Kemuliaan, 3. Denia des Segments Keempat, der 10. Tag nach Loteped
»Komm.« Auf einmal stand Pelayan vor ihm. Cherew stellte die Kiste, die er soeben durch den Flur getragen hatte, ab. Von dem schwarzen Sklaven blickte er zu dem Aufseher, der am anderen Ende des Ganges die Arbeiter befehligte.
»Komm«, wiederholte Pelayan ruhig. Seit drei Tagen hatte Cherew ihn nicht gesprochen und nur aus der Ferne gesehen. Ihn selbst hatte man zu den anderen Sklaven gesteckt – die Quartiere waren sauber – und ihm verschiedenste Aufgaben im Haus zugeteilt. Von Tag zu Tag änderten sich diese. Immerhin hatte Cherew dadurch die Möglichkeit, die interne Struktur dieses Haushaltes zu verstehen. Der Herr blieb jener mysteriöse Pujabaat, welcher bisher noch nicht aufgetaucht war. Sein oberster Verwalter war – aus Gründen, die er nicht verstand – der junge, dunkelhäutige Sklave Pelayan. Dieser konnte sich jedoch nicht gegenüber der Herrin Mehnkar durchsetzen, die wiederum einen eigenen kleinen Haushalt hatte. Zu seinem Glück schien sie das Interesse an ihm verloren zu haben, denn sie hatte Cherew nicht mehr zu sich befohlen. Stattdessen war er von einem niederen Verwalter zum nächsten geschoben worden, welche ihm wechselnde Aufgaben auftrugen.
Momentan waren alle in großer Aufregung und die Sklaven flüsterten des Nachts über die Reise, zu welcher der Herr aufbrechen wollte. Dies tat er wohl häufiger – im Auftrag des Kaisers, wie sie ihm voller Stolz berichtet hatten.
»Der Herr ist zurückgekehrt und will dich sehen«, meinte Pelayan. Leichte Ungeduld schwang in seiner Stimme mit. Als oberster Verwalter schien er momentan viel zu tun zu haben, sodass er es sich nicht leisten konnte, in einem Korridor auf einen begriffsstutzigen Sklaven zu warten. Immerhin darin konnte Cherew ihn verstehen.
Ohne zu zögern, ließ er die Kiste zurück und folgte Pelayan.
Das wurde aber auch Zeit.
Der Sklave führte ihn durch die verwinkelten Gänge des Gebäudes bis zu jenem Innenhof, auf dem Cherew der Herrin zum ersten Mal begegnet war. Die Korbstühle hatte man fortgetragen und die Blumentöpfe beiseitegeschoben, sodass sich eine leere Fläche ergab. Er fragte sich, was die Kindfrau davon halten würde. Aber wahrscheinlich würde selbst sie es nicht wagen, gegen die dort stehenden Männer vorzugehen.
Es waren vier. Zwei von ihnen gehörten der Hauswache an, waren in Stahlplatten auf gehärtetem Leder gehüllt und trugen darüber rote Umhänge. Vor ihnen stand ein Mann, der sich von ihnen nur durch die Abzeichen an der Brust und den rot-weißen Helmbusch unterschied, welche ihn als einen Offizier auszeichneten. Der Vierte war der Einzige, der keine Rüstung trug. Dies musste Pujabaat sein. Er war jünger als Cherew, doch deutlich älter als seine blutjunge Frau. Cherew schätzte ihn auf Mitte fünfzig. Dennoch wirkte der Hausherr nicht so, als ob er sich im Alter eine Ruhepause gegönnt hätte. Die weiße Toga wurde mit einem goldenen Gürtel gerafft, an dem ein schlichtes Kurzschwert befestigt war, das er durchaus zu gebrauchen schien. Seine Haltung war aufrecht, der Körper schlank und kräftig. Das graue Haar trug er wie die meisten hohen Kerajaaner kurz geschnitten. Sein Gesicht wirkte mit dem breiten Kiefer kantig, was durch den hohen Haaransatz noch verstärkt wurde. Aufmerksam blickte er seinen beiden Sklaven entgegen.
Pelayan sank zu Boden. Cherew tat es ihm nach.
»Dies ist der Iderraner, den ich für Euch erworben habe, Herr«, erklärte der Sklave demütig.
»Erhebt euch.« Die Selbstverständlichkeit, mit der Pujabaat sprach, wirkte, als sei er das Befehlen gewohnt.
»Wie ist dein Name?«, fragte der Kerajaaner, sowie Cherew und Pelayan wieder aufrecht standen.
»Cherew«, antwortete er, derweil er versuchte, diesen Mann einzuschätzen.
Sein neuer Herr trat einen Schritt näher, sodass Cherew die schmale Narbe erkannte, die sich über seine linke Wange zog. »Das ist kein iderranischer Name«, bemerkte Pujabaat und begann, um seinen Sklaven herumzugehen. Im Gegensatz zu seiner Frau berührte er ihn nicht. Vielleicht verrieten ihm Blicke und Fragen bereits genug.
»Es ist nicht mein Geburtsname«, bestätigte Cherew die Beobachtung seines Herrn.
Dieser blieb vor ihm stehen. Auch er überragte seinen Sklaven bei Weitem. »Wer gab ihn dir?«
»Ich.« Mehr sagte Cherew nicht. Er hoffte, dass sein Herr nicht weiter nachfragte. Dann würde er lügen müssen. Er log nicht gerne.
»Du bist ein Soldat?«
»Ich bin mein Leben lang Soldat gewesen«, entgegnete er ruhig, froh darüber, dass die Fragen in für ihn sicheres Terrain zurückkehrten, »und wurde in vielen Arten des Kampfes ausgebildet.«
Pujabaat trat wieder zurück, bis er neben dem Offizier stand. Dabei wandte er den Blick nicht von seinem Sklaven ab.
»Zeig es mir.« Mit einem Nicken bedeutete er einem der Soldaten, Cherew sein Schwert zu reichen.
Zögernd nahm dieser es entgegen. Zuletzt war der Speer seine Waffe gewesen, doch seine Hand schloss sich wie selbstverständlich um das Heft. Die Kurzschwerter, mit denen er aufgewachsen war, waren einseitig geschliffen und reine Hiebwaffen gewesen. Dieses hier war beidseitig geschliffen, etwas breiter und wurde auch als Stoß- und Stichwaffe eingesetzt. Nun, er würde lernen, damit umzugehen.
»Fang an.« Mit vor dem Körper verschränkten Armen beobachtete Pujabaat ihn.
Cherew fragte nicht weiter. Stattdessen bedeutete er Pelayan zurückzutreten, sank in einen Ausfall und hob die Waffe. Er vollführte einige Schritte, ließ die Klinge durch die Luft gleiten und erfreute sich an der Vollkommenheit, die sie bedeutete. Es dauerte ein wenig, bis er sich an die Unterschiede des Schwertes gewöhnt hatte. Der Zweck der Waffe - zu töten - war derselbe geblieben. Leichtigkeit. Eine fast kindliche Freude überkam Cherew, sowie er die Macht verspürte, welche allein das Tragen eines Schwertes bedeutete. Der Schmerz in seinem Bein wurde gleichgültig, die Schmähungen, der Zorn, sie wurden eins mit der Bewegung, in der er eben jene Gefühle ausdrücken konnte. Frei.
Bis eine Klinge die andere küsste. Stahl klirrte. In der Luft berührten sie sich. Für einen winzigen Moment wollte Cherew seine ganze Kraft in die Bewegung legen, die Waffe beiseite drücken und Blut vergießen – dann erkannte er Pujabaat.
Keuchend ließ er das Kurzschwert sinken und neigte den Kopf.
»Verzeiht.«
Sein Herr nahm seinerseits die Waffe fort.
»Du sollst dich nicht für etwas entschuldigen, was du gut kannst«, entgegnete der edle Kerajaaner. Staub hatte sich auf seine weiße Toga gelegt, zu der das Schwert nicht passen wollte. »Deine Aufgabe wird es sein, mein Leben zu bewahren.«
Cherew, der nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte, schwieg. Sein Herr wandte sich dem Offizier zu. Leise tauschten sie einige Worte aus.
Dann trat dieser vor. »Tentarnet. Ich bin der Hauptmann der Leibwache.« In der Hand hielt er sein eigenes Kurzschwert, dessen Klinge glänzte. »Du kämpfst gut. Aber wie sieht es mit ungewöhnlichen Situationen aus?« Er nahm sein Schwert in die falsche – die linke – Hand. »Beweise es mir.«
Cherew starrte auf das Schwert, das in seiner rechten Hand lag. Ein Schwur. Vor neun Segmentjahren. War es wirklich so lange her? Es erschien ihm wie gestern zu sein, so klar war ihm die Erinnerung vor Augen.
Immer noch zögerte er. Iderra, dachte er sich. Vergiss es nicht. Dein Ziel.
Er spürte die Blicke, die auf ihm ruhten. Langsam, vorsichtig nahm er das Kurzschwert in die linke Hand. Wie selbstverständlich schlossen sich seine Finger um den kühlen Griff, ertasteten das Leder, das um diesen gewickelt worden war, griffen bis zur kurzen Parierstange. Neun Segmentjahre.
Cherew hob den Arm, schwang die Waffe und hörte, wie sie durch die Luft zischte. Die Bewegung kam leicht aus seinem Handgelenk, das Schwert glitt so fließend durch den Himmel, als ob… Nein! Er hielt inne. Es durfte nicht sein. Er hatte es sich geschworen.
»Du bist Linkshänder.« Es war eine Feststellung, die Tentarnet tätigte.
»Ja«, erwiderte Cherew, den Blick auf seine Waffe gerichtet, welche nun wieder in seiner rechten Hand lag – dort, wo sie hingehörte. »Aber ich habe gelernt, mit Rechts zu kämpfen.«
»Du brauchst keine Sorge zu haben, dass du damit die Götter beleidigst«, mischte Pujabaat sich ein. »Die Götter wollen, dass ich lebe. Wenn mich jemand mit der linken Hand besser als mit der Rechten schützen kann, dann sei es so.«
Sein Herr verstand es nicht. Er konnte es gar nicht. In Cherews Volk hatte seine Linkshändigkeit nicht den Missfallen der Götter erregt, so wie es hier in manchen Gegenden der Fall war. Glückskind war er stattdessen geheißen und mit Gaben überhäuft worden. Es änderte nichts. Für Cherew war dies nicht mehr als ein Fluch gewesen.
»Wenn ich darf, so werde ich Euch schützen«, entgegnete Cherew. »So wie ich es am besten kann.«
Es war Tentarnet, der etwas sagen wollte, doch Pujabaat trat vor ihn. »Wir werden sehen.«
Cherews Hand, mit welcher er das Heft umklammerte, wurde weiß vor Anspannung, doch auf seinem Gesicht lag ein Lächeln.
»Danke«, wisperte er, auch wenn er nicht sicher war, wem diese Aussage galt. Dabei war es nicht einmal eine Zusage. Nur ein Gedanke, der vielleicht Wirklichkeit werden konnte. Aber jetzt, wo er ein Schwert hielt, schien so vieles möglich zu sein. Für den Moment.
Auf einmal lag die Hand seines Herrn auf Cherews Schulter. Der Druck, den seine Finger ausübten, war nicht zu ignorieren.
»Du wirst deine Treue unter Beweis stellen. Ich erwarte dich heute Abend hier.«
Cherew war sich nicht sicher, ob es eine Drohung war. Herausfinden würde er es nur, indem er dort auftauchte.
Das Glück des Augenblicks wurde durch eine Kindfrau gestört, die soeben in den Innenhof gestürmt kam.
»Das kann nicht Euer Ernst sein, Gemahl«, fauchte Mehnkar, die Situation völlig ignorierend. Selbst in ihrem schnellen Schritt wirkte sie noch elegant, wie sie an Cherew vorbeilief und vor seinem Herrn stehen blieb. Die zwei Sklavinnen, die ihre Einkäufe schleppten, blieben abseits stehen.
»Habt Ihr mir das Ziel Eurer Reise deshalb nicht genannt? Weil Ihr wisst, wie weit es ist und mir nicht das Herz brechen wolltet?« Sie legte die Hand über ihre linke Brust und beugte sich vor. »Ihr werdet Segmente unterwegs sein«, wisperte sie. Hatte Mehnkar Angst? Sie hatte wohl etwas erfahren, was ihr zumindest Sorgen bereitete.
Pujabaat schien dieses Gefühl nicht zu teilen. Ungerührt blickte er seiner jungen Frau entgegen. Erstaunlicherweise ergänzte sich der Kleidungsstil der Eheleute, auch wenn sie sonst nicht viel gemein zu haben schienen: Beide trugen weiß, durchsetzt mit roten Stickereien.
»Ihr habt kein Recht, hier zu sprechen, Frau«, meinte er, »Geschweige denn darin, mir Ratschläge zu erteilen. Die Entscheidung wurde getroffen.«
Mit einer Handbewegung bedeutete er, dass die Wachen und Sklaven sich entfernen durfte. Cherew reichte die Waffe zurück an Ternarnet, der ihm zunickte.
Aus den Augenwinkeln bemerkte er noch, wie Mehnkar zu zittern begann. Dann verließ er an Pelayans Seite den Innenhof. Hinter ihnen schrie die Kindfrau.
»Ist die Reise so gefährlich?«, fragte Cherew den anderen Sklaven.
Pelayan schnaubte. »Der Herr ist häufig auf Reisen. Man sollte meinen, dass sie sich daran gewöhnt hat.« Sie bogen um die Ecke des Korridors. »Und nein, die Reise ist nicht gefährlicher als andere.«
Cherew bemühte sich, mit ihm Schritt zu halten.
»Wohin?« War es diese Reise, wegen der er jetzt hier war? Pujabaat schien ihm kein Mann zu sein, der Freude an Arenenkämpfen hatte oder aus Sammlerfreuden exotische Sklaven kaufen ließ.
Er erahnte das Ziel bereits, bevor Pelayan es aussprach. Wie von selbst formten seine Lippen jenen einen Ort, den er erreichen wollte.
»Das Ziel ist Iderra.«
Iderra.
Die Heimat.
So nah.