Galileo beugte sich über das erlegte Tier. Es war eine der riesigen Kröten, von denen es im Sumpf unzählige gab. Ihr aufgequollener Leib war von Scaramouches Hörnern durchlöchert, und den Rest hatten Oskar und Umbridge erledigt, mit Gift und der Zunge aus einiger Entfernung.
Nachdem die das Opfer zusammengebrochen war, hatte Galileo die Saurier zurückgepfiffen und war selbst an die Beute herangetreten.
Jetzt kniete er neben dem gewaltigen Leib der Riesenkröte und versank fast bis zu den Ellbogen in ihren Gedärmen. Er war alleine auf die Jagd gegangen, denn Lucy blieb beim Lager und legte den Sumpf trocken, und Henry war bei den Sammlern.
Nur die Dinosaurier hatten Galileo begleitet: Scaramouche, das Dreihorn, Umbridge, eine Riesenkröte, und Oskar, der einer kleinen Raptorenart angehörte.
Und natürlich Smiley. Smiley watschelte ihm überallhin nach, das ständige Trompeten des kleinen Parasaurus war auf Galileos Leben schon nicht mehr wegzudenken.
Angewidert schnitt Galileo den aufgeblähten Bauch der erlegten Kröte auf. Gedärme platschten laut auf den Sumpfboden. Oskar drängte von der Seite her näher.
„Hier, du Nervensäge“, Galileo warf dem giftigen Raptoren ein Organ zu, das er nicht wirklich zuordnen konnte.
Hastig schlang Oskar das Fleisch herunter.
Galileo gab auch Umbridge etwas ab, die keine Scheu davor zu haben schien, ihre eigene Artgenossin zu fressen. Schnell war die Kröte ausgeweidet, alles essbare verstaute Galileo in seinem Rucksack, dann marschierte er los, zurück zum Lager.
Es war Mittag, und er hatte genug Fleisch für ein Festmahl, oder aber für möglicherweise drei Tage. Er fühlte sich berauscht. Gerade heute hatte er den neuen Jagdgrund entdeckt, schwer zugänglich, weil man durch einen dichten Ring verschlungener Sumpfpflanzen musste, vorbei an riesigen, giftig zischenden Schlangen.
Doch die trainierten Saurier wurden mit den Gegnern fertig. Und so trug Galileo Fleisch von Krokodilen, Schlangen und Riesenkröten zurück – beziehungsweise, Scaramouche trug die Last für ihn.
Galileo kam etwas verspätet am Lager an. Lucy empfing die Beute mit hochgezogenen Brauen. „Hast du den Sumpf leergefangen oder was?“
Galileo erzählte ihr von dem Jagdrevier, ohne sich besonders reizen zu lassen. Er war erleichtert, als auch die Sammler – vollzählig – aus dem Wald zurückkehren.
Bald drehte sich das Fleisch an einem Spieß über dem Feuer, gewürzt mit ein paar kleinen Kräutern, die Kassia mitgebracht hatte.
Nur Ashley war nicht hier. Sie war aufgebrochen, um die seltsamen Gruben im Wald zu untersuchen. Foxy fehlte natürlich, Mikail und Thanatos waren verschwunden. Das Mittagessen wirkte still, die Lichtung leer und verlassen. Galileo hatte das seltsame Gefühl, dass er die Gruppe auseinander brechen sah, mehr und mehr von ihnen verschwanden ins Nichts, mehr und mehr trennten sich von der Gruppe ab.
Er langte über das Feuer. Lucy sah auf.
„Ist das nicht schon dein drittes Stück?“, fragte sie.
Galileo konnte sich nicht vorstellen, was es dieses Mädchen angehen sollte.
„Ja“, meinte er.
Lucy hob schon wieder eine Augenbraue. „Isst du für zwei Personen, oder wie soll ich das verstehen?“
„Ich habe Hunger. So eine Jagd ist nicht einfach“, knurrte Galileo.
Er spürte Lucys Blick auf sich ruhen, während er sein Fleisch aß.
„Was?“, fragte er schließlich gereizt.
„Ich wollte nur sichergehen, dass du es auch wirklich isst, und nicht etwa versteckst.“
„Warum sollte ich das tun?“, fragte er sie und merkte, wie jetzt auch andere die Köpfe hoben und herüber sahen. Es war ja wohl seine Sachen, was und wie viel er aß!
„Nun, du musst zugeben, dass es schon seltsam ist“, sagte Lucy.
Galileo hörte ihren Unterton, spöttisch, zickig und bedrohlich. Er wusste nicht, worauf sie hinaus wollte, aber er musste sich dagegen wehren.
„Was ist seltsam? Das ich esse?“
„Nein. Kurz, nachdem du zu uns gekommen bist, taucht Drachenblut auf und macht Jagd auf uns. Das ist seltsam.“
Galileo blieb die Luft weg. „Kurz nachdem ich zu euch gekommen bin? Das ist ja wohl ein Witz!“
Lucy zuckte mit den Schultern.
„Das ist völlig aus der Luft gegriffen!“, ereiferte sich auch Henry. „Galileo ist doch kein Spion!“
Lucy legte schweigend den Kopf schief und beobachtete Galileo. Er wusste, dass niemand ihren Worten trauen würde, niemand konnte ihr glauben – trotzdem, ihre Augen sagten ihm etwas anderes: Dass sie einen Plan hatte, der ihm nicht gefallen würde.
„Niemand ist hier ein Spion“, sagte Kassia laut, aber müde. „Ich weiß nicht, warum ihr euch gegenseitig so sehr verdächtigen müsst. Das bringt doch nichts.“
„Irgendjemand muss doch für Thanatos' Verschwinden verantwortlich sein“, sagte Lucy. „Und es kann durchaus jemand aus dieser Gruppe sein. Es muss sogar jemand aus dieser Gruppe sein, denn Thanatos hat euch vertraut. Von Drachenblut hätte er sich niemals überrumpeln lassen.“
Galileo sah deutlich, dass Nokori begann, Lucy zu glauben.
„Und deswegen soll Galileo ein Verräter sein?“, fragte Henry.
„Ich stelle nur Fragen“, sagte Lucy mit Unschuldsmiene.
Galileo stand ruckartig auf. „Ich werde jetzt das Krokodil füttern.“
Er packte sich einen Rest von dem rohen Fleisch und ging zu der Stelle, wo die Dinosaurier einen größeren Flecken Sumpfgebiet für sich beanspruchten. Inzwischen war der Bereich eingezäunt, abgeschirmt durch Bünden von biegsamen Ästen, die sie zwischen die Baumstämme gebunden hatten.
Galileo warf dem riesigen Krokodil dessen Futter zu und blieb am Rand des Geheges stehen.
Smiley kam sofort zu ihm gewatschelt. Galileo kraulte das kleine Wesen und zupfte ihm ein wenig Entengrütze vom Maul.
Die Vorwürfe hatten ihn stärker aufgewühlt, als er es zugeben wollte. Aber Lucys Worte waren wie aus dem Nichts gekommen, und noch dazu konnte er sich nicht erinnern, ihr Anlass zum Misstrauen gegeben zu haben.
Ich fürchte mich nicht vor ihr!, redete er sich selbst ein. Lucy war nur ein Mädchen, ein Kind. Was sie sagte, sollte für ihn keine Auswirkungen haben.
Etwas huschte am Rand seines Sichtfeldes durch den Wald.
Galileo hob den Kopf. Er lauschte angespannt. Oskar begann, nervös zu keckern.
Da! – wieder ein Huschen. Diesmal konnte Galileo das Wesen besser erkennen, den stromlinienförmigen Körper, die Echsenhaut, die großen, intelligenten Augen, die rötlichen Federn.
Er stolperte zurück und zog Smiley mit sich. Kaum, dass er auf dem Platz um die Hütte war, standen die anderen auch schon bei ihm, die seinen Gesichtsausdruck gesehen hatten.
„Was hast du?“, fragte Nokori und hob ihren Speer.
„Da sind Saurier im Wald. Große Saurier. Ich glaube, es sind Raptoren“, stammelte Galileo.
„Sie sind intelligent, sie umkreisen uns. Wir sind ihre Beute!“