Auf der Straße von Ubandur vor Iderra, der erste Brabirt des Segments Retoldut
»Ich muss gestehen, Majestät, dass ich nicht an den Erfolg dieser Unternehmung geglaubt habe. Eine Überfahrt über die Straße von Ubandur zu dieser Zeit, ganz zu schweigen von den Risiken, die Sch...«
Als sie die Hand hob, brach er ab.
»Nein?«, fragte sie, ohne weiter auf das einzugehen, was er nicht hatte sagen sollen. Schedela wandte sich zu dem neben ihr stehenden Mann um. Er beugte sich über die Reling, drehte in den Händen ein Seil hin und her, während er nachdenklich hinaus auf das Wasser starrte.
»Nein«, bestätigte er. »Das Wort Irrsinn war nur eines der harmlosesten Worte, welches der Kapitän verwendet hat.«
Sie musste lächeln. Das war einfacher, als ihre Angst zu zeigen. Der Kapitän hatte mit seiner Einschätzung recht gehabt. Es war Irrsinn. Irrsinn geboren aus völliger Verzweiflung und dem Wissen, das dies die letzte Chance war, die sie hatte.
»Dann soll er dies tun.« Auch Schedela starrte nun hinaus auf das Meer, diese unendliche Weite, die ihr Angst einjagte. Sie konnte nicht vorhersehen, wie es sich verhalten würde. Schon im nächsten Moment mochte es sich stürmisch aufbäumen und sie, eine Frau auf einem Schiff, würde dem nichts entgegensetzen können. Auch jetzt war der Wind aufgefrischt. Laut knatterten die Segel. Hinter ihnen rief der Kapitän Befehle und Schedela wusste, dass soeben Matrosen in die schwindelerregende Höhe der Takelage kletterten. Zwar hatte das Langboot unter dem Befehl des Kapitäns Ritaschet bisher jedem Sturm überstanden, doch hatte sie das kaum beruhigt. Die Fahrt hatte ihr eine neue Art von Schwäche offenbart und sie war froh, wenn sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Nichtsdestotrotz würde sie diese Reise immer wieder auf sich nehmen, wenn ihr dies nur half, ihr Ziel zu erreichen. »Was zählt, sind die Taten, Jalldred.«
»Nun.« Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie er sich durch das hellblonde, schulterlange Haar strich. »Dieses Versprechen hat er gehalten. Trotz der Frühlingsstürme, trotz der ungünstigen Winde.« Er lächelte. Es war ein Lächeln, dem in Friedenszeiten die jungen Frauen verfallen wären. Aber für Schedela und ihre Gefolgsleute herrschte seit neun Segmentjahren Krieg, der solche Albernheiten unmöglich machte.
»Noch sind wir nicht angekommen«, meinte sie dagegen. So viel konnte in den nächsten Tagen geschehen und noch konnte alles verloren gehen. An die Rückfahrt mochte sie gar nicht denken. Und noch weniger an das, was sie tun musste. Sie wusste, dass es notwendig war, aber gefallen tat ihr dies nicht.
»Was wird dann passieren?« Er senkte die Stimme, auch wenn der Wind ihm die Worte von den Lippen riss und Schedela Mühe bereitete, ihn zu verstehen.
Ihr Gesicht verschloss sich. Das Lächeln wirkte wie fortgewischt. Aber Jalldred war der Einzige, der auch erwarten konnte, auf diese Frage eine Antwort zu erhalten.
»Ich werde mir das nehmen, was mir rechtmäßig zusteht. Meinen Thron, mein Land.« Sie drückte die Handballen gegen das Holz der Schanzwand. Die Masahhed war ein gutes Schiff. Ihr Volk war trotz seiner Insellage keine Seefahrernation, doch waren die Langboote, die sie nutzen, genauso auf hoher See wie auch auf den Flüssen des Inlandes nutzbar. Bis hierhin hatte das Schiff sie sicher getragen. Vielleicht hatte sie Schedela, wie ihr Name es besagte, tatsächlich Glück gebracht. »Und diese Reise ist ein Teil des großen Plans. Hier werde ich die Vorbereitungen treffen, um meinen Thron zu gewinnen. In Iderra werde ich Verbündete gewinnen.«
»Wo?«
Sie schwieg kurz. Für einen Moment war nur das Klatschen der Wellen gegen die Bordwand und das Knarren der Segel zu vernehmen. Selbst die Matrosen waren für den Augenblick still.
»Wo ich als die gesehen werde, die ich bin.« Sie beide wussten, dass damit nur der iderranische Königshof gemeint sein konnte. Dort würde sie beginnen, sich die benötigten Truppen zu beschaffen.
Jalldred schien zu verstehen, dass sie ihm nicht mehr sagen würde, denn er ging nicht weiter darauf ein.
»Man sagt, dass sie die Stadt der Träume ist. Eine Stadt der Magie, in der die alten Dinge der Vergangenheit wieder zur Gegenwart werden.« Glaubte er dies wirklich? Ihr war Jalldred nie als ein Mann erschienen, der Ammenmärchen nachjagte.
Mit einem Schnauben tat Schedela ihren Zweifel kund. »Mythen und Legenden. Wir werden sehen, was sich dahinter verbirgt. Aber ich sage dir, dass sie eine Stadt wie jede andere sein wird. Ein Ort, der versucht, die Grausamkeit der Nacht unter einem strahlendem Überzug von Gold zu verbergen.« Sie hatte schon zu oft erlebt, dass sich eine Zuflucht zu einem Ort des Verrats wandelte und erst dann sein wahres Antlitz offenbarte. Nun war sie misstrauisch.
»Und es ist die Stadt, aus der unsägliche Verbrechen an unserem Volk ausgingen.«
»Ja«, gab sie zu. »Und wenn es nicht die letzte Chance für mich wäre, so würde ich nie an diesen Ort reisen.«
Die letzte Chance … Es hing so viel daran, dass sie nicht scheiterte. Ein Geburtsrecht. Ein Thron. Ein Volk. Ihres. Sie musste den iderranischen König für sich gewinnen. Es würde keinen weiteren Versuch für sie geben.
»Dann lass uns diese Stadt bald wieder verlassen.« Jalldred stützte den Kopf auf die Hände und starrte hinaus auf das Meer. Die Haltung ließ ihn jünger, unbeschwerter wirken. Die Waffen waren das Einzige, was dieses Bild des Friedens störte. »Ich habe mir die Gesänge der Panti vortragen lassen. Was Iderra getan hat ...«
»Die Mehrzahl der Panti sind Träumer, die glauben, dass das Gestern mit dem Heute identisch ist.« Schedela spürte den Zorn in sich aufsteigen, wie immer, wenn sie etwas an jene Enttäuschungen ihres Lebens erinnerte. Um dieses Schmerzen willen war sie bereit, die erbitterte Feindschaft, die zwischen ihrem Heimatland Callinger und Iderra herrschte, zu vergessen. »Ich habe nie verstanden, wieso ausgerechnet sie meinen müssen, die Geschicke des Landes zu lenken.«
»Sie sprechen mit der Stimme der Götter, so sagt man.« Noch immer blickte ihr Gesprächspartner hinaus, wo Schaumkronen auf den Wellen tanzten. Möwen schrien über ihnen und zeugten davon, dass es bis zu der nächsten Küste nicht weit war. Schedela hoffte, dass es Iderra und nicht eine weitere der Inseln war, deren schroffe Klippen sich immer wieder aus den Wellen hervorhoben.
»Sagt man nicht auch, dass die Götter jenen Gerechtigkeit schenken, die sie verdienen?« Nun blickte auch Schedela erneut auf das Meer, diesen ewigen Tanz von Wellen, ihr Herannahen und Fortgehen beobachtend. Das Meer machte keinen Unterschied zwischen Armen und Reichen. Es ertränkte jeden, der nicht schnell genug war. Schedela hatte sich schon vor Segmentjahren geschworen, schnell genug zu sein.
»Nun sag mir, Jalldred.« Sie breitete die Arme aus, schloss die Weite des Meeres und die Enge des Schiffes mit ein. »Nennt sich dies Gerechtigkeit? Ich wurde als eine Königin geboren und bin doch hier. Meinem eigenen Volk bin ich eine Ausgestoßene und meinem Land eine Fremde.« Sie schüttelte langsam den Kopf. Rotbraune Locken, die sich aus der aufwendigen Hochsteckfrisur gelöst hatten, flossen über ihren Nacken. »Nein, auf die Hilfe der Götter vertraue ich nicht. Verlassen kann ich mich nur auf meine eigene Stärke.«
Nun löste auch er den Blick von den Wellen und sah zu ihr. Jalldred war einen Kopf größer als sie, zählte ebenso wie sie siebenunddreißig Segmentjahre und bis auf eine einzige Narbe am Kinn hatte der Krieg ihn an Versehrungen verschont.
»Und auf die derjenigen, welche den Eid auf Euch geschworen haben.« Er starrte sie an, sichtlich verletzt, dass er nicht bedacht worden war.
»Ist dem so?« Schedela entgegnete seinen Blick. Schließlich senkte sie ihn und blickte erneut hinaus auf das Meer. »Du bist mir bis hierhin gefolgt, Jalldred.«
»Das bin ich«, entgegnete er mit rauer Stimme. »Denn so lautet mein Eid.«
»Ich denke nicht, dass es einfach werden wird«, gestand sie ihm und ließ für einen Augenblick jene Sorge durchscheinen, die sie des Nachts nicht schlafen ließ. Nur dieser eine Versuch …
»Ich werde mein Bestes geben, um meine Pflichten Euch gegenüber zu erfüllen.«
»Das wirst du, Jalldred.« Manchmal fragte Schedela sich, was sie ohne ihn tun würde. Ohne ihn getan hätte. Immer war er an ihrer Seite gewesen. Seit neun Segmentjahren. Ohne einmal zu zögern oder einen Befehl zu verweigern, und zugleich war er immer ehrlich gewesen. »So wie immer.«
Sie sah, wie er den Mund öffnete, um etwas zu sagen, doch in diesem Moment erreichte der Kapitän sie. Er wagte es noch immer nicht, sie zu stören, sondern blieb etwas entfernt von ihnen auf dem Deck stehen, das erst vor Kurzem von einem Schiffsjungen gefeudelt worden war. Unterwürfig oder ängstlich wirkte Ritaschet nicht, nur respektvoll. Mit einem Nicken bedeutete Schedela ihm, dass er näher treten durfte.
Ritaschet war ein Wunder. Ein Wunder, das durch Jalldreds Überzeugungsarbeit und Schedelas klingende Münzen möglich geworden war. Die letzten Jahrhunderte war Callinger ein überwiegend isoliertes Land gewesen, das nur sporadische Kontakte zu anderen Völkern gehabt hatte. Ritaschet war der Einzige, der gewagt hatte, die schwierige Passage vom Norden Callingers, wo der Thronräuber sie hoffentlich noch immer wähnte, bis nach Iderra auf sich zu nehmen. Der Kapitän hatte ihr und zwei Dutzend Begleitern sein Langschiff zur Verfügung gestellt und den Krieg mit keinem Wort erwähnt. Jalldreds Befürchtungen, dass der Thronräuber sie so in Gewahrsam bringen oder sich ihrer entledigen könnte, waren nicht wirklich geworden. Noch nicht.
»Sprich«, befahl sie ihm.
Er räusperte sich. »Der Wind meint es gut mit uns, Hoheit« berichtete er mit strahlenden Augen, denen die Begeisterung deutlich anzusehen war. »Immer noch weht er stetig nach Südost und wir werden Jurhagist vor dem Einbruch der Nacht erreichen, sollte er nicht mehr drehen.«
Schedela nickte. »Dann ankern wir heute Nacht in Jurhagist?«
»Ja.«
»Ich danke dir. Du hast uns gut und sicher ans Ziel gebracht und ich war klug, deinem Rat entsprochen zu haben.«
Er neigte den Kopf. Vermutlich erinnerte er sich daran, wie sie über diese oder jene Entscheidung diskutiert hatten, wenn sie wieder einmal auf Geschwindigkeit gedrängt hatte, obgleich die Gezeiten und Winde anderes befahlen.
»Es war mir eine Ehre, Majestät.«
»Den Rest deines Lohns sollst du erhalten, sobald wir in den Hafen eingelaufen sind«, versprach sie ihm.
Zufrieden mit dieser Zusage nickte er, bevor der Kapitän sich auf ihr Geheiß erneut entfernte.
Es verblieben Schedela und Jalldred, derweil auf dem Deck der Masahhed die Matrosen geschäftig hin- und hereilten. Schedelas Männer, die gelernt hatten, dass sie der Mannschaft besser nicht im Weg standen, spielten Würfelspiele oder vertrieben sich anderweitig die Zeit.
»Wir sollten nicht zu lange in Iderra verbleiben«, ergriff Jalldred ungefragt das Wort und wiederholte damit eine seiner vorigen Aussagen, »es beginnt die Zeit der Frühlingsfeldzüge und gewiss wird der Thronräuber Schedmasal nicht lange zögern, um erneut das Heer zu sammeln.«
Schedela, die wusste, dass er recht hatte, nickte. Zwar hatte sie ihre Truppen im Norden Callingers einem ihrer fähigsten Männer anvertraut, der ihre Abwesenheit verschleiern würde, doch sollte sie kein übergroßes Risiko eingehen. Der Thronräuber würde nicht zögern, sie auch aus jenem letzten Teil Callingers zu vertreiben, den sie bisher hatte halten können. Umso wichtiger war es, dass sie die Mission, die sie nach Iderra zog, möglichst bald abschloss. Erst dann würde sie in ihre Heimat zurückkehren können, um die Fehde erneut beginnen zu lassen. Und dieses Mal würde sie sich nicht darum kämpfen, den von ihr beherrschten Norden zu halten, sondern nicht ruhen, bis sie auf dem Thron in Tsarems großer Halle saß. Jenem Thron, der einst ihrem Vater gehört hatte. Jener Thron, der ihr zustand.
Es dauerte vier Tage, bis sich zumindest die erste Voraussetzung dieses Zieles erfüllte. Am Abend hatten sie Jurhagist erreicht, den Hafen, der Iderra am nächsten lag. Einst hatte er zum Staatsgebiet Iderras gehört, doch mit dem Verlust der Unabhängigkeit hatte die Handelsmetropole auch große Teile einstigen Landes verloren.
In Jurhagist hatten sie sich von Kapitän Ritaschet und seiner Mannschaft verabschiedet und waren am übernächsten Tag aufgebrochen, denn Iderra lag eine Drei-Tages-Reise entfernt. In Jurhagist hatte Jalldred einen Führer angemietet, der sie die Strecke durch eine Wüstensteppe und das darauffolgende Hochland führte. Es war eine Landschaft, die Schedela in vielerlei Hinsicht überforderte. Das Wetter war am Tag heiß, in der Nacht kalt und der Sand durchsetzte bald jegliches Kleiderstück, das sie besaß. Der Wegführer hatte ihr geraten, das Gesicht vor der Sonne mit Tüchern zu schützen. Schedela hatte seinen Rat erst befolgt, als sich ihr Gesicht bereits rot verfärbte und hatte nun das Gefühl, absolut lächerlich auszusehen. Auch hatte er ihnen geraten, die Reise auf merkwürdigen, ihr völlig fremden, Tieren zurückzulegen, was Schedela abgelehnt hatte. Sie war froh, dass sie auf dem Basar gute Pferde gefunden hatten, die das teure Geld wert waren. Generell hatte sie das Gefühl, auf diese Reise nur ungenügend vorbereitet zu sein. Sie hatten Zelte aus der Heimat mitgebracht, die sich jedoch auf dem sandigen Boden nur schwerlich aufbauen ließen und sich in der Mittagszeit zu sehr erhitzten, als dass man sie als Erholungsorte hätte nutzen können. Immerhin wärmten sie in den Nächten genug. Und ihre Kleidung erst! Schon bald entschloss Schedela sich, ihre schlechteste und einfachste Kleidung zu tragen, um die Gute nicht zu sehr zu schädigen. Das Volk der Iderraner war Schedela so fremd. So viele Lieder und Geschichten ihres Volkes handelten von diesem Erzfeind, dass sie geglaubt hatte, sie fast zu kennen. In Wirklichkeit waren sie völlig anders. Das grausame und listige Kriegervolk erwies sich in der Realität als ein Volk, welches den widrigen Bedingungen der Natur angepasst war. Diesen Eindruck machte zumindest ihr Führer, ein junger fröhlicher Mann, mit dem sie sich nur verständigen konnten, weil sowohl Jalldred als auch Schedela zumindest Bruchstücke des Iderrischen beherrschten, eine dem Iderranischen sehr ähnliche Sprache. Durch ihn erfuhren sie einiges über die Oasenstadt. Schedela behandelte er dabei mit einem Respekt, der ihr von ihrem Volk völlig fremd war. Er machte seine Arbeit gut, denn all den Strapazen zum Trotz erreichten sie Iderra.
Und der Anblick, der sich nun vor ihren Augen ausbreitete, tröstete Schedela über manches hinweg.
»Iderra.« Lächelnd blickte sie zu der Stadt. »Wir haben es geschafft.«
Jalldred, der soeben sein Pferd an ihre Seite trieb, wirkte deutlich weniger überzeugt.
»Sieh nur, wie grün es hier ist, Jalldred«, begann sie zu schwärmen, »nach all dem Sand und Steinen ist dies eine Wohltat für die Augen.«
Wie befohlen blickte er zu der Stadt, deren hohe Mauern sich hinter blauen Uferläufen und Ackerland erhoben. Zum Bau war ein merkwürdiger, heller Stein verwendet wurden. Holz, welches in Schedelas Land der überwiegende Baustoff war, schien hier kaum genutzt zu werden. Kein Wunder. Iderra sollte reich sein, da konnte sich die Stadt sicherlich auch teuere Materialien leisten.
»Es müssen die Gebirgsketten sein«, murmelte Jalldred.
»Wie bitte?«, fragte sie nach, den Blick immer noch auf die Stadt vor ihnen gerichtet.
»Verzeiht«, bat er, »ich hatte nur darüber nachgedacht, wie ein solch reicher Bewuchs in einer so trockenen Umgebung möglich sein kann, und kam zu dem Schluss, dass die Gebirgsketten Schutz ermöglichen müssen.«
Schedela drehte sich im Sattel um, sodass auch sie die Gebirgsketten, welche die Stadt im Osten schützten, sehen konnte. Dahinter, wusste sie aus eigener Erfahrung, erstreckte sich eine trockene Halbwüste, deren Durchquerung nach einer strapaziösen Überfahrt mehr als herausfordernd gewesen war.
»Es sind vor allem hervorragende Verteidigungsmöglichkeiten«, gab sie zu bedenken, »hast du die Türme gesehen, an denen wir vorbeigekommen sind? Berechne, wie viele Wege es durch die Wüste gibt, die hierhin führen. Eine solche Oasenstadt inmitten der Wüste muss doch förmlich dazu einladen, dass sie überfallen wird. Deshalb braucht es Verteidigungsmaßnahmen. Hast du gesehen, wie anders die Türme konstruiert sind? Wenn wir einige Elemente davon in der Heimat übernehmen könnten ...«
»Dafür müssten wir in die Heimat zurückkehren«, unterbrach er sie und sprach jenen wunden Punkt aus, an dem zwangsläufig jedes ihrer Gespräche endete – sie beide teilten die Sehnsucht nach der Heimat, obgleich sie diese erst vor wenigen Denias verlassen hatten.
Dennoch blickte Schedela nun ihn an. Er war einer ihrer engsten Vertrauten, ein treuer Soldat, der sie von ihrer Heimat bis in diese ferne und fremde Stadt geleitet hatte. Doch das bedeutete nicht, dass er sich alles herausnehmen durfte.
»Verzeiht«, bemerkte er seine Aussage, mit der er ihre Autorität indirekt angezweifelt.
»Wir werden in die Heimat zurückkehren«, verkündete Schedela. Nicht nur zu ihm, sondern auch zu den zwei Dutzend Personen, die sich hinter ihr versammelt hatten. Es waren Soldaten, Dienerinnen und Adelige. Sie alle trugen die Sehnsucht nach derselben Heimat in sich, die sie hatten verlassen müssen. »Sobald wir die Kräfte gesammelt haben, die dafür von Nöten sind.« Es war ein Versprechen, ein Schwur, den sie sich vor neun Segmentjahren geleistet hatte. Nun war sie hier, um eben dieses zu erfüllen.
»Jalldred.«
Der Offizier wandte sich im Sattel zu ihr um.
»Majestät?«
»Bereite alles vor, damit es einen Einzug geben kann, der einer Königin würdig ist«, befahl sie, »ich will, dass alle Instrumente, die wir haben, gespielt werden, jeder soll seine beste Kleidung tragen und die Pferde sollen gestriegelt sein. Dir wird die Ehre des Ausrufers zukommen.«
»Wie Ihr befehlt, Herrin.« Er neigte den Kopf. »Wie soll ich Euch ankündigen?«
Sie starrte ihn an, dann blickte sie von ihm zu der Stadt. Die Sonne spiegelte sich auf den Flachdächern und an den runden mit Gold überzogenen Zwiebeltürmen.
»Als Schedela Tikwalas, die rechtmäßige Königin Callingers.«
Und an diesem Ort würde sie beginnen, ihr Königreich zurückzuerobern.
Sie lächelte.