„Was stehst du hier im Weg, Stallbursche?“, ertönte der tiefe Bass von Gregor. Der Jäger donnerte für gewöhnlich laut durch den Stall, sodass Zayn längst außer Sicht war, bevor sich eine Konfrontation anbahnte.
Diesmal war Gregor ungewöhnlich leise gewesen.
Mit zwischen die Schultern gezogenem Kopf wich Zayn dem bulligen Jäger aus und meinte: „Entschuldigung.“
Er sah dem Jäger ins Gesicht, für einen kurzen Moment, um zu erahnen, wie wütend Gregor diesmal war, doch Gregor kümmerte sich kaum um den schmächtigen Stallburschen. Stattdessen platzte die Brust des Jägers fast vor Stolz.
„Bringt den Teufel hier rein!“, brüllte er durch den halben Stall und eine Gruppe von Jägern zeigte sich am hohen Eingang.
Die Ställe befanden sich im Inneren der breiten Festungsmauer des Drachenblut-Lagers und waren entsprechend schmal, hoch und düster. Die große, gut gesicherte Pforte zum Innenhof schwang auf und herein kam die Gruppe Jäger, die sich in lange Seile stemmten. Diese Seile hatten sich um den schwarzen, flatternden Schatten eines Flugsauriers geschlungen, den die Jäger soeben herein brachten.
„Noch einer!“, hörte Zayn einen der anderen Stallburschen seufzten. Er hätte sich dieser Beschwerde angeschlossen – Jayden verlangte immer mehr Saurier und die wenigen Stallburschen, die ohnehin schon Mädchen für Alles sein mussten, waren hilflos überfordert – doch er starrte wie gebannt auf den großen Flugsaurier.
Es war ein großes Tier, ein Tapejara, wie an der großen Flosse auf dem Schädel und langgestreckten Schnabel unschwer zu erkennen war, jedoch ein außergewöhnlich dunkles Exemplar. Der Körper war schwarz, die Flügel, das Kopfsegel und der Schnabel blutrot.
Mit einiger Mühe bugsierten die Jäger das widerspenstige Tiere in eine Kabine neben die anderen großen Flugsaurier – Artemis, Tisiphone, Iphigenie und die anderen. Unterdessen quatschte Gregor an einem Stück: „Wunder schönes Tierchen, was? Jayden wird natürlich begeistert sein. War nicht leicht zu fangen, der kleine Teufel. Klippentiere. Zwei sind uns gegen die Felsen geprallt, nur ihn konnten wir retten.“
„Sie“, murmelte Zayn leise.
„Was hast du gesagt?“, fuhr Gregor auf, die buschigen Brauen ungleichmäßig zusammen gezogen.
„Sie. Es ist ein Weibchen“, wiederholte Zayn ruhig. „Ein schönes Tier.“
Gregor, der sich schon abgeplustert hatte wie ein Raptor zur Balz, ließ die Luft zischend entweichen und nickte. „Wunderschön. Dann gib ihr mal Wasser, Stallbursche. Aber vorsicht, sie beißt!“
Zayn nickte und huschte gehorsam davon. Als Tierpfleger in Drachenblut hatte man nichts zu sagen und schon gar nicht konnte man es sich leisten, sich Feinde zu machen. Da hielt er lieber den Kopf unten und wartete auf eine günstige Gelegenheit, um sich entweder den Jägern anzuschließen – oder zu fliehen. Nicht, dass er die Arbeit im Stall hassen würde, ganz im Gegenteil, er liebte sie, liebte die Tiere und sogar der Gestank ihres Kots störte ihn wenig. Aber er wünschte sich eine Position, in der er seine vielzähligen Talente mit Tieren auch nutzen könnte.
Die Jäger verließen den Stall bald wieder, ein sicheres Zeichen dafür war die Tatsache, dass Deynara wieder auftauchte, Zayns kleiner Ichtyornis. Sie mochte keine lauten Menschen und keine Aufregung, aber nun, da wieder die übliche geschäftige Stille in den Stall einkehrte, flatterte sie wie selbstverständlich auf Zayns Schulter.
Er hätte sie zu ihren Geschwistern scheuchen müssen, aber er streichelte das möwenähnliche Tier lediglich unter dem gefiederten Kinn.
Dann machte er sich mit einem Eimer voller Fische daran, den neuen Flugsaurier zu besuchen. Der rot-schwarze Tapejara tobte und kreischte in seiner Box, schlug den Kopf gegen die Käfigstangen und zischte Zayn giftig an, als er näher kam. Deynara kreischte wütend zurück.
„Ruhig, beide!“, sagte Zayn und stieß Deynara sanft an. Er gab ihr ein Stück Fleisch und der Blick des Tapejara blieb an Zayns Fingern kleben.
Der junge Tierpfleger lächelte, während er Deynara dazu brauchte, in seine schwarzen Locken zu klettern. Gierig schlang der Ichtyornis dort sein Fleisch herunter. Zayn warf den ersten Brocken in den Käfig des großen Flugsauriers.
Der Tapejara fing das Fleisch mit dem gezahnten Schnabel auf und schlang es herunter. Hungrig, aber mit misstrauischem Blick, kam er näher.
„Na, meine Kleine?“, fragte Zayn und trat vorsichtig an das Gitter heran. „Haben sie dir wehgetan? Lass man sehen.“
Er hielt dem Saurier einen Fleischbrocken hin, doch als der danach schnappte, packte Zayn geschickt den Schnabel und zog den langen Kopf durch die Gitter. Der Tapejara schüttelte und wand sich, kratzte mit den Krallen auf Holz. Blut lief von dem Kopfsegel, das während der Gefangennahme eingerissen war. Zayn strich über die Wunde, säuberte sie eilig mit etwas Wasser und begann dann, eine Salbe aufzutupfen – all diese Dinge trug er immer bei sich. Während der das Tier mit geübten Griff fixierte, gab er ein paar Laute von sich, die die anderen Tierpfleger an seinem Verstand zweifeln ließen. Es war der gurrende Ruf einer Tapejara-Mutter, die ihre Kinder sucht, und hatte eine beruhigende Wirkung auf das schwarz-rote Exemplar. Nach einer Weile hielt der Tapejara still und Zayn ließ ihn bald los, nicht, ohne dem Flugsaurier ein wenig Fleisch als Belohnung zu geben.
Der Flugsaurier beäugte ihn misstrauisch und versuchte, an einer Wand des Käfigs entlang zu klettern, musste aber feststellen, dass die Metallstangen zu glatt waren. Mitleidig schüttelte Zayns den Kopf. „Ich sag schon seit Jahren, dass wir bessere Käfige brauchen! Hier“, er warf weiteres Fleisch herüber.
Langsam kam das Weibchen näher und setzte sich an den Rand des Käfigs. Es zupfte an Zayns Kleidung, bis er lachend weiter fütterte. Innerhalb von wenigen Minuten war der rasende Saurier zahm wie ein kleines Kätzchen geworden. Er ließ sich sogar streicheln und schloss genießerisch die Augen, als Zayn die richtige Stelle unter dem Kinn des Sauriers fand.
„Hm, wir brauchen noch einen Namen für dich“, murmelte er selbstvergessen. „Mit deinem Muster kommt eigentlich nur etwas gefährliches in Frage.“
In diesem Moment öffnete sich unten die Tür und die Jäger kamen zurück. Der Tapejara riss den Kopf hoch und floh in die Käfigecke. Zayn stand schnell auf, Deynara flatterte in das Gebälk über seinem Kopf.
Es war Gregor, der zurückkam, im Gefolge einige andere Jäger.
„Da ist das Mistvieh. Vollkommen wild, wir konnten es einfach nicht zähmen“, sagte Gregor gerade und hielt dann an, als er Zayn bemerkte, in dessen Rücken der Tapejara gefährlich zischte.
„Schönen Tag auch!“, Zayn grüßte und machte sich eilig auf zu einem anderen Käfig. Er fütterte Artemis, ebenfalls ein Tapejara-Weibchen, und schielte dabei zu Gregor hinüber.
Der Jäger trat an den Käfig des Neuzugangs und spuckte in das Gehege, ehe er einen Speer zückte. Der Tapejara fauchte.
„Na, komm her“, knurrte Gregor und hob mit der anderen Hand ein kleines, rotes Band, das um den Fuß des Flugsauriers gewickelt werden sollte – als Erkennungszeichen.
Gregor versuchte, den Tapejara mit einer Schlinge am Ende seines Speers einzufangen, doch der wenige Saurier wehrte sich. Endlich bekam Gregor ihn zu fassen und wollte den Fuß des Sauriers umwickeln – das Tapejara-Weibchen stieß mit dem Schnabel zu und keckerte triumphierend, als der Jäger schreiend zurück taumelte.
Zayn verkniff sich ein Lächeln. Gregor brüllte und das Band war zerrissen. Der Tapejara rückte die Brust raus und stieß ein paar hohe, schrille Schreie aus.
„Scheiß-Vogel!“, knurrte Gregor und warf das zerrissene Band auf den Boden. „Soll er doch verhungern!“
Mit diesen Worten drehte der Jäger sich um und verließ den Stall.
Zayn huschte aufgeregt zu dem Neuzugang zurück. Deynara traf zuerst ein und knabberte versuchtweise an dem Band. Das rote Seil wurde allen Tieren verpasst, die zu den Jägern gehörten – Gregor hatte soeben jeden Anspruch auf den Tapejara fallen gelassen.
„Das hast du gut gemacht, Kleine“, grinste Zayn und reichte dem Tapejara ein weiteres Stück Fleisch. Gurrend hüpfte das große Tier näher. „Dann gehört du wohl den Stallburschen!“
Dem Weibchen schien das nicht viel auszumachen. Zayn kraulte das schuppige Kinn und dann den Ansatz des Kopfsegels.
„Ich glaube, ich weiß, wie ich dich nenne. Nemesis, gefällt dir der Name? Ja? Nemesis?“
Der Tapejara gurrte zufrieden.