Schweiß lief Hermine das Gesicht hinunter. Sie erinnerte sich nur zu gut daran, dass sie in ihrer eigenen Zeit in Hogwarts diesen Trank im sechsten Schuljahr gebraut hatten und es war ihr tatsächlich nicht gelungen, ihm die korrekte Farbe zu geben. Der Wiggenwald Trank war einer der schwierigsten Tränke überhaupt, da er nur wenige Zutaten benötigte, dafür aber absolut präzises Rühren und Erhitzen. Zu keinem Zeitpunkt durfte man einen Fehler machen. Und leider waren die Instruktionen in ihrem Lehrbuch falsch. Sowohl in diesem als auch in jenem, dass sie in ihrer eigenen Zeit genutzt hatten. Nur Harry, der den Anweisungen des Halbblutprinzen gefolgt war, hatte den Trank korrekt brauen können – sehr zur Überraschung von Snape. Sie wusste nun, dass der letzte Schritt im Rezept falsch war und beabsichtigte, das zu korrigieren. Doch dafür musste sie überhaupt erst einmal dahin kommen.
„Rühren, bis es rot wird“, murmelte sie vor sich hin. Einen Trank zu rühren war nicht leicht, zumindest, wenn man eine exakte Anzahl an Umrührungen brauchte. Tom neben ihr war gerade noch dabei, Flubberwurmschleim zu seinem Trank hinzuzufügen, sie war ihm also zeitlich leicht voraus. Doch bis zum Schluss konnte sie es verderben.
Sie hatte keine Zeit, den Fortschritt ihrer anderen Klassenkameraden zu beobachten, doch die absolute Stille, nur manchmal unterbrochen von leisen Flüchen, zeugte davon, dass alle hochkonzentriert waren. Die Hitze im Klassenzimmer nahm bald unerträgliche Ausmaße an, da der Trank zusätzlich auch regelmäßig höhere Temperaturen verlangte.
Ihr Trank wurde plötzlich rot und sofort unterbrach Hermine die Rührbewegung. Sie nahm ihre Schale mit Flubberwurmschleim und ließ ihn so langsam wie möglich in den Kessel gleiten. Gerade, als sie befürchtete, nicht genug Flubberwurmschleim produziert zu haben, verwandelte der Trank sich und nahm eine orange Farbe an. Rasch stellte sie die Schale beiseite, griff nach ihrem Löffel, und begann erneut zu rühren.
Der Trank wurde gelb, sie fügte ein wenig mehr Schleim hinzu, er wurde orange. Darauf bedacht, keinen Tropfen Schweiß in den Kessel fallen zu lassen – ein Anfängerfehler, der jederzeit passieren konnte – griff sie nach dem Honigwasser und träufelte es mit einer Pipette in den Kessel, bis der Trank türkisfarben wurde. Mit Hilfe ihres Zauberstabs erhöhte sie die Hitze des Feuers, langsam, schwitzend, hochkonzentriert, nur den Kessel im Blick, bis der Trank leuchtend pink wurde.
Ihre Atmung beschleunigte sich. Jetzt würde sich herausstellen, ob der Halbblutprinz wirklich Recht gehabt hatte. Sie nahm das Fläschchen mit Salamanderblut, entstöpselte es und ließ fokussiert exakt einen Tropfen in den Kessel fallen. Danach verschloss sie es wieder und rührte erneut.
„Was tust du da?“, zischte Tom neben ihr: „Du darfst ihn am Ende nicht mehr rühren!“
„Konzentrier dich auf deinen Trank!“, wisperte sie zurück, entschlossen, sich nicht ablenken zu lasen. Tom schnaubte, doch er schwieg.
Und dann verwandelte der Trank sich. Er nahm eine grüne Farbe an, wurde flüssiger als zuvor und roch anregend. Triumphierend legte sie ihre Löffel ab. Sie hatte das Rezept missachtet und genau dadurch einen perfekten Trank kreiert. Tom neben ihr träufelte noch immer Salamanderblut in den Kessel, doch sein Trank weigerte sich, das gewünschte Grün anzunehmen, sondern blieb eher türkisfarben.
Ein lautes Klatschen unterbrach die Konzentration der Schüler: „Die Stunde ist beinahe um und ihr sollte jetzt alle soweit sein. Wer seinen Trank noch nicht vollendet hat, hat offensichtlich etwas falsch gemacht. Lasst mich sehen!“
Langsam schritt Slughorn die Reihen ab. Seiner Miene nach zu urteilen war er mehr als unzufrieden mit dem Ergebnis seiner Klasse, doch ein hoffnungsvolles Glänzen legte sich auf sein Gesicht, als er zu Toms Kessel schritt.
„Na, Tom, mein Junge, wie bist du zurecht gekommen?“, erkundigte er sich gut gelaunt.
„Ich habe mich exakt an das Rezept gehalten, doch wie Sie sehen, mein Trank ist noch türkis“, sagte Tom ruhig. Hermine konnte sich nur zu gut vorstellen, was in ihm vorgehen musste: Er hatte alles perfekt gemacht und war dennoch gescheitert. Eine Blamage. Seine einzige Rettung war vermutlich, dass auch alle anderen gescheitert waren. Oder er dachte das zumindest für den Augenblick.
„Macht nichts, macht nichts“, sagte Slughorn ermutigend und klopfte ihm auf den Rücken: „Auch die besten haben mal einen schlechten Tag.“
Damit ging er weiter und blieb vor Hermines Kessel stehen. Seine Augen wurden groß: „Ihr Trank ist grün, Miss Dumbledore.“
„In der Tat. Wenn Sie die Konsistenz und den Geruch überprüfen, so werden Sie feststellen, dass er genau der Beschreibung im Buch entspricht, Sir. Ich denke, er ist gelungen“, erklärte sie, ohne in der Lage zu sein, den Triumph aus ihrer Stimme fernzuhalten.
Toms Kopf zuckte zu ihr: „Dein Trank ist gelungen?“
Schelmisch lächelte sie ihn an: „So sieht es aus.“
Slughorn war derweil davongeeilt, um eine kleine Phiole und eine Kelle zu holen. Vorsichtig entnahm er ein wenig von der Flüssigkeit, roch daran und ließ sie dann in die Phiole fließen: „In der Tat, dieser Trank ist so perfekt, wie er nur sein kann. Ich gratuliere Ihnen, Miss Dumbledore. Zehn Punkte für Slytherin. Sie sind die erste Schülerin seit zehn Jahren, die es geschafft hat, diesen Trank zu brauen. Beeindruckend.“
Mit finsterer Miene packte Tom seine Sachen zusammen. Wie immer nach den Zaubertränkestunden räumte Hermine für sie beide die Plätze auf und wusch die Kessel aus. Irgendwie war das in den letzten Wochen, seit sie ein Paar waren, unausgesprochen wie selbstverständlich zur Routine geworden. Ihr war bewusst, dass es auch hier nur um sexistische Machtdemonstration ging, doch Hermine wehrte sich nicht dagegen. Sollte Tom nur denken, dass sie sich dem Rollenbild der Zeit zumindest ein Stück weit fügte. Es war zu ermüdend, an allen Fronten zu kämpfen.
Noch immer schweißgebadet schulterte sie schließlich ihre Tasche und eilte aus dem Raum. Slughorn war ebenfalls bereits verschwunden, so dass sie die letzte war, die das Klassenzimmer verließ.
„Du hast betrogen!“
Die eiskalten Worte von Tom ließen sie auf der Stelle einfrieren. Natürlich, sein Ego war verletzt. Seufzend drehte Hermine sich zu ihm um. Er hatte auf sie gewartet, lässig an die Wand neben der Tür gelehnt, als könnte ihn kein Wässerchen trüben. Doch sie war sich sicher, unter der Oberfläche brodelte es.
„Nein, ich habe lediglich das getan, was nötig ist, um den Trank korrekt zu brauen“, gab sie zurück.
„Das Rezept hat einen anderen letzten Schritt vorgeschrieben.“
„Das Rezept ist falsch“, sagte sie schlicht: „Ich hatte zu meiner Zeit … in Amerika einen Tränkelehrer, der wirklich gut war. Professor Slughorn ist auch gut, aber dieser Mann war wirklich außergewöhnlich. In unserem Lehrbuch war das Rezept ebenso wie hier, aber er hat herausgefunden, dass es so nicht funktionieren kann.“
„Wieso sollte ein Lehrbuch ein falsches Rezept beinhalten?“, verlangte Tom zu wissen, offensichtlich nicht überzeugt.
„Keine Ahnung“, erwiderte sie ungeduldig: „Aber offensichtlich ist es falsch. Du hast dich exakt dran gehalten und dein Trank ist nicht gelungen. Das ist doch Beweis genug.“
Endlich setzte Tom sich in Bewegung. Ohne ihr den Arm anzubieten, schritt er den Gang entlang, offenbar davon überzeugt, dass sie ihm schon folgen würde. Seufzend fuhr Hermine sich durch ihr schweißnasses Haar. Sie hatte ihn mit ihrem Triumph in Zaubertränke nur ein wenig necken wollen, doch statt dass er sich wirklich provozieren ließ, schmollte er nun. Tom Riddle schmollte. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Mit schnellen Schritten rannte sie ihm nach.
„Wollen wir zusammen einen Tee trinken?“, schlug sie vor, als sie ihn wieder eingeholt hatte.
„Tee trinken?“, gab er unwillig zurück.
„Merlin, Tom!“, stöhnte sie genervt: „Es tut mir leid, dass ich in Zaubertränke zur Abwechslung mal besser war als du. Hör auf, deswegen zu schmollen. Und ja, Tee trinken, gerne auch in meinem Zimmer. Ich will endlich, dass du mir von deinen Plänen erzählst.“
Abrupt blieb er stehen: „Dir von meinen Plänen erzählen? Was für Pläne?“
Am liebsten hätte Hermine ihn geschlagen. Es war zum Verzweifeln mit diesem Mann. Wozu denn all die Fortschritte in den letzten Wochen, wenn er sich ihr auf diesem Gebiet noch immer verschloss? Was musste sie denn noch tun, um sein Vertrauen zu gewinnen? Kalt erklärte sie: „Ja, deine Pläne. Ich bin doch nicht blöd, Tom. Du stellst mir so viele Fragen, über Moral, Politik, die Menschen … du sprichst von der Entfesselung der Gesellschaft – und ich soll dir glauben, dass du das tust, ohne Pläne zu haben? Du bist der Erbe Slytherins. Draußen läuft ein Terrorist herum, dessen Ideale und Ziele auffällig zu dem passen, was du mir über Moral und Macht erzählt hast. Denkst du nicht, dass ich da stutzig werde?“
„Terrorist?“, hakte Tom nach: „Sprichst du von Grindelwald?“
„Von wem sonst?“
„Interessante Wortwahl. Ziemlich negativ, meinst du nicht?“
Als Antwort hob sie nur eine Augenbraue. Nun war es an Tom, sich durch das Haar zu fahren. Mit angehaltenem Atem beobachtete Hermine ihn, hoffte, dass sie ihn endlich soweit hatte. Und tatsächlich, nach unendlichen Minuten nickte er: „Schön. Trinken wir Tee bei dir.“
oOoOoOo
Abraxas war nicht entgangen, dass Rufus den ganzen Tag über auffällig oft in seiner Nähe gewesen war. Er hatte sich zunächst nichts dabei gedacht, doch dass er nun am Abend den Platz auf dem Sofa direkt neben ihn ausgewählt hatte, obwohl noch genügend Sessel frei waren, weckte endgültig sein Misstrauen. Ein Lestrange tat nichts ohne Absicht.
„Rufus“, sagte er entsprechend, ohne von seinem Buch wirklich aufzusehen: „Was kann ich für dich tun?“
„Wer sagt, dass du etwas für mich tun sollst?“, kam die absolut unschuldig klingende Antwort. Also hatte er Recht gehabt, Rufus suchte absichtlich seine Nähe.
„Du musst mir verzeihen, ich habe dein Verhalten wohl fehl gedeutet“, erwiderte Abraxas so unbeeindruckt wie möglich. Irgendwo in seinem Hinterkopf formte sich eine Vorstellung von dem, was Rufus wohl von ihm wollen könnte. Sie waren als Freunde aufgewachsen, doch ihre Zeit in Hogwarts, ihre Zeit im Kreis von Tom hatte sie zunehmend einander entfremdet. Zumindest in seiner eigenen Vorstellung hatte Rufus sich schon lange nicht mehr wie ein Freund verhalten, sondern eher wie ein Kollege, der ihm die Favoritenrolle beim Chef missgönnte. War das der Grund für seine plötzliche erneute Annäherung?
„Ist es so ungewöhnlich, dass ein Lestrange sich für einen Malfoy interessiert?“, durchbrach Rufus schließlich das Schweigen, das zwischen ihnen entstanden war.
„Für gewöhnlich nicht, doch die letzte Zeit hattest du nie sonderlich viel Interesse gezeigt. Und ich habe dich nie für den Typ eingeschätzt, der viel auf seine Familie gibt.“
„Oh, da hast du mich falsch eingeschätzt“, lachte Rufus: „Meine Familie ist mir wichtig. Wie jedem anderen Mitglied auch ist es mir wichtig, meine Familie stolz zu machen. Ich halte nur nicht viel davon, mit meinem Nachnamen spazieren zu gehen, als wäre es ein Titel, den ich mir verdient hätte.“
Nun legte Abraxas sein Buch doch zur Seite: „Solch eine Bescheidenheit hätte ich dir gar nicht zugetraut. Ein edler Zug, der einem Hufflepuff wahrlich gut stehen würde.“
Wie er es beabsichtigt hatte, erbleichte Rufus. Zwar war ihm immer noch nicht klar, was genau sein Mitschüler von ihm wollte, doch sein derzeitiges Verhalten, seine Worte waren so aufgesetzt und künstlich, dass er nicht einmal vorgeben wollte, Interesse an ihm zu haben.
„Schön“, schnaubte Rufus: „Ich entschuldige mich, dass ich dich offensichtlich an einem schlechten Tag erwischt habe. Du hättest mir gerne direkt sagen können, dass du kein Interesse an Konversation hast.“
Ungläubig hob Abraxas eine Augenbraue: „Du missverstehst mich. Ich bin einer Unterhaltung mit dir ganz und gar nicht abgeneigt. Ich schätze es nur nicht, wenn man mich für dumm verkauft.“
Als würde er ihn endlich ernstnehmen, wandte Rufus ihm plötzlich seinen ganzen Körper zu. Leiser, damit die übrigen Schüler im Gemeinschaftsraum seine Worte nicht hören können, flüsterte er: „Abraxas. Wir waren immer gute Freunde. Wieso tust du plötzlich so, als wären wir das nicht?“
Süffisant grinste Abraxas: „Weil wir immer nur Freunde waren, weil man das von uns erwartet hat. Ich wiederhole mich ungerne: Ich lasse mich nicht für dumm verkaufen. Du weißt genauso gut wie ich, dass unsere Freundschaft auf den Familienbanden basiert, nicht auf echter Zuneigung.“
Die Schultern von Rufus spannten sich an: „So steht es also um dich. Und ich dachte, der Hut hätte war gesprochen, als er sagte, dass man in Slytherin echte Freunde finden würde.“
Sein Grinsen verschwand. Meinte Rufus das ernst? Hatte er ihn die ganze Zeit unterschätzt, nicht ernstgenommen und ihm Unrecht getan? War Rufus tatsächlich aus eigenem Antrieb an einer Freundschaft interessiert, einfach nur, weil er sein Freund sein wollte?
Ebenso leise wie Rufus zuvor erwiderte Abraxas: „Wenn du wirklich so fühlst, sollten wir vielleicht ganz am Anfang neu beginnen. Es tut mir leid, sollte ich dich wirklich verletzt haben.“
Voller widerstrebender Gedanken lehnte Abraxas sich auf dem Sofa zurück und starrte an die Decke. So entging ihm, dass für den Bruchteil einer Sekunde ein triumphierendes Grinsen über Lestranges Lippen huschte. Sanft, beinahe unhörbar, murmelte Rufus: „Das wäre schön.“