Naserümpfend starrte Beatrix auf den Brief in ihren Händen. Sie konnte nicht glauben, dass Toms neue Freundin die Dreistigkeit besaß, erneut zu einem Salon zu laden. Beim ersten Mal hatte sie noch gedacht, dass es lediglich Miss Dumbledores Versuch war, alle Schüler schnell kennenzulernen, doch nun beschlich sie das Gefühl, dass das unverschämte Mädchen den Salon zu einer regelmäßigen Sache machen wollte. Was bildete sie sich eigentlich ein, als Amerikanerin hierher zu kommen und ein gesellschaftliches Ereignis ins Leben rufen zu wollen, das niemand brauchte oder wollte, schon gar nicht von ihr?
Wütend legte sie den Brief auf den kleinen Beistelltisch. So sehr es ihr auch missfiel, sie wusste, dass sie die Einladung annehmen musste. Seit Dumbledore die Freundin von Tom war, konnte man es nicht mehr riskieren, aus ihrem Kreis ausgeschlossen zu werden. Wer Tom gegen sich aufbrachte, verlor den Respekt aller anderen.
Sie schielte zu Rufus hinüber, der einzige andere Schüler, der an diesem Mittwochabend noch mit im Studierzimmer für die Siebtklässler saß. Auch er hatte offensichtlich eine Einladung erhalten, doch sie konnte an seiner Miene nicht ablesen, wie er darüber dachte. Als Sohn aus dem Hause Lestrange war er ein wertvoller Verbündeter, immerhin hatte seine Familie deutlich mehr Einfluss in der Zaubererwelt als ihre eigene. Er hatte auch nie sonderlich begeistert gewirkt, dass Dumbledore plötzlich so viel Aufmerksamkeit von Tom erfuhr. Wenn er sie zum Salon begleiten würde, hätte sie zumindest einen gleichgesinnten Gesprächspartner. Doch wie sollte sie es anstellen, dass er sie dazu aufforderte?
„Meine liebe Beatrix“, sagte er da unvermittelt und schaute sie direkt an: „wenn du noch offensichtlicher starrst, muss ich dir wohl deine Zugehörigkeit zum Haus der Schlangen aberkennen.“
Sie errötete. Rufus hatte Recht, ihre Erziehung hatte sie eigentlich gelehrt, niemals so offen zu starren. Verlegen schaute sie zur Seite: „Ich war so tief in meinen Gedanken versunken, dass ich gar nicht bemerkt habe, wie mein Blick zu dir gewandert ist. Verzeih mir.“
Er grinste sie nur breit an: „Oh, du musst dich nicht entschuldigen, dass du mich angestarrt hast. Die Blicke einer schönen Dame genieße ich immer.“
Schockiert legte Beatrix sich eine Hand über den Mund, während ihre Wangen noch dunkler wurden: „Rufus! Du solltest dich was schämen.“
Zu ihrem Entsetzen grinste er daraufhin nur noch mehr, erhob sich aus seinem Sessel und setzt sich neben sie auf das kleine Sofa: „Ist es mir wirklich nicht mehr erlaubt, dem schönsten Mädchen im Schloss ein Kompliment zu machen? Verbieten die Anstandsregeln wirklich, seine aufrichtigen Empfindungen mitzuteilen?“
Gegen ihren Willen fühlte Beatrix sich geschmeichelt. Sie wusste, dass kein anständiger Mann solche Worte so offen in den Mund nehmen würde, sie sollte ihn für sein unverschämtes Verhalten zurecht weisen. Ebenso wie sie wusste, dass Rufus ein manipulativer Bastard war, vor dem sie sich in Acht nehmen sollte. Trotzdem konnte sie sich nicht dagegen wehren, Gefallen an seinen Worten zu finden.
„Du scheinst deine Erziehung zu vergessen“, war alles an Protest, was sie zustande brachte.
Rufus lachte leise: „Und du wirkst nicht so, als ob du dich wirklich daran störst. Komm schon, Beatrix. Wir sind unter uns. Wen willst du beeindrucken?“
Sie schluckte. Rufus war bei weitem nicht so attraktiv wie Tom, aber die Art, wie er sie anlächelte, wie er ihr seine volle Aufmerksamkeit schenkte, machten den Unterschied mehr als wett. Was wollte sie überhaupt mit Tom? Er hatte keine Familie im Rücken. Sicher, er war hochintelligent und mächtig, die anderen Schüler aus bedeutenden Familien brachten ihm Respekt entgegen, doch wäre er wirklich der wertvolle Ehemann, den sie sich erhoffte? Ein Mann aus dem Hause Lestrange wäre eine viel sicherere Option.
Zögerlich ließ Beatrix das Lächeln, das ihr unwillkürlich gekommen war, auf ihren Lippen erscheinen: „Du hast ja Recht. Wir sind nur unter uns.“
Sie bemerkte, dass Rufus noch ein Stück näher an sie herankam, doch sie entschloss sich, das nicht zu kommentieren. Wenn er es bevorzugte, offener und direkter zu sein, dann würde sie sich dem anpassen. Beherrscht verwandelte sie das ehrliche Lächeln auf ihren Lippen in jenes, das ihre Mutter ihr von Kindheit an antrainiert hatte, jenes Lächeln, das besonders einladend auf junge Männer wirken sollte, ohne obszön zu sein.
„Wirst du zu Miss Dumbledores Salon gehen?“, erkundigte Rufus sich, während er sie noch immer direkt anschaute.
Absichtlich ließ sie ihrem Blick zu der Einladung, die auf dem Beistelltisch lag, wandern, verharrte dort, als müsste sie über seine Frage erst nachdenken, ehe sie sich etwas aufrichtete, beide Hände in ihrem Schoß gefaltet, und ernsthaft erwiderte: „Selbstverständlich. Dieser Salon ist auf dem Weg, das wichtigste soziale Ereignis hier in Hogwarts zu werden. Wer etwas auf sich hält, geht dorthin.“
Grinsend lehnte Rufus sich zurück: „Du hast es also auch durchschaut?“
Sie warf ihm einen gespielt beleidigten Blick zu: „Ich bitte dich, Rufus. Man muss schon sehr weltfremd sein, um nicht zu verstehen, welches Spiel Miss Dumbledore hier spielt. Aber solange sie Toms Unterstützung hat, wird es schwer, sich dagegen zu wehren.“
Schweigend nickte Rufus. Beatrix spürte deutlich, dass er noch mehr dazu sagen wollte, doch offensichtlich vertraute er ihr nicht genug, um seine Gedanken offenzulegen. Angestrengt überlegte sie, wie sie ihm zeigen konnte, dass er vor ihr keine Geheimnisse zu haben brauchte. Konnte sie es wagen, ihre eigenen Gedanken auszusprechen? Bei einem Lestrange wusste man nie, woran man war. Wenn er sie nur in eine Falle locken wollte, um sie später bloßzustellen, durfte sie nicht riskieren, zu viel zu sagen.
„Sie kann sich wirklich glücklich schätzen, dass Tom ihr seine Gunst geschenkt hat“, fügte sie schließlich noch hinzu.
Tatsächlich brachte das ihr die erhoffte Reaktion ein. Rufus schnaubte und machte eine wegwerfende Handbewegung: „Tom ist nicht mehr derselbe, seit sie hier ist.“
Verschwörerisch beugte sie sich zu ihm vor und senkte die Stimme: „Denkst du, sie hat ihm einen Liebestrank untergeschummelt?“
Laut lachend warf Rufus den Kopf zurück: „Oh, Beatrix, denkst du wirklich, eine Amerikanerin hat es nötig, auf solche Mittel zurückzugreifen? Komm, streng dein hübsches Köpfchen an, was wird sie ihm wohl geben, was ihm sonst keine anständige englische Damen geben kann?“
Unwillkürlich legte Beatrix sich wieder eine Hand über den Mund. Sie hatte zwar selbst schon ähnliche Dinge geäußert, doch nie wirklich geglaubt, dass da etwas dran war. Doch die Überzeugung, mit der Rufus gesprochen hatte, ließ sie innehalten. Selbst für eine Amerikanerin war solch ein Verhalten vulgär: „Das kannst du nicht ernst meinen.“
In einer sarkastischen Geste hob Rufus eine Augenbraue: „Du hast nicht die Dinge gesehen, die ich gesehen habe. Glaub mir, Beatrix, Miss Dumbledore versteht es, Tom mit ihren Verführungskünsten an sich zu binden.“
„Ich weiß, dass Tom sie als seine Freundin verkündet hat, ich war mir jedoch nicht bewusst, dass er die ernsthafte Absicht hatte, sie zu heiraten.“
Erneut lachte Rufus: „Oh, ich bin mir sicher, das ist nicht seine Absicht. Und ihre gewiss auch nicht. Mach die Augen auf. Tom mag nach außen hin ein sehr anständiger, charmanter Junge sein, aber er könnte sich kaum weniger um die Regeln der Zauberergesellschaft kümmern.“
Mehr und mehr war sich Beatrix sicher, dass es besser für sie war, nicht auf Tom als Heiratskandidaten zu setzen. Der Unterton, der bei Rufus mitschwang, während er über einen eigentlich guten Freund sprach, bereitete ihr Gänsehaut. Hatte sie Tom all die Jahre unterschätzt?
„Was meinst du, Beatrix Parkinson“, fügte Rufus unvermittelt an, seine Stimme plötzlich tief und voller Versprechen, „willst du als meine Begleitung zu diesem Salon gehen?“
Ein Schauer fuhr ihr den Rücken hinunter. Rufus hatte seine Hand einladend ausgestreckt, doch sie zögerte, sie zu ergreifen. Irgendetwas in der Art, wie er sich ihr in diesem Gespräch präsentiert hatte, wie er sie jetzt anschaute, behagte ihr nicht. Wieso hatte sie das Gefühl, ihre Seele an den Teufel zu verkaufen, wenn sie akzeptierte?
Sie gab sich einen mentalen Ruck. Das war Rufus Lestrange, ein Junge, den sie schon aus ihrer frühesten Kindheit kannte. Er gehörte einer der wichtigsten Zaubererfamilien an, was dachte sie denn, was er tun würde? Es gab keinen Grund für sie, Angst vor ihm zu haben.
Sie zwang wieder das einladende Lächeln auf ihre Lippen und ergriff seine Hand: „Mit dem größten Vergnügen.“
Lächelnd führte er ihre Hand an seine Lippen, doch statt ihr einen einfach Handkuss zu geben, platzierte er mehrere kleine Küsse auf ihrer Handinnenfläche, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen. Hitze kroch ihr erneut in die Wangen. Sie wusste, dass es nicht richtig war, was er hier tat, sie verstand zwar nicht, warum, aber sie spürte instinktiv, dass er eine Grenze überschritten hatte. Der Blick, mit dem er sie bedachte, während er zärtliche Küsse verteilte, gab ihr das Gefühl, schmutzig zu sein.
Endlich ließ er ihre Hand wieder los: „Das freut mich sehr. Ich bin mir sicher, gemeinsam werden wir viel Spaß haben.“
oOoOoOo
Zitternd zog Hermine ihren Umhang enger um sich. Sie war früher als gewöhnlich den Astronomieturm hinauf geklettert, um vor der Unterrichtsstunde in der Kälte der Nachtluft für sich alleine sein zu können. Eine Frage kreiste seit Tagen in ihrem Kopf. Mochte sie Tom Riddle?
„Hermine?“
Überrascht drehte sie sich um: „Abraxas? Was tust du hier mitten in der Nacht?“
Mit zögerlichen Schritten trat der blonde Junge auf sie zu: „Ich wollte ein wenig für mich alleine nachdenken.“
Sie nickte: „Das verstehe ich.“
Schweigend standen sie nebeneinander und schauten über die in Dunkelheit liegenden Ländereien von Hogwarts. Sie widerstand dem Drang, nach seiner Hand zu greifen oder sich an ihn zu lehnen. Sie fühlte sich an Harry erinnert, mit dem sie auch oft einfach schweigend irgendwo gesessen hatte, beide in ihren Gedanken versunken, einfach nur zufrieden mit der gegenseitigen Anwesenheit.
„Hermine“, kam es geflüstert von Abraxas, nachdem sie einige Minuten schweigend verbracht haben: „Ich habe eine Frage, die mir seit Tagen auf der Seele lastet, doch ich weiß nicht, wie ich sie stellen soll.“
Kurz schloss sie die Augen, dann drehte sie sich zu ihm um: „Abraxas, was auch immer es ist, du weißt, dass du offen zu mir sein kannst.“
Natürlich war ihr bewusst, dass das nicht stimmte. Im Gegenteil, es wäre ihr lieber, er würde ihr keine Geheimnisse anvertrauen, die sie im Zweifelsfall an Tom weitergeben musste. Doch sie wusste, das war nicht das, was ihr Freund jetzt gerade hören wollte.
„Tom wusste Bescheid, oder?“, fragte er leise: „Als ich … als ich bei dir war. Er hat mir ja sogar die Erlaubnis gegeben, zu dir zu gehen. Er wusste, dass du nicht vollständig angezogen sein würdest, oder?“
Traurig schaute sie ihren Freund an. Abraxas hatte es also am Ende doch erkannt und durchschaut. Sie nickte nur.
Ein gequältes Lachen erklang: „Ich bin wirklich ein Idiot. Rufus hatte Recht. Ich hatte nur einfach nicht erwartet … warum würde Tom das tun?“
Wieder und wieder fuhr Abraxas sich mit beiden Händen durch seine langen blonden Haare. Hermine sah, wie sehr in die Erkenntnis quälte, dass Tom vermutlich wusste, was zwischen ihnen geschehen war. Sie ergriff seine beiden Hände und drückte sie beruhigend: „Es war ein Test, Abraxas. Tom weiß, wie nahe wir uns stehen. Du bist sein bester Freund. Er musste wissen, ob er seinem besten Freund vertrauen kann.“
„Und ich habe ihn nicht bestanden.“
Hart presste Hermine ihre Kiefer aufeinander. Das Gegenteil war der Fall. Er hatte exakt das getan, was Tom erwartet hatte, und war damit in die Falle gelaufen, die ihm gestellt worden war. Nicht Abraxas hatte seinen Freund betrogen, er war betrogen worden. Tom hatte Abraxas nie vertraut und ihn deswegen lieber in eine Falle laufen lassen, um ihn mit Hilfe von Schuldgefühlen an sich zu ketten.
Und sie selbst musste das Spiel mitspielen. Die Familie Malfoy war eine der ersten, die sich Voldemort angeschlossen hatten, und eine der treuesten. Sie konnte und durfte das nicht verhindern.
Sie beschloss, eine Facette der Wahrheit zu erzählen: „Du hast bestanden. Tom sieht in dir jetzt noch mehr einen loyalen Freund als zuvor.“
Frustration und Verzweiflung spiegelten sich in den Gesichtszügen von Abraxas: „Weil du ihn vermutlich angelogen hast. Bei Merlin, Hermine, ich habe meinen besten Freund betrogen. Ich hätte niemals gedacht, dass ich dazu fähig bin. Ich habe unserem Haus Schande gebracht. Wir Slytherins sind doch berühmt für unsere Loyalität. Wir können wahre Freunde sein. Sieh mich an …“
Zärtlich legte sie ihm eine Hand auf die Wange: „Du bist ein wahrer Freund für mich. Und Tom muss niemals erfahren, was zwischen uns geschehen ist.“
Entschlossen packte Abraxas ihr Handgelenk und zog die Hand weg: „Es wird nie wieder geschehen, ich verspreche es dir, Hermine. Ich werde jener treue Freund für Tom sein, den er in mir sieht. Ich verstehe nicht, was zwischen euch ist, und ich glaube, ich will es auch gar nicht verstehen. Solange du mir nicht sagst, dass Tom eine Gefahr für dich ist, werde ich ihm ein loyaler, aufrichtiger Freund sein.“
Mit einem traurigen Lächeln nickte sie. Genau das war es gewesen, was Tom gewollt hatte. Sie blickte in das Gesicht dieses Malfoys, der so ganz anders war als sein Enkel. Sicher, er war auf seine Art und Weise auch stolz und arrogant, aber er war auch einfühlsam, nachdenklich und zärtlich. Sie fragte sich mehr und mehr, wie Lucius zu einem so hasserfüllten Mann hatte werden können.