Kemuliaan, 3. Denia des Segments Keempat, der 6. Tag nach Loteped
Der Speer verfehlte ihn um eine Handspanne.
Steine bohrten sich in seinen Rücken, als Cherew sich auf den Bauch drehte. Er keuchte. In der Bewegung ergriff er Sand und schleuderte diesen in die Luft, dem Gegner entgegen, der soeben auf ihn zukam. Der heiße Wind erfasste die Körner und trieb sie weiter über den Platz bis zu der Absperrung hinweg, wo die Menschen riefen. Sie verlangten Tod und Leben, aber Cherew war nicht gewillt, ihnen Ersteres zu geben.
Seine Handballen stemmten sich gegen den Boden und verhalfen ihm dazu, aufzuspringen. Der Sand hatte ihm nicht mehr als eine kurze Verschnaufpause ermöglicht, kaum, dass Cherew auf den Beinen stand, begann sein Gegner einen erneuten Angriff. Die metallene Spitze des Speeres schimmerte im Sonnenlicht und spiegelte Cherews angespanntes Gesicht.
Der Angreifer stockte. Sein Gesicht unter dem Helm war in Licht gebadet. Ein Augenblick, in dem er die Augen schloss, um dem grellen Sonnenschein zu entfliehen.
Der Speer zittert auf seinem Weg nach vorne, nur eine kleine Bewegung, die für Cherew eine große Auswirkung hatte. Ohne große Mühe bewegte er sich zur Seite. Ein Luftzug strich über seine erhitzte Haut, als der Speer ihn verfehlte. Cherew hob die Arme und machte einen raschen Schritt zur Seite. Schmerzhaft klatschte die nackte Haut gegen das Holz des Speeres, der dadurch weiter aus seiner Bahn gelenkt wurde. Angestrengt ergriff er die Waffe, spürte wie das Holz in seinen schweißnassen Händen hin und her rutschte, als sein Gegner versuchte, die Oberhand zu gewinnen.
Die Luft flirrte vor Cherews Augen. Schweiß sammelte sich in seinem Nacken und tropfte von seiner Stirn. Er blinzelte nicht. Nur ein Augenblick der Unachtsamkeit konnte eine Niederlage bedeuten. Sie rangen. Weit entfernt von ihnen jubelten die Zuschauer. Cherew beachtete sie kaum. Es zählten nur er und der junge dunkelhäutige Mann, der ihm gegenüber stand. Verbissen rissen sie an dem kleinen Stück Holz.
In dem Moment ließ Cherew den Speer los. Der andere stolperte, als der plötzliche Widerstand verschwunden war. Ein Lachen entrang Cherews staubigen Kehle. Es war so einfach. Der junge Mann stürzte zu Boden, kaum, dass Cherew sich auf ihn warf. Der Speer, um den sie eben noch gerungen hatte, war ihm keine Verteidigungsmöglichkeit mehr. Er fiel zu Boden und grub sich in den Sand. Die Augen des Gegners verdrehten sich, sowie er ihm die Hand auf die Kehle legte. Rittlings hockte er auf dem Mann und sah auf ihn herab. Für einen Augenblick wand sich dieser noch hin und her, dann hielt er still, vielleicht in der Hoffnung, dass es damit enden würde. Cherew verachtete ihn. Er verachtete ihn, so wie er alle verachtete, die einfach aufgaben, ohne alles gegeben zu haben. Der Mann war bereits schwach gewesen, bevor er auf dem Boden gelegen hatte. Deshalb hatte Cherew gesiegt.
Nun, wo er in Sicherheit war, erreichte die Müdigkeit ihn. Ein schmerzhaftes Ziehen in seinem Bein erinnerte ihn daran, wie sehr er dieses im Kampf belastet hatte. Vorsichtig streckte er es aus und verfluchte zugleich die Wunde, die seine Kämpfe so viel gefährlicher und anstrengender machte.
Unter ihm schloss sein Gegner, der ihm nun keiner mehr war, resigniert die Augen. Er hatte sich der Schmach der Niederlage ergeben.
Cherew blickte in den Himmel hinauf, während er langsam ein- und ausatmete. Die Vögel kreisten weit über ihm im strahlenden Blau und interessierten sich wenig für das, was hier unten geschah. Noch weniger als die Zuschauer, die nur nach Blut, Tod und Verderben gierten, aber ansonsten nichts verstanden. Er selbst verspürte das Gefühl des Triumphes, das sich in seinem Inneren ausbreitete und die Schmerzen des Kampfes vertrieb. Er hatte dem Tod gezeigt, dass er noch nicht bereit war, sich von ihm entführen zu lassen. Es war sein Sieg. Und für einen winzigen Moment fühlte sich Cherew sogar frei.
Die Stimmen waren es, die ihn seiner Gegenwart erinnerten. Frauen, Männer und Kinder plauderten angeregt nahe der Absperrung des Kampfplatzes. Nichts verstanden sie. Sie waren es nicht wert, sich weiter mit ihnen zu beschäftigen. Cherew erhob sich, ließ den anderen in Staub und Sand zurück und ergriff den Speer. Vertraut schmiegte sich das Holz an seine verschwitzte Hand und seine Finger ertasteten Scharten, die Kämpfen und dem Alter geschuldet waren. Es fühlte sich gut an, diese Waffe, die ihm niemand zugestanden hatte, bei sich zu wissen.
»Habe ich dir zu viel versprochen?«, prahlte der Fette lautstark, der nun auf den Platz schritt, »Sie waren gut daran, dich zu mir zu schicken. Lemarang hat die besten Kampfsklaven ganz Kerajaans, ja, so ist es!« Er winkte, woraufhin zwei weitere seiner persönlichen Sklaven heranliefen, um dem verletzten und erschöpften Krieger aufzuhelfen und ihn vom Kampfplatz zu geleiten. Cherew beachtete ihn nicht weiter, sondern blickte zum Fetten.
Mit diesem trat ein weiterer Mann heran, dessen dunkle Haut für eine tasirische Abstammung sprach. Auch seine Stirn zierten die Brandmale eines Sklaven, doch schien er deutlich bessergestellt zu sein, als er selbst es war. Sein Herr war bestimmt kein geiziger, ehemaliger Kämpfer, dessen Ruhm aus alten Tagen nur bedingt auf sein Sklavengeschäft abstrahlte. Der Schwarze schwieg weiterhin, so wie er zuvor geduldig die Wortflüsse des Fetten ertragen hatte. Cherew hatte ihn kaum beachtet, schon bevor ihm befohlen war, zu kämpfen.
»Komm her, Sklave!«, befahl der Fette.
Mit dem Speer in der Hand schritt Cherew auf den Fetten zu. Den ziehenden Schmerz, der bei jedem Schritt sein Bein durchzog, ignorierte er. In langen Segmentjahren hatte er sich bereits an diesen gewöhnt. Vor dem Fetten nahm er Haltung an, starrte über seinen Kopf hinweg und beruhigte seine Atmung.
»Einen solch guten Kampfsklaven findet man selten«, fuhr der Sklavenhändler fort. Cherew fragte sich, ob das Fett hinauslaufen würde, wenn er ihn mit dem Speer in seiner Hand ein wenig kitzeln würde. Schnell würde es gehen. Fette kämpften selten gut und dieser würde quieken wie ein Schwein.
»Er ist alt«, bemerkte der andere.
»Schon über vierzig«, gab der Fette zu, »allerdings auch dementsprechend erfahren. Ich habe keinen besseren Sklaven als ihn, das wissen viele« Er lachte. »Zeig deine Narben, Sklave.« Für einen winzigen Moment erwog Cherew, dem Fetten den Speer in die Hand zu drücken, aber wahrscheinlich würde dieser ihn noch nicht einmal mehr halten können. Schlussendlich legte er ihn zwischen seinen Füßen auf dem Boden ab, dort, wo er ihn schnell erreichen konnte. Sand rieselte hinab, als er sich das Oberteil über den Kopf zog. Cherew hasste den Sand. Er war überall, setzte sich an den unmöglichsten Stellen fest, kratzte und juckte.
Die Finger des Fetten krallten sich in seine Schulter. »Seh ihn dir an. Ich sage dir, nirgends wirst du einen besseren Sklaven finden als bei Lemarang, dem Krieger.« Er riss Cherews rechten Arm hoch. »Siehst du die hier? Die Bisse gingen tief. Das Blut rann ihm über die Waffe, mit der er sie danach alle tötete. Wahrlich, ich sage dir, selten hat man einen so guten Hundekampf in den Arenen gesehen.«
Neben der Realität sähe jeder Arenenkampf schwach aus, Fetter. Diesen Kampf hättest du nicht überlebt, dachte Cherew verächtlich.
»Und siehst du die Narbe an der Schulter? Der Pfeil traf tief in die Muskeln hinein. Heute ist es nichts mehr als ein Zeichen seines Triumphes.« Der Fette klopfte Cherew auf die unverletzte Schulter. »Ich sage dir, so sieht ein Sieger aus und damit der Sklave, den dein Herr sucht.«
»Er ist Iderraner?« Cherew, der sich nach dem Zeichen des Fetten das Oberteil wieder über den Kopf zog, erstarrte. Der Fremde hatte nicht abwertend gefragt, so wie es die meisten taten, sondern in einer neutralen Sprechweise, die Interesse verbarg.
»Oh ja, er ist ein Iderraner. Nur etwas zivilisierter. Aber kämpfen können sie, die Iderraner.«
Cherew war Iderri. Er bezweifelte, dass sein Herr den Unterschied kannte.
»Du kennst dich in Iderra aus?«, fragte der Mann. Erst jetzt sah Cherew ihn an. Das Sklavendasein einte sie, aber ansonsten nicht viel. Wo Cherew für die Kämpfe in schmutzige und zerfetzte Sachen gesteckt wurde, um möglichst wild auszusehen, trug dieser Mann eine weiße Toga, gegen die sich seine dunkle Haut abhob. Das war ungewöhnlich. Nur anerkannte Männer kleideten sich in eine Toga - Sklaven gehörten selten dazu. Schlussendlich trug er Sandalen mit dicker Sohle und festen Lederriemen, um die Cherew ihn beneidete.
»Selbstverständlich kennt er sich in Iderra aus«, beantwortete der Fette die Frage.
»Ich habe den Sklaven gefragt«, entgegnete der andere kalt, »oder verfolgt Ihr die barbarische Handlung, Euren Sklaven die Zunge hinauszuschneiden?«
»Selbstverständlich nicht«, empörte sich der Fette, »Kampfsklaven, die nicht sprechen können, erfreuen sich deutlich weniger dem Jubel des Publikums und es…«
»Dann kann er mir meine Frage selbst beantworten«, wurde der Fette unterbrochen.
Cherew, der den Speer wieder in der Hand hielt, sah zu dem sauberen Mann. Iderra. Bot sich ihm hier eine Möglichkeit, dorthin zu gelangen?
»Nun?«
»Ja«, antwortete Cherew, »Ich kenne mich in Iderra aus.«
Sein Gegenüber nickte zufrieden, bevor er sich zu dem Fetten wandte.
»Ich werde diesen Sklaven für meinen Herrn erwerben.«
Der Fette neigte den Kopf. »Du hast mich missverstanden, ich vermiete meine Sklaven nur zeitweise.«
Der Sklave lächelte. »An meinen Herrn wirst du verkaufen.« Dieser Mann, verstand Cherew, kämpfte nicht mit Speeren, sondern mit Worten. Vielleicht hatte Cherew diese Waffe früher auch beherrscht, vor seinem Sklavendasein. Jetzt war er nur noch ein passabler Kampfsklave, dessen Freiheit nicht mehr als eine ferne Erinnerung war.
»Ich investiere viel in die gute Ausbildung meiner Sklaven.« Der Fette verschränkte die Arme vor seinem Bauch. »Ich kann diesen Sklaven wirklich nicht verkaufen.«
»Du willst nicht, dass mein Herr forscht, woher dieser Sklave kommt.« Wahrscheinlich war sein Herr irgendeine Händlersau mit guten Verbindungen und Geld, der sich wichtiger tat, als er es war.
Der Fette befeuchtete sich mit der Zunge seine Unterlippe. »Er kommt aus Iderra«, beharrte er.
»Iderra ist eine freie Reichsstadt. Es ist bei ihnen verboten, Landsleute zu versklaven.« Überrascht horchte Cherew auf. Iderra war ein wahrlich wundersamer Ort. Umso wichtiger erschien es ihm, bald dorthin zu gelangen.
Der Fette zögerte kurz, musterte den Sklaven und Cherew, bevor er abwägend den Kopf neigte. »Nun, wie du gesagt hast, der Sklave ist alt, aber auch ein sehr guter Kämpfer. Um seinen Verlust zu verschmerzen, werde ich einen hohen Preis verlangen müssen.«
»Ihr werdet so viel bekommen, wie Euch dem Recht nach zusteht«, versprach der Geschäftspartner.
»Es bedeutet eine große Ehre, mit deinem Herrn Geschäfte zu machen.« Wiederum neigte der Fette den Kopf. Nicht vor dem Sklaven, sondern vor dessen Herrn, den der Sklave vertrat und verkörperte.
»Eure Bezahlung wird Euch zugestellt werden«, erwiderte der Sklave und wandte sich erneut an Cherew.
»Komm.«
Es ging schnell. Cherew hatte nicht damit gerechnet, sondern sich stumm der Zukunft ergeben, die er sein Schicksal wähnte. Jetzt ging es also weiter. Der Speer entfiel seiner angespannten Hand. Cherew ließ ihn liegen, um dem Sklaven zu folgen. Er hoffte, dass er, der schon vor seinem Sklavendasein ein Krieger gewesen war, auch bei seinem neuen Herrn, eine Waffe tragen durfte. Der Fette starrte ihnen nach.
»Wie ist dein Name?«, fragte sein Begleiter, als sie über den Sklavenmarkt liefen, wo Händler lautstark ihre menschliche Ware anpriesen. Aber der merkwürdige Sklave hatte keinen anderen gekauft, nur ihn.
»Cherew«, antwortete er und schwieg.
»Gut. Mein Name ist Pelayan.« Es war ein kerajaanischer Name. Der Sklave sah nicht wie ein Kerajaaner aus. Vielleicht hatte sein neuer Herr ihm diesen Namen gegeben?
»Du gehörst jetzt meinem Herrn«, erläuterte Pelayan eine Warheit, die Cherew längst erkannt hatte. Was das für ihn bedeutete, ließ Pelayan dagegen offen.