Zayn schwitzte, während er durch die Gänge des Gebäudes sprintete. Die Küchenschürze schlug ihm noch um die Knie und er versuchte, im Rennen den Knoten in seinem Rücken zu binden.
Er war mitten beim Abspülen gewesen, als das Hornsignal zur Versammlung erklang. Anthony Jayden – beziehungsweise einer seiner Stellvertreter – wollte zu der Gruppe der Stallburschen sprechen, zu der auch Zayn gehörte. Es war nicht ratsam, zu spät zu kommen.
So schnell er konnte huschte er durch eine Tür und blinzelte in blenden helles Sonnenlicht. Er wollte über den Platz zur Mauer sprinten.
Stattdessen stieß er mit jemandem zusammen, der überrascht ächzte. Zayn und der Fremde fielen auf den Boden. Noch während er sich aufrappeln wollte, packte eine riesige Pranke seinen Nacken. Zayn wurde von einem kräftigen Mann hoch gezogen. Er starrte in das von Narben gezeichnete Gesicht von Gorst, dem obersten ihrer Gruppe von Mädchen für alles. Gorst schob die breite Unterlippe vor. „Und du bist?“
„Zayn“, piepste Zayn, der mit den Füßen nicht an den Boden kam. Er war ausgerechnet in Gorst hineingelaufen! Unter dem Blick des Aufsehers wand er sich. Was für eine Katastrophe!
„Zayn. Wieso erinnere ich mich nicht an dich?“
Weil ich mich vernünftigerweise im Hintergrund zu halten weiß, dachte Zayn, sprach es aber nicht aus. „Ich weiß nicht. Ich bin seit zwei Jahren dabei.“
Jetzt runzelte Gorst die Stirn. „Oh, ich glaube, ich erinnere mich doch!“ Er setzte Zayn ab und klopfte sich dann Staub von der Jacke. „Gut, Zayn. Ich habe eine Aufgabe für dich:“
Zayn schluckte. Latrinenputzen? Er glaubte nicht, dass er sonderlich glimpflich davon kommen würde.
In diesem Moment machte Gorst einen Schritt zur Seite und schob einen Jungen nach vorne, den Zayn zuerst übersehen hatte. Dem schmächtigen jungen Mann sollte es allerdings auch nicht schwerfallen, sich hinter Gorst' breitem Rücken zu verbergen. Der Unbekannte sah Zayn nicht in die Augen und eine blau gefärbte Haarsträhne fiel ihm über das Gesicht.
„Das ist Maurice, ein neuer“, sagte Gorst und schob den zögerlichen Neuzugang vor Zayn. „Du wirst dich um ihn kümmern.“
Zayn salutierte gehorsam, aber innerlich fluchte er. Die Neulinge bekamen immer die schwierigsten Aufgaben. Nun musste er Maurice dabei helfen!
Er lächelte dem Neuen trotzdem zu, doch der bemerkte das nicht.
„Kommt“, schnaufte Gorst und sie legten den restlichen Weg zur Mauer zusammen zurück. Wie sich herausstellte war das Hornsignal von Gorst gewesen, der Maurice den anderen Stallburschen vorstellen wollte. Zayn stand neben dem Fremden, während Gorst die Vorstellung für alle vollzog. Zayn kaute auf seiner Unterlippe. Er hatte nie im Mittelpunkt stehen wollen, das war im Lager von Drachenblut nur wenig ratsam.
„Für's erste“, beendete Gorst seine kurze Rede, „wird Maurice sich um die Flugsaurier kümmern. Ich gehe davon aus, dass ihr euren neuen Kameraden unterstützen werden. Immerhin sind wir eine Gemeinschaft.“
Das waren die Worte, die bei solchen Anlässen immer fielen. Kurz darauf stapfte Gorst bereits wieder davon.
„Tja“, Zayn kratzte sich am Kopf und sah Maurice an. „Dann zeige ich dir mal unsere Vögel, was?“
Maurice nickte stumm und zwirbelte eine Haarsträhne um den Finger. Bis auf die blaue Strähne waren die Haare haselnussbraun. Der Junge schwieg den ganzen Weg nach oben und sah die Flugsaurier dann mit großen Augen an.
„Schon einmal so einen gefüttert?“, fragte Zayn und Maurice schüttelte den Kopf.
„Hier, wir nehmen die Fische dafür. Du musst bei den kleinen da aufpassen, die haben Zähne.“
Maurice blieb stumm, zeigte sich aber als sehr lernfähig. Schnell hatte er den Trick raus, seine Finger rechtzeitig vor den zuschnappenden Schnäbeln in Sicherheit zu bringen. Zayn konnte Maurice getrost die eine Seite der Ställe überlassen und selbst die andere Seite übernehmen. Sie kamen so schnell vorwärts als würde Zayn mit einem erfahrenen Burschen arbeiten.
„Wo kommst du her?“, fragte er schließlich.
„Draußen“, entgegnete Maurice knapp und Zayn war überrascht, dass der andere sprechen konnte.
„Das ist schon klar“, meinte er. „Was hast du bisher gemacht? Warst du alleine?“
Maurice brauchte eine Weile, um zu antworten. „Ich war alleine.“
Zayn hob die Augenbrauen, mit dem Rücken zu Maurice, damit der andere es nicht mitbekam.
„Die meisten von uns sind irgendwann hier aufgewacht“, versuchte er, das Gespräch am Laufen zu halten. „Drachenblut findet die meisten. Du hast Glück gehabt, denn alleine kam man draußen nicht lange überleben.“
„Ich war in einer Gruppe“, sagte Maurice dann und brachte Zayn völlig aus dem Konzept.
„Was meinst du denn jetzt?“
Maurice zögerte. „Vergiss es.“
Zayn wandte sich um und sah seinen neuen Mitarbeiter an. „Wenn du nicht drüber reden willst, dann sag es einfach. Ich wollte nur nett sein.“
Damit stapfte er zum nächsten Gang.
„Danke“, so leise, dass Zayn es beinahe überhört hatte. Er blieb stehen und sah Maurice an, der seinem Blick immer noch auswich.
„Gern geschehen“, antwortete Zayn. „Komm hier lang. Das sind die Saurier, die keinen Besitzer haben. Hier, der hat einen kaputten Flügel zum Beispiel.“
Er zeigte Maurice seine liebsten Saurier: Kizura, Lyrelle, Mila, Artemis, Tisiphone. Sogar Deynara kam an und setzte sich auf Zayns Schulter, offenbar war Maurice' schweigende Schüchternheit unauffällig genug, um den kleinen Saurier nicht zu beunruhigen.
Gurrend knabberte Deynara an Zayns Ohr und er gab ihr ein Stücken Fleisch. „Hier, meine Kleine.“
Maurice sah den Flugsaurier neugierig an und lächelte sogar schwach. Es war das erste Mal, dass Zayn die hellen, goldgrünen Augen des Neuen sehen konnte.
„Ist er zahm?“
„Sie. Deynara ist meine Freundin“, Zayn kraulte das Tierchen unter dem Kinn. Sie erreichten die letzte Box, in der der schwarze Flugsaurier saß.
„Und das ist Nemesis. Bei ihr musst du aufpassen, sie ist wild.“
Vorsichtig trat Maurice näher. „Ist der groß!“
Zayn musste lachen. „Sei froh, dass wir nicht die Langhälse machen müssen. Die armen Schweine, die hinter denen herräumen dürfen, sind am Abend immer schlecht gelaunt.“
Maurice machte große Augen. „Ihr habt viele Saurier. Große Saurier.“
Zayn nickte.
Maurice sah wieder zu Nemesis und sprach, fast schon zu sich selbst: „Sie will nicht im Käfig sein. Sie will weg.“
„Ganz ehrlich?“, meinte Zayn in einem plötzlichen Anfall von Vertrauen zu dem schüchternen Maurice: „Das will ich auch.“
Maurice machte große Augen: „Du willst weglaufen?“
„Weg fliegen“, korrigierte Zayn leise. Er erschrak selbst darüber, dass er das alles Maurice anvertraute. „Sag keinem was davon!“
„Kann ich mitkommen?“, fragte Maurice stattdessen. Zayn zögerte. „Wenn es soweit ist – sicher, warum nicht?“