Fingerübung, Stichwort: «quirlig»
Ein kurzer Ausschnitt aus der entstehenden Jugendbuchreihe «Das Kuratorium des Verfalls», erste (chronologische) Teile finden sich hier:
https://belletristica.com/de/books/31572-der-voodoomann-das-kuratorium-des-verfalls-buch-1
Finn grübelte über Chris Worte, während er die alten Zeitungen im Lager sortierte. Neben den vielen anderen Gedanken, die dem quirligen Jungen dabei parallel durch seinen Kopf purzelten.
Ein Zombieaffe, pah. Die Idee war einfach absurd und widersprach allen Naturgesetzen. Aber Chris hatte völlig überzeugt gewirkt, als er vom Tod des Affen berichtete. Und von Videospielen hatte er erzählt, von Videospielen und von Konsolen. Neben dem Erdbeben. Die Erbauer des Einkaufszentrums hätten wissen müssen, das die Gegend hier gewissermaßen die Mutter aller Erdbeben-Epizentren war. Vielleicht waren die Geschäftsinhaber ja sogar gegen die Schäden versichert. Hoffentlich, sonst wären sie schnell bankrott. Wobei, welches vernünftige Versicherungsunternehmen würde dementsprechende Verträge hier in der Gegend abschließen?
Gab es eigentlich auch eine Versicherung für den Tod eines Haustieres? Oder hatte Nathaniel daher den Affen wiederbelebt? Ach Blödsinn! Aber Chris war sich doch sicher gewesen. Hatte der Voodoomann womöglich doch ...
Uff! Finn glaubte, ihm würde gleich der Kopf platzen. Er musste zunächst seine rasenden Gedanken beruhigen, bevor er weiter über Drehorgelmänner und Zombieaffen nachdachte. Im Moment sprangen die Bilder und Wortfetzen wie hundert brennende Flummis gleichzeitig durch seinen Kopf. Doch Finn kannte dieses Gefühl gut. Mit der Zeit hatte er Mittel und Wege gefunden, das Gedankenchaos zwischen seinen Ohren zu besänftigen. Manchmal reichte es, sich kurz auf den Zehenspitzen zu stellen und die Luft anzuhalten. An anderen Tagen genügte es, sich eine Zeitlang die Nase zu reiben. Das war gerade in der Schule im Unterricht hilfreich. Wobei er sich dabei seltsamerweise vorstellte, in einem weichen Kopfkissen zu versinken.
Doch heute gab es nur eine vernünftige Lösung, so wild und sprunghaft waren die Ideen und Fragmente im Kopf. Er musste etwas Spannendes lesen. Sich in einem Text verlieren und neues Wissen aneignen. Das half immer!
Dafür befand er sich zum Glück am besten Ort, den er sich vorstellen konnte. Von der öffentlichen Bücherei natürlich mal abgesehen, an die kam nichts heran. Aber das Papierlager seiner Eltern hatte andere Vorteile. Es war für ihn rund um die Uhr verfügbar und er brauchte nicht erst in einen Bus steigen. Grinsend griff er in einen Karton und zog ein Heft hervor. Eine Ausgabe von Moderne Psychologie trat zum Vorschein. Enttäuscht legte er das Heft zur Seite. Er hatte es bereits gelesen. Abgesehen von dem Titelthema Angst wurde darin die Intelligenz von Tieren behandelt. Die direkten Vergleiche neuronaler Gehirnvernetzungen verschiedener Arten und die Effektivität der Nutzung jener im Vergleich zum Menschen. Ein faszinierendes Thema, wie Finn fand. Er legte eine Vormonatsausgabe des Segelmagazins darauf (Das Katamaran-Special), das vierteljährig erscheinende Fachblatt für Archäologie und den wöchentlich erscheinenden Wissensquiz. Langweilig. Denn er kannte sie bereits alle. Doch womöglich fand sich in der Kiste dahinter etwas bisher Unentdecktes. Das abgelaufene Astronomie-Magazin wanderte zur Seite, gefolgt vom Pflanzen- und Heilkundeblatt. Alles äußerst spannend wenn man es noch nicht kannte, jedoch für Finn nicht mehr neu. Dann stieß er auf etwas, das sich bisher vor seinem Wissensdurst verborgen hatte: das Geflügelzüchtermagazin. Es war zwar die Ausgabe von letztem Frühjahr, doch Finn strahlte glücklich. Er öffnete das vergitterte Fenster, um die kühle Abendluft in die stickige Kammer zu lassen und setzte sich zwischen den Kartonstapeln auf den Boden.