„Ja, das habe ich mir auch gedacht, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe“, kommentierte Limona Bahes Verzweiflung.
„Du musst… auf jeden Fall… viel stärker werden… bevor du dich mit den… anderen Drachen anlegen kannst“, meinte auch Brocken.
„So viel ist mir auch klar“, meinte Bahe zerknirscht. „Aber selbst, wenn ich eines Tages mächtig genug bin mich mit den Drachen anlegen zu können, weiß ich immer noch nicht wo ich nach denen suchen soll… Die sind nicht zufällig auch allesamt in der Drachenschlucht?“
Der folgende Moment, in dem Brocken und Limona offensichtlich darüber nachdachten, was für einen Dummkopf sie als Meister hatten, war ihm Antwort genug.
„Ok, ok… antwortet mir erst gar nicht“, verwarf er seine Frage sofort wieder.
„Die Drachenschlucht ist… durch die immerwährenden Kämpfe… des Erd- und des Wasserdrachens entstanden“, erklärte Brocken trotzdem. „Vor einigen Jahren haben sie sich über etwas gestritten und seitdem bekriegen sie sich.“
„Was meinst du denn mit einigen Jahren?“, fragte Bahe, als er über die Größe der Drachenschlucht nachdachte.
„Hmmm… in Menschenjahren… so knappe Tausend… glaube ich…“, überlegte Brocken laut.
Nun… es ergab Sinn. So eine gigantische Schlucht konnte nicht über ein paar Jahre entstanden sein. Andererseits musterte er seine Elementare erneut. Brockens Wortwahl war schon merkwürdig… Wenn tausend Jahre für Brocken keine große Zeitspanne war, dann musste er sich fragen, wie alt seine Elementare wirklich waren… Von ihrem Äußeren erschienen sie ihm nach wie vor als Kinder.
„Ja… tausend Jahre kommt hin. Tante Anomil war schon immer ziemlich nachtragend“, stimmte Limona Brocken zu.
„Tante…?“, fragte Bahe entgeistert. „Du kennst den Namen des Wasserdrachens?“
„Ja, sicher. Der Erddrache heißt Nekcorb“, zuckte Limona mit den Schultern, als ob es selbstverständlich gewesen wäre.
„…“, Bahe wusste nicht, was er darauf antworten sollte.
„Eigentlich… ist es traurig…“, meinte Brocken.
„Hmmm…“, nickte Limona. „Tante Anomil glaubt immer noch, dass Onkel Nekcorb sie betrogen hat. Dabei muss er sich nur an seinen Schwur halten, den er dem Orakel gegeben hat.“
„Könnt ihr nicht einmal eine Geschichte von vorne erzählen?“, bat Bahe seine Elementare.
„Also… Tante Anomil konnte früher… keine Kinder bekommen… weil sie in ihrer… Kindheit schwer verletzt wurde…“, erklärte Brocken. „Viele Jahre nach ihrer Hochzeit… ist Onkel Nekcorb zum Orakel geflogen… und hat um Hilfe gebeten…“
„Moment mal…“, sprach Bahe dazwischen. „Die Drachen sind verheiratet?“
„Ja, sind sie nicht eigentlich ein süßes Paar?“, meinte Limona, während sie vollkommen fehl am Platz, in Schwärmerei verfiel.
Selbst Brocken sah sie missbilligend an und sprach weiter: „Das Orakel hat Onkel Nekcorb… den Wunsch erfüllt… Tante Anomil zu heilen. Aber… im Austausch dafür… musste er versprechen, dass… er ihr niemals von… diesem erfüllten Wunsch erzählen würde. Außerdem… musste er sich verpflichten… einen Dienst für… das Orakel zu leisten.“
Bahe fühlte sich wie in einer kitschigen Liebesserie, die am frühen Abend für frustrierte Mittfünfzigerinnen ausgestrahlt wurde.
Das Grauen erahnend und fast schon gelangweilt hob er die Brauen und meinte: „Wie ging es weiter?“
„Das Orakel gab Onkel Nekcorb den Auftrag für einen bestimmten Zeitraum das Gebiet des Feuerdrachen Aramma zu beschützen“, erklärte Limona schnell. „Aramma befand sich gerade in einem Evolutionsprozess und war geschwächt und angreifbar. Da es zur damaligen Zeit nur noch sehr wenige Drachen gab, war es dem Orakel ein Anliegen einen möglichen Angriff schon im Keim zu Ersticken. Dem Orakel ging es seit jeher stets um das Gleichgewicht Raoies. Für das Orakel gibt es nichts Wichtigeres, was zählen da schon die Methoden, mit denen das Orakel versucht eben jenes Gleichgewicht umzusetzen, nicht wahr?“
Endete Limona mit einer Frage, nur um sogleich fortzufahren: „Onkel Nekcorb kam der Bitte des Orakels nach, um Tante Anomil endgültig zu heilen. Doch was das Orakel Nekcorb verschwieg, war die Länge des Evolutionsprozesses von Aramma. Normalerweise dauern solche Prozesse maximal ein bis zwei Monate. Doch Aramma war an einem Scheideweg ihrer Entwicklung angelangt. Sie brauchte-„
„Moment mal… eine sie?“, fragte Bahe.
„Ja, Aramma ist ein weiblicher Feuerdrache“, nickte Limona und Bahe schlug die Hände vors Gesicht. Er hatte es ja mal sowas von kommen sehen…
„Jedenfalls dauerte es ganze fünf Jahre, ehe der Prozess abgeschlossen war“, ergänzte Limona.
„Dabei sind… fünf Jahre eigentlich… nicht lang für Drachen…“, warf Brocken ein.
„Genau…“, stimmte ihm Limona zu. „Jahre sind für Drachen wie die Tage für euch Menschen. Aber auf Tante Anomil machte es den Eindruck, dass Onkel Nekcorb sie betrog und viel schlimmer noch, er wollte es nicht mal zugeben.“
„Er durfte ja nie… sagen… wieso er Arammas Gebiet… beschützt hatte“, erklärte Brocken.
„Also, er hat sie nie betrogen, konnte sich aber aufgrund seines Versprechens auch nie verteidigen und so ist die eure Tante Anomil davon ausgegangen, dass er sie betrügt und belügt?“
„Genau…“, meinte Brocken traurig.
„Tante Anomil fühlte sich hintergangen und verraten und floh hierher, um alleine zu sein. Doch Onkel Nekcorb konnte nicht ertragen alles für sie getan zu haben, nur um daraufhin abgewiesen zu werden. Er folgte ihr und da er nie auf Tante Anomils Frage antworten konnte, wieso er die Jahre bei Aramma verbracht hatte, wurde sie mit der Zeit immer wütender, bis sie sich schließlich begannen zu bekriegen“, berichtete Limona weiter. „Onkel Nekcorb wollte ihr nie etwas antun, aber egal was er sagte oder tat, Tante Anomil wurde über die Jahrzehnte immer wütender, während ihre Eifersucht sie von innen auffraß…“
Hier pausierte Limona traurig und sprach darauf mit zittriger Stimme weiter: „Jeden Tag erneut mit dem Gesicht ihres Schmerzes konfrontiert zu werden, ließen sie irgendwann zerbrechen. Mittlerweile greift sie jedes Lebewesen an, das in ihre Nähe kommt und doch ist Onkel Nekcorb nie von ihrer Seite gewichen. Jahrhunderte der Kämpfe zeichneten das Land und sorgten dafür, dass sich nach und nach die Drachenschlucht bildete, in der sich die beiden noch heute bekämpfen. Normalerweise verirrt sich kein Lebewesen mehr dort hinunter, nur Onkel Nekcorb verweilt noch dort unten. Stark genug, um es mit ihr aufzunehmen und auch mächtig genug, sie gegen Feinde von außen zu beschützen, die einen wahnsinnig gewordenen Drachen als leichte Beute erachten...“
Teil 3/3! Hoffentlich lesen wir uns Dienstag!
RiBBoN