Bahe absolvierte die Trainingseinheit ohne zu Murren, obwohl Wochenende war. Er war längst an das frühe Aufstehen gewöhnt. Dennoch brachte es ihm von Huilan am Ende einige lobende und aufmunternde Worte ein.
Nach einem gemeinesamen Frühstück mit der Familie begleitete Bahe im Anschluss seine Großmutter, Mutter und seine kleinen Geschwister in einen nahegelegenen Park, wo er mit seinen Geschwistern auf dem Spielplatz spielte, während seine Mutter und Großmutter sich ein Plätzchen in der Sonne suchten und sich entspannt auf eine Wiese legten.
Sein Smartphone hatte seine Großmutter eingezogen, nachdem es bereits auf dem Hinweg mehrmals klingelte und sie förmlich wahnsinnig machte. Wäre er dran gegangen, hätte es vermutlich Tote gegeben, dachte Bahe kopfschüttelnd. Aber soweit er wusste, war es nur Muning, der ihn dauernd anrief. Ihn würde er auch später noch zurückrufen können, überlegte er sich und schaukelte seine Schwester noch höher, was sie begeistert mit spitzen Schreien aufnahm.
Da den Zwillingen die Zeit mit der Familie im Freien so gut gefiel blieben sie letztlich viel länger als geplant und Bahe besorgte zwischenzeitlich Mittagessen von ein paar der hiesigen, wandernden Ständen. Erst am späten Nachmittag machten sie sich schließlich auf den Rückweg.
Zu Hause angekommen bereiteten sie gemeinsam das Abendessen vor, wobei Bahe seinen Geschwistern genaue Anweisungen geben musste, wie sie mit den scharfen Messern umgehen sollten. Im Anschluss aßen sie natürlich auch gemeinsam zu Abend und spielten noch ein paar kurze Runden eines Gesellschaftsspiels, ehe die Zwillinge darauf bestanden, dass Bahe sie zusammen mit ihrer Mutter ins Bett brachte.
Auf zufriedene Art und Weise erschöpft ließ sich Bahe eine halbe Stunde später auf den Küchenstuhl fallen und fragte seine Großmutter, die gerade die letzten Teller spülte: „Ist Opa immer noch auf der Arbeit?“
„Ja, er arbeitet jetzt wieder jeden Tag von 11 Uhr bis etwa 22 Uhr, um möglichst viele Überstunden zu machen“, antwortete seine Großmutter.
„Ist das nicht noch viel zu viel für ihn?“, erkundigte sich Bahe besorgt.
„Keine Sorge, Bahe“, schüttelte seine Großmutter den Kopf. „Ihm geht es wieder bestens. Wenn du uns helfen willst, dann mache deine Schule so gut es geht zu Ende und finde im Anschluss eine anständige Arbeit. Dein Großvater hat sich wirklich Mühe gegeben, dich in deine neue Schule zu bekommen.“
„Keine Sorge… ich verstehe schon“, antwortete Bahe, dem klar war, dass sie das alles nur sagte, damit er nicht wieder auf die Idee kam, auf eigene Faust Geld verdienen zu wollen.
„Ah, bevor ich es vergesse“, meinte seine Großmutter plötzlich und zog etwas aus ihrer Tasche hervor. „Hier ist dein Smartphone.“
„Stimmt, das habe ich vollkommen vergessen“, griff sich Bahe verlegen grinsend an den Kopf. Er hatte tatsächlich nicht mehr daran gedacht, nachdem er es ausgeschaltet seiner Großmutter gab.
„Willst du nicht nachschauen, wer angerufen hat?“, fragte seine Großmutter ihn.
„Ich bin doch schon dabei“, lachte Bahe.
Kurze Zeit später war sein Handy hochgefahren und es prasselte eine Nachricht nach der Nächsten auf ihn ein.
„Dreiundsechzig verpasste Anrufe von Muning…?“, bemühte sich Bahe seine zuckende Augenbraue unter Kontrolle zu bringen.
War der Kerl übergeschnappt? Wenn er nicht zu erreichen war, dann brachten auch hunderte Anrufe nichts…
Hmmm… vielleicht sollte er ihn noch ein Bisschen länger warten lassen, dachte Bahe belustigt und schaltete sein Smartphone schnell wieder aus. Es war eh schon spät, er würde ihn Morgen früh anrufen, überlegte er sich mit einem Grinsen.
Danach wünschte er seiner Großmutter und seiner Mutter noch eine gute Nacht, ehe er sich für das Dimensional Leap-System bereit machte und sich wenig später in Raoie einloggte.
„Feitong, kannst du gleich vorne das Regal mit den neuen Keksen füllen? Die gehen weg wie nichts. Fast bereue ich, dass ich so wenig gekauft habe“, hörte Ma Feitong seine Chefin sagen und antwortete: „Mache ich sofort nach den Bananen.“
„Ach, alles gut, Feitong. Stress dich nicht, du hast gerade erst einen Herzinfarkt hinter dir“, sagte seine Chefin und kam aus dem Lager mit einer Kiste voller Schokoladenriegel. „Wie geht es eigentlich deiner Tochter?“
„Sie erholt sich mit jedem Tag mehr. Die Ärzte meinen, dass sie bald wieder wie neu sein wird“, lächelte er bei dem positiven Gedanken.
„Und was ist mit deinem Enkel? Du weißt schon, der Ältere?“, erkundigte sich seine Chefin, während sie begann die Schokoriegel im passenden Regal einzuordnen.
„Bahe geht den Himmeln sei Dank endlich wieder zur Schule“, meinte Feitong und sah seine etwas übergewichtige Chefin danach ernst an. „Dank deines Jobangebots kann ich meine Familie jetzt wieder versorgen, Linuan. Ich weiß nicht, wie ich das jemals wieder gut machen kann.“
„Grundgütiger, Feitong! Jetzt reicht es aber, du weißt genauso gut wie ich, dass du mir damals das Geld für diesen Laden geliehen hast. Es ist doch wohl das Mindeste, dass ich dich in einer Notsituation unterstütze“, grinste Fang Linuan, wodurch ihre Lachfältchen um die Augen betont wurden. Sie war eine durchschnittlich große Frau mit schulterlangen Haaren, die ihr teils leicht verstrubelt vom Kopf abstanden. Ihre Züge waren feminin aber nicht außergewöhnlich. Sie war vom Aussehen her schlicht weg eine typische Durchschnittschinesin, die eine seidenweiche Seele in sich trug.
„Trotzdem danke“, sagte Feitong, ehe er sich die Kekse schnappte. „Ich bin dann jetzt vorne.“
„Alles klar“, nickte sie ihm zu.
Feitong suchte nur kurz nach dem passenden Regal, da er die meisten Produkte mittlerweile nahezu im Schlaf finden konnte und begann die Kekse einzusortieren.
Der Eingangsbereich hinter ihm bimmelte mehrmals zum Zeichen, dass Kunden den Laden betraten. Feitong achtete nicht sonderlich darauf. Schließlich war es ein alltägliches Ereignis. Als dann ein lautes Klatschen, gefolgt von klirrendem Metall ertönte, drehte er sich dann aber doch überrascht um.
Vier unangenehm aussehende Kerle Mitte zwanzig standen im Eingangsbereich vor einem umgeworfenen Geburtstagskartenständer und blickten ihn spöttisch an.
„Entschuldigung, das wollte ich wirklich nicht!“, meinte der Einzige von ihnen, der eine Kappe trug, übertrieben künstlich.
„Kein Problem, lassen Sie es einfach liegen“, versuchte Feitong nicht weiter drauf einzugehen und die Situation zu beschwichtigen. Doch die vier Männer grinsten nur abfällig.
„Dann wirst du doch bestimmt auch das hier aufheben“, meinte einer von ihnen, der einen ungepflegten Ziegenbart zur Schau trug, als er den anderen Geburtstagskartenständer umwarf.
„…“, wütend schwieg Feitong, bereute es aber sofort, als ihn der Ziegenbartkerl lautstark anfuhr: „Hey, ich rede mit dir alter Mann!“
„Vielleicht versteht er die momentane Situation noch nicht so richtig“, grinste einer von ihnen, dessen Haare in einem wilden Durcheinander gestylt waren. Grausam grinsend ging er zum nächsten Regal und schleuderte aus mehreren Ebenen alle Produkte auf den Boden.
„Schon gut, ich verstehe“, bemühte sich Feitong lieber schnell. „Ich werde alles aufräumen.“
„Schon viel besser“, meinte der Vierte lispelnd und entblößte dabei fehlende Schneidezähne. „Nur leider noch nicht gut genug, alter Mann.“
Dann schupste er Feitong urplötzlich mit voller Kraft gegen das nächststehende Regal, wo Feitong benommen zu Boden sank.
„Hey, was ist hier los?!“, hörte er leicht benebelt die Stimme seiner Chefin.
„Oh, eine kleine Schlampe arbeitet hier auch?“, gackerte einer der ekelhaften Typen.
„Mir gehört der Laden und ihr werdet gefälligst ersetzen, was ihr kaputt gemacht habt“, schimpfte Linuan.
„Oho… ein loses Mundwerk hat sie auch, Jungs!“, rief der Kerl mit der Kappe und packte zu Feitongs Entsetzen Linuans Kinn und zog es zu ihm heran. „Zu gut, dass du hier der Boss bist. Das vereinfacht die Sache. Denn wir sind hier, um den Laden zu schützen, meine Kleine. Aber unser Schutz kostet natürlich was… Sagen wir 10 000 Yuan für den Anfang? Oh und bevor du jetzt sagst, dass du es dir nicht leisten kannst, die Alternative wäre, dass du diesen alten Opa entlässt. Was sagst du?“
„…“, Feitong sah wie Linuan offensichtlich mit sich rang nicht laut auszurasten und versuchte sich schnell wieder auf die Beine zu kämpfen.
„Ah, komm her, alter Knacker“, meinte plötzlich der Ziegenbart übertrieben freundlich und riss Feitong abrupt in den Stand und tat danach so, als würde er Staub von Feitongs Klamotten klopfen. „So… wieder fast wie neu. Wir wollen doch, dass unsere neuen Kunden zufrieden sind“, sagte er anschließend und brachte sein Gesicht ganz nah an Feitongs Ohr, ehe er leise, aber gehässig flüsterte: „Ich soll dir schöne Grüße von Shang Pintan ausrichten. Außerdem bat er mich, dir mitzuteilen, dass du hier keine ruhige Minute mehr haben wirst.“
Schockiert riss Feitong die Augen auf und verspannte sich augenblicklich, sehr zum Vergnügen, des Ziegenbarts.
Dann wandte sich dieser fröhlich lachend ab, als ob nie etwas gewesen wäre und meinte zu den Anderen: „Kommt lasst uns gehen.“
„Überleg es dir gut, meine Kleine“, säuselte der Kappenträger noch, bevor er Linuan zurückstieß und seinen Kameraden folgte.
Ohnmächtig vor Wut, zitterte Feitong noch eine Weile ganzen Körper, bis seine Chefin fragte: „Geht es dir gut?“
Feitong nickte nur.
„Mach dir keine Gedanken“, meinte Linuan mit einem gequälten Lächeln. „Das mit der Entlassung hat er nur gesagt, um uns noch wütender zu machen. Selbst wenn ich es in Erwägung ziehen würde, würde es nichts ändern.“
Feitong nickte nur ein weiteres Mal, obwohl er es insgeheim besser wusste. Diese Kerle… sie waren wegen ihm gekommen. Dieser Bastard Shang hatte sie geschickt. Scheinbar wollte dieser Kerl sie immer noch nicht in Ruhe lassen…
Schweren Herzens machte er sich schließlich daran, die Waren wieder einzuräumen und Unbrauchbare auszusortieren. Doch seine Gedanken kreisten die ganze Zeit um die vorherige Situation. Was sollte er tun, wenn sie zurückkamen?
In Raoie materialisiert, sah Bahe überall die Felsgnome eifrig zusammenpacken. Als sie ihn bemerkten, teilten die Felsgnome ihm durch Brocken und Felsur mit, dass sie wieder in ihre Höhlensysteme zurückkehren wollten, nun, da die Goblins geflohen waren. Ihre Götter, die Erdelementare, würden sie begleiten und auf dem Weg für ihre Sicherheit sorgen.
Bahe passte das ganz gut, da er ebenfalls den Heimweg antreten musste und die Soldaten unbedingt noch erwischen wollte, ehe sie sich auf den Weg zurück nach Waldenstadt machten. Ein Problem stellte allerdings Balu dar, der seit ihrer Rückkehr ins Lager der Felsgnome in einer Tour am Schlafen war und immer noch keine Anstalten machte aufzuwachen.
In Bahes letzter Spielzeit war noch nichts zu sehen gewesen, aber mittlerweile zierten einige spitze, knochenartigen Auswüchse Balus Rücken. Sie zogen sich über seine komplette Kehrseite, ziemlich mittig, als ob es sich um Veränderungen an seiner Wirbelsäule handelte.
Die knochigen Auswüchse mündeten in neu gewachsenem Fell, welches eine fleckige schwarzrote Färbung aufwies und sich stark von dem üblichen Braun des restlichen Fells abhob.
Außerdem war er enorm gewachsen. Wenn Bahe es nicht besser wüsste, würde er denken ein ausgewachsenes Bergbärenexemplar vor sich zu haben. Ihm war nicht ganz wohl bei der Sache, diesen schlafenden Riesen wecken zu müssen.
„Ist das wirklich noch Balu?“, fragte er Brocken und Limona.
„Ja, aber seine Stacheln finde ich nervig“, meinte Limona niedergeschlagen. „Jetzt kann ich nicht mehr auf ihm reiten…“
„Ich finde, die sehen cool aus“, grinste Brocken auf seine manchmal so einfältige Art.
„Sag mal, Brocken, seit wann sprichst du eigentlich so flüssig?“, merkte Bahe an, dem schon während der Schlacht aufgefallen war, dass Brocken immer weniger Pausen in seinen Sätzen einlegte. „Du siehst auch nicht mehr so durchscheinend aus…“
„Das liegt daran, dass mein kleiner Kumpel erwachsen wird“, sagte Limona begeistert.
„Na ja… da wir dieses Ungleichgewicht der Erdelementenergien hier im Belungagebirge beseitigt haben, hat sich deine Affinität mit dem Element Erde verbessert, oder?“, antwortete Brocken vollkommen flüssig mit einer Gegenfrage.
„Äh… ja…“, gab Bahe nach kurzem Überlegen von sich.
„Umso mehr du dem Element Erde näher kommst, umso stärker werde ich“, erklärte Brocken und stellte fröhlich in Aussicht: „Mein Körper steht kurz vor einem Durchbruch. Wahrscheinlich werde ich einen festen Körper bekommen, sobald sich deine Affinität mit dem Erdelement noch ein wenig weiter verbessert.“
Hmmm… dachte Bahe nach. Seine Affinität lag gerade bei vierzig Prozent… die fünfzig Prozent-Marke war bald erreicht. Konnte es wirklich so einfach sein?
Nun ja… dachte er gequält. Wahrscheinlich würde er eine weitere Berufsquest abwarten müssen. Der Zuwachs von fünfzehn Prozent zu seiner Erdaffinität war nämlich eine Hausnummer, die man auf andere Art und Weise erst mal nachmachen musste.
Soweit er wusste, brauchten die Magierklassen Wochen, wenn nicht gar Monate, um ihre Affinitäten auch nur um ein paar einstellige Prozente zu steigern.
Zu dumm nur, dass seine nächste Berufsquest ihn zu einem Fluss führen würde. Anstelle Brocken vollends sichtbar machen zu können, wartete stattdessen die Auseinandersetzung mit Limona auf ihn. Was wiederum die Frage aufwarf, wie sie sich wohl verändern würde…
„Wecken wir ihn jetzt auf oder was?“, riss ihn Limona aus seinen Gedanken und er nickte nur schnell.
Doch auf die Bemühungen seiner Elementare reagierte Balu nicht.
„Wieso wacht er nicht auf?“, fragte Brocken zerknirscht.
„Hmm… vielleicht hat diese dunkle Energie seine Sinne vernebelt?“, vermutete Limona.
„Ich mache schon“, seufzte Bahe, trat an den Bären heran und rüttelte behutsam an Balus Kopf.
Erst passierte gar nichts, doch beim dritten Versuch schoss er plötzlich in die Höhe und brüllte wütend vor sich hin.
Vor Schreck zuckten Limona, Brocken und Bahe ein paar Schritte zurück. Besorgt entdeckte Bahe, wie sich Balus Augen verändert hatten. Die Iris des linken Auges war Feuerrot auf hob sich stark von dem sonst schwarzen Auge ab. Das rechte Auge war beinahe noch unheimlicher, denn es war vollkommen dunkel.
Balus Blick fokussierte sich auf plötzlich auf Bahe und ehe Bahe reagieren konnte, war Balu schon an ihn heran gesprungen und stieß ihn zu Boden. Für einen winzigen Moment blickte Bahe aus nächster Nähe in die finsteren Augen und die wutverzerrte Fratze des einst so liebenswürdigen Berbbären, bis Balu das Maul aufriss und ihn von unten nach oben übers Gesicht… schleckte…
Verdutzt blinzelte Bahe, der schon mit dem Schlimmsten gerechnet hatte und sah zu dem nun freudig dreinblickenden Bergbären hinauf.
Balus Augen waren immer noch furchterregend, aber der komplette Rest seiner Körperhaltung entsprach eher der, eines neugeborenen Hundewelpen.
Als Bahe immer noch nicht reagierte, leckte ihn Balu ein weiteres Mal das Gesicht und brachte Bahe damit dazu den Sabber des Bergbären angeekelt davon zu spucken.
„Geh schon runter von mir, du Riesenbaby!“, schimpfte Bahe mehr erleichtert denn sauer, während Limona und Brocken über sein Missgeschick lachten.
„Wartet ihr nur, bis ihr endlich einen richtigen Körper habt, ihr Zwei“, meinte Bahe, als Balu endlich von ihm geklettert war und er sich auf die Beine kämpfen konnte.
Jetzt wo Balu sich auf allen Vieren stand, ragte er bereits zu Bahes Kopfhöhe auf. Wenn man dann noch darüber nachdachte, wie massig das Tier war…
War das nicht mal ein vernünftiger Kampfgefährte?
Nach ein paar weiteren Neckereien mit seinen Elementaren machte er sich schließlich auf nach Belu zum Lager der Soldaten und erlebte für den Rückweg nach Waldenstadt die nächste Überraschung. Denn die Verstärkungstruppen des Königs trafen durch ein neu geschaffenes Portal ein und erlaubten Bahe und den überlebenden Soldaten ebenfalls die Nutzung des Portals, wodurch sie sich die zweiwöchige Rückreise sparten. Balu durch das Portal zu treiben, stellte zwischendurch noch einen herausfordernden Akt dar, ansonsten kamen sie aber ohne Komplikationen in Waldenstadt an.
Vor Ort wurde er noch schnell bei Olar vorstellig, ehe ihn die Erfahrung für die erfolgreich absolvierte Quest gleich noch ein weiteres Level aufsteigen ließ.
Damit standen ihm nun ganze sechsunddreißig Attributpunkte zur Verfügung, die darauf warteten, vergeben zu werden.
Aber bevor er sich damit beschäftigen konnte, wollte er sich zunächst mal bei Feiying melden. Er war gespannt, wie weit Feiying inzwischen gekommen war.
Einen Augenblick später, war die Chatanfrage gestellt und Feiying nahm sie kaum eine Sekunde später, nahm sie Feiying auch schon an.
„Hey, Bahe!“, hörte er seinen Freund begeistert. „Bist du schon zurück in Waldenstadt?“
„Genau“, antwortete Bahe. „Ich bin gerade eben zurück gekommen.“
„Das trifft sich gut, denn bevor du zu mir kommst, musst du etwas für mich herausfinden“, plapperte Feiying aufgeregt drauf los.
„Hä? Worum geht es?“, hakte Bahe nach.
„Du weißt doch, dass ich die Belungaminen erforschen sollte“, begann Feiying.
„Klar.“
„Und dabei bin ich auf eine verborgene Höhle gestoßen“, meinte Feiying verschwörerisch. „Die Wände der Höhle sind voller Kristallen, die verdammt wertvoll aussehen.“
„Und du willst wissen, ob sie es wirklich sind“, grinste Bahe.
„Genau.“
„Und wie stellst du dir vor, soll ich das von hier herausfinden?“, fragte Bahe skeptisch.
„Äh… ich wollte sie dir beschreiben…“, antwortete Feiying verlegen.
„Oh man… schieß einfach los“, sagte Bahe. „Vielleicht finde ich ja was in der Bibliothek.“
„Also…“, begann Feiying und Bahe versuchte sich alle Einzelheiten genau einzuprägen, um ihn in der Bibliothek später nicht nochmal kontaktieren zu müssen.
Letztlich verblieben sie damit, dass Bahe sich melden würde sobald er etwas fand oder wenn er keine Ergebnisse vorweisen konnte, spätestens zwei Spieltage später.
Bahe suchte nach dem Gespräch sofort die Bibliothek auf und begann alle Bücher über seltene Mineralien und Kristalle zu durchforsten. Ganze drei Stunden später stöhnte er auf und streckte seinen vom ganzen Sitzen beanspruchten Rücken durch. Er hatte ja gewusst, dass es eine Vielzahl an seltenen Materialien gab, aber die Menge, die allein Mineralien und Kristalle darstellten, ließ ihn verzweifeln.
Vor allem die Tatsache, dass sich die ganzen Kristallsorten alle irgendwie ähnelten, machte seine Suche so kompliziert. Wenn man mal ganz davon absah, dass die Ordnung der Bibliothek einfach unterirdisch war. Es gab so viele Kreuz- und Querverweise, die ihn immer wieder in völlig neue Abteilungen zwangen, dass sich mittlerweile knapp dreihundert Bücher und Bildersammlungen vor ihm stapelten.
„Verdammt…“, murmelte Bahe und fuhr sich mit den Händen über sein Gesicht. Danach raffte er sich auf und begann erneut mit der Recherchearbeit.
„Hah!“, schrie er zwanzig Bücher später triumphierend auf und guckte sich sofort schuldbewusst um. Die wenigen Besucher schienen sich jedoch nicht groß an ihm zu stören.
Schnell setzte er sich wieder hin und las die Beschreibung erneut. Geschwungenen Kristalle, die in durchscheinenden blauen und violetten Farbtönen schimmerten. Soweit passte die Beschreibung genau zu Feiyings Worten.
Upal nannte man dieses seltene Mineral, welches sich kristallisierte und dabei ungewöhnlich geschwungene Formen annahm. Die vollständig ausgebildeten Kristalle wurden Upale genannt und waren nur in Höhlen unter der Erde zu finden. Durch einen magischen Prozess, der im Text äußerst detailliert beschrieben wurde, konnten die Upale zu Helionen aufgeladen werden. Diese Helionen konnten im Anschluss dazu benutzt werden, jeden Gegenstand aufzuwerten und ihn dadurch im Rang von Gewöhnlich immer weiter aufsteigen zu lassen. Es war sogar möglich Ausrüstungsgegenstände bis zur höchsten Kategorie, Legendär, aufzuwerten.
Natürlich gab es bei der ganzen Sache einen Haken. Diese Helionen waren verdammt teuer! Unter einer Goldmünze pro Helion suchte man vergebens nach den Kristallen, was die Nutzung zur Aufwertung von Artefakten wirtschaftlich unrentabel machte. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass man für jede weitere Stufe des Aufstiegs, mehr Helionen für das entsprechende Artefakt benötigte.
Aber Bahes Hände zitterten vor Aufregung schon seit einer ganzen Weile. Wenn es wirklich diese Kristalle in Feiyings Höhle waren und er sie durch Zufall tatsächlich richtig identifiziert hatte, dann würden sie ein Vermögen machen!
Sobald er verstanden hatte, wie wertvoll Feiyings Fund sein konnte, hatte er ganz feuchte Hände bekommen und sich immer wieder nervös umgeschaut. Nicht, dass irgendjemand auf die Idee kam, ihm ins Belungegebirge zu folgen.
Bemüht ruhig, räumte er nach und nach die nutzlosen Bücher weg und beschäftigte sich im Anschluss mit dem Prozess der Helionenherstellung aus den Upalen. Als er alles verinnerlicht hatte, suchte er sich noch eine Landkarte heraus, die ihm die Position der Belungaminen anzeigte. Kurz war er versucht sie einfach mitgehen zu lassen. Entschied sich letztlich aber dagegen und investierte eine weitere halbe Stunde, um sich den genauen Standort der Minen einzuprägen. Anschließend verließ er schnell die Bibliothek und kontaktierte Feiying.
„Oh, hast du was gefunden, Bahe?“
„Wo bist du gerade?“
„Ich kundschafte gerade einen anderen Teil der Höhlensysteme aus, wieso?“, stellte Feiying eine Gegenfrage.
„Geh sofort zu dieser Höhle mit den Kristallen zurück und verbarrikadiere oder verstecke den Eingang!“, meinte Bahe hektisch. „Wenn es sich wirklich um das Mineral handelt, für das ich es halte, dann sollte jeder Kristall nach einer magischen Prozedur mindestens eine Goldmünze wert sein!“
„… Du verarschst mich doch…“, gab Feiying ungläubig von sich.
„Nein, verdammt“, blaffte Bahe, dessen Puls ihm immer noch in den Ohren schlug. „Mach, dass du zu der Höhle kommst und pass auf, dass niemand außer dir den Eingang findet! Am besten fängst du schon an, die Kristalle aus den Wänden zu schlagen.“
„Darauf kannst du dich verlassen“, meinte Feiying selbstsicher. „Aber wie lange brauchst du bis hier?“
„Ganz ehrlich? Beim letzten Mal habe ich mit den Soldaten zwei Wochen bis zum Rand des Belungagebirges gebraucht. Die Belungaminen liegen noch wesentlich weiter südlich… Wenn ich mich ran halte, kann ich es vielleicht auf eineinhalb Wochen reduzieren, aber schneller schaffe ich es niemals. Außerdem setzt das voraus, dass ich keinen Kreaturen mit hohen Leveln begegne. Es kann gut sein, dass ich verrecke, bevor ich bei dir ankomme.“
„Hauptsache du kommst heute noch los“, sagte Feiying. „Ich habe keine Lust länger als nötig hier rumhängen zu müssen und du darfst auch nicht vergessen, dass ich nicht rund um die Uhr hier anwesend sein kann.“
„Schon klar, deswegen beeile ich mich ja“, erklärte Bahe, während er schon im Dauerlauf zum Markt rannte, um seinen Speichergegenstand randvoll mit Nahrung füllen zu können.
„Gut“, sagte Feiying zufrieden und meinte: „Ich breche die Verbindung jetzt ab. Ich habe eh kaum noch Mana. Bis die Tage und lass mal im Real Life telefonieren.“
„Klar, ich melde mich. Bis bald“, rief Bahe noch schnell und Feiying unterbrach die Verbindung. Danach beschleunigte Bahe sein Tempo und machte sich so schnell er konnte daran, die letzten Vorbereitungen zu treffen.
„Verdammt, was ist denn in ihn gefahren?“, kratze sich Ying am Kopf und versuchte so gut es ging an dem Spieler zu bleiben, den er beschatten sollte.
Erst war der Kerl den ganzen Tag entspannt unterwegs, nur um plötzlich aus heiterem Himmel davon zu rennen.
Wegen diesem Idioten hatte Ying der Magd für sein Bier nur noch eine Silbermünze hinschmeißen können, ehe er hinterher laufen musste. Wenn er auf das Wechselgeld gewartet hätte, wäre ihm sein Ziel vermutlich durch die abhanden gekommen.
Als er wenig später merkte, dass sich der Kerl scheinbar auf eine längere Reise vorbereitete, kontaktierte er schnell seinen Auftraggeber.
„Hey Boss, so wie es aussieht, verlässt dieser Anael schon wieder die Stadt!“, erklärte er nach Atem ringend.
„Wo bist du im Moment?“, fragte ihn sein Auftraggeber sofort.
„Wir befinden uns gerade auf dem Markt. Wenn ich es richtig deute, füllt er seinen Speicherstand gerade mit Rationen.“
„Alles klar, verfolge ihn weiterhin und gib mir sofort Bescheid, wenn du weißt, durch welches Tor er die Stadt verlassen will. Ich versuche dich dort zu treffen.“
„Kein Problem, Boss“, bestätigte Ying schnell, doch sein Auftraggeber hatte die Verbindung schon abgebrochen.
Mit den Schultern zuckend, nahm Ying die Eigenheiten seines Auftraggebers hin und versuchte stattdessen noch schnell seinen Engel zu erreichen. Sein Boss hatte ihm schließlich nie verboten die Informationen noch an eine dritte Partei zu verkaufen, dachte Ying grinsend.
Doch sein Grinsen verflog recht schnell, als Angel Eye seine Anfrage nicht annahm. Entweder sie wollte nicht mit ihm reden oder sie war zurzeit einfach nicht eingeloggt.
Wobei er Letzteres für wahrscheinlicher hielt, da sie schließlich an diesem Spieler interessiert war und Ying ihr bisher nur gute Ergebnisse geliefert hatte.
Die verlorene Gelegenheit bedauernd, beobachtete er stattdessen weiterhin unauffällig sein Ziel aus der Ferne und wartete darauf, dass sich der Spieler auf den Weg machte.
Mit Salamander und Bemil im Schlepptau betrat Zelia das Gildenhaus Spirit of Dawns in Trachtenburg und wartete im Eingangsbereich, bis ein großer Mann in bunten Seidenkleidern und eng anliegenden Strumpfhosen vom ersten Stockwerk die Treppe herunter kam.
„Ich habe ja davon gehört, aber zu sehen wie Wenige tatsächlich überlebt haben, war doch schon ein Schock“, sagte er bedauernd und meinte mit einer Kopfbewegung nach oben, bei der die kleinen Glöckchen an den Zipfeln seines Hutes klingelten. „Unsere Führungsebene ist nicht gerade begeistert, aber zumindest habt ihr die Quest erfolgreich abgeschlossen.“
„Wir haben unser Bestes gegeben, Narrat“, warf Salamander zerknirscht ein. „Magnifus hat sich für den erfolgreichen Abschluss der Quest sogar geopfert.“
„Ist es bei solchen Verlusten wirklich noch ein erfolgreicher Questabschluss?“, fragte Narrat.
„Werden wir erwartet?“, fragte Zelia und zeigte damit eindeutig, dass sie nicht auf Narrats Sticheleien eingehen wollte.
„He… Stur wie eh und je, nicht wahr Zelia?“, grinste Narrat und hob seinen Hut in Verbindung mit dem Hauch einer Verbeugung. „Aber ja, ihr werdet erwartet. Wenn ihr mich nun entschuldigen mögt.“
Mit einem letzten leisen Klingeln seiner Hutglöckchen löste sich seine Gestalt in Luft auf. Zurück blieb nur ein einzelner Knopf, der zu Boden fiel und ein Stück über die Holzdielen rollte, ehe er zum Erliegen kam.
„Jedes Mal, nachdem ich unseren Vizeanführer gesehen habe, habe ich mehr Fragen als zuvor“, schüttelte Bemil belustigt den Kopf.
„Ich verstehe einfach nicht, was in seinem Kopf vorgeht… Mal ehrlich… meint er das mit seinen Klamotten ernst?“, schüttelte Salamander irritiert den Kopf.
„Ist doch egal“, sagte Zelia nur und lief voran. „Wir sollten hochgehen.“
„Ja, ja…“, lamentierte Salamander. „Das du immer so ernst sein musst…“
„Schnauze!“
„Genau, dass meine ich…“
Genervt zückte Zelia beim Treppensteigen einen ihrer Dolche und brachte Salamander damit für den Rest des Weges zum Schweigen.
Im Obergeschoss vor dem Versammlungssaal angekommen, atmete sie tief durch und öffnete dann die Flügeltür.
Sechs Augenpaare richteten sich sofort auf die drei Neuankömmlinge und Zelia erkannte bis auf einen alle anderen Spieler.
„Da seid ihr ja endlich!“, rief eine samtweiche Stimme und im nächsten Moment fand sich Zelia in einer stürmischen Umarmung wieder.
Goldenes Haar verdeckte Zelia die Sicht und weiche Rundungen schmiegten sich an ihren Körper, während ein Hauch von Blumen ihr in die Nase kroch. Zelia konnte die wohligen Schauer einfach nicht unterdrücken, die ihr in der Umarmung den Rücken hinunter wanderten.
Als die Spielerin nach einigen Momenten immer noch nicht loslassen wollte, meldete sich Salamander zögerlich zu Wort: „Ähm… Gildenanführer… nur damit du es weißt, ich wäre auch jederzeit für eine Umarmung zu haben…“
„Das hättest du wohl gerne!“, zischte Zelia und löste sich blitzschnell aus der Umarmung, um Salamander eins ihrer Messer an die Kehle zu halten.
Ein glockenhelles Lachen ertönte im Raum und lenkte Zelias Aufmerksamkeit zurück zu ihrer Gildenanführerin.
Die engelsgleiche Spielerin mit goldblonden Haaren, deren Gesichtszüge von einer Schönheit geprägt waren, dass selbst Zelia jedes Mal in ihrer Umarmung ganz anders wurde, war nach außen hin die Harmlosigkeit in Person.
Aber in Wirklichkeit war sie nicht nur die Gildenanführerin Spirit of Dawns und mächtigste Person der ganzen Gilde, sondern galt mit ihrem Level 76 auch als eine der zehn Personen mit dem höchsten Leveln in ganz Raoie.
„Kommt“, meinte sie mit einem Lächeln. „Setzt euch zu uns, wir haben einen Gast.“
„Deraka hier ist ein alter Freund“, erklärte sie mit einer Geste, auf die einzige Person, die Zelia zuvor nicht erkannt hatte.
„Deraka“, wandte sie sich anschließend an den ihr bekannten Spieler. „Das sind die überlebenden Anführer unserer Truppen, die gegen die ersten Dämonen Raoies zu Felde gezogen sind!“
Danach wandte sie sich wieder an Zelia und redete quietschend drauf los: „Seitdem ich den Bericht von Hall of Fame gesehen habe, bin ich soooooo gehyped! Nun erzählt schon endlich! Was ist denn jetzt eigentlich wirklich passiert?!“
Teil 3/3!
Ende von Band 2
Nachwort:
Ich habe es tatsächlich geschafft... 200 Teile bzw. Kapitel und im Grunde Band 1 und Band 2 meiner Reihe "Die Legende zum Elementflüsterer".
Ich kann es irgendwie selbst noch nicht ganz fassen...
Diese wahnsinns Leistung, dieser Erfolg (denn für mich ist dies hier nichts anderes) ist vor allem meinen treuen Followern und Leserinnen und Lesern zu verdanken. Ohne eure aufmunternden Worte, ohne euer Mitfiebern, wäre ich bei weitem nicht so motiviert gewesen so schnell weiterzuschreiben.
Denn ihr dürft nicht vergessen. Ich schreibe dies hier für euch vollkommen kostenlos. Während ihr 10 Minuten am Lesen seid, opfere ich dafür 2-8 Stunden meiner Freizeit, je nachdem wie gut es gerade läuft...
Und dennoch ist es irgendwie ein tolles Gefühl, wenn ich mal wieder einen Teil oder gar ein ganzes Kapitel hochgeladen habe.
Mein Traum ist es eines Tages vom Schreiben leben zu können. Diese Geschichte sollte schon immer ein erster Schritt in diese Richtung sein.
Die nächsten Schritte werde ich nun mit dem 3. Band angehen. Ich werde ein neues Cover brauchen, muss den 3. Band planen und sollte meine Patreon-Seite wohl endlich mal veröffentlichen.
Dafür werde ich mir eine Auszeit von maximal 4 Wochen nehmen. Vielleicht bin ich auch eher wieder da, wer weiß.
Schaut während der Wartezeit doch mal in meine andere Geschichte ;-) Würde mich wirklich interessieren, was ihr dazu zu sagen habt.
Ansonsten bin ich übrigens auch auf Wattpad vertreten, wenn ihr mich dort mal suchen wollt, genauso wie auf Storyhub und sehr begrenzt auf Sweek (hier muss ich demnächst mal nachbessern).
Und so gaaaanz nebenbei:
Wie gefallen euch all die neuen Charaktere? Hat euch die ein oder andere Situation überrascht oder besonders gut gefallen? Gibt es Kritikpunkte?
Lasst es mich in den Kommentaren wissen!
Auf ein baldiges Wiederlesen im 3. Band!
RiBBoN