Rudolphus Lestrange fühlte sich wirklich gut, satt und zufrieden. Endlich fror er nicht mehr. Snape hatte geduldig gewartet, bis der Gefangene gegessen hatte. Der Todesser musterte den Spion abwartend. Snapes Miene verriet nichts über seine Gedanken. Schon seit der Schulzeit beherrschte er die Kunst stets gleichmütig zu erscheinen. Lestrange kannte die dunkle Seite zu gut, um der unerwarteten Freundlichkeit zu vertrauen. Poody erschien und räumte den Tisch ab. Kurze Zeit später kehrte sie mit Kaffee und Konfekt zurück. „Bedien Dich, Lestrange.“, bot ihm Snape selbst diese Aufmerksamkeiten an. „Danke, Master.“, sagte Lestrange höflich. Mit den Lebensgeistern kehrten seine Überlegungen zurück, was Snape von ihm wollte. Er trank den starken Kaffee, während er überlegte, ob Potter etwas damit zu tun hätte.
„Reden wir, Lestrange. Wie lange willst Du noch auf der Verliererseite stehen?“, unterbrach Snape seine Überlegungen. „Wie meinen Sie das, Master? Wer will schon auf der Verliererseite stehen?“, fragte der Todesser erstaunt. Snape legte einen Warmhaltezauber auf seinen schwarzen Tee und sagte beinahe belanglos: „ Voldemort ist tot. Lord Potter lebt. Er ist jetzt der Dunkle Herr auf Dunklem Thron. Warum willst Du Voldemort noch immer folgen?“, fragte Snape mokant. Lestrange überlegte fieberhaft, ob Snape ihn verspottete.
„Könnte man denn noch auf die Seite der Sieger wechseln? Der Krieg ist lange vorbei.“ Zum ersten Mal seit seiner Verhaftung schienen sich Möglichkeiten aufzutun. „Lord Potter hat immer noch Aufträge, die erfüllt werden wollen. Er hätte sogar Verwendung für dich. Wenn du nützlich wärst, könnte sich alles ändern.“ Lestrange schnaubte verächtlich: „Wie könnte ich in dieser Situation nützlich sein?“ Umständlich rührte Snape seinen Tee um: „Draco Malfoy ist seiner Lordschaft auch zu Diensten. Er trägt sogar seinen Zauberstab. Vielleicht gibt es etwas, was Du tun könnest. Ach nein… Das würdest Du nicht machen.“ Lestrange würde alles tun, um wieder ein vernünftiges Leben zu führen.
Ohne weiteres stand Snape auf und wandte sich zum Gehen. „Bitte warten Sie, Master. Was soll ich für Lord Potter tun?“ Diese Chance konnte sich der Gefangene nicht entgehen lassen. „Gib dem Dunklen Lord einen Grund zu erkennen, dass du ihm dienen willst.“
Snape verließ den Kerker zufrieden. Lestrange würde über seine Situation nachdenken, mehr sollte er zunächst nicht tun. Sie hatten Zeit. Am Ende wäre sein Herr zufrieden. Der junge Lord würde ihm einen Blick in den Spiegel gewähren. Snape könnte Lily und James sehen. Er könnte sehen, wie sie zu dritt am See lagen. Wie sie sich liebten und einander nah waren. Er schüttelte sich, um den Kopf frei zu bekommen. Seine Gedanken streiften weiter, zu jenem Tag als er zum ersten Mal in Harry Potter seinen Herrn erkannt hatte. Eine vollkommen absurde Situation im Unterricht. Mal wieder hatte der Professor versucht Harry bloßzustellen. Es war eine Stunde in Verteidigung gegen die dunklen Künste. Dieses Fach war Lord Potters Spezialgebiet, dass heute allgemein unter dem Begriff Kampfmagie gegeben wurde.
Er erinnerte sich genau an die Szene: „Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass wir ungesagte Zauber üben, Potter?“, „Ja“, erwiderte Harry steif. „Ja, Sir“ „Sie brauchen mich nicht 'Sir' zu nennen, Professor.“, hatte Harry lächelnd gesagt. Die Schüler hatten heimlich gegrinst. Snape fühlte sich eigenartig ertappt. Er hatte das seltsame Bedürfnis gehabt, Potter mit Sir anzusprechen. Damals in diesem Klassenraum spürte er Potters Magie so unmittelbar. Er kämpfte dagegen an, sich Potter unterwerfen zu wollen. Es gelang ihm nur schwer. Schon in diesem Moment fühlte der Spion die Sehnsucht nach Zugehörigkeit zu seinem natürlichen Herrn. Genauso hatte er gegen den Wunsch angekämpft, sich Potters Vater zu unterwerfen. Dieser Widerstand hatte zu Lilys Tod geführt.
James Potter, in dem das alte Blut Britanniens floss, hatte ihn stets angezogen. Snape hatte nie zugeben können, wie sehr er sich danach sehnte zu James und Lily zugehören. Mit ihnen eine Triade zu bilden, eine magische Einheit, hätte ihn zu dem gemacht, wie er sich selbst gerne nannte einem Prinzen. Er haßte Sirius Black, Remus Lupin und Peter Pettigrew, weil Potter mit ihnen seine Zeit verbrachte. Dabei bot Lily Evans ihm Zuneigung an. Snape dachte, ich war so dumm.
Die Herrin vom See. Der königliche Krone. Der Halbblutprinz. Sie hätten eine magische Triade sein sollen. Snapes Stolz und Eifersucht hatten ihm diese Erfüllung verwehrt. Er hatte die beiden toten Potters gefunden und den Schmerz nie verwunden. Er hätte sich James Potter nur entsprechend respektvoll zeigen müssen. James trug die Dunkelheit und die Macht in sich, wie sein Sohn. Diese Dunkelheit und Macht zog die wunderschöne Herrin vom See an. Die Dunkelheit des Königs zog auch seinen Prinzen an. Severus Snape hätte dieser Prinz sein können, doch er hatte sich nicht als würdig erwiesen. Die Magie gelangte in Ungleichgewicht und ein Wahnsinniger stürzte die Zauberwelt ins Unglück.
Nachdem Potter den Trank genommen hatte, war sein erster Satz zu Snape gewesen: „Jetzt brauchst du mich auch nicht Sir zu nennen. Ich erwarte in Zukunft ein Mylord.“ Der Tränkemeister sank als erster vor Potter auf die Knie. „Mylord.“ Potter hatte ihm die Hand gereicht und den magischen Bund gesprochen: „Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen. Du bist mein.“