„Hah… vergiss es“, schüttelte der Kleinere von den rennenden Spielern den Kopf. „Wieso gebe ich mich überhaupt noch mit dir ab…“
„Weil ich so ein charmanter und-“
„Halt’s Maul!“, schrie der Kleinere aufgebracht. „Ich schwöre dir, wenn wir das hier überleben, dann…“
Bevor der Spieler seine Ausführungen beenden konnte, rief der andere plötzlich: „Hey, da ist Anael!“
Verdammt, er war entdeckt worden?
Moment mal… der Typ kannte ihn? Verwirrt gab Bahe seine Deckung auf, überlegte aber bereits wie er ihnen am besten gegenüber treten sollte.
„Was? Echt?“, blaffte der Kleinere überrascht.
Wie der andere Spieler kannte ihn auch?
Bahe verstand die Welt nicht mehr. Ohne seinen Kapuzenumhang sollte er eigentlich recht unbekannt sein. Außerdem schienen die Spieler über Level 5 zu sein, was die Fähigkeit Überprüfen nahezu nutzlos machte…
Im nächsten Moment schrie der Kleinere schon wieder wütend los: „Wieso zum Henker hast du uns ausgerechnet zu ihm geführt?! Der sollte doch nicht mitkriegen, dass wir ihm folgen!“
„Aber Boss“, entgegnete der Andere entrüstet. „Du bist doch vorgelaufen…“
„…“
„Und hast gerade verraten, dass wir ihn verfolgen…“
„…“
Was waren das denn für zwei Vögel? Blinzelte Bahe verblüfft, ob der Idiotie des Zweiergespanns.
Andererseits wusste er jetzt wenigstens mit wem er es zu tun hatte. Bei seiner Abreise hatte Sin of Birth ihn nämlich noch vor einem Bogenschützen und einem Dieb gewarnt, von denen sie seit Waldenstadts Umgebung verfolgt wurden. Den Beschreibungen nach zu urteilen, war der Größere der Bogenschütze und der Kleinere der Dieb.
Doch das die Kerle so dämlich sein würden, konnte natürlich keiner vorhersehen. Trotzdem blieb Bahe wachsam, nicht dass sie nur ein Rolle spielten und bei ihm angekommen, dann über ihn herfallen würden.
Doch scheinbar machte er sich zu viele Sorgen, denn die beiden Spieler rannten schnurstracks an ihm vorbei, während der Größere schrie: „Mach das du von hier weg kommst, Anael! Hier wimmelt es gleich von gegnerischen Spielern!“
„Bitte was?!“, echote Bahe verblüfft, als plötzlich lautstarke Rufe und Schreie von einer Vielzahl an Spielern hinter ihm im Wald erklangen, was den Bogenschützen und den Dieb dazu veranlasste ihre Schritte noch einmal zu beschleunigen.
Dann brachen plötzlich Verfolger der Beiden aus dem Dickicht des Waldes und schrien lauthals:
„Da vorne sind sie!“
„Lasst sie nicht entkommen!“
„Der Boss hat ein Kopfgeld von fünf Goldstücken auf ihre Köpfe ausgesetzt!“
„Diese Bastarde sollen die Frau vom Boss nackt gesehen haben! Macht sie fertig!“
„Hey, da ist ja noch ein dritter Kerl! Wo hat sich der denn bisher versteckt?“
„Scheiß egal! Macht ihn auch fertig!
In diesem Moment wurde Bahe endgültig klar, dass er mit dieser Situation nichts zu tun haben wollte.
„Anael… wir sollten glaube ich auch lieber verschwinden“, meinte Brocken zögerlich.
„Ähm, sehe ich genauso“, antwortete Bahe nur, während Limona bereits rennend schrie: „Worauf wartet ihr dann noch?!“
Das ließ sich Bahe natürlich kein zweites Mal sagen und rannte, gefolgt von Balu und Brocken, sofort Limona und den beiden Spielern hinterher, die soeben noch seinen Weg gekreuzt hatten.
Obwohl kaum ein paar Sekunden vergangen waren, stellte Bahe resigniert fest, dass die beiden Spieler schon einen Vorsprung von knapp dreißig Metern hatten, während sie über die Lichtung wetzten.
Zu seinem Glück schienen sie schon ziemlich außer Puste zu sein, wodurch er sie mit einem kurzen Sprint noch auf der Lichtung überholte und vor ihnen auf der anderen Seite in den Wald eintauchte.
„Hey, warte auf uns Anael!“, rief der Bogenschütze.
„Wieso zum Teufel sollte ich auf irgendwelche fremden Idioten warten, die mir eine wilde Meute an wütenden Spielern auf den Hals gehetzt haben?“, rief Bahe fast lachend über seine Idiotie zurück.
„Ganz genau, welcher Spieler, der nicht Ying heißt, würde auf solch einen bescheuerten Satz hin stehen bleiben?“, blaffte der Dieb seinen Kumpel wütend an.
„Hey, wieso musst du gleich beleidigend werden?“, beschwerte sich Ying.
Bahe konnte nur den Kopf schütteln, als er seinen Vorsprung ausbaute und plötzlich zusammen mit Balu und seinen Elementaren nach links davon rannte.
„Hey, wo willst du hin?“, rief ihm der Bogenschütze nach.
Doch Bahe ging nicht darauf ein. Es war totaler Irrsinn länger bei diesen Idioten zu verweilen. Sie wurden verfolgt, er hatte gar nichts damit zu tun und sollte sich lieber raus halten.
Und in einer solchen Situation, wer war da schon blöd genug weiter geradeaus zu laufen?
Zusammen mit seinen Elementaren und Balu war er gerade knappe zweihundert Meter gekommen, als vor ihm plötzlich Spieler auftauchten, die bei seinem Anblick sofort hektisch zu schreien begannen: „Da vorne rennt jemand!“
„Gehört der Kerl zu den anderen beiden Spielern?“
„Keine Ahnung, sollen wir ihn uns schnappen?“
„Moment mal, den kenne ich ja! Dieser Bastard hat uns letztens eine verdammte Quest zunichte gemacht! Bringt diesen Schweinepriester um!“, schrie ein Bogenschütze.
Entsetzt erkannte Bahe ihn als eins der Gildenmitglieder der Wolfsunion, die er damals bei dem Jagdausflug mit den Bären und der Granitfelsspinne vorgeführt hatte.
„So eine Scheiße!“, fluchte Bahe und wandte sich abrupt nach rechts.
Wenig später tauchten vor ihm abermals Spieler der Wolfsunion auf und zwangen Bahe zu einem erneuten Richtungswechsel, während er inzwischen immer panischer um sein Leben rannte.
*
*
*
Geniella kochte vor unterdrückter Wut, über diesen dreisten Spanner, der den romantischen Augenblick mit ihrem Freund zerstört hatte. Wolfi war sowieso schon immer so sehr von Gildenbelangen in Beschlag genommen, dass ihre Zeit der Zweisamkeit ziemlich rar gesät war.
In einem Akt der Leidenschaft und der Wiedersehensfreude waren sie deshalb etwas unvorsichtig gewesen und tollten gerade nackt im kühlen Nass außerhalb ihrer sicheren Gildenbasis, als diese perverse, verabscheuungswürdige Kakerlake sich in ihre Nähe schlich und es ihnen auf äußerst dreiste Art und Weise auch noch unter die Nase rieb.
Inzwischen stand sie angezogen aber immer noch mit nassen Haaren am Ufer des Sees und beobachtete ihren Freund, der voller Zorn Befehle über die Chatfunktion schrie und die Jagd auf diesen Mistkerl koordinierte.
„Wo bleibt Zukunft-im-Arsch?“, verlangte ihr Freund gerade zu wissen.
„Ich bin hier“, rief ein schlaksiger Spieler, der mit einer weiten Priesterrobe bekleidet, tollpatschig zu ihnen lief.
„Wurde auch Zeit!“, herrschte ihr Wolfi ihn an und befahl sogleich. „Zeige mir die Bastarde, die es wagten, meiner Frau nachzustellen!“
„Natürlich, Boss“, antwortete Zukunft-im-Arsch, holte eine Kristallkugel aus seinem Speichergegenstand und aktivierte sofort seine Fähigkeit.
„Umgebungsvision“, murmelte Zukunft-im-Arsch und die Kugel begann zu leuchten. „Nach welchem Energiekristall soll ich mich richten, Boss?“
„Blau, Schreiter ist ihnen auf der Spur.“
„Alles klar“, nickte Zukunft-im-Arsch und Geniella konnte beobachten wie sich in der Kristallkugel ein klares Bild ergab, welches eine Art schräge Draufsicht auf die aktuelle Jagdsituation darstellte.
„Es waren wirklich zwei?“, fragte sie. „Ich habe vorhin nur einen gesehen.“
Wolf nickte grimmig und meinte: „Keine Sorge, Babe, sie werden nicht entkommen.“
„Ähm, Boss?“, fragte Zukunft-im-Arsch zögerlich.
„Was ist?“, wollte Wolf wissen.
„Soll ich bei der Szene bleiben oder switchen? Lef hat mir gerade eine Chatnachricht zukommen lassen, dass sie noch auf einen dritten Spieler in der Nähe von diesen beiden gestoßen sind.“
„Weiß Lef, ob er dazu gehört?“, hakte Wolf nach.
„Das hat er mir nicht gesagt“, meinte Zukunft-im-Arsch. „Aber dieser Kerl soll für den Schlamassel mit der Granitfelsspinne vor einigen Wochen verantwortlich gewesen sein.“
„Auch so eine Scheiße noch!“, knurrte Wolf von Sekunde zu Sekunde wütender. „Zeig mir den Kerl schnell und switch danach zurück. Deine Manareserven sollten dafür reichen, oder?“
„Wolfi!“, beschwerte sich Geniella wütend darüber, dass ihr Freund Gildenbelange sogar über die Wiedererlangung ihrer Ehre stellen wollte.
„Es dauert nicht lange, Babe“, antwortete Wolf kurz angebunden und Geniella musste verletzt mit ansehen, wie die Szene in der Kristallkugel wechselte und eine rennende Gestalt zeigte, die von einem Bären begleitet wurde.
„Der Kerl sieht wirklich gewöhnlich aus“, hörte Geniella ihren Wolf murren, als die Sicht sich allmählich klärte. Doch sie hörte es kaum, als sie konzentriert auf den Spieler starrte. Irgendwie kam er ihr bekannt vor…
„Waaah!“, gab sie mit einem Male von sich, als sie ihn endlich erkannte und deutete zitternd vor Wut auf die Kristallkugel. Nicht genug damit, dass sie heute Opfer zweier spannender Perverslinge geworden war, nun wurde ihr auch noch die einzige Erfahrung in ihrem Leben in Erinnerung gerufen, die sie am liebsten vergessen wollte…
„Was ist, Babe?“
„Der Kerl da…“
„Ja?“, hakte Wolf nach.
„Ich weiß nicht mehr, wie er heißt… Aber der Kerl hat mir damals im Tutorial an die Brüste gegrabscht!“, spie Geniella hasserfüllt aus.
Für einen Moment herrschte absolutes Schweigen. Das Zukunft-im-Arsch versuchte sich so klein wie möglich zu machen, beachtete Geniella jedoch nicht.
Ihr Blick galt allein ihrem Wolfi, dessen Augen so gefährlich glitzerten wie seit langem nicht mehr. Erregt lief ihr bei seinem Anblick ein Schauer über den Rücken.
„Er. Hat. Was. Getan?“, fragte Wolf mit betont tödlicher Ruhe, trat ganz nah an sie heran und ergriff ihr Kinn mit seiner rechten Hand.
Geniella wusste, dass er keine Antwort auf seine Frage wollte. Stattdessen genoss sie es wie er Besitz von ihr ergriff, als er gierig seine Lippen auf die Ihren presste und anschließend mit tödlichem Ernst knurrte: „Du gehörst mir!“
„Und diese erbärmliche Kreatur wagt es sich an etwas zu vergreifen, was mir gehört?!“, schrie er auf einmal lauthals um sich, ehe er scheinbar die Chatfunktion aktivierte und hasserfüllt rief: „Fünfzig Goldmünzen für Denjenigen, der mir den Kopf von diesem Hurensohn bringt! Und schlachtet auch diesen verfickten Bären ab. Ich will mir seinen Pelz auf den Fußboden legen!“
Mit Genugtuung schmachtete Geniella ihren Wolfi an und blickte schadenfroh auf die Szene in der Kristallkugel. Sie genoss die Macht, die sie durch ihren Freund über das Schicksal einer fremden Person hatte. Der Mistkerl würde es bald bereuen ihr jemals begegnet zu sein…
*
*
*
Bahe drehte sich immer wieder hektisch um, musste zu seiner Frustration jedoch feststellen, dass er seinen Vorsprung, wenn überhaupt, nur minimal hatte ausbauen können.
Kaum eine Minute später kreuzte er plötzlich wieder den Weg der zwei Deppen, die ihm diese ganze Situation erst eingebrockt hatten.
„Oh nein…“, stöhnte Bahe keuchend.
„Da bist du ja wieder!“, lachte der Bogenschütze.
„Halt’s Maul und renn lieber!“, schrie der Dieb.
„Was habt ihr getan, dass der ganze Wald nur so voller Wolfsunionsmitgliedern wimmelt?“, fragte Bahe aufgebracht. „Egal in welche Richtung ich gelaufen bin, die Idioten sind überall!“
Bevor einer der Beiden antworten konnte, erklangen erneut Schreie von ihren Verfolgern, die offensichtlich allmählich aufholten.
„Wir haben sie gleich! Lefs Team stößt von links zu uns!“
„Die Beiden rechts sind fünf Goldmünzen wert! Tod oder lebendig!“
„Hey, hey!“, rief der Bogenschütze neben Bahe begeistert mit einem dicken Grinsen. „Hast du das gehört Alucard? Wir sind fünf Goldmünzen wert!“
„Ich weiß wirklich nicht, wieso ich mich darüber freuen sollte, gejagt zu werden!“, spie ihm sein Kumpel entgegen und auch Bahe konnte nur den Kopf schütteln. Glaubte der Kerl wirklich an den Blödsinn, den er von sich gab?
„Hey, der andere Kerl ist sogar fünfzig Goldmünzen wert!“, schrie in diesem Moment ein anderer Verfolger und die Köpfe des Bogenschützen und des Diebs schnellten mit einem Ruck herum.
„Bitte was?!“, rief Bahe entgeistert.
Der Bogenschütze fragte verdattert: „Hat der Kerl dahinten gerade echt von fünfzig Goldmünzen gesprochen?“
„Hat sich so angehört“, meinte der Dieb mindestens genauso verblüfft.
„Wenn ich nur die Kleine… vom Wolfsunionsboss angeglotzt… habe, was musst du… dann erst gemacht haben, dass… es ein dermaßen hohes Kopfgeld erfordert?“, keuchte der Bogenschütze fragend.
„Arg! Wieso passiert mir immer so eine Scheiße?!“, machte Bahe seiner Wut Luft, beschleunigte seine Schritte noch einmal und trieb Balu an, um sich nicht länger mit diesen Typen abgeben zu müssen.
Dann klappte plötzlich ein Benachrichtigungsfenster auf:
Gold Digger möchte mit dir in magische Verbindung treten. Möchtest du seine Aufforderung annehmen?
Ja? / Nein?