Anfangs hatten sie sich noch zurückhalten können, doch inzwischen kugelten sich die beiden Knirpse vor Lachen über den Boden.
Bahe hingegen, kochte vor unterdrückter Wut, schaffte es aber schlussendlich sich zu beruhigen und stapfte missmutig in Richtung Stadt davon.
Selbst wenn er sich um Treue mit seinen Elementaren bemühen musste, dieses Spiel ging langsam echt zu weit. Machten sich die Entwickler über alle Spieler derart lustig?
Seitdem er in Raoie gestartet war, verfolgten ihn Probleme förmlich auf Schritt und Tritt. Sicher, er hatte so manchen Fehler begangen, aber wer hatte das nicht?
Er durfte seine Klasse nicht outen, hatte Nerv tötende Elementare als eine Art von Kampfgefährten, die bisher nicht nur nutzlos schienen, sondern sich sogar auch noch über ihn lustig machten, seine Schmerzoption konnte nicht gesenkt werden, er war bereits einmal gestorben und hatte damit wertvolle Erfahrung verloren, die er im Kampf mit einem übermächtigen Monster gewonnen hatte und als ob all das noch nicht genug war, verfolgte ihn auch noch die Magiergilde seiner Startstadt, was ihm sein weiteres Vorgehen erheblich erschwerte! Freilich, war dies auch wieder nur eine absurde Folge der bescheuerten Aktionen seiner dämlichen Elementare!
Er hatte für Raoie Geld bezahlt! Wie konnte ein Start denn bitte schön noch mehr vergeigt werden?!
Die ganze Abfolge unglücklicher Umstände konnte schon längst nicht mehr als Pech bezeichnet werden. Es war die reinste Katastrophe!
„Verfluchte Scheiße!“, presste er wütend hervor und trat einen großen Ast zur Seite.
Er schloss kurz die Augen und atmete mehrmals tief durch, ehe sich grimmig weiter auf den Weg zur Stadt machte.
Um seine Elementare kümmerte er sich nicht weiter. Er hatte sie längst weit hinter sich gelassen und keine Ahnung, wie das Prinzip eines Pet[i] in Raoie funktionierte. In bisherigen Online-Rollenspielen musste man seine Kampfgefährten fast immer erst beschwören oder aus einem gesonderten Feld im Charakterprofil frei lassen. Beides schien in Raoie zumindest für ihn keine Anwendung zu finden.
Und sobald man eine größere Distanz zwischen sich und sein Pet brachte gab es im Grunde nur zwei Möglichkeiten. Entweder die Kreatur verschwand bzw. kehrte in ihr Befehlsfeld im Charakterprofil zurück oder holte wenig später auf und lief neben dem Besitzer mit.
Doch von Brocken und Limona fehlte immer noch jede Spur.
Gut, es gab auch noch die Möglichkeit, dass sich bei einem zu geringen Treuewert, die Kreaturen vom Besitzer trennten. Doch Bahe wurden Limona und Brocken nach wie vor im Charakterprofil angezeigt.
Bahe schüttelte den Kopf, er sollte sich lieber Gedanken darum machen, wie er unauffällig in die Stadt kam.
Mit einem kurzen Check seines Charakterprofils stellte er fest, dass der Tarnungsbonus +5 von dem Dreck in seinem Gesicht immer noch bestand. Vollkommen nutzlos, war der Streich seiner Elementare also nicht gewesen.
Seine Kleidung sah auch nicht viel besser aus. Nie im Leben hätte er gedacht, dass er doch tatsächlich die abgenutzte Kleidung behalten würde, als er in Waldenstadt wiederbelebt wurde. Durch die Kletteraktion an den Felsen und der Flucht vor den Drachen und anderen Kreaturen, konnte man bei seinen löchrigen Lumpen kaum noch von Kleidung sprechen. Im Grunde musste er sich nur noch ein Bisschen im Dreck wälzen und die Stadtwache würde ihn lediglich als einen Bettler aus der Gosse abtun…
Bahe blieb stehen.
Einen Versuch war es wert.
Schlimmsten Falls würde er halt wieder in die Wälder rennen müssen. Bahe konnte sich kaum vorstellen, dass die Magiergilde sämtliche Tore der Stadt dauerhaft bewachen würde. Das wäre die reinste Zeitverschwendung ihrer Talente.
Es dauerte fünf Minuten ehe er endlich am Waldrand ankam und noch schnell seine Idee in die Tat umsetzte und seine Kleidung mit feuchter Erde beschmutzte.
Anschließend lief er zu einer Straßen, die zur Stadt führten und gesellte sich kurz vor dem Stadttor zu den anderen Reisenden, um nicht zu sehr aufzufallen.
Der ganze Prozess lief problemloser als gedacht. Eine der Wachen hatte ihn bei seinem Anblick kaum eines Blickes gewürdigt und stattdessen lieber nach dem nächsten Händler Ausschau gehalten, den sie um einen kleinen Betrag erleichtern konnte, um im Gegenzug die ungewöhnlicheren Waren nicht zu bemerken.
Bahe lief zu einen der öffentlichen Brunnen, um zumindest den gröbsten Schmutz wieder los zu werden und besah sich dann halbherzig in der Spiegelung des Wassers.
„Ich gebe schon ein armseliges Bild ab…“, meinte er resignierend und begann dann sich einen Überblick zu verschaffen, wo er sich genau befand und wo er hin musste.
Im lockeren Tempo lief er daraufhin los und fragte sich ab und an durch, bis er endlich am Trainingsgelände von Waldenstadt ankam.
Vor ihm erstreckten sich über eine Weite von achthundert Metern, verschieden große Trainingsflächen, die je nach Disziplin unterschiedlich angelegt waren.
Auf einem der ersten Trainingsbereiche, nicht weit von ihm, war der in der Tutorialmission beschriebene Soldat gerade in einem Kampf eingebunden. Die roten Haare und der Bart waren unverwechselbar.
Da der Ausbilder gerade in einem Übungszweikampf verwickelt war, lief Bahe im gemütlichen Tempo hinüber und gesellte sich zu den Schaulustigen.
„Ha, du bist etwas besser geworden!“, lobte der Ausbilder Derenir einen pummeligen Jugendlichen, bei dem es sich, Bahes Meinung nach, definitiv auch um einen Spielanfänger handelte.
Mit dem nächsten Ausweichschritt brachte der Ausbilder den pummeligen Spieler plötzlich in arge Bedrängnis, da dessen Schwert auf keinen Widerstand traf und er so leicht sein Gleichgewicht verlor. Der Soldat nutzte den kleinen Fehler sofort aus und legte mit einem schnellen Schritt zum Spieler, blitzschnell seine Schwertklinge an die Kehle seines Gegners.
Der pummelige Spieler keuchte überrascht auf und stolperte vor Schreck fast rückwärts über seine Füße, ehe er sich zwei Schritte später wieder fangen konnte.
„Insgesamt gerade eben ausreichend, hat ja auch lange genug gedauert. Vier Wochen hast du gebraucht, damit ich dich mit ruhigen Gewissen ziehen lassen und mir sicher sein kann, dass du dich in deinem nächsten Gefecht nicht selbst aufspießt“, meinte der Soldat kopfschüttelnd, was wiederum einige Lacher bei den Zuschauern auslöste.
Dem pummeligen Spieler schien das Gesagte jedoch überhaupt nichts auszumachen. Vielmehr hüpfte er vor Freude auf und ab und rief lautstark: „Haha! Ich habe es geschafft! Botong wird Augen machen, wenn ich ihn das nächste Mal sehe!“
„Ich sehe schon, bei dir ist alle Hoffnung verloren…“, stöhnte der Ausbilder Derenir vor sich hin und sagte genervt zum Spieler: „Gehe lieber schnell zur Waffenkammer und suche dir dein Schwert aus, das du meiner Meinung nach nicht verdient hast…“
„Alles klar! Auf geht’s!“, schrie der pummelige Spieler wie ein Irrer, als er zu einem Gebäude rannte, das in der Mitte der Trainingsplätze gelegen war.
Da der Übungskampf damit beendet war, gingen die Schaulustigen wieder ihrer Wege und wenig später stand nur noch Bahe vor dem Ausbilder, der sich aus einem Wasserfass Wasser ins Gesicht spritzte.
Bahe wartete noch kurz, bis der Soldat mit dem Waschen fertig war und ging dann auf ihn zu, um ihn anzusprechen.
„Guten Tag, sind Sie der Ausbilder Tarat Derenir?“
„Wer will das denn wissen?“, blaffte der Soldat zurück.
„Ah, ich bitte um Entschuldigung. Mein Name ist Anael Lerua und mir wurde mitgeteilt, dass ich mich an Sie wenden sollte, um…“
„Meine Fresse, hör auf zu labern!“, fuhr der Ausbilder ihn an. „Bist du etwa eins dieser Waschweiber?! Ich wollte doch nur deinen Namen wissen!“
„…“
„Bist wohl wieder ein neuer Rekrut…“, stöhnte der Soldat aufs Neue und fuhr sich mit der linken Hand über sein Gesicht. „Man… Ich frage mich wirklich langsam, was sich die Leute da oben denken… Erst bekomme ich ‘ne fette Wurst und jetzt ‘nen dürren Zahnstocher in abgewrackten Lumpen… Haben wir keine richtigen Männer mehr im Land…?“
Das war auch mal was Neues, dachte Bahe Zähne knirschend. Dafür zu zahlen, beleidigt zu werden…
„Was willst du denn überhaupt lernen? Schon irgendeine Vorstellung? Ich sag’s nur ungern, aber den Axt- oder Hammerkampf kannst du vergessen…“
Wähle eine Waffe aus, deren Einsatz du erlernen möchtest!
Wähle dafür zunächst die passende Kategorie und entscheide dich dann für eine Waffe deiner Wahl!
In dieser Tutorialmission kannst du nur eine Kampffähigkeit erlernen! Überlege also gut, für welche Waffe du dich entscheidest! Die Tutorialmission kann kein zweites Mal durchgeführt werden!
Mögliche Kategorien sind:
--> Verteidigungswaffen
--> Blankwaffen
--> Stangenwaffen
--> Schlagwaffen
--> Fernwaffen
Diesmal konnte Bahe endlich mal wieder mit seiner Vorbereitung punkten und sagte entschieden: „Ich möchte mit Pfeil und Bogen richtig umgehen können.“
„Hmmm… gar nicht mal so abwegig mit deiner Statur. Du bist ein zäher kleiner Mistkerl, was? Ich bezweifel zwar, dass du überhaupt einen unserer Bögen spannen kannst, aber mit ein Bisschen Krafttraining sollte das schon drin sein“, sagte er sichtlich amüsiert, ab dem Moment, in dem er das Krafttraining erwähnte.
„Komm mit“, sagte er noch zu Bahe und wandte sich bereits zum Gehen.
„Wohin gehen wir, Herr Derenir?“
„Man, hör auch mich so anzuquatschen. Beim Heer sind wir nicht so förmlich. Außer vielleicht die hohen Generäle… Aber was weiß ich davon? Nenn mich einfach Tarat“, meinte er auf seine ruppige Art.
„Alles klar, Tarat“, grinste Bahe, er hatte inzwischen verstanden, dass der Charakter dieses NPCs wohl einfach so designt war.
„Ich bringe dich zu meinem Kammeraden der mehr von den fliegenden Zahnstochern versteht. Haha! Ein Zahnstocher bei den fliegenden Zahnstochern!“, lachte er schallend über seinen eigenen Witz.
„…“
Bahe war sich ziemlich sicher, dass er wohl besser mit lachen sollte, konnte es aber einfach nicht über sich bringen und entschied sich stattdessen für ein verhaltenes Lächeln.
„Bist ’nen ruhiger Bengel, was?“, meinte Tarat über Bahes unzureichende Reaktion und zuckte nur die Schultern. „Soll mir recht sein. Wir sind sowieso schon fast da.“
Tatsächlich liefen sie nur noch um ein paar hoch aufgetürmte Heuhaufen herum, ehe sie am Übungsplatz für Fernkampfwaffen ankamen.
„Hey Fenrir, komm mal her. Ich habe hier einen neuen Rekruten für dich!“, rief Tarat einen Mann um die dreißig Jahre herbei.
„Das ist Fenrir Eguan, er ist der Ausbilder für alle Fernkampfwaffen die seine Majestät so in seiner Armee duldet. Du hast Glück, Pfeil und Bogen ist auch dabei“, an Fenrir gewandt fuhr er fort. „Der Zahnstocher hier ist Aneal Lurea…“
„Ich heiße Anael Lerua!“
„Wie auch immer…“, zuckte Tarat mit den Schultern. „Jedenfalls ist er dein neuer Lehrling. Viel Spaß mit dem Knochengerippe!“
Bahe musste sich zusammen reißen, um nicht die Augen zu verdrehen, als Tarat ihn endlich mit seinem eigentlichen Ausbilder allein gelassen hatte.
„Er ist ein Bisschen gewöhnungsbedürftig, was?“, grinste ihn Fenrir an.
„Ein Bisschen ist noch nett formuliert…“, murmelte Bahe leise vor sich hin, doch Fenrir musste ihn gehört haben, denn er lachte laut los.
Bahe nutzte derweil die Chance, sich seinen neuen Ausbilder genauer anzusehen.
Fenrir war groß gewachsen und von schlanker Statur mit glatt rasiertem Gesicht und blondem Haar. Bahe war sich auch ziemlich sicher, dass sich unter Fenrirs Kleidung keine allzu großen Muskelpakete versteckten. Er war eher der sehnige Typ, was auch von seinem scharfkantigen Gesicht widergespiegelt wurde. Eine eckige Hakennase und stechende Augen ließen ihn die meiste Zeit grimmig wirken, wenn er nicht gerade lachte oder am Grinsen war.
„Wenn ich Tarat richtig verstanden habe, willst du die Kunst des Bogenschießens erlernen?“
Bahe nickte.
„Grundsätzlich bin ich immer begeistert, neue Rekruten zu bekommen, aber ich muss dich warnen. Das Bogenschießen ist im Vergleich zum Schwertkampf zu Beginn wesentlich schwerer zu erlernen und erfordert viel Disziplin und Übungsbereitschaft von deiner Seite…“, meinte Fenrir vorsichtig. „Darf ich dich nach dem Beweggrund für deine Entscheidung fragen?“
Bahe stutzte überrascht, antwortete dann aber: „Nun ja… ich möchte in Zukunft durch die Wälder wandern und werde mit Sicherheit ab und an viele Tage im Wald unterwegs sein. Da es kaum möglich ist, genug zu essen mit sich zu schleppen, dachte ich sofort ans Bogenschießen. Mit einem Schwert jagt es sich schließlich nicht so leicht.“
Fenrir zog belustigt seine Augenbrauen nach oben und sagte halb lachend: „Da hat sich ja jemand richtig Gedanken gemacht!“
„Auf jeden Fall hast du Recht“, meinte er dann. „Im Vergleich mit den anderen Kampftechniken, die du hier erlernen kannst, haben die Fernkampfwaffen und darunter besonders der Bogen, den Vorteil, dass du sie auch für die Jagd benutzen kannst.“
Anschließend musterte er Bahes Erscheinungsbild und sagte: „Komm mal mit. Wir werden zunächst testen, ob du überhaupt einen der Übungsbögen spannen kannst. Sofern das noch nicht geht, werden wir nämlich wirklich erst mal deinen Körper trainieren müssen. Und glaube mir, nach dem Training wirst du mich hassen“, fügte er mit einem Augenzwinkern noch hinzu.
Bahe wurde mit einem Mal richtig mulmig zu Mute. Er konnte nur noch an seinen unterirdischen Attributwert in Kraft denken. Hoffentlich bekam er das mit dem Spannen hin…
Jeder Kommentar motivert mich sehr! Denkt drüber nach mir ein paar Worte da zu lassen, wenn euch das Kapitel gefallen hat. :)
RiBBoN
[i] Pet – (stammt frei aus dem Englischen für gezähmtes Tier/Wesen) Als Pet werden in Online-Rollenspielen des Öfteren Wesen bezeichnet, die ihre Besitzer in irgendeiner Form unterstützen. Pets können dabei die unterschiedlichsten Rollen einnehmen, wobei die des Kampfgefährten die Häufigste ist. Es ist aber auch möglich, dass bestimmte Pets ihren Besitzern mit Heilfähigkeiten helfen oder andere Besonderheiten auslösen.
Ein weiterer Punkt der fast allen Pets gemein ist, ist die Tatsache, dass sie zunächst gebunden, gezähmt oder ihre Zuneigung gewonnen werden muss, damit sie den Besitzer in Zukunft unterstützen.