Die letzten zwei Stunden waren eine einzige Tortur gewesen. Vor Schmerzen hatte er nahezu bewegungsunfähig auf dem Bauch gelegen und sich in seinen klaren Momenten ein ums andere Mal darüber den Kopf zerbrochen, wie er im Folgenden am besten vorgehen könnte.
Das Ergebnis war, dass er keine Ahnung hatte.
Wie sollte er auch irgendetwas planen, ohne seine momentane Situation richtig erfassen zu können?
Seit Stunden sah niemand nach ihm, obwohl er offensichtlich geflissentlich versorgt worden war. Da stellte man sich doch die Frage wieso dies so war?
Ah, es half alles nichts. Seine Gedanken fingen schon wieder an sich im Kreis zu drehen.
Vorsichtig begann er nach und nach seine Arme zu bewegen und stellte fest, dass seine Qualen inzwischen erträglicher geworden waren. Es tat immer noch furchtbar weh, besonders wenn er sich bewegte. Dennoch, er konnte es mittlerweile aushalten.
Mit viel Geduld brachte er es nach und nach fertig auf alle Viere zu kommen. Sich auf seine Fersen zu setzen, war jedoch ein Ding der Unmöglichkeit.
„Scheiße!“, stieß er vor Elend gepresst hervor.
Wieso musste dieses verdammte Schmerzempfinden bloß so hoch festgestellt sein?
TNLs Support anzuschreiben, war auch nicht gerade von Erfolg gekrönt gewesen. In ihrer Antwort vertrat die TNL-Ideenschmiede tatsächlich die Meinung, dass sämtliche Einstellungen rechtmäßiger Natur waren und lediglich eine Folge seiner spielerischen Aktionen seien.
Bahes Laune war beim Lesen auf einen neuen Tiefpunkt angelangt… So viel zum viel gelobten Support-Service TNLs…
Er fragte sich allerdings noch immer, was ihn von all den anderen Spielern unterschied? Schließlich spielten diese alle mit frei regelbaren Schmerzempfinden…
Im Grunde konnte es nur seine legendäre Berufsklasse sein, oder?
Etwas anderes war ihm bis heute nicht eingefallen. Für einen kurzen Moment hatte er sogar überlegt, seinen Avatar zu löschen und das Spiel komplett neu zu starten. Nur um den Gedanken direkt darauf wieder zu verwerfen. Dafür hatte er einfach schon viel zu viel Zeit in seinen Avatar Anael investiert. Und obwohl letztlich immer noch die Möglichkeit bestand die Berufsklasse zu wechseln, musste er sich eingestehen, dass er diese Interaktionen mit seinen nervigen Elementaren allmählich zu schätzen wusste. Wenn es etwas gab, was ihn auf andere Gedanken brachte und den tristen Alltag vergessen ließ, dann waren es diese beiden ungewöhnlichen Wesenheiten.
Sooo…. Seine Gedanken schweifen zu lassen, hatte es ihm immerhin ermöglicht sich in eine kniende Position aufzurichten, ohne sich die ganze Zeit der Qualen bewusst zu sein.
Gepresst tief ein- und ausatmend griff er schließlich in seinen Speichergegenstand und holte einen neuen Satz Kleidung hervor. Danach hielt er kurz inne, um sich zu sammeln und sich auf den kommenden Leidensweg einstellen zu können.
Dann begann Bahe mit der Aktion des Jahrhunderts… Er begann sich anzuziehen…
Beinahe heiser vor Schmerzensschreien, verließ Bahe etwa zwanzig Minuten später die spärliche Behausung, in der er versorgt worden war und blickte sich um.
Scheinbar befand er sich immer noch im Lager der Felsgnome, auch wenn er sich an die unmittelbare Umgebung nicht erinnerte. Mit einem Blick nach rechts stellte er fest, dass in gut zehn Metern das Lager endete und den Blick auf die kahle Schlucht frei gab. Wahrscheinlich war er von der anderen Seite ins Lager geschleppt worden.
Alles sah genauso aus, wie in seiner Erinnerung. Nur eine Sache fehlte, oder besser, Lebewesen fehlten. Von den Felsgnomen war weit und breit nichts zu sehen, geschweige denn von seinen Elementaren.
Nun… da er offensichtlich im Lager der Felsgnome so gut es ging ärztlich versorgt worden war, bedeutete dies wohl, dass ihm hier keine Gefahr mehr drohte, oder?
„Limona? Brocken?“, rief er erst zögerlich, ehe er seine Rufe ein weiteres Mal lauter wiederholte. „Brocken? Limona?“
Doch es blieb still.
Schließlich wandte sich Bahe nach links. Dahin, wo er das Zentrum des Felsgnomlagers vermutete. Zu seiner großen Überraschung war das Lager erheblich weitläufiger als zunächst gedacht. Nachdem er die ersten zweihundert Meter im Lager zurückgelegte, machte die Schlucht eine Biegung nach rechts und wurde kurz darauf breiter. Dennoch fragte er sich langsam, wo all die Felsgnome steckten. Bislang war er immer noch keinem einzigen Lebewesen begegnet.
Seufzend stapfte er weiter und versuchte möglichst nicht an seinen Rücken oder gar an seinen Hintern zu denken. Obwohl sich die betroffenen Körperpartien inzwischen etwas erholt hatten, sendeten sie noch immer bei jedem Schritt Wellen des Schmerzes durch seinen Körper, die ihm den Atem raubten. Vor allem jetzt, wo die Kleidung über die wunden Stellen scheuerte.
Nach weiteren fünfzig Schritten vernahm er die ersten Ausläufer eines Stimmwirrwarrs in einiger Entfernung und bewegte sich darauf zu.
Nach und nach wurden die Stimmer lauter und deutlicher und ließen den bereits bekannten Huschu-Gesang erklingen.
Von Weitem sah Bahe bereits wie die Felsgnome in einer Kreisformation um eine große felsige Gestalt tanzten und dabei mit ihren Speeren und Hintern wackelten, als gebe es kein Morgen, während sie unentwegt ihren Huschu-Singsang zum besten gaben.
Die schiere Anzahl der Felsgnome ließ Bahe jedoch einen Moment inne halten. Es mussten Hunderte sein!
Was Bahe anfangs für einen einzelnen Kreis tanzender Felsgnome gehalten hatte, entpuppte sich schließlich in acht immer kleiner werdende Kreise tanzender Felsgnome.
Sie alle hatten den uralten Erdelementar als Mittelpunkt und Ziel ihrer Anbetung, soweit Bahe das beurteilen konnte. Da dieser ihm jedoch den Rücken zugewandt hatte, konnte er sich noch nicht gänzlich sicher sein.
Nach und nach entdeckte Bahe auch außerhalb der in Kreisformationen tanzenden Felsgnome noch weitere ihrer Art. Hauptsächlich kleinere Wesen, die wesentlich zarter und zerbrechlicher wirkten. Oft standen sie in großen Gruppen, um eine Felsgnomin herum, die sie zu beaufsichtigen schien. Wenn Bahe sich nicht gänzlich täuschte, handelte es sich um die Kinder der Felsgnome.
Es waren auch diese Gruppen kleiner Wesen, die ihn zuerst bemerkten und ihn mit großen Augen anstarrten.
Für einen Moment war sich Bahe nicht sicher, wie er sich verhalten sollte. Doch außer offensichtlicher Neugier, ließen sich die Kinder der Felsgnome, als auch die erwachsenen Aufsichtspersonen nichts weiter anmerken.
Zögerlich setzte Bahe sich erneut in Bewegung und trat an die tanzenden Felsgnome heran, die bislang nicht von ihrem Anbetungsritual oder was auch immer es darstellen sollte, abgelassen hatten.
Erst als Bahe nur noch zwei Schritte vom äußersten Ring der Felsgnome entfernt war, ließen die Felsgnome des äußersten Rings von ihren Tanzbewegungen ab und setzten damit eine Kettenreaktion in Gang, die sich bis hin zum innersten Kreis der tanzenden Felsgnome fortsetzte und sie allesamt verstummen ließ.
Im nächsten Moment spürte Bahe wie sich hunderte Augenpaare auf ihn konzentrierten und ihn mit einer Mischung aus unverhohlener Neugier und Ehrfurcht beobachteten.
Bevor er sich jedoch unwohl fühlen konnte, machten ihm die Felsgnome Platz und bildeten eine Gasse, die direkt zu dem uralten Erdelementar führte.
Vorsichtig setzte Bahe sich erneut in Bewegung und begann auf die Gasse zuzuschreiten. Doch kaum hatte er den äußersten Kreis der Felsgnome erreicht, als diese plötzlich an ihn heran traten und Bahe erschrocken stehen blieb.
Verrückterweise schreckten die Felsgnome daraufhin ihrerseits zurück und gaben Bahe wieder mehr Freiraum. Verblüfft runzelte Bahe die Stirn und ging weiter. Nur um erneut beobachten zu können, wie die Felsgnome regelrecht an ihn heran schlichen.
Schnell blieb er stehen und beobachtete beinahe schon amüsiert, wie diese wieder zurückschreckten. Er machte zwei Schritte vorwärts und die Felsgnome kamen näher. Er blieb stehen und die Felsgnome zogen sich zurück…
Vorsichtig legte er die letzten Meter bis zum innersten Kreis schließlich an einem Stück zurück und bemerkte verblüfft wie die Felsgnome nur nah an ihn heran traten, um entweder ihn oder auch nur einen Zipfel seiner Kleidung berühren zu können, ehe sie sich anschließend mit einem ehrfurchtsvollem Huschu zurückzogen.
Im innersten Kreis angekommen, bewegte sich Bahe bedächtig um den alten Erdelementar herum, der wie ein Haus vor ihm aufragte und entdeckte vor diesem schließlich Brocken und Limona, wie sie zusammen mit der Medizinfrau der Felsgnome, um den am Boden liegenden Balu herum saßen.
„Da seid ihr ja!“, rief Bahe. „Ich habe euch schon überall gesucht.“
Er wollte schon fragen, ob sie für seine Rettung verantwortlich waren, als er ihre panischen Blicke bemerkte. Sie wirkten trostlos und verzweifelt.
„Was… was ist los?“, fragte Bahe entgeistert.
Teil 1/2!
Bis Sonntag!
RiBBoN