Grimmig hielt Antonin die Arme vor der Brust verschränkt. Die riesige Halle mit den vielen steinernen Schlangen und dem merkwürdigen grünen Licht, das keinen Ursprung zu haben schien, behagte ihm nicht. Ebenso wenig wie es ihm behagte, dass sie alle über eine lächerliche Rutsche in den Untergrund von Hogwarts gelangt waren.
Doch wenn er ehrlich zu sein war, waren das alles nur vorgeschobene Gründe. Was ihn tatsächlich störte, war seine eigene Dummheit. Er hatte sich von der Offenheit und Vertraulichkeit von Dumbledore in Sicherheit wiegen lassen. Unter normalen Umständen würde er nie eine Frau auf so eine plumpe Weise anstarren. Und Hermine Dumbledore war nicht einmal schön oder besonders gut gebaut.
Den Mund zu einer dünnen Linie zusammengepresst verfolgte er, wie Tom sich mit seiner Freundin vor die kleine Truppe stellte und leise zu ihr sprach. Antonin hatte augenblicklich verstanden, dass er sich in eine brenzlige Situation manövriert hatte. Er musste auf das Stillschweigen von Dumbledore hoffen, was ihm wenig schmeckte. Sie wirkte aufrichtig und anständig, aber die Art, wie ihre Augen so eindringlich auf ihm gelegen hatten, sprach Bände. Sie war nicht weniger durchtrieben als Tom.
„Meine lieben Freunde“, zog Riddle nun die Aufmerksamkeit aller auf sich. „Für einige von euch ist dies der erste Besuch hier unten. Erlaubt mir, euch ganz offiziell in der Kammer des Schreckens zu begrüßen.“
Antonins Finger umfassten seine Arme stärker, während er darum kämpfte, keine Gefühlsregung zu zeigen. Natürlich hatte er geahnt, wohin diese Reise ging, und dennoch war er überrumpelt. Die Gerüchte waren also wahr. Es gab die Kammer. Es gab das Monster in der Kammer. Es gab den Plan von Salazar Slytherin, in Hogwarts ein Monster zu beherbergen, das im Kampf gegen Schlammblüter helfen würde. Und er stand hier zwischen allen anderen und wurde eingeweiht.
Er gehörte endlich dazu.
„Ihr habt die Gerüchte gewiss gehört“, fuhr Tom fort, während er mit langsamen Schritten auf dem nassen Steinboden auf und ab ging. „Ein Monster soll hier wohnen. Vielleicht bin ich ein wenig seltsam, doch für mich war Fenrir nie ein Monster. Lasst mich euch bekannt machen.“
Antonin konnte sehen, wie Abraxas und Rufus ihr Gewicht verlagerten und ebenfalls die Arme vor der Brust verschränkten. Sie wirkten mit einem Mal angespannt, als hätten sie nicht damit gerechnet. Nachdenklich richtete er den Blick wieder auf Tom, der ihnen nun den Rücken zugedreht und den Zauberstab erhoben hatte. Er hörte keine Worte, doch Antonin spürte, wie sich ein mächtiger Zauber durch die riesige Halle wob.
War das Monster ein Wolf? Der Name Fenrir deutete auf den mythologischen Wolf des Weltenbrands hin, wenn er sich richtig an die Geschichten seiner Babushka über die Legenden der Muggel erinnerte. Er hätte hier in der Halle mit den ganzen Statuen eher mit einer Schlange gerechnet.
Aus der Ferne drang ein Geräusch an sein Ohr. Als würde Stein auf Stein schaben. Unruhe ergriff Besitz von ihm. Etwas Böses näherte sich. Aus den Augenwinkeln bemerkte er eine Bewegung und als er seinen Blick dorthin richtete, sah er, wie sich eine gigantische Öffnung in der Wand hob. Nur wenige Atemzüge später wurde das schabende Geräusch lauter.
Und dann glitt die größte Schlange, die Antonin je gesehen hatte, aus der Wand und hinein in die grünleuchtende Halle.
Rosier und Mulciber neben ihm machten unwillkürlich einige Schritte rückwärts, doch Antonin zwang sich, ungerührt an seiner Stelle zu bleiben. Das also war Fenrir. Auch wenn es kein Wolf war, konnte er sich gut vorstellen, dass dieses Wesen den Untergang der Welt bedeuten könnte.
Zischende Laute erklangen, die von einem lauteren Zischen beantwortet wurden. Fasziniert starrte Antonin zu Tom. Der Schulsprecher, der Lehrerliebling, der Schwarm so vieler Mädchen stand dort und unterhielt sich auf Parsel mit einem Basilisken. Hatte er zuvor noch daran gezweifelt, ob Tom Riddle wirklich der richtige Anführer für was auch immer sie planten war, so war sich Antonin nun sicher.
Tom Riddle war der Erbe Slytherins. Tom Riddle würde die Welt verändern.
Stolz breitete sich in ihm aus. Er stand hier und Tom zeigte ihm seine wahre Macht. Er hatte sich als würdig erwiesen. Er gehörte dazu. Obwohl er nicht wie Rosier, Black, Nott, Malfoy und Lestrange zu den Unantastbaren Achtundzwanzig gehörte, stand er hier. Er spürte, wie das Blut durch seine Adern pumpte. Der Drang, breit zu grinsen und sich noch größer zu machen, war beinahe übermächtig. Doch er beherrschte sich. Er stand in dem Ruf, von allem unbeeindruckt zu sein und im Hintergrund zu bleiben. Daran würde sich auch heute nichts ändern.
Sein Blick wanderte zu Dumbledore, die noch immer an Toms Seite stand. Sie wirkte wenig überrascht von dem Basilisken, doch Antonin konnte sehen, dass sie ihre Kiefer angespannt aufeinander presste und ihre Hände zu Fäusten geballt hatte. Sie hatte oben noch so selbstbewusst gewirkt, doch jetzt, in direkter Nähe zu der großen Schlange, schien sie beinahe verängstigt.
Ehe er darüber genauer nachdenken konnte, richtete Tom erneut das Wort an sie. „Hier seht ihr Fenrir, den viele als das Monster der Kammer betrachten. In Wirklichkeit ist Fenrir ein tausend Jahre alter Basilisk. Salazar Slytherin selbst hat ihn hier unter Hogwarts platziert, auf dass das Haus Slytherin für immer ein Wappentier hat, das uns verteidigen kann, sollten Schlammblüter Hogwarts überfallen wollen.“
Tom schielte kurz zu seiner Freundin, die seinen Blick bloß mit einer hochgezogenen Augenbraue erwiderte. Als hätte sie etwas Lustiges gesagt, grinste er, bevor er fortfuhr. „Habt keine Angst. Solange ich anwesend bin, wird Fenrir nichts tun, was ich nicht will. Solange ihr mich nicht erzürnt, werdet ihr Fenrir niemals fürchten müssen.“
Beinahe hätte Dolohow bei der Bemerkung gelacht, doch als er sah, wie blass Lestrange plötzlich aussah, blieb ihm das Lachen im Halse stecken. Meinte Tom seine Worte ernst? Würde er den Basilisken gegen seine eigenen Leute einsetzen, gegen reinblütige Slytherin-Schüler? Und warum sollte ausgerechnet Lestrange sich davor fürchten, der bekanntermaßen zu den engsten Vertrauten gehörte?
Mit einem Mal fragte Antonin sich, ob hier noch etwas anderes vor sich ging, von dem er nicht wusste.
„Abraxas und Rufus, kommt doch bitte näher“, forderte Tom die beiden auf.
Während Abraxas ohne zu zögern zu ihm trat, schien Rufus sich einen Moment lang wehren zu wollen. Dann jedoch sackten seine Schultern herab und er stellte sich nach vorne neben Tom.
„Diese beiden treuen Seelen wissen bereits, was ich für euch alle heute vorgesehen habe“, erklärte Tom, während er beiden Jungen einen Arm um die Schultern legte. „Sie waren die ersten, die mir bereitwillig Treue geschworen haben und mutig vorangeschritten sind. Heute erwartet euch alle dieselbe Belohnung.“
Er ließ seine beiden Freunde los und trat einen Schritt vor. „Doch zunächst ist es notwendig, dass unsere drei neuen Mitglieder uns beweisen, dass sie nicht nur verschwiegen und treu sind, sondern auch entschlossen, mächtig und ohne Skrupel.“
Toms Blick landete auf ihm, doch Antonin zwang sich, keine Reaktion zu zeigen. Dass er sie alle überhaupt hierher mitgenommen hatte, zeigte, dass Riddle ihnen vertraute. Er musste sich nicht mehr beweisen und so gab es nichts, was Tom sagen konnte, was ihn aus dem Konzept bringen würde.
„Antonin Dolohow“, sprach Tom weiter. Ein feines Lächeln lag auf seinen Lippen, während seine dunkelblauen Augen eiskalt blieben. „Tritt vor.“
Er tat, wie ihm geheißen und stellte sich direkt vor Tom hin. Obwohl er beinahe einen Kopf größer war, konnte er das Gefühl nicht abschütteln, neben Tom winzig und unbedeutend zu wirken. Störrisch reckte er das Kinn vor. „Was soll ich tun?“
Statt ihm zu antworten, drehte Tom sich um und bedeutete Rufus, sich neben Antonin zu stellen. Der ältere Schüler wurde noch blasser, doch er folgte der Aufforderung ohne zu zögern.
„Als Beweis deiner Treue, deiner Verschwiegenheit und deiner Entschlossenheit“, Toms Worte waren beinahe nur ein Flüstern, doch sie drangen überlaut an Antonins Ohr, „zeige uns, dass du dich nicht scheust, dir die Hände schmutzig zu machen. Zeige uns, dass du den Cruciatus-Fluch beherrschst.“
Antonin hörte, wie hinter ihm Rosier und Mulciber entsetzt die Luft einsogen. Er selbst war zu keiner Reaktion fähig. Er konnte in Toms Gesicht lesen, dass dieser es ernst meinte, ebenso wie er bei Rufus sehen konnte, dass er sich innerlich wappnete.
Kurz huschte sein Blick zu Dumbledore, die ihn lediglich ausdruckslos anschaute, dabei aber leicht die Schultern hob. Natürlich, was hatte er erwartet? Tom Riddle war nicht bekannt dafür, Dinge halbherzig anzugehen. Wenn er Treue verlangte, meinte er absolute Treue. Und wie konnte er sich Verschwiegenheit besser sichern, als wenn er dafür sorgte, dass seine Freunde selbst kein Interesse daran hatten, Geheimnisse auszuplaudern?
Entschlossen griff Antonin nach seinem Zauberstab. Er hatte den Cruciatus noch nie gesprochen, doch in seiner Familie wurde viel mit Flüchen gearbeitet. Viele davon waren der Zaubererwelt unbekannt, weil sie als Dunkle Künste angesehen wurden. Er wusste aus Erfahrung, dass es vor allem eiserne Entschlossenheit brauchte, um einen Fluch gegen einen anderen Menschen zu sprechen.
Bevor er zum Zaubern ansetzen konnte, ergriff Tom erneut das Wort. „Vielleicht sollte ich euch vorher darüber aufklären, wie es kommt, dass Rufus sich dazu bereit erklärt hat, als Anschauungsobjekt für diesen Test zu dienen.“
Ein Schauer lief Antonin über den Rücken. Riddles Stimme klang plötzlich eiskalt. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er gedacht, dass Tom zornig war.
„Ihr müsst wissen“, Toms Stimme war gefährlich leise, während sein Blick immer wieder zu den einzelnen Gesichtern wanderte, „Rufus hier hat etwas Unverzeihliches getan. Es ist nur richtig, dass eine unverzeihliche Tat mit einem Unverzeihlichen Fluch bestraft wird. Oder wie denkst du darüber, mein Freund?“
Da er direkt neben ihm stand, konnte Antonin sehen, wie Schweißerlen auf Lestranges Stirn standen. Seine Augen waren geweitet und der Adamsapfel hüpfte, als er schluckte. Seine Stimme jedoch zitterte nicht. „Ich stimme dir aus vollstem Herzen zu, Tom.“
Toms Blick richtete sich nun auf Antonin. „Rufus hier hat gedacht, er wüsste, was mein Wille ist. Er hat mich nicht gefragt, sondern angenommen, es besser zu wissen. Es war nicht seine Absicht, mich zu hintergehen, und das macht seine Schuld so viel schlimmer.“
Langsam drehte Tom sich zu den anderen um. In seinen Augen loderte ein Feuer, während noch immer eisige Kälte aus seiner Stimme sprach. „Nehmt niemals an, dass ihr meinen Willen kennt. Ihr könnt nicht wissen, was ich plane, was ich denke, was ich will. Lasst euch Rufus heute ein Beispiel sein, von dem ihr alle lernt. Wenn es euch misslingt, von Rufus zu lernen, dann werde ich nicht erneut Gnade zeigen.“
Antonin fragte sich, wie es Gnade sein konnte, mit dem Cruciatus bestraft zu werden, doch er hütete sich, diesen Gedanken laut auszusprechen. Sein ganzer Körper war in eine Starre verfallen, während er jedem Wort von Tom lauschte. Tom Riddle, der hier in der Kammer stand und sie alle anschaute, als verspüre er Hass auf sie, war ein ganz anderer Zauberer als Tom, der Schulsprecher. Obwohl es kalt war hier tief unter der Erde, spürte Antonin, wie ihm eine Schweißperle den Rücken hinunterrollte.
Tom Riddle war gefährlich.
„Der nächste, der sich meinem Willen widersetzt“, riss Tom die Aufmerksamkeit wieder an sich, „wird lernen, wie qualvoll es ist, durch das Gift eines Basilisken zu sterben. Ich könnte Fenrir auffordern, euch einfach in die Augen zu schauen. Das wäre ebenfalls tödlich. Aber nichts ist vergleichbar mit den unsäglichen Schmerzen die ihr verspürt, während das Gift sich durch eure Adern frisst, euch lähmt, euch innerlich zerreißt. Wissend, dass ihr in wenigen Minuten tot sein werdet, wissend, dass es kein Gegengift gibt, werden eure letzten Minuten auf dieser Erde aus Schmerzen und nichts als Schmerzen bestehen.“
Antonin schluckte. Er hatte keine Ahnung, was Rufus getan hatte, doch er spürte deutlich, dass Tom diese Worte vor allem an Lestrange richtete. Der ältere Schüler schien dies ebenfalls zu verstehen, denn ein Zittern fuhr durch seinen Körper.
„Tom“, flüsterte Rufus, der offensichtlich nur noch von Angst beherrscht war. „Tom, du weißt, ich würde nie … ich wusste nicht … Ich würde dich nie hintergehen. Ich habe einen Fehler gemacht, den ich niemals wiederholen werde.“
„Für dich“, zischte Tom und richtete seinen mörderischen Blick auf Rufus, „ist es ab jetzt nur noch Mein Lord. Du wirst mich in der Öffentlichkeit nie wieder vertraulich ansprechen und jenseits davon bin ich nicht mehr Tom, sondern nur noch dein Herr und dein Lord. Haben wir uns verstanden?“
„Gewiss … mein Lord“, presste Rufus hervor. Antonin konnte sehen, wie sehr Lestrange mit sich kämpfen musste, seine aufrechte Position zu behalten. Er wollte sich nicht vorstellen, was er getan hatte.
„Nun, Antonin“, richtete Tom das Wort wieder an ihn. „Denkst du, du bist bereit?“
„Ich bin bereit“, erwiderte er unverzüglich und dann, ehe er wirklich verstand, warum er es tat, fügte er zwei Worte an.
„Mein Lord.“