Fingerübung, Stichwort: «Medium»
Ein kurzer Ausschnitt aus dem entstehenden Manuskript der Jugendbuchreihe «Das Kuratorium des Verfalls» (Buch 1:Kapitel 14.3, -Ich packe meine Tasche-)
Vorsichtig nahm Finn auch die zweite Petrischale vom Regal. Er trug sie zum Schreibtisch, rückte die Lampe zurecht und griff nach Vergrößerungsglas und Lineal. Ja, das sah wirklich gut aus. Der Bakterienrasen bildete sich langsam zurück. Er überprüfte noch die Raumtemperatur, übertrug alle Daten auf den Protokollblock und schob den Versuch neben die andere Schale. Dort bildeten die Bakterien inzwischen einen dichten, durchgehenden Bodenbelag. Es war klar zu erkennen, dass sich die Bakterienkultur auf dem Nährmedium in der zweiten Schale, die zusätzlich mit einem Schimmelpilz geimpft war, nicht über die unsichtbare Grenze hinauswuchs. Inzwischen konnte er sogar beobachten, wie der Pilz die Bakterien zurückdrängte. Finn zückte seine Kamera und fertigte noch schnell zwei Fotos. Mit diesem Schulreferat über die Wirkweise von Penicillin würde er den Jahrgangspreis in Biologie gewinnen, hoffte Finn.
Er stellte die zwei Schalen wieder sorgfältig auf das Regal zurück und trat erneut an der Schreibtisch. Morgen würde er noch weitere Bilder mit dem Mikroskop machen. Jetzt war es allerdings an der Zeit, den Rucksack für ihre Expedition vorzubereiten.
Finn zog die Packliste aus einer Schublade und hakte die Gegenstände reihum ab, während er sie auf dem Bett sortierte.
- Kletterseil, fünf Meter, mit Knoten versehen
- Taschenlampe, zusätzlich eine Kopflampe und Ersatzbatterien
- Reißfeste, gewachste Kordel, 150 Meter
- Notizblock und Stift + Ersatzmine
- Abriebpapier und Kohle
- Kreide
- Feuerzeug
- 3 Kerzen
- 2 Funkgeräte mit frischen Batterien
- Multifunktionstool (mit Zange)
- Drahtrolle
- Verbandskasten
- Taschentücher
Nur zur Sicherheit legte er noch zwei Stücke Traubenzucker und eine Tafel dunkle Schokolade dazu. Dies stand zwar nicht auf seiner Liste, erschien ihm jedoch wichtig. Dann ging er die Liste erneut durch. Es wäre unverzeihlich, wenn ihre Expedition an einem fehlenden Gegenstand scheitern würde.
Finns Körper kribbelte vor Anspannung. Einerseits erfüllte ihn die Vorfreude, endlich etwas neues zu erleben. Da war sein Forscherdrang, den er nun würde voll ausleben können. Auf der anderen Seite war da die Ungewissheit. Er hatte den Affen selbst gesehen und erlebt, dass etwas mit dem Tier nicht stimmte. Der Gewöhnliche Totenkopfaffe, der Saimiri sciureus, wie der wissenschaftliche Name lautete, ernährte sich zwar omnivor (er fraß also Pflanzen und Fleisch), aber ein solcher Heißhunger auf Proteine war nicht normal. Der schmächtige Junge rieb sich nachdenklich die Nase. Vielleicht gab es ja doch eine natürlich Erklärung für alles. Womöglich litt der Affe nur unter einer Stoffwechselerkrankung, die auch den von Chris beschriebenen Ohnmachtsanfall des Tieres ausgelöst haben könnte und die dem Affen einen enormen Heißhunger auf Fleisch bescherte. Oder gab es nicht eine exotische Zecke, deren Biss bei ihrem Wirt beim Konsum von Fleisch Übelkeit auslöste? Vielleicht litt der Affe ja unter seltenen Parasiten, die das genaue Gegenteil verursachte. Sie mussten gleich im Haus jedenfalls sehr, sehr vorsichtig sein, um sich nicht ebenfalls mit unbekannten Erregern zu infizieren. Andererseits, hätte Nathaniel sich dann nicht auch längst... ? Und dann hätte der Arzt die Seuchenschutzbehörde informiert und ...
Ach, verdammt! Die Gedanken in Finns Kopf begannen wieder zu springen. Leise summend begann er auf den Zehen zu wippen.
Nachtrag:
- Desinfektionsmittel
- Probenbeutel
- Einweghandschuhe
Er würde jedenfalls endlich hinter die Geheimnisse des Hauses und des Affen kommen. Koste es, was es wolle. Und dann einen Bericht darüber verfassen. Vielleicht konnte er seine Entdeckungen ja in einem wissenschaftlichen Fachblatt veröffentlichen.
Mit einem Knall prallte hinter ihm ein Steinchen gegen das Dachfenster und ließ ihn zusammenzucken.