Fingerübung, Stichwort: »Das Herz des Schreiberlings«

Ein kurzer Ausschnitt aus der entstehenden Buchreihe "Das Kuratorium des Verfalls", erste (chronologische) Teile finden sich hier:

https://belletristica.com/de/books/31572-der-voodoomann-das-kuratorium-des-verfalls-buch-1

"Und was ist mit dem hier?" Finns Neugierde war unersättlich. Er hielt gefühlt bereits das fünfzigste Buch in den Händen und sah den alten Leuchtturmwärter fragend an. Diese Bibliothek hatte es ihm angetan. Die gesammelten Erfahrungen der Ordensmitglieder, ordentlich aufgereiht zwischen verblichenen Deckeln. Jedes Buch berichtete von neuen Geheimnissen und Mysterien. Die Aufzeichnungen reichten lückenlos bis ins finsterste Mittelalter zurück. Logisch, dass Finn sich hier im Paradies wähnte.

Chris und Mick verdrehten die Augen. Sie gingen in die Kochnische, wo Nelly bereits eine Kekspackung in den Händen hielt.

"Sagt mal", wollte sie von den beiden wissen, "ist euer Freund immer so?" Sie wies mit einem Keks auf Finn.

Die Jungen nickten und bedienten sich ebenfalls.

"In der Schule ist er noch schlimmer", sagte Mick kauend, wobei er Nelly mit Kekskrümeln besprühte.

"Aber die Hälfte der Zeit rettet er dich damit vor dem Lehrer", erwiderte Chris grinsend. "Oder ist dir noch nie aufgefallen, dass Finn erst die Fragen beantwort, wenn DU keine Antwort weißt?"

Nelly lachte auf: "Das kann ich mir lebhaft vorstellen."

"Aber das Beste kommt noch", sprach Chris weiter. "Bevor der Lehrer merkt, dass Mick wieder mal gepennt hat, steckt er schon in einem fachliche Disput mit Finn."

Mick brummte: "Ich penn doch nicht, ich muss halt erst nachdenken." Er wollte Chris gerade zur Bekräftigung seiner Worte auf die Schulter boxen, als alle Drei aufhorchten.

Samuel hatte seine knarzige Stimme erhoben. Er sprach laut in den Raum: "Dieses Buch beinhaltet die Aufzeichnungen des Suchers Ismael. Ach, das ist eine tragische Geschichte." Er sah bedrückt in die Runde, dann fuhr er etwas leiser fort: "Ihr müsst wissen, Ismael war einst ein guter Freund von Nathaniel und mir. Er war unser Ordensbruder, unser Sucher."

Er nickte zu Finn, sprach dann aber an alle gewandt: "Was euer wissbegieriger Freund hier in den Händen hält, sind Ismaels letzte Worte. Er war kein Kämpfer, sondern wurde stets vom Forscherdrang getrieben und er besaß das Herz eines Schreiberlings."

"Und was ist mit ihm geschehen?", wollte Finn sofort wissen.

Samuel sah ihn lange an, bevor er sich räusperte und flüsterte: "Er ging in einen Riss und kam nie wieder zurück."

Schweigen erfüllte den Wohnraum des Leuchtturms.