Für einen langen Moment herrschte absolute Stille. In einer Trance aus euphorischer Fassungslosigkeit starrte Kaiwen auf die Szene vor ihr. Spieler, Felsgnome, Soldaten und Goblins waren gleichermaßen erstarrt, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen.
Sie alle beobachteten wie die gigantische Felsgestalt Anaels auseinander brach und in sich zusammen fiel. Sie alle sahen den zerschmetterten Körper des Dämons in einem Krater liegen. Ein Krater, der rein durch stumpfe Gewalt in den harten Fels des Berghangs hinein geschlagen worden war. Und genauso sahen sie alle, wie sich die Stierdämonen nach und nach in Luft auflösten, wie Sand der im Winde verwehte.
Jetzt wo das Böse besiegt worden war, fehlte den niederen Gestalten scheinbar jedweder Anker in der Welt von Raoie.
Gebannt verfolgte Kaiwen, wie auch die letzte Gestalt der Stierdämonen vollends zu feinen Partikeln zerfiel, die im zugigen Wind des Gebirges davon getragen wurden.
Dann brach dieser Moment der Stille und die überlebenden Goblins flüchteten panisch in alle Richtungen, während die Spieler und Soldaten in lautes Jubelgeschrei verfielen. Kaiwen war selbst so begeistert, dass sie nicht minder laut schrie, ehe sie an ihren Job dachte und freudestrahlend ihr Sichtfeld herumfahren ließ.
Überall sah sie Spieler und Soldaten die sich in die Arme fielen oder jubelnd die Arme gen Himmel streckten. Die ein oder anderen sah sie sogar einen Freudentanz aufführen. Und dann gab es da noch die, dem Wahnsinn verfallenen, Spirit of Dawn-Spieler, welche wieder zu sich kamen, ehe sie sich verdutzt und irritiert umschauten.
Wenig später entdeckte sie sogar den Magier der Spirit of Dawn-Gilde, der zuvor den Massenteleportationszauber gewirkt hatte. Der Spieler war offensichtlich immer noch vollkommen erschöpft, doch während er sich in eine sitzende Körperhaltung kämpfte, zierte die ganze Zeit ein breites Grinsen sein Gesicht.
Die fröhliche Stimmung war so ansteckend, dass Kaiwen eine ganze Weile nichts anderes tat, als den Spielern beim Feiern zuzusehen.
Nach einigen Minuten beendete Kaiwen schließlich ihre Fähigkeit Allsicht und betrachtete die Benachrichtigungsfenster, die sich auch ihr geöffnet hatten:
Du warst Teil der Verteidiger des Dorfes Belu und hast mit deinen Verbündeten den Kreaturen der Finsternis getrotzt und überlebt!
+ 500 Exp!
+ 500 Ruhm!
Du warst Teil der Streitkräfte, die zum ersten Mal seit Jahrtausenden einen Dämonen bezwingen konnten!
+ 100 Exp
+ 100 Ruhm!
Du hast dich den Höllenreichen entgegen gestellt und deinen Widerstand gegen ihre Finsternis erklärt. Sämtliche dämonischen Kreaturen verhalten sich dir gegenüber extrem feindselig. Achte in Zukunft genauestens auf Dämonen, denn bei deinem Anblick werden sie sofort zum Angriff übergehen!
Lebensformen des Lichts sind dir im Gegenzug jedoch wesentlich wohlgesonnener und lassen sich schneller in ein Gespräch verwickeln.
„Sechshundert Exp… kann sich sehen lassen, dafür, dass ich eigentlich nur in der Gegend rum stand“, murmelte Kaiwen grinsend. Wenn sie sich richtig erinnerte, dann wurde alle Erfahrung verdoppelt. Aber selbst dreihundert Exp wären für sie immer noch eine Menge gewesen. Wodurch jedoch die Frage aufgeworfen wrude, was wohl die Spieler an Erfahrung einheimsten, die sich am stärksten im Gefecht beteiligt hatten?
Neugierig blicket sie den Berghang hinauf und nahm ihren Goldjungen genau ins Auge.
„Überprüfen!“
Im ersten Augenblick hatte Zelia freudig aufgeschrien, wie all die anderen Mitglieder ihrer Gilde. Mittlerweile verfolgte sie das Geschehen eher mit einem gequälten Schmunzeln, während sie an Magnifus, Stahlklops und ihre restlichen Verluste dachte.
Von den dreihundert Gildenmitgliedern waren nur noch dreiundfünfzig am Leben. Der Großteil stammte verrückterweise von den Spielern, die durch die Fähigkeit des Goblinanführers zwischenzeitlich ihren Verstand verloren hatten. Der Rest bestand hauptsächlich aus Heilern und Fernkämpfern, die im letzten verzweifelten Kraftakt gegen den Dämon um ein Haar gestorben wären.
Weiter oben entdeckte sie Salamander, der sich nur mühsam vorwärts schleppte. Scheinbar hatte er sich in der letzten Konfrontation mit dem Dämon ein paar Knochen gebrochen. So sehr man auch das Schmerzempfinden herunter regeln konnte, es schränkte dennoch die Bewegungsfreiheit ein.
Sie wusste sofort, dass er sich auf dem Weg zu diesem Anael befand, der noch am Boden lag. Allerdings befand sich dieser noch immer in ihrem Teamprofil, gestorben war er also nicht. Zelia wollte schon in die Schatten entschwinden, um schneller zu ihm zu gelangen, musste jedoch feststellen, dass sie bislang noch nicht genügend Mana regenerieren konnte.
„Mist…“, murmelte sie genervt über die Nebenwirkung des Heiltranks des Goldranges, der über kurze Zeit grandiose Mengen an Mana lieferte, nur um daraufhin die Manaregeneration auf einen winzigen Bruchteil zu reduzieren.
Da ihr nichts anderes übrig blieb als zu laufen, setzte sie sich ächzend in Bewegung. Abgesehen von ihrem fehlenden Mana, fühlte sie sich auch insgesamt erschöpft. Es war schon unglaublich, wie real sich Raoie immer wieder in diesen Situationen anfühlte.
Nicht nur deshalb war ihr Gildenanführer ein großer Verfechter des Schmerzempfindens. Er vertrat grundsätzlich die Meinung, dass ein Schmerzempfinden, welches sehr der Realität glich, sich nur positiv auf das Verhalten der Spieler auswirken würde.
Alle Generäle der Gilde mussten ihr Schmerzempfinden deswegen auf mindestens vierzig Prozent einstellen. Ihr Gildenanführer empfahl sogar noch höhere Einstellungen und Zelia konnte die positiven Aspekte des Ganzen durchaus nachvollziehen. Aber nach dieser Schlacht war sie heilfroh, dass sie nicht in Magnifus‘ Haut steckte, der die volle Qual des Sterbens mit seinen vierzig Prozent Schmerzempfinden abbekommen hatte.
Eine knappe Minute später kam Zelia etwa gleichzeitig mit Salamander vor dem Gesteinshaufen an, aus dem einmal diese gigantische Felskreatur bestanden hatte.
„Krass, dass dieser Level 9-Bastard immer noch lebt“, schüttelte Salamander den Kopf und deutete auf den leblos wirkenden Körper des Spielers, der inmitten des Felsgesteins am Boden lag.
„Hast recht“, nickte Zelia zustimmend. „Mich interessiert aber viel mehr, was das für eine Fähigkeit war…“
„Du sagst es…“, sagte Salamander und breitete die Hände aus. „Ich meine, der Typ ist Level 9 und besiegt quasi im Alleingang ein Boss-Level-Monster, mit dem nicht einmal Magnifus und der Rest unserer gesamten Streitkräfte klar kommen.“
„Ganz so heftig war seine Fähigkeit nun auch wieder nicht“, warf eine unerwartete Stimme ein und Zelia entdeckte Angel Eye hinter sich, die sich zu ihnen nach oben gekämpft hatte. Sie war leicht aus der Puste und stützte sich auf ihren Knien ab.
„Oh, du lebst ja noch?“, zog Salamander die Augenbrauen hoch und raunte vorwurfsvoll: „Hast du dich lange genug hinter unseren Truppen versteckt?“
„Hey, das war unser Deal“, sagte Angel Eye schulterzuckend und zwinkerte schelmisch als sie entgegnete: „Schließlich hat euch Trullus ja auch geholfen.“
„Pah… unsere Orakel können auch kämpfen… und erinnere mich nicht an diesen Irren…“, verdrehte Salamander direkt die Augen und Zelia beschloss dazwischen zu gehen, ehe Salamander sich wieder über diesen Bekloppten ereiferte.
„Wieso bist du der Meinung, dass seine Fähigkeit nicht so stark ist?“, fragte sie Angel Eye.
„Ich weiß auch nicht viel über diesen Zauber, Fähigkeit oder was auch immer“, meinte Angel Eye schlicht. „Aber er hat ewig gebraucht, um es zu aktivieren. Meint ihr nicht auch, dass solch eine Fähigkeit in einem normalen Kampf absolut nutzlos ist? Egal wie mächtig, wenn du stirbst, ehe sie vollständig aktiviert ist, bringt sie dir nichts. Die Fähigkeit von Magnifus hat euren Anführer immerhin befähigt zwischenzeitlich mit dem Goblinanführer auf Augenhöhe zu kämpfen und sie brauchte kaum Aktivierungszeit. Sie ist erheblich nützlicher, wenn ihr mich fragt.“
„Die lange Aktivierungsdauer mag ein schwerwiegendes Hindernis sein, ab das hier“, legte Zelia eine bedeutungsschwere Pause ein und zeigte auf den Dämon im Felskrater, ehe sie fortfuhr. „sollte einem Level 9-Spieler einfach schlicht weg nicht möglich sein.“
„Eure Level sind hoch genug, um zu wissen, dass es das Wort unmöglich in Raoie nicht gibt“, sah Zelia die Spielerin Angel Eye nur erneut zwinkern.
„Wieso habe ich eigentlich das Gefühl, dass dein Interesse an diesem Level 9-Spieler über das übliche Maß hinaus geht?“, fragte Salamander die Orakelspielerin.
„Oh mein lieber Salamander…“, säuselte Angel Eye und biss lasziv auf ihre Unterlippe. „Bist du etwa eifersüchtig?“
Salamander verschluckte sich glatt vor lauter Entrüstung und Zelia musste lauthals loslachen.
„Du… du…“, versuchte er wütend zu drohen, während er mit einem Finger auf Angel Eye zeigte.
Doch diese setzte noch einen drauf und sagte an Zelia gewandt: „Du solltest deinen Hund lieber an die Leine nehmen. Ich möchte seinem großen Ego nicht wehtun. Wie heißt es gleich noch? Die mit der größten Klappe haben die kleinsten…“
Zelia bekam große Augen, als sie Angel Eyes Geste verstand und wäre am liebsten erneut in einen Lachanfall ausgebrochen, wenn sie nicht Salamander schleunigst unter Kontrolle bringen musste, der gerade im Begriff war vollends zu explodieren.
„Du Miststück! Ich mach dich kalt!“, brachte Salamander noch hervor, ehe Zelia ihn hektisch in den Schwitzkasten nahm und mit einem Tritt in die linke Kniebeuge zu Fall brachte. Zuletzt nutzte sie noch schnell den winzigen Teil an regenerierten Mana, um den Griff zu verstärken.
„Alles gut mein Großer…“, murmelte sie, während sie Salamander reflexartig mit einer Hand über den Kopf strich. „Nur die Ruhe… beruhige dich…“
„Zelia…“
„Ja?“
„Du weißt, dass ich es hasse, wenn du mich wie ein kleines Kind behandelst?“
„Ja.“
„Dann mach dich auf eine geballte Ladung Feuer gefasst!“, rief Salamander laut vor Wut kochend. Doch einen Moment später blieben die Flammen noch immer aus.
„…“
„…“
„Ich habe kein Mana mehr…“
„Ich weiß.“
„…“
„…“
„Kannst du mich loslassen?“
„Hast du dich denn beruhigt?“
„Ich… habe mich beruhigt…“
„Und wie heißt das Zauberwort…?“
„Bitte?“
„Als ganzer Satz?“
„Zelia!“
„Ja…?“
„…“
„…“
„Kannst du mich bitte, bitte loslassen?“
Grinsend stieß Zelia den Feuerzauberer von sich. Wandte sich jedoch schnell von ihm ab. Fehlte noch, dass er sie lächeln sah.
Stattdessen beobachtete sie Angel Eye, die sich gerade an diesem Anael zu schaffen machte.
„Er scheint nur bewusstlos zu sein“, erklärte Angel Eye einen Moment später und richtete sich wieder auf.
„Zelia, was machen wir jetzt?“, lenkte ein Gildenmitglied von weiter unten ihre Aufmerksamkeit auf sich.
„Sucht die Artefakte unserer verstorbenen Gildenmitglieder zusammen! Ich komme auch gleich!“, antwortete sie und sah den jungen Spieler nicken.
„Sala, kannst du Magnifus‘ Artefakte suchen? Ich kümmere mich um die Beiden“, fragte sie Salamander und deutete mit einer Kopfbewegung auf Angel Eye und Anael.
„Mach ich“, seufzte Salamander und wollte schon davon stapfen, als der Körper des Dämons plötzlich zu zittern begann.
Instinktiv sprang Zelia sofort zwei Schritte zurück. Angel Eye und Salamander folgten ihr kaum eine Sekunde später. Furchtsam blickte Zelia auf den Körper, der doch eigentlich ein Leichnam sein sollte. Wenig später stellte sie jedoch fest, dass es lediglich bei diesem leichten Zittern blieb und der Körper, oder besser gesagt, dass was davon übrig geblieben war, nach und nach zusammen schrumpfte und wieder die ursprünglichen, menschlichen, Ausmaße annahm.
Währenddessen waberte ununterbrochen ein schwarzroter Nebel aus dem Körper des ehemaligen Dämons, bis er sich etwa einen Meter über dem Boden zu einem schwarzroten Kugelgebilde dichter, finsterer Nebelschwaden verdichtete.
„Was ist das…?“, gab Zelia mehr überrascht, denn eigentlich fragend von sich.
„Ich würde ja mal sagen Dämonenenergie“, antwortete ihr Salamander überflüssigerweise.
„Da liegst du vollkommen richtig“, stimmte ihm eine weitere unerwartete Stimme zu und Zelia entdeckte den Anführer der Soldaten wenige Meter entfernt. Scheinbar war Angel Eye nicht die Einzige, die zu ihnen aufgeschlossen hatte.
„Ich würde dir dringend davon abraten, zu versuchen die Energie in dich aufzunehmen“, erklärte der Soldat grimmig weiter. „Ich habe deinen gierigen Blick gesehen. Aber glaube mir, daraus resultiert nichts Gutes.“
„Wäre ja auch zu einfach“, gab Salamander resigniert von sich. „Und keine Sorge, nur ein Idiot wäre blöd genug, sich diesem dunkeln Zeug zu nähern.“
„Seid ihr wegen dieser Energie hier?“, fragte Zelia den erschöpften Soldaten.
„Nein“, schüttelte dieser den Kopf und zeigte auf Anael. „Ich bin wegen ihm hier. Wie geht es ihm?“
„Er ist nur bewusstlos“, antwortete Angel Eye. „Er wird schon wieder.“
„Das freut mich“, sagte der Hauptmann und lächelte. „Wärt ihr so nett und sagt ihm, dass ich mit den restlichen Soldaten noch zwei Tage hier in Belu verbringen werde, ehe wir uns auf den Rückweg machen?“
„Sicher“, antwortete Zelia.
„Danke“, sagte der Soldat. „Und was die Energie betrifft, am besten rührt ihr sie nicht an. Bald werden Magier und Priester des Königreichs hier sein, die sich mit der Reinigung verseuchter Energien auskennen. Ihr könnt dieses Problem getrost ihnen überlassen.“
Danach wandte er sich ab und machte sich langsam auf den Rückweg.
„So viel dazu…“, meinte Salamander. „Durchsuchst du den Dämonenkerl nach Artefakten, Zelia?“
„Ja, mache ich“, nickte sie.
„Hoffentlich findest du irgendetwas, was uns dieses Desaster irgendwie wieder vergessen lässt“, fuhr sich Salamander mit den Händen übers Gesicht und stapfte davon.
„Ich bezweifel es zwar, aber was soll‘s…“, murmelte Zelia vor sich hin, als sie sich in Bewegung setzte und zu Angel Eye hinüber spähte.
„Was schaust du mich so an?“, meinte diese und hob beschwichtigend die Hände. „Wir hatten einen Deal und der sah keinerlei Artefakte oder dergleichen vor. Falls du was findest, gehört es euch.“
„Gut, dass du vernünftig bist“, schmunzelte Zelia und machte sich daran den Leichnam des Goblinanführers zu untersuchen. Normalerweise war diese Aktion immer das Erste, was sie taten. Aber das Finale der Schlacht war so ungewöhnlich gewesen, dass Zelia und auch sonst kaum jemand dran dachte die Beute zu sichern. Die wenigen Spieler von Trullus‘ Leuten, die in Richtung des toten Dämons spähten, hatte Zelia nur einen Augenblick grimmig ansehen müssen, damit sie derlei Gedanken schnell wieder verwarfen.
Doch wie sie vermutet hatte, wurde sie enttäuscht. Es gab zwar ein paar Artefakte, aber nichts, was der Rede wert gewesen wäre. Zumindest für eine Gilde wie es Spirit of Dawn war.
„Ein Weißgold-Gegenstand und der Rest nur Goldrang… Und obendrein sind es alles nur verfluchte Artefakte… Hmm… vielleicht steigert die Reinigung in den Tempeln des Lichts wenigstens das Ansehen der Gilde…“, überlegte sie laut und packte die Artefakte nichts desto trotz in ihren Speichergegenstand.
„Dann bleibt jetzt nur noch die Sache mit diesem Spieler übrig“, sagte sie vor sich hin und erhob sich.
„Was willst du von ihm?“, machte sich Angel Eye plötzlich bemerkbar.
„Hmm? Ich will nur sein Gesicht sehen und ihn über seine Fähigkeit ausfragen. Wenn es irgendwie möglich ist, dergleichen zu erlernen, wäre das ein riesen Vorteil für uns“, erklärte Zelia.
„Ich habe so das Gefühl, dass er Beides nicht wollen wird“, meinte daraufhin Angel Eye und positionierte sich zwischen Zelia und Anael.
Meint die das ernst? Will Angel Eye mich etwa aufhalten? Sie kann doch nicht wirklich glauben als Orakel eine Chance gegen mich zu haben, dachte Zelia belustigt.
„Was soll das werden?“
„Wonach sieht es denn aus? Privatsache sollte Privatsache bleiben...“, erwiderte Angel Eye schulterzuckend.
Plötzliches Knirschen von Gestein und Felsen durchbrach in dem Moment die angespannte Situation und zog unwillkürlich Zelias und Angel Eyes Aufmerksamkeit auf sich.
Überrascht beobachtete Zelia, wie ein Großteil des Geröllhaufens in Bewegung geriet. Große Gesteinsbrocken wurden zur Seite gestoßen oder fielen hinab, bis sich nach und nach, viele kleine Felsgestalten freikämpften und wackelig auf die Beine stellten.
Und als Zelia allmählich begriff, was hier vor sich ging, ertönte eine wehleidige Stimme: „Arg… Scheiße, fühle ich mich schlapp…“
„Ja, mir geht es gut. Aber was ist denn mit dir?“, hörte sie diesen Anael weiter sprechen. „Du siehst furchtbar… durchscheinend… aus.“
„Mit wem redet er?“, fragte Zelia verwirrt.
„Keine Ahnung…“, antwortete Angel Eye mindestens genauso unschlüssig wie sie.
Benommen kam Bahe zu sich und stellte als allererstes fest, wie erschöpft sich sein Körper anfühlte.
Stöhnend kämpfte er sich aus seiner Bauchposition auf alle Viere und meinte wehleidig: „Arg… Scheiße, fühle ich mich schlapp…“
Für einen Moment drehte sich alles um ihn und Bahe beschloss kurz in der Haltung zu verharren, ehe er sich vorsichtig auf die Knie niederließ.
„Anael, geht es dir gut?“, hörte er den arg verblassten Brocken fragen, den er keinen Meter weit zu seiner rechten entdeckte und der nun so geisterhaft wirkte wie noch nie zuvor.
„Ja, mir geht es gut. Aber was ist denn mit dir?“, fragte Bahe besorgt. „Du siehst furchtbar… durchscheinend… aus.“
„Hehe…“, grinste Brocken verhaltend und deutete um sich. „Unser Zauber hat uns alle viel Kraft gekostet.“
Erst jetzt fiel Bahe auf, dass sich all die Erdelementare arg verändert hatten. Ragten sie zuvor noch mehrere Meter höher und breiter auf, als selbst die größten menschlichen Exemplare, so wirkten sie nun wie Winzlinge oder Zwerge. Ihre Proportionen waren gleich geblieben, aber offensichtlich hatten sie noch einige Probleme sich an ihre neuen Körperausmaße zu gewöhnen. Wankende Schritte wurden von Ausgleichbewegungen der Arme begleitet. Einzig ihre dunklen Stimmlagen schienen gleichgeblieben, als sie plötzlich begannen laut und fröhlich zu grölen begannen.
Fröhlich… deutete er die merkwürdigen Laute der Erdelementare überhaupt richtig? Er wusste nicht wie er darauf kam. Es war einfach ein Gefühl.
Wie dem auch sei, ihn juckte es im Moment viel mehr sein Profil und all die Benachrichtigungsfenster zu checken, die er bislang ignorierte. Aber in Anbetracht seiner Gesellschaft würde das wohl noch warten müssen.
Die Frage von dieser Assassine-Spielerin, mit wem er redete, hatte er gerade nur am Rande mitbekommen. Es war wohl besser, wenn er ihre Aufmerksamkeit schnell in eine andere Richtung lenkte. Fehlte noch, dass er unangenehme Fragen beantworten musste.
Wie sich herausstellte, machte er sich aber völlig umsonst all diese Gedanken, als ein unverwechselbares Wort lautstark von seiner Linken gerufen wurde: „Huschu!“
„Hä? Was?“, blickte sich die Spirit of Dawn-Spielerin um und Bahe musste schmunzeln. Die kleinen Felsgnome kamen genau im richtigen Augenblick.
„Huschuuu! Huuuschu, Huschu, Huschuu“, rief ein wilder Haufen Felsgnome, der hinter ihrer Medizinfrau her trottete.
Ein leichtes Kichern lenkte Bahes Aufmerksamkeit auf die andere Spielerin, die in seiner Nähe stand. Doch sie stand merkwürdig abgewandt von ihm, so dass er sie optisch nicht einordnen konnte.
Bahe beachtete sie nicht länger, als die Felsgnome näher kamen. Sogar die Medizinfrau war offensichtlich in hervorragender Stimmung. Sie trug ein breites Grinsen zur Schau, als sie mit ihren Stammesgenossen an ihn heran trat.
„Huschu“, sagte sie sanft, ließ sich vor ihm auf die Knie nieder und führte ihre Stirn zu Boden, während die restlichen Felsgnome es ihr gleichtaten.
„Soll ich das übersetzen?“, fragte Brocken.
Bahe schüttelte nur lächelnd den Kopf. Er konnte sich denken, was sie ihm sagen wollten.
„Sag ihnen, dass sie sich nicht verbeugen müssen“, meinte er stattdessen.
„Hmmm… Mache ich“, sagte Brocken und rief Felsur heran.
Bahes Mundwinkel zuckten, als er Felsurs kleine Gestalt erblickte, deren felsenartigen Gesichtszüge irgendwie so viel lebhafter wirkten wie zuvor.
Da er wusste, dass es etwas länger dauern konnte, kämpfte sich Bahe derweil zitternd auf die Füße. Verdammt, war er geschwächt…
Doch zu Bahes Überraschung schien sich Felsur mit seinem typischen felsigen Grollen diesmal schneller mitzuteilen, denn die Felsgnome erhoben sich bereits wieder. Irgendwie beschlich Bahe das Gefühl, dass ihre Blicke nun noch mehr Dankbarkeit in sich trugen, als sie ihn beim Aufstehen ehrfürchtig ansahen.
„Huschu, Huschu!“, bellte die Medizinfrau Huschuma einige Befehle und vier ihrer Artgenossen schleppten zwei große Steine nach vorne. Bahe brauchte nicht lange, um in ihnen die vermissten Tarsteine zu erkennen.
„Hey, wartet mal!“, rief plötzlich ein Spieler Spirit of Dawns, den Bahe zuvor im Kampf gegen die Stierdämonen bemerkt hatte, von weiter weg.
Seinem Sprint nach zu urteilen, konnte der Typ nicht schnell genug zu ihnen kommen.
„Die Steine da gehören uns!“, rief der Spieler, der immer noch zwanzig Meter weit weg war.
„Ich dachte, wir hätten einen Deal?“, fragte Bahe die Spirit of Dawn-Spielerin vor seiner Nase und beobachtete ihre Reaktion genau.
Doch die Spielerin blieb völlig gelassen und verzog keine Miene.
„Das sind die Tarsteine?“, fragte sie stoisch.
Bahe nickte.
„Dann gehören sie dir“, seufzte sie und machte eine Kopfbewegung hin zu dem rennenden Spieler. „Überlass diesen Idioten mir.“
Bahe zuckte nur die Schultern, ihm sollte es recht sein, solange er bekam was ihm versprochen worden war.
„Was soll das, Zelia? Diese Steine sind verdammt wertvoll!“, ereiferte sich der Spieler als er bei ihnen ankam.
„Sie waren die Bedingung für seine Hilfe, Sala. Also lass gut sein“, wies diese Zelia ihren Gildenkameraden zurecht und Bahe konnte nur zufrieden nicken.
Ihr Gildenkamerad wollte aber nicht locker lassen: „Man Zelia, die Dinger steigern nicht nur die Kraft der Elemente in einem großen Bereich, sondern lassen dich sogar schwere Zauber schneller erlernen! Hast du irgendeine Ahnung wie wertvoll die für Magierklassen sind?“
„Wem hat Magnifus das Kommando übertragen, Salamander?“, hörte Bahe nun noch einen dritten Spieler von Spirit of Dawn sagen, der gerade dazu kam.
„Nicht du auch noch Bemil…“, stöhnte der aufgebrachte Spieler.
„Wie geht’s dir Bemil?“, fragte Zelia den Neuankömmling und ignorierte den Schreihals.
„Vollkommen erschöpft“, sagte dieser lächelnd. „Wie es eben immer nach Einsatz meiner ultimativen Fähigkeit ist.“
„Wenigstens hat uns dein Flächenteleportationszauber den Arsch gerettet, nicht wie so manche nutzlosen Feuerbälle“, machte Zelia sich über den aufgebrachten Gildenkameraden lustig.
„Leute“, beschwor dieser Salamander seine Gildenmitglieder. „Wenn ich mich nicht irre, sind das da Tarsteine! Bemil, du müsstest am besten wissen, wie wertvoll die Teile sind…“
„Sala, Magnifus hat mit ihm einen Deal abgeschlossen. Die Tarsteine für seine Hilfe. Wenn du noch länger am Rumzicken bist, ramme ich dir meine Dolche in den Arsch!“, sah Bahe diese Zelia ihren Gildenkamerad anblaffen und musste unwillkürlich grinsen.
„Huschu, huschu“, sagte Huschuma und Bahe blickte neugierig auf die Medizinfrau. Mit einer Geste lenkte sie seinen Blick auf den ersten der Tarsteine, der ihm von den Felsgnomen entgegen gereicht wurde.
Hmm… was wollten sie von ihm?
„Sie wollen, dass du die Steine reinigst“, sagte Brocken.
Ah… natürlich, dachte Bahe, da war ja was. Fragte sich nur, wie er das hinbekommen sollte.
„Siehst du Salamander, die Tarsteine sind nutzlos“, vernahm er die Bemils Worte.
„Was meinst du?“, fragte Salamander.
„Sie sind von den Mächten der Finsternis verseucht“, antwortete Bahe an Bemils statt, als er den ersten Tarstein entgegen nahm. „Daher auch diese dunkle Farbe.“
„Und wofür brauchst du die Dinger dann?“, fragte Salamander
„Ich? Ich brauche sie gar nicht. Sie gehören den Felsgnomen“, erklärte Bahe und verlagerte den Tarstein auf eine Hand, ehe er mit der freien Hand auf die inzwischen recht liebenswürdigen Winzlinge rund um Huschuma deutete.
„Felsgnome…“, murmelte Bemil offensichtlich interessiert. „Ich habe noch nie welche gesehen. Sie sind doch normalerweise unglaublich scheu. Wie hast du sie aufspüren können?“
„Ähm… das ist eine lange Geschichte…“, antwortete Bahe bemüht nicht in Verlegenheit zu geraten und kratzte sich verhalten den Kopf. Dabei achtete er jedoch nicht auf das Gleichgewicht des Tarsteins, welcher im aus der Hand fiel und durch die Schräge des Berghangs hinter ihm ins Rollen geriet.
„Ah, verdammt“, meckerte Bahe über seine Achtlosigkeit und lief schnell hinterher.
Glücklicherweise polterte der Tarstein in einen naheliegenden Krater und kam neben einem Leichnam zum Erliegen. Bahe wäre andernfalls niemals auf seinen wackeligen Beinen hinterher gekommen.
„Hey, pass mit dem Nebel über dir auf!“, hörte er eine irgendwie vertraute Stimme mit einem warnenden Unterton.
Zunächst spannte Bahe sich instinktiv an, ehe er langsam den Blick hob und ein kugelförmiges Gebilde aus Nebelschwaden über seinem Kopf entdeckte. Vorsichtig trat er einen Schritt zurück und richtete sich erst dann wieder vollends auf.
Was war das?
Nachdenklich sah Bahe sich um und begriff wenige Augenblicke später, dass es sich bei diesem Leichnam um den Goblinanführer handelte, der zu dem Dämon geworden war. Die Kraft in dieser Nebelkugel schien ihm alles andere als natürlich.
Dankbar wollte er nach der Person suchen, die ihn gewarnt hatte, als der Tarstein in seinen Händen plötzlich zischte und vibrierte, ehe sich schwarzrote Nebelschwaden von ihm lösten und sich dem kugelförmigen Gebilde unweit von Bahe anschlossen. Nach und nach färbte sich der Tarstein wieder vollkommen klar und strahlte erneut in seinen natürlichen, bräunlichen Farben.
Dann sprang ein Benachrichtigungsfenster auf:
Du hast den Ursprung der unheilvollen Macht vernichtet, die von dem Tarstein Besitz ergriffen hat. Die letzten Überreste der Finsternis sammeln sich in dem verzweifelten Versuch am Leben zu bleiben. Durch die Nähe zu dieser Ansammlung der verfluchten Macht, verstärkte sich die Anziehungskraft und entzog dem Tarstein jedes Quäntchen der finsteren Kraft.
„Identifizieren“, murmelte Bahe schnell und studierte das neue Benachrichtigungsfenster:
Tarstein des Erdelements
Rang: ?
Ein Tarstein des Erdelements der als natürlicher Verstärker der Erdelementarenergie in einem großen Radius dient. Die Erdelementarenergie, die der Tarstein sammelt, wird verstärkt zurückgegeben und nährt alle erdverbundenen Lebewesen Raoies, die sich in seinem Wirkungsbereich befinden.
Erdelementarenergie in Reichweite des Tarsteins +20%
Reichweite des Tarsteins: 5 Kilometer
Ähm… hatte er gerade eine Möglichkeit gefunden, die Felsgnom-Quest erfolgreich abzuschließen?
„Hey, ich brauche auch noch den anderen Tarstein“, rief er Brocken zum Übersetzen zu und ging schnell zurück zu den Felsgnomen.
Diese bekamen unter aufgeregtem Huschu-Getuschel große Augen, als sie den klaren Tarstein erblickten und bis auf die zwei Felsgnome, die den Stein ehrfürchtig entgegen nahmen, warfen sich alle ehrerbietend zu Boden.
Na toll… geht das schon wieder los, dachte Bahe resigniert und wartete auf Felsurs Übersetzung.
„An…ael…“, hörte er plötzlich seinen Namen wie aus weiter Ferne, sah aber niemanden nach ihm rufen.
„Habt ihr etwas gehört?“, fragte er die Umstehenden.
„Was meinst du?“, zog Zelia die Brauen hoch.
„Hmm… wahrscheinlich irre ich mich…“, winkte Bahe ab.
Es brauchte mehrere drängende Grollgeräusche Feslurs, bis die Felsgnome mit dem anderen verseuchten Tarstein wagten sich zu erheben und Bahe das Exemplar in die Hände legten.
Dann wiederholte Bahe den Prozess und brachte den verseuchten Tarstein in die Nähre des kugelförmigen Nebelschwadengebildes. Es dauerte nur ein paar Sekunden, als auch von diesem die dunkle Macht hinaus gesogen wurde und Bemil trat interessiert näher heran.
„Faszinierend…“, hörte Bahe ihn murmeln, ehe er fragte: „Dürfte ich ihn mir gleich mal für einen Moment anschauen?“
„Ähm… sicher“, nickte Bahe, der es sich mit Spirit of Dawn lieber nicht verscherzen wollte. Abgesehen davon wirkte dieser Spieler wesentlich vertrauensvoller als der immer noch griesgrämig dreinblickende Salamander.
„Anael!“, hörte Bahe erneut seinen Namen. Diesmal jedoch schon wesentlich näher.
„Da ruft doch irgendwer nach mir…“, murmelte Bahe und schaute sich um.
„Hmmm? Wer? Ich habe nichts gehört…“, meinte Bemil. „Oh, die dunkle Macht schein weg zu sein. Darf ich?“
„Ah, klar“, antwortete Bahe und übergab den Stein.
„Wirklich faszinierend…“, vernahm Bahe das Gemurmel von Bemil, während er sich noch einmal umschaute.
„Hey, ist das da ein Bergbärenjunges?“, fragte Salamander und Bahe folgte sofort seiner Blickrichtung.
Ganz oben am Berghang entdeckte er tatsächlich einen jungen Bergbär. Natürlich saß Limona vor Freude strahlend auf ihrem Freund und rief lautstark nach ihm, während sie begeistert winkte.
„War ja klar…“, gab er geistesabwesend lächelnd von sich. Es freute ihn, dass es dem jungen Bergbär offensichtlich wieder besser ging.
„Was war klar?“, fragte Bemil verwirrt.
„Ach nichts, bist du fertig?“, meinte Bahe abwinkend.
Bemil nickte nur und reichte den Tarstein zurück.
Als Bahe den Stein den Felsgnomen zurückgab, wurde die Aktion erneut von aufgeregtem Huschu-Getuschel aufgenommen, wenn auch diesmal das zu Bodenwerfen als Zeichen der Ehrerbietung ausblieb. Stattdessen sprangen sie vor Freude alle auf und ab, sogar ihre Medizinfrau machte mit.
„Hey, der Bergbär kommt näher“, warf Salamander plötzlich in die Runde.
„Der kommt nicht nur näher, der hält direkt auf uns zu“, meinte Zelia einen Dolch zückend.
„Sag mal, hat der eine Tasche umgebunden?“, bemerkte Salamander noch verblüfft.
„Macht euch keine Sorgen, der Bergbär gehört zu mir“, erklärte Bahe schnell, ehe die Anderen noch auf die Idee kamen, Balu anzugreifen.
„Wie kommst du zu einem Bären?“, fragte Bemil.
„Lange Geschichte“, sagte Bahe nur, um nicht näher drauf eingehen zu müssen.
„Anael!“, hörte er Limonas Geschrei inzwischen deutlich, während Balu die letzten fünfzig Meter zu ihnen zurücklegte. „Sie nur wie gut es ihm wieder geht.“
„Bist du ein Bestienzähmer? Oder ist deine Berufsklasse irgendeine Abwandlung davon?“, hakte Bemil jedoch weiter nach.
„Kann ich dir, um ehrlich zu sein, gar nicht genau sagen. Aber ich glaube, dass Beides nicht zutrifft“, zuckte Bahe die Schultern.
„Hä? Du musst doch wissen, welche Berufsklasse du besitzt“, warf Salamander mal wieder etwas aggressiver ein.
Doch Bahe ignorierte ihn und machte einigen Erdelementaren Platz, die zu den feiernden Felsgnomen dazu stoßen wollten.
„Hey, ich habe dich was gefragt!“, blaffte Salamander wütend über Bahes ausbleibende Reaktion.
„Lass gut sein, Sala“, meinte Bemil. „Es ist doch offensichtlich, dass er nicht darüber reden will. Du kennst die Haltung des Gildenanführers über unser Verhalten neutralen Parteien gegenüber.“ „Anael!“, schrie Limona aus Leibeskräften und Bahe, der Balu und seine Wasserelementarin kurze Zeit aus den Augen gelassen hatte, musste fast augenblicklich zur Seite springen, um nicht von der geballten Wucht Balus über den Haufen gelaufen zu werden.
Balu schlitterte an ihm vorbei den staubigen Berghang weiter hinunter, während Limona von ihm heruntersprang und kurzzeitig ihre Füße in fließendes Wasser verwandelte, um die Landung perfekt abzufangen.
„Hehe, da bin ich wieder, Anael. Balu geht es schon wieder richtig gut. Er kann schon wieder rennen. Wie die kleinen Felsgnomkinder geguckt haben, als wir plötzlich davon gerannt sind“, plapperte Limona direkt drauf los und lachte schelmisch bei ihrem letzten Satz, bis sie Brocken entdeckte und sich noch lauter ereiferte: „Verdammt, siehst du blass aus Brocken! Was ist denn mit dir passiert?! Hat unser Meister dich etwa fast umgebracht?! Anael, ich warne dich, wenn du was damit zu tun hast, mache ich Kleinholz aus dir!“
„Auch schön dich zu sehen“, begrüste Bahe seine Wasserelementarin amüsiert.
„Mit wem redest du?“, fragte Bemil, doch Bahe entschloss sich, ihn zu ignorieren. Besser er wurde für verrückt gehalten, als dass sie ihn weiter zu seiner Berufsklasse ausfragten.
„Hallo Limona“, sagte Brocken, der sich gerade lächelnd aus der Feier der Erdelementare und Felsgnome kämpfte und richtig zu strahlen begann, als er Balu entdeckte.
Mit sichtlichem Stolz sagte er dann: „Wir haben zusammen die Tarsteine zurückerobert. Die Felsgnome und all die alten Erdelementare haben mitgeholfen. Ich habe meine Energie freiwillig eingesetzt, um mit Anael gegen einen Dämon kämpfen zu können! Wir haben endlich das Ungleichgewicht vollkommen beseitig.“
„Ah, das glaube ich nicht“, meinte Limona direkt wieder hochnäsig und erklärte besserwisserisch: „Ihr habt den verseuchten Tarstein im Lager der Felsgnome vergessen.“
„Ah, nein…“, stöhnte Bahe und fasste sich genervt an die Stirn. Daran hatte er gar nicht mehr gedacht und jetzt musste er nochmal hin und her laufen.
Doch Limona plapperte schon weiter: „Ihr könnt euch glücklich schätzen, dass ihr mich habt. In weiser Voraussicht, habe ich Balu dazu gebracht, den verseuchten Tarstein in eine Ledertasche der Felsgnome zu stopfen und mitzubringen.“
Beendete sie ihre Ausführungen mit erhobenem Zeigefinger.
„Der letzte Tarstein ist in der Tasche?“, echote Bahe genauso entgeistert wie begeistert und sah sich nach Balu um.
„Also der Kerl ist merkwürdig, egal was ihr sagt, es ist einfach nicht normal, vor anderen Leuten solche Selbstgespräche zu führen“, hörte Bahe Salamanders Stimme, ignorierte sein Gelaber aber einfach.
Seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein Balu, der doch tatsächlich schon neugierig um die kugelförmigen Nebelschwaden herum lief. Feine Nebelstränge lösten sich aus der Tasche um seinen Hals und schlossen sich dem, in der Luft schwebendem, Gebilde an.
„Dein Bär scheint recht intelligent zu sein“, sagte Bemil recht beeindruckt. „Hat er dir etwa noch einen Tarstein mitgebracht?“
Bahe wollte gerade nicken, als er etwas sah, was ihm die Adern gefrieren ließ. Balu stellte sich auf die Hinterbeine, öffnete sein Maul und wollte offensichtlich nach den Nebelschwaden schnappen.
„Halt!“, schrien Bahe, Brocken und Limona zeitgleich voller Panik und Balu hielt kurz vor dem Zuschnappen doch tatsächlich inne.
„Das ist nichts zum Essen…“, versuchte Bahe den Bergbären von seiner Aktion abzubringen.
„Ganz genau, Balu.“
„Das Zeug ist gefährlich“, schloss sich auch Brocken und Limona an.
Für einen kurzen Moment schien die Zeit still zu stehen, in der Balu mehrmals zwischen ihnen und seiner gewählten Mahlzeit hin und her blickte. Dann schnappte sein Maul zu, gefolgt von einem Schlucken.
„Ok, ich nehm’s zurück“, schüttelte Bemil den Kopf. „Intelligent ist was anderes…“
Für einen Moment geschah gar nichts. Dann blickte Balu plötzlich angestrengt drein und ließ sich auf den Hintern fallen. Im nächsten Augenblick löste sich ein riesen Rülpser aus seiner Schnauze, begleitet von etwas dunklem Nebel. Dann nahm sein Gesicht wieder einen zufriedenen Gesichtsausruck an und er kam freudig auf Brocken zu.
Bahe blinzelte verdutzt. War das gerade eben wirklich passiert?
„Ähm… hat er gerade diese verseuchten Nebelschwaden gefressen?“, fragte Salamander.
„Hmmm…“, nickte Zelia sprachlos.
Einzig Bemil lachte und sagte: „Scheinbar macht ihm diese Dämonenmacht nichts aus… Aber an deiner Stelle würde ich aufpassen, Anael. Wer weiß, was diese Mahlzeit noch für Spätfolgen hat.“
Bahe konnte daraufhin nur zustimmend nicken und zusehen, während Limona und Brocken dem jungen Bergbären eine Strafpredigt hielten.
„Ich helfe dann mal den Anderen beim Einsammeln der Artefakte“, sagte Bemil an seine Gildenmitglieder gerichtet, ehe er sich noch einmal an Bahe wandte: „Es freut mich dich kennengelernt zu haben, Anael. Du hast da auf jeden Fall eine verdammt starke Fähigkeit und an Einfallsreichtum scheint es dir auch nicht zu mangeln. Wie sieht es aus? Interesse bei uns mit einzusteigen?“
„Äh… du meinst eure Gilde? Spirit of Dawn?“, fragte Bahe überrascht.
„Ja“, lachte Bemil. „Ganz genau.“
„Hey Bemil, immer langsam…“, begann Salamander. „Seit wann kannst du denn sowas entscheiden?!“
Für einen Moment wusste Bahe nicht was er sagen sollte. Er hatte schon mehr als einmal in verschiedenen Online-Foren von Spirit of Dawn gehört und sie hier nun sogar in Aktion erlebt. Sollte er die Einladung annehmen? Sein ursprünglicher Beweggrund, mit dem Spiel Geld zu verdienen, wäre durch so einen Schritt wohl gesichert. Auch würde er vielen Spielern begegnen, die ihm mit ihrer Erfahrung in so mancher Frage weiterhelfen konnten. Umso länger er darüber nachdachte, umso mehr Vorteile taten sich vor ihm auf.
Dann hob er seinen Blick entschlossen und sah Bemil an.
„Und? Hast du dich entschieden?“, fragte dieser erwartungsvoll.
Teil 1/3
RiBBoN