessen. Ich bin froh ihre Augen überhaupt verletzen zu können.“
„Ihr wisst wie hoch ihr Verteidigungswert ist?“, fragte Bahe überrascht.
„Nein“, sagte Alucard und führte aus: „Aber keiner von uns kann die Ameisenkönigin auch nur ansatzweise außerhalb ihrer Schwachstellen wie dem Maul und ihren Augen verletzten…“
„Ah…“, gab Bahe verstehend von sich.
„Um auf deine Frage zurück zu kommen, Bahe“, sagte Feiying. „Falls du nicht irgendeine Möglichkeit hast erheblich mehr Schaden als Stallion zu verursachen, dann sitzen wir in der Tat hier fest.“
Für einen kurzen Moment hoben alle drei ihren Blick und schauten ihn erwartungsvoll an, doch Bahe konnte nur hilflos den Kopf schütteln.
Enttäuschung stand ihnen allen ins Gesicht geschrieben und betrübt senkten sie ihre Blicke.
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RiBBoN