Er hatte sie in der Hand. Sie wusste es vielleicht selbst noch nicht, doch er hatte sie nun endgültig in der Hand. Nach all den Wochen, in denen er nie genau gewusst hatte, ob Hermine Dumbledore ihre Treueschwüre ihm gegenüber tatsächlich ernst meinte, hatte er nun die Gewissheit, dass sie ihm nicht mehr entkommen konnte. Ganz egal, ob ihre Loyalität nur gespielt war – was er bezweifelte, doch sicher konnte man bei Menschen leider nie sein –, er wusste jetzt, dass er ihr Herz besaß.
Sie brauchte ihn.
Tom ließ zu, dass das triumphierende Grinsen, das er zeigen wollte, sich als leichtes Lächeln auf seine Lippen legte, während er zu Abraxas hinüber sah. Sie hatte sich seinem indirekten Befehl widersetzt und sich Abraxas nicht hingegeben, doch das hatte ihn nur kurz gestört. Tom wusste aus eigener Erfahrung, wie leicht es war, als Mann den Reizen einer Frau zu verfallen, entsprechend einfach wäre es, seine Gefolgsleute mit Hermine zu kontrollieren. Doch offenbar hatte sie seine Absichten sofort durchschaut und beschlossen, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen. Sie hatte ihn verstanden, und doch nicht verstanden.
Oder vielleicht hatte sie auch einfach zu abwegige Neigungen, als dass Abraxas sie hätte befriedigen können. Vielleicht hatte sie instinktiv gespürt, dass dieser junge, unschuldige Mann ihr nicht geben konnte, was sie brauchte.
Stattdessen hatte sie sich ihm, Tom Riddle, tief unter Hogwarts, in der unmittelbaren Nähe eines Basilisken, an den Hals geworfen.
Mühsam behielt Tom die Kontrolle über sein Lächeln. Es war beinahe lächerlich, wie leicht selbst ein intelligenter Mensch wie Hermine durch so etwas Banales wie Sex zu manipulieren war. Sie brauchte ihn, sie würde ihn immer brauchen. Gestern, als er sie ohne auf die Umgebung zu achten genommen hatte, war ihm das aufgegangen. Und seitdem verspürte er eine Hochstimmung wie nie zuvor.
Gewiss, oft schon hatte sie gesagt, dass sie ihm sowieso ausgeliefert war, weil sie gemeinsam unaussprechliche Dinge, wie sie es formulierte, getan hatten. Doch das war immer nur ihr Verstand gewesen, der da gesprochen hatte, nie ihr Herz. Es war eine interessante Entwicklung, dass für ihn, der immer so auf Rationalität und kühl berechnenden Verstand gesetzt hatte, das Herz einer Frau einmal so wichtig werden könnte.
Und wie er es genoss, wenn sie sich ihm hingab, wenn sie sich öffnete und zuließ, dass er alles mit ihr tat, wonach ihm der Sinn stand. Sie war die eine Frau, die sich ihm widersetzt hatte, und sie war nun diejenige, die verloren hatte. Sie gehörte ihm, das hatte sie selbst gesagt.
Sein Blick wanderte erneut zu Abraxas, der auch diesen Sonntag offenbar in der Gesellschaft von Rufus Lestrange verbringen wollte. Seltsam. Tom erinnerte sich, dass beide zu Beginn im ersten Schuljahr enge Freunde gewesen waren. Als Sprösslinge der Familien Malfoy und Lestrange war das nicht wirklich verwunderlich, doch beide hatten bald eigene Wege eingeschlagen und waren zu höflicher Distanz übergegangen. Warum nun also diese plötzliche Nähe wieder?
Aber natürlich.
Beinahe hätte Tom laut gelacht. Sowohl Rufus als auch Abraxas hatten erst kürzlich durch ihn eine Niederlage erfahren. Sie hatten sich seiner Macht gebeugt, weil er es so gewollt hatte, doch zumindest Rufus hatte es nur mit offenem Zähneknirschen getan. Dass Abraxas jetzt Opfer von Hermines erstem Cruciatus Fluch geworden war, schien dem blonden Schönling auch nicht zu schmecken. Sie waren beide gleichermaßen durchschaubar. Berechenbar.
Langweilig.
Nachdenklich rieb Tom sich das Kinn. Was hatte er nur getan, bevor Hermine in sein Leben getreten war? Sie frustrierte ihn zwar oft genug, aber zumindest bot sie Spannung und war nicht so vorhersehbar wie alle anderen. Hatte er sich zuvor immer gelangweilt, ohne das wirklich zu merken, oder hatte er wirklich Gefallen an seinen sogenannten Freunden gehabt? Es war ihm ein Rätsel. Sie waren Fußvolk, er brauchte sie, noch zumindest, aber am Ende des Tages waren sie doch nur Fußvolk, Mittel zum Zweck.
Das hatten beide offenbar nun erkannt. Und es passte ihnen nicht. Natürlich bildete man dann eine Allianz. Tom vermutete, dass Rufus hinter der Sache steckte, denn so clever Abraxas auch war, er war gleichzeitig zu loyal, als dass er von sich aus ein Bündnis gegen seinen vorgeblich besten Freund schmieden würde.
Toms Blick wurde kalkulierend. Ob Abraxas sich überhaupt bewusst war, warum Rufus seine Nähe suchte? Hatte Rufus die Karten offen auf den Tisch gelegt, oder hatte er sich ihm bloß unter irgendeinem Vorwand genähert? Er würde Rufus durchaus zutrauen, dass er sich Verbündete suchte, ohne seine Motivation zu offenbaren. Nicht umsonst war ihm Lestrange zuvor der liebste Gefolgsmann gewesen.
Langsam ließ Tom den Blick durch den Gemeinschaftsraum gleiten – und blieb an Orion hängen. Den jungen Black hatte er beinahe vergessen. Ihn hatte er wie keinen zweiten in der Hand, denn nicht nur vergötterte Orion ihn, nein, er musste auch noch fürchten, dass sein Geheimnis an die Öffentlichkeit gelangte, wenn er etwas gegen Tom tat oder sagte. Sein Geheimnis. Tom war sich ziemlich sicher, dass Orion nur verwirrt war und nicht wirklich Interesse an Männern hatte. Aber er wäre der letzte, der ihm das sagen würde.
Vielleicht sollte er Hermine wirklich offiziell in seine Reihen aufnehmen. Nicht nur, um ihr zu zeigen, dass er mehr war als ein einfacher Junge, sondern auch, um seinen Freunden zu verdeutlichen, dass er offen war für alle, die mächtig und klug waren. Er hoffte nur, dass niemand je näher auf ihren Familienhintergrund schauen würde.
oOoOoOo
„Haben Sie mit meinem Bruder schon darüber gesprochen.“
Hermine starrte in ihr Glas mit Butterbier. Natürlich hatte sie mit Dumbledore nicht über ihre Beziehung zu Tom gesprochen. Zumindest nicht im Detail. Sie hatte irgendwie das Gefühl, dass sie ihn enttäuschen würde. Oder dass er ihr einen Vortrag halten würde, wie gefährlich es war, die falschen Freunde zu machen – was er ja am eigenen Leib erfahren hatte. Aber mit irgendwem hatte sie über die Spirale der Eskalation sprechen müssen, in die sie irgendwie geraten war.
„Ich deute Ihr Schweigen mal als ein Nein“, brummte Aberforth.
Sie nickte, ohne ihn anzuschauen. Es hatte sie sehr viel Kraft gekostet, wirklich über alles zu sprechen, und einige Dinge hatte sie auch jetzt verschwiegen. Die ganze Zeit, während sie über Tom gesprochen hatte, hatte sie Aberforth nicht angesehen. Sie wollte nicht wissen, wie dieser ältere Zauberer auf ihre ungewöhnlichen Eskapaden reagierte. Sie wollte eigentlich nur hören, dass schon alles gut werden würde.
„Miss Granger“, sagte er leise und irgendetwas in seinem Tonfall ließ sie endlich aufschauen: „Vielleicht verrät es die Tatsache, dass ich Chef vom Eberkopf bin, aber ich bin durchaus vertraut mit den Abgründen, in denen wir Menschen uns bewegen. Mein Publikum hier ist zwielichtig und ich habe auch oft genug Geschäft in der Nokturngasse zu erledigen. Glauben Sie mir, ich kenne die Macht, die die fleischliche Lust über uns hat.“
Wie schon während ihrer Erzählung stieg erneut die Röte in Hermines Wangen. Sie konnte nicht glauben, dass sie mit diesem Mann über solche intimen Details aus ihrem Leben sprach. Sie wusste nur, sie musste es tun.
„Was soll ich tun?“, flüsterte sie: „Ich fühle mich so hilflos. Als ob ich keine Kontrolle hätte.“
Aberforth leerte mit einem Zug sein kleines Glas, in dem sich irgendeine klare, beißend riechende Flüssigkeit befunden hatte, und schaute sie mitfühlend an: „Sie sind jung und unerfahren. Machen Sie sich eines klar: Ihre Ängste sind normal. Und vor allem: Was sich zwischen Ihnen und einem Mann im Bett abspielt, hat nichts mit dem zu tun, was außerhalb geschieht. Nichts.“
Trocken lachte Hermine auf: „Ich habe eher das Gefühl, es hat alles damit zu tun.“
Ein schiefes Grinsen war unter seinem Bart zu erahnen: „Ein Spruch fasst das Gefühl gut zusammen: Bei allen Dingen im Leben geht es um Sex, nur beim Sex geht es um Macht.“
„Genau das meine ich.“
„Das stimmt allerdings in meiner Beobachtung nicht“, widersprach Aberforth: „Ich habe lange genug die Straßendirnen der Nokturngasse beobachtet. Sie verkaufen ihren Körper, aber das bedeutet nicht, dass sie ihren Stolz verlieren. Einige bieten auch ungewöhnlichere Dienste an. Spiele mit Dominanz und Unterwerfung. Eine alte Freundin wird gut bezahlt, wenn sie sich in die Rolle der unterwürfigen Frau begibt, und sie tut es gerne. Trotzdem hat die Frau wirklich Haare auf den Zähnen. Ihr zwingt niemand seinen Willen auf. Wenn der Sex, den man hat, widerspiegelt, was man wirklich ist, wie passt das zusammen?“
Hermine schwieg. Ihre Wangen glühten, während Dumbledores Bruder offenbar vollkommen gelassen auf dieses Gespräch reagierte. Vermutlich war er als Barmann des Eberkopfs wirklich Einiges gewöhnt, selbst in dieser Zeit.
„Erzählen Sie mir mehr von diesem Jungen, von Tom“, forderte er sie sanft auf: „Er scheint ja selbst eher ungewöhnliche Neigungen zu haben.“
Sie nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Glas, ehe sie sich bereit sah, weiter über ihn zu sprechen: „Er liebt Dominanz und Überlegenheit in allen Lebenslagen. Wenn er sich bedroht fühlt in seiner Überlegenheit, kann er wirklich gefährlich und unberechenbar werden. Das war mir schon lange bewusst, ich wusste, worauf ich mich einlasse. Aber gestern … ich kann es nicht beschreiben, aber die Art, wie er mich angesehen hat …“
Aberforth zuckte nur mit den Schultern: „Er hat Sie angesehen, wie ein Mensch einen anderen ansieht, der ihm geben kann, was er sucht. Sie scheinen sich von ihren Neigungen her perfekt zu ergänzen und er hat das verstanden. Aber das ist doch am Ende des Tages nur Sex. Fragen Sie sich ehrlich: Sehen Sie sich als perfekt kompatibel zu ihm in irgendwelchen anderen Lebensbereichen?“
Wieder blieb Hermine lange stumm. Natürlich hatte Aberforth irgendwie recht, doch da war mehr. Sie spürte einfach, dass zwischen ihr und Tom mehr war. Sie waren nicht einfach nur zwei Menschen, die zufällig im Bett gut funktionierten. Es fühlte sich eher so an, als wären sie tatsächlich in jeder Hinsicht ein gutes Paar.
Und das war eine unfassbar angsteinflößende Vorstellung.
Sie konnte schließlich schlecht in ihre eigene Zeit zurückkehren und zu Harry sagen, dass sie eigentlich ziemlich gut mit Tom klar kam und ihn in ihrem Leben brauchte.
„Oh mein Gott.“
Noch während sie über Harry nachgedacht hatte, war es ihr wie Schuppen von den Augen gefallen. Sie begriff augenblicklich, warum der Moment gestern ihr so viel Angst gemacht hatte. Es war nicht nur, dass Tom sie voller Verständnis angesehen hatte. Das war nur der Effekt.
Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie gestern an Ron gedacht, während Tom sich angezogen hatte. Und für diesen einen Bruchteil hatte sie sich gefragt, ob sie jemals wieder zu Ron zurückkehren konnte – oder überhaupt erst mit ihm zusammen kommen konnte –, jetzt, wo sie durch Tom erfahren hatte, was in ihr steckte. Und in demselben Bruchteil einer Sekunde hatte sie sich gefragt, ob jemals wieder ein Mann ihr geben können würde, was Tom ihr gab.
Sie hatte den Gedanken schnell vergessen, ihn verdrängt, aber die Angst war geblieben.
„Sie werden das schon bald verstehen“, unterbrach Aberforth ihre panischen Gedanken: „Wenn Sie lernen, dass Sex gar nicht so bedeutend ist und mit anderen Männern auch Spaß machen kann. Ich weiß, ich weiß, das sieht man nicht gerne in unserer Gesellschaft, aber so sieht die Realität aus. Gerade junge Leute neigen dazu, dem Sex zu viel Bedeutung beizumessen, weil sie noch nicht wissen, wie leicht man ihn bekommen kann.“
„Ich weiß nicht, ob das auf meine Situation zutrifft“, gestand sie vorsichtig: „Tom ist … einfach besonders.“
Seufzend stützte Aberforth beide Ellbogen auf den Tisch: „Gut, dann noch ein weiterer Hinweis, vielleicht kann der Sie beruhigen. Wie ich sagte, ich habe diese alte Freundin. Sie ist gerne unterwürfig. Sie gibt freiwillig alle Kontrolle ab. Tatsächlich aber bleibt die eigentliche Kontrolle immer bei ihr. Sie setzt die Grenzen fest. Egal, wie dominant der Mann sich gibt, egal über was er die Kontrolle erhält, er kann immer nur soweit gehen, wie sie erlaubt. Er muss sich an ihr orientieren, nicht umgekehrt. Oberflächlich betrachtet hat er die Macht, doch tatsächlich hat sie sie.“
Das gab Hermine zu denken. Tatsächlich hatte sie genau das ausnutzen wollen, denn sie hatte instinktiv gespürt, dass sie irgendwie Kontrolle über Tom hatte, auch wenn sie nicht ganz genau wusste, wie das aussah. Gerade bei Tom galten die üblichen Spielregeln nicht. Wenn er wollte, ging er über ihre Grenzen einfach hinaus, ohne sich um ihren Protest zu kümmern. Er hatte ja selbst zugegeben, dass er sich an ihren Tränen erfreute.
Aber er hatte es genauso offensichtlich genossen, dass sie sich ihm hingegeben hatte. Wie würde er reagieren, wenn sie sich ihm einfach verweigerte? Wenn sie nicht reagierte, weder mit Tränen noch mit Erregung?
Konnte sie das überhaupt kontrollieren? Wenn er nicht die gewünschte Reaktion erhielt, würde er sie solange foltern, bis sie zumindest mit der gewünschten Angst reagierte.
„Machen Sie sich immer bewusst“, fuhr er fort, nachdem Hermine auch nach längerer Pause nicht geantwortet hatte: „Was auch immer zwischen Mann und Frau passiert, sollte immer in gegenseitigem Einverständnis stattfinden. Tut es das nicht, haben Sie alles Recht, ihn zu verlassen. Setzen Sie ihm Grenzen und gehen Sie nicht darüber hinaus.“
„So einfach ist das nicht“, sagte Hermine kopfschüttelnd: „Ich weiß, so sollte es theoretisch funktionieren, aber das ist bei Tom einfach anders.“
Trotzdem musste sie ihm recht geben. Nur, weil sie sich gerne von Tom sexuellen unterwerfen ließ, bedeutete das nicht, dass sie sich ihm tatsächlich unterworfen hatte. Solange sie sich nicht dazu entschied, konnte er sie niemals vollständig unterwerfen. Gleichzeitig hatte er offenbar noch nicht begriffen, dass seine Besitzansprüche ihr gegenüber dem Gefühl der Liebe, die er so verachtete, gefährlich nahe kamen. Noch war es nicht zu spät, die Waage im Kampf darum, wer Macht über wen hatte, zu ihren Gunsten ausschlagen zu lassen.
Es war schon ein wenig ironisch, dass sie gelernt hatte, Tom nicht länger zu fürchten, und nun stattdessen vor sich selbst Angst hatte, weil sie ihre Reaktionen auf ihn noch nicht verstehen oder kontrollieren konnte.