Fingerübung, Stichwort: «Spießrutenlauf»
Ein kurzer Ausschnitt aus dem entstehenden Manuskript der Jugendbuchreihe «Das Kuratorium des Verfalls» (Buch 1:Kapitel ~25)
CN: (Un)Tote Tiere, Knochen, verwestes Fleisch und Zombie-Zeug
Die geifernde, untote Horde draußen wandte sich erneut den Kindern zu. Hunderte roter Augen starrten sie hungrig und gierig an. Verdreckte Pelze wurden geschüttelt, ledrige Haut schabte aneinander, Federn raschelten und morsche Gelenke knarrten, es wurden Reiß-, Fang- und Nagezähne gebleckt, scharfe Schnäbel klapperten bedrohlich und uralte Knochen knackten, als sich die riesige Gruppe Kleintiere wieder auf das Haus zurückbewegte. Diese mörderischen Tiere würden gnadenlos über sie herfallen.
«Verdammt, zurück!», schrie Chris. Er stürzte an seinen entsetzten Freunden vorbei zurück ins Haus. Mick und Finn folgten ihm aufkeuchend.
«Mist, Mist, Mist!» Mick schob den stolpernden Finn vor sich her. «Lauf, verdammt!»
Er schrie vor Schmerzen auf, als sich ein Zombie-Kaninchen in seinen Hintern verbiss.
Die drei Jungen stürzten zurück in den Korridor. Das Licht ihrer Taschenlampen tanzte wild über die holzverkleideten Wände. Ein untoter Kanarienvogel flatterte schrill pfeifend über Micks Kopf hinweg. Finn sah entsetzt hoch. Das kann doch nicht sein, das kann doch alles gar nicht sein, dachte er immer wieder. Der Vogel über ihnen war eindeutig tot, er hatte nicht mal genug Federn an den Flügeln, um überhaupt noch fliegen zu können. Stellenweise sah man die blanken Knochen hervorstechen. Das konnte nicht real sein! Das widersprach der Biologie, der Aeronautik, der Physik, ja allen verfluchten Naturgesetzen zugleich.
Chris bog als Erster um die Ecke. «Zur Treppe, schnell», keuchte er über die Schulter zu den anderen zurück.
Mick hatte es geschafft, das beißwütige Kaninchen abzuschütteln. Dafür sprangen ihm nun drei halbverweste, weiße Mäuse über die Stoffschuhe. Er trat nach den Tieren, traf sogar eine, die im Bogen gegen die Wand klatschte. Doch die Maus sprang sofort wieder auf, schüttelte sich lediglich und setzte ihre Verfolgung unbeirrt fort.
Chris hatte inzwischen die Treppe zum oberen Stockwerk erreicht. In großen Sätzen sprang er die Stufen hinauf und stieß sich mit einem Aufschrei ab. Er überwand den klaffenden Abgrund, rollte sich auf dem Absatz ab.
Der Zombie-Kanarienvogel stürzte sich pfeifend in seine Haare. Chris schrie auf, versuchte verzweifelt, das flatternde Tier von sich fernzuhalten. Doch der Vogel drang immer wieder mit Krallen und Schnabel auf ihn ein und hakte zornig nach den Augen des Jungen.
Die anderen beiden erreichten ebenfalls den Fuß der zerbrochenen Treppe. Mick warf die Sporttasche im hohen Bogen hinauf und folgte gleich hinterher. Er sprang dabei zu früh ab, traf bei der Landung die oberste Stufe mit dem Gesicht. Dann zog Chris ihn am Ärmel hoch auf den Absatz. Mick griff sogleich nach dem tollwütig umherflatternden Vogel. Er pflückte das aggressive Tier aus der Luft und warf es schwungvoll in den Korridor auf die näherkommen Meute zu.
«Da habt ihr! Nehmt den doch, ihr blöden Zombies!»
Die drei aufdringlichen, weißen Mäuse hatten Finn als ihr neues Ziel erkoren. Fiepend und zischend versuchten sie an dessen Bein in die Höhe zu klettern, während dieser noch mit den Trägern seines riesigen Rucksacks kämpfte. Er stand an der Bruchkante der Treppe und begann wild zu hüpfen, um die bissigen Tiere von sich abzuschütteln. Endlich bekam er den letzten Träger gelöst. Der Rucksack fiel polternd die Treppenstufen hinab, mitten in die anstürmende, kreischende Zombiehorde hinein. Ein flügellahmer Papagei und eine Perserkatze mit nur drei Beinen und mörderischen Haarausfall wurden von dem schweren Rucksack überrollt. Sofort verbiss sich ein hechelnder Dackelzombie in den Brustgurt und begann knurrend daran zu schütteln.
«FINN! SPRING ENDLICH!»
Chris und Mick schrien und gestikulierten wild mit den Armen. Finn blickte sich panisch um, sah die geifernde Meute auf sich zustürzen und stieß sich ab. Ohne Anlauf geriet sein Sprung allerdings zu kurz. Finn streckte im Flug noch die Hände aus, verfehlte jedoch die obere Kante und fiel schreiend in die Tiefe. Entsetzt blickten ihm die anderen Jungen hinterher.
Krachend schlug Finn auf dem Boden auf. Dieser zerbrach unter dem Aufprall und Finn stürzte zusammen mit den Trümmern weiter durch das Loch in die Schwärze.
Die heranstürmende Zombiehorde stoppte an der Treppenkante. Einige Tiere wurden von den nachdrängenden hinabgestoßen und purzelten kopfüber quietschend hinter Finn her.
Unten ertönte ein gepeinigter Aufschrei.
Chris und Mick starrten in das dunkle Loch hinab. Tief unten im Keller bewegte sich ein zitternder Lichtstrahl.
«FINN!», rief Chris erleichtert und warf sich bäuchlings an die Kante.
«Alles ok», erklang die Antwort aus dem Loch, gefolgt von einem leisen Aufschrei. «Oder vielleicht auch nicht. Ich glaube, mein Bein ist gebrochen.»
Die untote Horde hatten sich jetzt von der Treppenkante abgewandt. Die zwei Jungen dort oben waren für sie unerreichbar. Stattdessen umringten sie das gezackte Loch im Boden und starrten gierig zu Finn hinab.
«Lasst mir das Seil runter», rief Finn.
«Welches Seil?», wollte Chris wissen.
Mick stöhnte auf.
«In der Sporttasche ist ein Kletterseil. Wenn ich mir das umbinde, könnt ihr mich hochziehen», erklang es nüchtern aus dem Keller.
Chris öffnete die Sporttasche. Dort war kein Seil.
«Mist. Ich hab´s vorhin ausgepackt», murmelte Mick unglücklich. «Woher sollte ich auch wissen, dass wir das wirklich brauchen?»
Chris sah seinen Freund entsetzt an. «Was hast du?»
«Na, die blöde Tasche war so schwer. Und da hab ich mir gedacht, ich pack halt ein paar Sachen aus, die eh keiner braucht.»
Chris stöhnte auf. Mick sah bedrückt zu Seite. Chris glaubte, seinen Freund im Schein der Taschenlampe erröten zu sehen.
«Aua!», drang Finns Stimme zu ihnen hoch.
Die beiden Jungen sahen wieder hinab. Sie erkannten im Strahl von Finns Lampe zwei untote Frettchen und ein Eichhörnchen, das nur noch aus losen Fellresten, vermoderndem Fleisch und Knochen bestand. Die drei Tiere versuchen, den verletzten Jungen auf dem Kellerboden einzukreisen. Jedoch wichen sie jedes Mal fauchend zurück, wenn Finn seine Lampe auf sie richtete.
«Sie meiden das Licht», erkannte Finn verblüfft. Er schwenke die Taschenlampe wieder auf das Eichhörnchen, das erneut von hinten an ihn herankroch.
«Ihr müsst die Lampe benutzen!», rief er zu seinen Freunden hinauf, die das Ganze ebenfalls staunend beobachteten.
Die restliche Zombiehorde hatten inzwischen begriffen, dass noch eine Treppe in den Keller führte und bewegte sich jetzt dorthin. Sie würde Finn bald erreicht haben. Gegen so viele hungrige Monster konnte der Junge dort alleine mit seiner Taschenlampe nichts ausrichten.
«Scheiße!», rief Mick und sprang über den Abgrund. Er hielt wieder den Holzpflock und die Taschenlampe in den Händen. «Warte Finn, Captain Trubek eilt zu deiner Rettung!»
Chris folgte ihm. Mit Hilfe von Micks Taschenlampe bahnten sie sich einen Weg durch die wuselnde und schnappende Menge. Micks Lichtstrahl schnitt ihnen regelrecht einen Weg frei.
«Nimm das, Abschaum! Stirb, du elender Zombie!» Mick schien jetzt furchtlos und voller zorniger Entschlossenheit. Die Taschenlampe wie eine Waffe vor sich haltend stürmte er vorwärts.
Immer wenn sein Licht die untoten Kadaver erfasste, wichen die Tiere panisch zur Seite. Und doch glich ihr Weg die Treppen in den Keller hinab eher einem Spießrutenlauf zwischen schnappenden Kiefern und Schnäbeln.