Iderra, das Segment Ulaaruk, der siebte Tag vor Traapur
Das Gastmahl, welches die Iderraner am Abend zu Ehren des Botschafters gaben, war wahrlich opulent. Cherew stand hinter dem Stuhl seines Herrn, welcher an der Ehrentafel Platz genommen hatte, sodass er einen hervorragenden Blick auf die Halle hatte. Auf der anderen Seite des Stuhls stand Liraan, der den heutigen Wachbefehl inne hatte. Er hatte nicht erklärt, weshalb Cherew gerade heute doch für die Wache eingeteilt worden war. Das brauchte er auch nicht. Alle wussten, dass es auf den Wunsch des Herrn geschehen war. Und allen missfiel es. Pujabaats offene Bevorzugung hatte Cherew innerhalb der Leibwachen zum Außenseiter gemacht. Ihn störte das nicht sonderlich.
Pujabaat hatte nicht wieder mit Cherew gesprochen, sondern hatte er ihm die Ergebnisse des nächtlichen Auftrages schriftlich zukommen lassen. Und nun stand er hinter dem Botschafter, der in seinem Gewand in einem strahlenden Blau wahrlich edel aussah. Angeregt plauderte er auf Kerajaanisch mit der Königin Tsagi Anat, die zu seiner Linken saß, derweil der König auf der anderen Seite mit seinem ältesten Sohn sprach, der zwischenzeitlich immer wieder seinen jüngeren Bruder, der mit seinem Essen spielte, zurechtwies. Der etwa zwanzigjähre Mann neben dem Jungen war Cherew unbekannt, allerdings vermutete er aufgrund der äußeren Ähnlichkeit eine Verwandtschaft zum König.
Aufmerksam ließ Cherew seinen Blick durch den Raum schweifen. Das war einerseits seine Aufgabe als Leibwächter und auf der anderen Seite vermutete er, dass Pujabaat ihn als ein zweites Paar Augen und Ohren hier platziert hatte – denn bis auf ihn sprach kein anderer aus der Leibwache mehr als ein paar grundlegende Brocken Iderranisch. Dementsprechend besaß er auch die Erlaubnis, seinen Posten hinter Pujabaat zu verlassen.
In Iderra war es Sitte, dass der Ehrengast den Saal als letztes betrat und alle anderen Gäste sich erhoben, um ihm den nötigen Respekt zu zollen. Dementsprechend wurde im regelmäßigen Abstand ein Gast vor die hohe Tafel geführt, um den Botschafter zu begrüßen. Liraan war eine Liste der heutigen Gäste zur Verfügung gestellt worden, doch Cherew war dieses vorenthalten worden. Meistens waren es Adelige der lokalen Eliten, hohe Offiziere und vereinzelte Bürgerliche. Pujabaat meisterte es dabei, zeitgleich sein Gespräch mit Tsagi Anat weiterzuführen. Mit Worten konnte er wahrlich umgehen.
Um den Tisch herrschte ein ständiges Kommen und Gehen: Neben den Gästen huschten noch zahlreiche Bedienstete vorbei, die Essen herbeitrugen oder fortbrachten oder die Becher nachfüllten. Auf der Tafel türmten sich wahrliche Delikatessen – die Köche schienen alles gegeben zu haben, um das Beste aus Iderra und Kerajaan herbeizuzaubern. Marinierte Wachteln standen im Wettstreit mit Lamm in Granatäpfeln und Wallnüssen, Sardinen in Weinblättern, gegrilltem Fisch im Honig, Broten, Kuchen, Salaten und Milchspeisen. Dabei wurden, wie es in Iderra Brauch war, die verschiedenen Gänge nicht nacheinander sondern gleichzeitig auf der Tafel platziert.
Aus den Augenwinkeln musterte Cherew den König, der eines ungenierten Anstarrens wohl nicht würdig gewesen wäre. Martik Arra war einer von den Männern, die Narben und das Alter nicht hässlicher oder schwach wirken ließen, sondern ihnen ein ehrwürdiges Aussehen verliehen. Er war Mitte fünfzig und trug das graue Haupthaar und den Bart so kurz wie es ein Kerajaaner tun würde. Seine Gesichtszüge waren kantig geschnitten. An ihm war nicht sanft oder rund. Im Gegensatz zu Pujabaat verzichtete er bei seiner Kleidung auf unnötige Schnörkel, Borten oder Schmuck. Stattdessen trug er eine schwarze Uniform, deren Knöpfe silbern schimmerten, und darüber einen kurzen Umhang in Weiß. Sein einziger Schmuck waren der Siegelring an seinem Finger und die schlichte silberne Krone, kaum mehr als ein dickerer Reif, in den Worte eingraviert waren. Er saß zu weit entfernt, als dass Cherew sie lesen könnte, aber wahrscheinlich war es ein Wahlspruch seines Hauses.
Wo Martik Arra mit königlicher Würde aufwartete, strahlte Tsagi Anat in Schönheit und Anmut. In ihrem dunklen Haar, das zu einer eleganten Flechtfrisur hochgebunden war, funkelten Diamanten wie kleine Sterne. Ihr weißes Kleid war mit Silber durchwirkt, fiel in eleganten Falten hinab und betonte ihre schlanke Figur. Sie war mindestens zwanzig Segmentjahre jünger als ihr Gemahl und gebärdete sich nicht minder königlich als er.
Der Herold trat wieder hervor, in der Hand jene Rolle, aus der er die Namen der Vorstellbaren verlas. „Die Dame Schedela, Erbin von König Jekar von Callinger“, verkündete er.
Cherews Herz schien für einen Moment auszusetzen, wie er Schedela erblickte, die hinter dem Herold stand. Als dieser zurücktrat, glitt sie in stiller Erhabenheit nach vorne und versank in eine formvollendete Verneigung, die jeder ihrer Erzieherinnen überrascht hätte. Er hatte gewusst, dass sie hier war, selbst, dass er ihr hier begegnen konnte, aber nichts hätte Cherew auf diesen Moment vorbereiten können. Neun Jahre. Neun verdammte Jahre. Und nun war sie hier. Er wünschte sich hinter sie, sie vor ihren Feinden beschützend und zugleich fort. Wenn es jemand vermocht, in ihm das Schlimmste und das Beste hervorzurufen, so waren es Schedela und Schedmasal. Erinnerungen an Schrecken, an glückliche Tage und der stillen Zufriedenheit eines Lebenszweckes. Alles zugleich – nur weil er sie sah. Schmerz, Angst, die er fortgeschickt und verborgen hatte, brachen wieder auf und überrollten ihn mit einer gewaltigen Welle. Er war wieder am Tiefpunkt seines Lebens, entzweigerissen zwischen zwei Verantwortlichkeiten, zwei Perspektiven und Wegen, die an ihm zerrten und beide seine bedingungslose Hingabe verlangten. Letztendlich holte die Wahrheit alle ein und Cherew war vor den seinen lange davongelaufen. Er hatte ihr und ihm nie gesagt, was damals wirklich geschehen war, sondern war geflohen vor jener Wahrheit, die ihm das bedingungslose Vertrauen und die Liebe zweier Kinder gekostet hätte, die trotz ihres Erwachsenenseins weiterhin zu ihm aufschauten. Er hatte die Enttäuschung in ihren Augen nicht sehen wollen und – wenn er ganz ehrlich mit sich war – hatte er auch viel zu viel Angst vor dem Tod, um sich der Verantwortung zu stellen. Ja, in seinem tiefsten Herzen war Cherew ein Feigling.
Siehst du? Ich habe es dir immer gesagt, wisperte die Stimme in ihm.
Und nun war er hier.
Fern von allem, was ihm jemals etwas bedeutet hatte, fern von den einzigen Menschen, die ihm je so etwas wie eine Familie gewesen waren.
All das wurde ihm bewusst, als er Schedela anblickte. Die Tochter, die er nie gehabt hatte.
Fast wünschte er sich, er könnte aufstehen, zu ihr treten und sich ihr zu erkennen geben. Aber stattdessen hoffte er, dass sie ihn nicht erkannte. Angst. Sein grässlichster Freund, sein größter Präger.
Pujabaat blickte auf und nickte Schedela freundlich zu.
„Eure Schönheit gereicht dieser Halle zu Ehre, Prinzessin“, begrüßte er sie. Das Prinzessin klang fremd in Cherews Ohren. Eine der Bedeutung entsprechende Vokabel gab es in Callinger nicht. Strenge Titularen und Hierarchien waren dort fremd. Als Kind hatte er sie nur Ela genannt. Er fragte sich, welchen Herrschernamen sie sich gewählt hatte, nun, wo sie nach dem Thron verlangte. Er fragte sich so vieles. Wie ging es ihr? Wer schützte ihren Schlaf? Was hatte sie in den letzten Segmentjahren alles erlebt? Es waren Fragen, die er sich nicht stellen durfte. Sie brachten zu viel Schmerz, lenkten ihn hin zu jenem Moment, als er entschieden hatte, dass er nicht länger ein Teil von ihrem Leben und dem ihres Bruders sein durfte. Die richtige Entscheidung. Du hast dich, sie, alle gerettet, wisperte die Stimme in ihm gegen all die Zweifel und Sehnsüchte an.
„Ihr schmeichelt mir, Botschafter.“ Schedela entgegnete seinem Blick furchtlos und selbstbewusst. Es war am Rande dessen, was als schicklich und höflich galt. Das war so typisch für sie, dass Cherew sich ein Lächeln verkneifen musste. „Aber, wahrlich, Ihr übertreibt, mein Besuch erfährt kaum Beachtung, dagegen lässt der Eure ganz Iderra in Stürmen … der Begeisterung versinken.“
Das war verdammt dreist und gewagt. Kaum war Schedela hier meinte sie, sich in innenpolitische Angelegenheiten einmischen zu müssen. Und so hatte sie sich ziemlich sicher beim Botschafter wie auch dem König in Erinnerung gebracht.
Ihre Haltung hatte sich verändert. In ihrer Jugend hatte Schedela zu Arroganz geneigt und denjenigen, die nicht mit ihr mithalten konnten, ihre Verachtung offen gezeigt. Jetzt bewegte sie sich selbstsicher und erhaben. Ihr Gesicht blieb eine höfliche Maske der Zuvorkommenheit, die nichts verriet. Einzig ihre Augen wanderten, wie er bemerkte, weiterhin. Aufmerksam zuckten sie über den Botschafter zu der Königin, wo sie ruhen blieben. Interessant.
Pujabaat ließ sich seine Gedanken nicht anmerken, wie er sich erhob. „Ich möchte einen Trinkspruch ausbringen auf die Prinzessin von Callinger, deren Schönheit jeden Mann wieder jung werden lässt."
Schedela sank in einen halben Knicks, der in Cherews Augen halb anerkennend, halb spöttisch wirkte. Ein Diener eilte zu ihr und reichte ihr einen Becher, den sie sogleich hob.
„Auf die Prinzessin von Callinger“, hallte es durch den Saal. Nun würden sich die Tischpartner um sie streiten, hatte sie doch eine Nähe zu Botschafter und Königsfamilie assoziiert, um die man sie beneiden würde.
Für einen kurzen Augenblick musterten sich Schedela und Pujabaat, dann neigte Schedela leicht den Kopf und ging zu ihrem Platz an einer der unteren Tafeln zurück. Cherew konnte nicht verhindern, dass seine Augen ihr folgten. Sie sah so anders aus inmitten der iderranischen Damen, passte nicht hierher in diese höfische Welt, die so wenig mit einem callingischen Königshof zu tun hatte. Sie musste sich ja noch verlorener vorkommen als er inmitten all dieses seichten Geplätschers von Gesprächen, den intensiven Gerüchen und der Hitze der Tage. Nein, Schedela gehörte in die Wälder Callingers, auf einen Pferderücken und vor eine Stammesversammlung, die sie mit ihrem Charme zu beherrschen vermochte. Und doch vermochte sie es, hier eine Aufmerksamkeit zu erregen, die ihresgleichen suchte. Warum? Weshalb war sie hier? Was erhoffte sie hier, fern der Heimat zu erreichen? Er wusste es nicht.
Aber diese Fragen beschäftigten ihn den ganzen Abend. Immer wieder blickte er zu Schedela herüber, die sich angeregt mit verschiedenen Leuten unterhielt. Er erkannte hohe iderranische Adelige und Militärs, die sich plötzlich um sie scharten.
Ihm fiel sehr wohl auf, dass er nicht der Einzige war, der immer wieder zu ihr blickte. Sowohl Pujabaat als auch Tsagi Anat sahen immer wieder zu ihr hinüber, riefen sie jedoch nicht wieder vor sich.
Später wurde die Sitzordnung aufgehoben und jeder konnte um die Ehre bitten, auf einen der freigebliebenen Sitze an der hohen Tafel Platz zu nehmen, derweil sich so mancher von dort an den unteren Tischen niederließ. So gesellte sich die Königin zu einer Gruppe adeliger Damen und ihr ältester Sohn setzte sich zu seinen Trinkkumpanen. Ihren jüngster Sohn, der zu Beginn nur pro Forma anwesend gewesen war, hatte eine Amme da schon lange ins Bett gebracht. Aufmerksam merkte Cherew sich diejenigen, denen sein Herr einen Platz an seiner Seite eingeräumte und lauschte auf deren Gespräche. Zumeist waren es nichtssagende Höflichkeiten, die ausgetauscht wurden, doch bisweilen ließ sich mehr daraus erkennen. Ein Adeliger erklärte indirekt seine Unzufriedenheit mit der Politik des Königs, ein weiterer beklagte die hohen Zölle auf Handelswaren nach Erin. Dann war da das, was ungesagt blieb. Cherew entging nicht, wie viele der hochrangigen Personen nicht das Wort an den Botschafter richteten. Das war nicht weniger als ein stiller Affront und Protest gegen die Ernennung. Andere zeigten ihre Missbilligung weniger diskret. Da waren Damen, welche sich stolz in den Farben Iderras kleideten und vor den Augen des Botschafters in diesen umher stolzierten, derweil ihre Männer an ihren Uniformen Orden trugen, die Iderra im letzten Krieg gegen Kerajaan verliehen hatte.
Nein, der Botschafter war hier wahrlich unwillkommen, mochte auch das opulente Fest zu seinen Ehren scheinbar eine andere Sprache sprechen. König und Königin hatten ihn willkommen geheißen, aber begrüßen taten sie seine Anwesenheit hier nicht. Ein Grund mehr, gut auf Pujabaats Sicherheit achtzugeben. Nicht auszuschließen, dass ein verwirrter Patriot es für seine erste Bürgerpflicht hielt, sich des unbeliebten Botschafters zu entledigen. Zu seiner Erleichterung versuchte niemand etwas dergleichen bei diesem Gastmahl, sodass es bei indirekten Beleidigungen blieb. Immer wieder erhaschte Cherew einen Blick auf Schedela, die sich an den unteren Tischen bewegte und mit verschiedensten Leuten sprach. Zuletzt schloss sie sich den Trinkkumpanen der ältesten Prinzen an. Selbst von hier konnte er dessen Lachen hören, wie er über eine Bemerkung Schedelas lachte. Armer Junge. Schon jetzt war er in ihrem Netz gefangen.
Als die Musik und das Gelächter zu laut wurden, ließ sich Pujabaat entschuldigen und zog sich zu den Gemächern, die man ihm bereitgestellt hatte, zurück. Cherew war erleichtert darüber. Gefühle ließen ihn dumme Dinge tun – und im Moment fühlte sich sein Herz butterweich und ziemlich verletzlich an.
Als der Botschafter ihn zwei Stunden wieder rufen ließ, war es spät in der Nacht. Pujabaat saß an seinem Schreibtisch, vor sich Papiere aufgetürmt, hinter sich Bücher, die er seine Diener aus der Palastbibliothek hatte bringen lassen. Es waren langweilige Titel, vor allem über Politik. Ein paar von diesen lagen aufgeschlagen auf dem Schreibtisch und den Regalen. Pujabaat hatte also gearbeitet. Im Gegensatz zu vielen Iderranern hatte er sich nicht betrunken und schien gewillt nun im Anschluss des Banketts, mit der Arbeit fortzufahren. Fast wirkte es, als ob ihm dieses eine lächerliche Unterbrechung seines gewohnten Arbeitsablaufes gewesen sei, den er nun möglichst schnell wieder aufzunehmen gedachte. Er hatte sich nicht einmal umgekleidet.
„Mein Herr?“ Cherew blieb vor dem Tisch stehen. Bis auf diesen und die Regale war der Raum schlicht eingerichtet. Pujabaat hatte gleich nach Ankunft befohlen, die iderranischen Prunkstücke wie Wandteppiche und Skulpturen in einen ungenutzten Raum zu bringen. Nun schmückte nur noch die kerajaanische Flagge die Wände und ein schlichter Teppich verlieh dem Raum immerhin einen Hauch von Gemütlichkeit.
Pujabaat sah auf. Unruhig trommelten seine Finger über das Holz. Es war ein ungewöhnliches Zugeständnis an Nervosität oder Aufgebrachtheit.
„Ich möchte, dass du Informationen über Schedela aus Callinger sammelst.“
„Selbstverständlich, Herr.“ Ob Schedela wohl geschmeichelt wäre, wüsste sie, dass sie Pujabaats Interesse geweckt hatte?
„Ich muss gestehen, dass ich wenig über ihr Herkunftsland weiß, jenes Callinger. Aber die Iderraner sind seit jeher Händler, sicherlich gibt es in dieser Stadt jemanden, der bereits dort gewesen ist.“
Cherew nickte. Er hielt es nicht für sonderlich klug, zu erwähnen, dass er in Callinger geboren und aufgewachsen war.
„Versucht weiterhin herauszufinden, ob etwas über jene Verbindung bekannt ist, die der König für seinen ältesten Sohn plant.“
„Mein Herr?“ Cherew konnte sein Erstaunen nicht verhehlen. Glaubte Pujabaat etwa wirklich, dass Schedela als Braut für den Thronfolger in Erwägung gezogen wurde? Es war eine lachhafte und ganz und gar unglaubwürdige Verbindung. Allein schon, weil Schedela keinerlei Interesse daran haben dürfte. Er kannte sie. Niemals würde sie ihren Thronanspruch für eine Heirat aufgeben, die ihr keinerlei Vorteil brachte. Schon immer war sie die Verbissene, die Unnachgiebige unter den Zwillingen gewesen. Es lag ihr fern, auch nur einen Schritt zurückzutreten. Nein, Schedela würde ihren Thronanspruch bis zum Tod verteidigen.
Aber weshalb ist sie dann hier? Was will sie?, wisperte die Stimme in ihm, bist du dir sicher, dass du sie immer noch kennst? Es missfiel ihm, dass er keine bessere Antwort entgegenhalten konnte. Und dann ärgerte es ihn wieder, dass er so verzweifelt versuchte, Antworten auf Fragen zu finden, die ihn eigentlich nicht betrafen und ihn nichts angingen.
„Was hat Schedela, was hat Callinger, dass Martik Arra eine Verbindung seines Sohnes mit ihr in Verbindung zieht?“ Pujabaat war gesprächiger als gewöhnlich, was Cherew verriet, wie aufgewühlt er tatsächlich war. „Ich vermutete, dass die erinische Gesandtschaft eine Hochzeit aushandelt, aber nun bin ich mir nicht sicher.“
Cherew war sich ziemlich sicher, dass keine Gesandten aus Erin, dem Nachtbarland, beim Bankett anwesend gewesen waren, aber er hütete sich, Pujabaat danach zu fragen. Wenn er diese Meinung war, würde es wahrscheinlich eine Gesandtschaft hier geben. Sein Herr war zumeist ziemlich gut informiert. Dass er in Bezug auf Schedela so sehr falsch lag, erstaunte und belustigte Cherew zugleich. Auf der anderen Seite machte es ihm Angst, dass Pujabaat sich so sehr für sie interessierte. Er hatte die Macht, ihr Leben zu zerstören, sollte er es für notwendig erachten. Und er würde es tun, ohne zu zögern. Und was würde geschehen, sollten die beiden beschließen, dass ihre Interessen dieselben waren? Pujabaat vermochte es, die Grausamkeit und das Böse in anderen hervorzurufen – Schedela würde dem, auch wenn sie sich ihm beim Bankett so hervorragend behauptet hatte, wenig entgegensetzen können.
Der Blick des Botschafters fiel auf eine Karte, die auf seinem Tisch ausgebreitet lag. Sie zeigte den gesamten Kontinent. Iderra in einer Meerenge, eingezwängt zwischen Kemuliaan auf der einen und Erin auf der anderen Seite. Nördlich davon hatte jemand – Pujabaat – selbst einen vagen Landumriss eingezeichnet. Callinger.
Auf einmal ließ Cherew ein Schauer über den Rücken. Was war, wenn Pujabaat und mit ihm der mächtigste Staat des Kontinents sein Augen begierig nach Callinger ausstrecken würden?
Nun, ihn ging das ja wohl nicht wirklich an.
Oder?
Weshalb pochte sein Herz dann so sehr?
Sie würden dich nicht wollen, beharrte die Stimme hämisch, du gehörst nicht dorthin. Deine Heimat wird nie mehr die deine werden
In der Nacht träumte er dennoch von den goldenen Wäldern Callingers, durch die Schedelas kindliches Lachen hallte. Er sah ihren Schatten, hörte das Laub unter ihren Schritten rascheln, nur finden konnte er sie nie.