Fingerübung, Stichwort: «braun»
Ein kurzer Ausschnitt aus dem entstehenden Manuskript der Jugendbuchreihe «Das Kuratorium des Verfalls» (Buch 1:Kapitel ~23, Drei Kringel in der Nacht)
Der böige Nachtwind war heute wieder tückisch. Schimpfend gelang es dem alten Leuchtturmwärter mit dem dritten Streichholz, endlich die Pfeife zu entzünden. Er lehnte sich entspannt auf der Steinbank zurück und sog den Rauch tief ein. Nachdenklich blies er drei Kringel in die Luft. Diese neugierigen Jungen bereiteten ihm Sorgen. Er durfte ihnen nicht zu viel verraten, musste aber dennoch dafür sorgen, dass sie auf sich acht gaben. Die Zeiten änderten sich, er konnte es spüren. Es geschah jetzt, und es geschah schnell. Die Rauchkringel hingen noch immer reglos über seinem Kopf. Kurz glitt das Licht des Leuchtturms über sie hinweg. Das Licht, das die Nacht bewachte. Das Licht, das die Diener der Dunkelheit bannte. Samuel schnaubte. Jedenfalls war es bisher so gewesen. Doch das letzte Beben schien neue Risse geöffnet zu haben. Tiefe Risse. Sie krochen daraus hervor, schneller als er sie finden konnte. Es war hier gefährlich geworden. Hoffentlich waren die Jungen vorsichtig, hielten sich an seine Warnung. Sein Instinkt riet ihm jedoch, gut auf die drei achtzugeben. Sie würden ihm noch Scherereien machen.
Eine heftige Windböe fegte plötzlich über ihn hinweg. Sie nahm die drei Rauchkringel mit und hinterließ nur feuchte Gischt auf den Steinen. Hoffentlich war dies kein schlechtes Omen, dachte der alte Mann düster. Er zog erneut an seiner Pfeife, als ein schwarzbrauner Schatten aus der Finsternis auf ihn zugeschossen kam. Instinktiv griff Samuel nach seinem Bernsteinanhänger. Doch es war nur ein Hund, der hechelnd vor ihm anhielt. Ein Rottweiler, erkannte der Leuchtturmwärter jetzt. Das Tier schien aufgeregt, bellte laut und sprang vor ihm herum. Samuel hatte genug Erfahrung mit Tieren, dass er dieses Verhalten nicht als Zufall ansah. Der Hund wollte etwas von ihm. Beruhigend streckte er die Hand aus. Doch das Tier schnappte nach seiner Hose, zog fordernd an seinem Bein.
«Na gut, na gut», sagte er gutmütig, «dann steh ich halt auf.»
Der Hund hechelte, rieb den massigen Kopf kurz an seinem Bein. Der alte Mann sah ein milchigweißes Auge, das zu ihm aufblickten. Er erkannte das Tier. Es war Ruby, der halbblinde Hund von Hoffmann. Dieser hatte eben noch gejammert, dass sein Hund weggelaufen sei. Offensichtlich ja nicht allzu weit weg.
Ruby bellte erneut. Sie zog auffordernd an seiner Hose, lief dann ein paar Schritte in Richtung Kliffwacht und sah ihn abwartend an.
«Ist ja gut», murmelte Samuel, «ich komme mit. So wie es aussieht, ist mir diese Nacht wohl kein Schlaf vergönnt.»