Eine Szene aus dem »Kunoversum«.
»Wer zuerst oben ist, darf später über das Fernsehprogramm entscheiden!«
Ohne Vorwarnung sprang Susi bei dem Satz nach vorn und bog in die Zufahrtsstraße ein. Kuno bellte überrascht, stellte dann aber erfreut die Ohren auf und nahm die Herausforderung trotz der erbarmungslosen Augustsonne an. Unter freudigem Jaulen und mit wehenden Schlappohren folgte der alte Basset dem Border Collie-Mädchen über den rissigen Lehmboden hügelaufwärts.
Angelockt vom Lärm trottete die Stute Ambrosia an den Zaun. Beim Anblick der beiden sprintenden Hunde musste sie unwillkürlich grinsen. Halb vergessene Erinnerungen an alte Zeiten stiegen in ihr auf. Zeiten, in denen sie und Kuno noch jünger gewesen waren. Wesentlich jünger und wesentlich agiler, zumindest was es sie betraf. Kuno dagegen schien sich gerade mitten in seinem dritten Frühling zu befinden. Die Stute stieß einen schnaubenden Seufzer aus.
»Hey Brosi«, Susi krallte sich beim Anblick des Pferdes regelrecht mit allen vier Pfoten in den Boden.
Staub wirbelte auf, als sie neben dem großen Tier eine gekonnte Vollbremsung absolvierte. Ihr Heck schlitterte herum und sie kam quer auf dem ausgetrockneten Weg neben der Fahrrinne zum Stehen. Kuno, der direkt hinter ihr lief, wich dem drohenden Zusammenstoß mit einem Sprung in die Höhe aus. Elegant segelte er über seine Freundin hinweg und hielt dann ebenfalls an. Die Stute schnaubte erneut, diesmal anerkennend.
»Im Vorjahr wäre dir dieses Kunststück noch nicht gelungen.«
Dem Basset hing die lange Zunge beim Hecheln fast bis auf den Boden. Ein wenig Schaum troff ihm von den Lefzen, als er ihr schwer atmend antwortete.
»Das - wäre - vermutlich noch - vor zwei Monaten - unmöglich - gewesen.«
Jedenfalls nicht vor dieser schrecklichen Diät, dachte der Hund. Der Diät und den täglichen Sporteinheiten - gemeinsam mit seiner Liebsten.
Susi und Ambrosia lächelten sich wissend an. Stille Kommunikation unter Frauen, dachte Kuno. Egal welcher Spezies sie angehören, tief im Herzen waren sie doch alle gleich. Und das ist gut so – war der nächste Gedanke, als ihn beide liebevoll anlächelten. Schon dafür hatte sich diese eiserne Diät gelohnt.
»Habt ihr beiden Turteltauben es eilig oder bleibt ihr kurz auf einen Schluck frisches Wasser?«
Die Stute setzte einen Huf auf das untere Stück Stacheldraht. Einladend blickte sie die Hunde an. Susi und Kuno schlüpften durch die Lücke auf die Pferdekoppel und folgten dem Tier bis zum Bach. Ambrosia rupfte entspannt an einigen braunen Grasbüscheln, während die Hunde zunächst ihre ausgedörrten Kehlen befeuchteten.
»Also, was hast du auf dem Herzen«, wandte Kuno sich an das Pferd.
»Ach, es ist gut, dass ihr da seid«, hob die Stute an, »hier geschehen in der Nacht neuerdings merkwürdige Dinge.«
Sie deutete mit dem Kopf über den Zaun zur Hundewiese und dem dahinterliegenden Hof.
»Seit dem jetzt diese Schafe dort draußen grasen, höre ich nachts immer wieder so ein merkwürdiges Heulen. Ihr wisst, ich hab schon viel gesehen und gehört, aber dieses Geräusch macht mir regelrecht Angst.«
»Was für ein Heulen?«, fragte Susi.
Sie ahnte die Antwort bereits, da gewissen Gerüchte seit Tagen ihre Runde im Dorf machten. Und sie wurde nicht enttäuscht.
»Kuno und ich waren damals mit dem Grafen in den Karpaten zur Wolfsjagd eingeladen. Dort habe ich genau dieses Heulen schon mal gehört. Ich vermute, ihr kennt die Gerüchte bereits?«
Susi nickte bedrückt, doch in Kunos Augen blitzte der Forscherdrang.
»Ich glaube es nicht, solange ich selbst hier keinen einzigen Wolf gerochen habe«, sagte er entschlossen.
»UND ICH SAGE EUCH, ES SIND WERWÖLFE UNTER UNS!«, drang Napoleons piepsige Stimme überraschend laut von hinten zu ihnen.
Alle drei drehten sich um und blickten dem Chihuahua erstaunt entgegen. Der kleine Hund stelzte mit hocherhobenem Haupt auf sie zu.
»Das ist die einzige sinnvolle Erklärung!«
Napoleon nickte, wie um seine eigene Aussage zu bestätigen.
»Warum steht ihr eigentlich bei dieser Affenhitze hier blöde rum?«, fragte er dann, und drängelte sich gierig ans Wasser.
Die anderen schauen dem kleinen Hund verblüfft zu, wie er das Wasser gierig schlabbert.
»Und was soll eigentlich dieser Scheiß mit den Schafen da«, fuhrt Nappi fort, sobald sein kleiner Bauch auf die doppelte Größe angeschwollen war. »Letztes Jahr standen dort noch Kühe. Ihr wisst schon, diese großen, dämlichen Tiere. MUUH! Saftige, fette Fladen und so. Aber der Schafsdung ist echt mal ekelig.«
Er setzt zu einem herzzerreißenden Seufzen an, das jedoch in einem lauten Rülpsen endete. Kuno lächelte verhalten, während Susi und Brosi den kleinen Hund pikiert anblickten. Wie zur Antwort drang ein dumpfer Knall von der Schafweide herüber.