„Ich hätte es mir denken können“, begann Feiying kopfschüttelnd und ergänzte dann lieber schnell, bevor es zu einem neuen Schreianfall kam: „Der Sauerstoff in der Höhle war größtenteils aufgebraucht, deswegen erloschen die Flammen an den Ameisenkadavern. Außerdem sorgte dieser Prozess für eine höhere Konzentration von Kohlendioxid in der Luft. In höheren Konzentrationen ist es nichts anderes als Giftgas. Du kannst daran verrecken, wenn zu viel davon in der Atemluft ist. Die ganze Höhle war voll von dem Zeug. Mir ist zu spät klar geworden, was diese Feuersbrunst in einer nahezu abgeschlossenen Höhlenkammer bedeuten würde.“
„… Fuck!“, stieß Stallion nach einem Moment der Verarbeitung aus. „Da hätte ich nie dran gedacht.“
„Und eure Heiltränke müsst ihr nicht nehmen, weil in dieser Höhle noch ein guter Sauerstoffgehalt in der Luft sein sollte. Atmet tief, ruhig und bewegt euch nicht allzu viel, damit sollten eure Lungen das überschüssige Kohlendioxid mit der Zeit von alleine abbauen können.“
„Alles klar“, nickte Alucard knapp zum Zeichen, dass er verstanden hatte.
„Jungs!“, rief Stallion aus und erklärte begeistert: „Ich muss sagen, auf euch ist immer Verlass in schwierigen Situationen. Wir sind hier in einem Mega-Dungeon, werden reich, können massiv viel Erfahrungspunkte sammeln und das Beste an allem, ich werde auch noch für die Zeit hier bezahlt…“
„Hey, wie kommst du denn auf die Idee?“, warf Alucard unwirsch ein.
„Hä“, gab Stallion sichtlich verblüfft von sich. „Aber wir haben doch eine Abmachung, dass ich pro Stunde von dir bezahlt werde…“
„Die galt aber nur so lange, bis du mich zu Anael geführt hast, du Vollidiot“, blaffte Alucard ungehalten. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dich dafür bezahle den Clown der Gruppe zu spielen…“
„Aber Boss, Humor bringt die Menschen enger zusammen. Sieh doch nur wie wir als Team zusammen gewachsen sind…“
„Und?“, unterbrach Alucard den Bogenschützen kaltherzig.
„Aber… aber… sind meine Mühen nicht ein kleines Zusatzgehalt wert?“, versuchte sich Stallion.
„Nö.“
„Aber Boss… ich habe… ich habe doch schon die neue Couch für meine Oma bestellt…“
„Nicht mein Problem.“
„Boss!“, jammerte Stallion herzerweichend, doch Alucard blieb hart und schwieg von da an.
Während Stallion die nächste halbe Stunde damit verbrachte atemlos eine Mitleidstour zu schieben, klärte Feiying Bahe im Detail über die Geschehnisse in der nächsten Höhlenkammer auf.
„Das große Exemplar hört sich ganz nach einer Königin an“, meinte Bahe abschließend. „Sie wird wohl der Boss[i] sein. Die Frage ist nur, ob sie vielleicht inzwischen erstickt ist?“
„Ich glaube eher nicht“, schüttelte Feiying den Kopf. „Dann müssten wir doch Erfahrungspunkte bekommen haben.“
„Stimmt“, antwortete Bahe und nickte nachdenklich. „Was meinst du, wann könnt ihr wieder in die Höhle zurück?“
„Ich weiß es nicht“, zuckte Feiying mit den Schultern. „Ich fürchte wir können es in regelmäßigen Abständen nur ausprobieren.“
„Ja, das ist echt dämlich“, meinte Alucard genervt. „Eigentlich bräuchte man irgendeine Fähigkeit, durch die man Gifte jeglicher Art erkennen kann. Aber so wie Raoie aufgebaut ist, muss man sich stattdessen mit der Wirkungsweise und den ganzen Herstellungsprozessen langwierig auseinandersetzen, bis man alles selbstständig erlernt hat…“
„Boss, wenn du mich für den Rest des Dungeon-Aufenthaltes engagierst, werde ich mit Freuden die Führung übernehmen und mich als Versuchskaninchen missbrauchen lassen“, bot sich Stallion schnell an.
Doch Alucard antwortete nur: „Wie kommst du darauf, dass du überhaupt eine Wahl hast?“
„Boss…“
Feiying schüttelte nur grinsend den Kopf und beschloss lieber die Heilsalbe auf seine Verbrennungen aufzutragen, die ihm Bahe netter Weise geliehen hatte.
Bahe hatte sich bereits wieder daran gesetzt Helionen zu erschaffen und Alucard ignorierte gekonnt Stallions Jammern.
So vergingen die Minuten und nach einer guten halben Stunde trauten sie sich das erste Mal in die Höhle zurück, mussten jedoch feststellen, dass sie immer noch kaum Luft bekamen.
Frustriert saßen sie zusammen mit Bahe in dem kleinen Vorraum fest und warteten.
Als die letzte Stunde ihrer Spieleinheit anbrach, war es endlich soweit. Die Luft war akzeptabel, immer noch dünn, aber zumindest traten keine weiteren Erstickungs- oder Vergiftungssymptome auf.
Da auch Feiyings Verletzung gut verheilt war und ihrer aller Lebenspunkte wieder voll hergestellt waren, drangen sie vorsichtig weiter in die riesige Höhle vor und untersuchten dabei die Kadaver der Monsterameisen.
Artefakte suchten sie vergebens, allerdings war die Panzerung der Riesenameisen durchaus zu gebrauchen. Feiying konnte Alucards Vermutung, dass aus der Chitinpanzerung Defensivartefakte hergestellt werden könnten, nur zustimmen. Nur leider waren ihre Speichergegenstände schon allesamt mit Upalen gefüllt. Sofern sie also nicht große Stücke aus der Chitinpanzerung lösen und mit sich herum tragen wollten, mussten sie wohl oder übel auf dieses mögliche Einkommen verzichten.
Langsam pirschten sie vorwärts und umso weiter sie in die Höhle vordrangen, umso vorsichtiger wurden sie.
Neue Gefahren blieben jedoch aus.
Von all der Anspannung erschöpft, kamen sie schließlich am anderen Ende der Höhle an und blickten erneut auf das Tor, hinter dem die Ameisenkönigin gefangen war.
Wie zuvor war es täuschend ruhig und von dem Monster fehlte jede Spur.
„Was machen wir jetzt?“, fragte Stallion. „Erneut versuchen hindurch zu treten? Nicht, dass sie wieder eine Herde Arbeiterameisen auf uns hetzt…“
„He“, grinste Alucard. „Wolltest du nicht voran gehen?“
„Boss… jetzt mal ernsthaft“, sagte Stallion, als ob es unter seiner Würde wäre, mit Alucard zu reden. „Wie sollen wir vorgehen?“
„Es wäre tatsächlich nicht verkehrt, wenn du nochmal versuchst durch die unsichtbare Barriere hindurch zu gehen“, meinte Feiying nach kurzem Nachdenken. „So oder so müssen wir den Boss auf uns aufmerksam machen. Sobald das Viech auftaucht, greifen wir ihre verwundbare Unterseite an.“
Alucard nickte zustimmend und Stallion zuckte nur mit den Schultern. Anscheinend sollte es ihm recht sein.
Ohne länger abzuwarten marschierte Stallion auf das Tor zu und ging weiter und weiter und weiter.
„Hätte er nicht schon längst zurück geschleudert werden müssen?“, fragte Alucard verwirrt.
„Ja… es ist als ob es nie eine Barriere gegeben hätte“, überlegte Feiying und ahnte sofort Grauenvolles.
„Stellt euch schnell Rücken an Rücken!“, rief er hektisch und ergänzte: „Die Königin ist bestimmt frei, seitdem wir die Arbeiterameisen vernichtet haben…“
„Fuck, dass macht Sinn“, fluchte Stallion, während er schnell zu ihnen zurück eilte und sie sich gemeinsam, Rücken an Rücken, in einer Dreiecksformation aufstellten.
„Kann irgendjemand von euch etwas sehen?“, fragte Alucard.
„Nein… der Lichtschein ist nicht hell genug“, antwortete ihm Feiynig. „Ich könnte ihn zwar heller erstrahlen lassen, aber bei den Ausmaßen der Höhle wäre ich danach mein ganzes Mana los und vollkommen nutzlos im Kampf.“
Plötzlich war ein leises, langsames Klackern zu hören, welches stumpf durch die Höhle hallte.
„Woher kam das?“, zischte Alucard noch, als Stallion ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.
„Ähm… L… L… Leute…“, stotterte der Bogenschütze, während er am ganzen Körper zitterte und meinte: „Schaut mal nach oben…“
Von Stallions Panik angesteckt, riss Feiying ruckartig seinen Kopf zur Höhlendecke empor und schauderte beim Anblick der gigantischen Monsterameisenkönigin, die sich genau über ihnen an die Höhlendecke klammerte und plötzlich lauthals zu krakeelen, bis sich die Laute zu einem regelrechten Fauchen steigerten.
Dann stieß sich das Monster von der Decke ab und sprang ihnen entgegen, während Feiying endgültig die Panik in die Glieder schoss!
Es war vorbei…
War der einzige Gedanke den Feiying noch fassen konnte und unterdessen kam ihnen die Monsterameise immer näher.
[i] Der Boss (oder auch: das Bossmonster) = Von einem „Boss“ sprechen die Spieler von Computerspielen in der Regel, wenn sie die stärksten Kreaturen in einem Dungeon (Verließ) beschreiben. Ein Dungeon kann ein oder mehrere Monster des „Boss“-Ranges haben. Boss-Monster geben in der Regel wesentlich mehr Erfahrung und Artefakte aller Art, als ihre gewöhnlichen Gegenstücke.
8. Teil des Monats!
RiBBoN