Hermine war sich nur zu bewusst, dass noch immer der Basilisk hinter ihr lauerte. Die riesige Schlange hatte die Augen geschlossen, wie Tom es ihr anscheinend befohlen hatte, doch sie wusste, die Gefahr, die von diesem Wesen ausging, war noch lange nicht gebannt. Tom hatte es ihr selbst gesagt. Fenrir war seit Jahrhunderten dazu erzogen worden, jeden Menschen, den er sieht, zu töten. Nur die Anwesenheit eines Erben Slytherins konnte seine Mordlust bremsen.
Einmal mehr fragte sie sich, ob sie es wirklich schaffen würde, ohne Toms Hilfe ihr Gemälde in die Kammer zu bringen. Gewiss, sie würde die Kammer betreten können, so zuversichtlich war sie. Aber was, wenn die Schlange wach war? Es gab nichts, was ihre Magie gegen den Basilisken ausrichten konnte, insbesondere da sie wusste, dass sie ihn nicht töten durfte.
Entschlossen schob sie den Gedanken zurück in eine Kiste mit all jenen anderen Gedanken, die sich auf ihre Zukunft und die Zeit, nachdem sie wieder ins Jahr 1998 zurückgekehrt war, richteten. Sie wollte nicht darüber nachdenken. Es brachte sie nicht weiter und hinderte sie nur daran, ihre Beziehung zu Tom zu vertiefen.
Sie richtete ihren Blick auf die vier Schüler, die neben ihr und Tom noch in der Kammer waren. Abraxas hatte die drei neu eingeweihten Slytherin-Schüler aus der Kammer geführt, nachdem sie alle drei den Cruciatus-Fluch gesprochen und anschließend das Dunkle Mal empfangen hatten. Rosier und Mulciber hatten vor Schmerzen geschrien, während Dolohow so gewirkt hatte, als würde er überhaupt nichts spüren, während Tom ihm das Mal eingebrannt hatte. Hermine hatte seine stoische Mine bewundert.
Jetzt waren nur noch jene hier, die Tom als Verräter betrachtete: Black, Nott, Avery und Lestrange. Es war Hermine keineswegs entgangen, dass Tom sie nicht eingeschlossen hatte, als er von den Rittern von Walpurgis gesprochen hatte. Obwohl Lestrange als einer der ersten das Dunkle Mal getragen hatte, hatte Tom ihn heute von Beginn an gedemütigt und auch jetzt keinen Hehl daraus gemacht, dass sein einstiger Lieblingsgefolgsmann in Ungnade gefallen war.
„Ihr habt mich enttäuscht“, hörte sie Toms leise Stimme, der sich nun direkt an die vier wendete, nachdem die Schritte der anderen in der Entfernung verhallt waren. „Insbesondere du, Lestrange, aber jeder einzelne von euch hat sich freiwillig an einer Verschwörung gegen mich beteiligt.“
„Nicht gegen dich!“, fiel ihm Orion ins Wort. Hermine konnte sehen, dass der junge Schüler rot im Gesicht war und seine Angst offen in den Augen trug. Er trat hektisch einen Schritt vor und hob eine Hand, um auf sie zu deuten. „Mir ging es darum, Dumbledore zu entfernen. Ich würde niemals etwas gegen dich tun, Tom!“
Sie verkniff sich ein Augenrollen. Wie sie auch nur eine Sekunde lang Orion Black süß gefunden haben konnte. Sie hatte Mitleid mit ihm gehabt, weil Tom so offensichtlich seine verwirrte Sexualität gegen den Jungen eingesetzt hatte. Mitleid, weil er gerade erst sechszehn Jahr alt war und in seiner Naivität den anderen, älteren Slytherin-Schülern leicht zum Opfer wurde. Doch dass er so offen seinen Hass gegen sie zur Schau trug, wenn ihr einziges Verbrechen war, seine sexuellen Annäherungsversuche abzublocken, machte das alles zunichte.
Und noch immer war er dumm und naiv. Hermines Blick wanderte zu Tom, der seinerseits vor den vier Schülern auf und ab ging und sie alle der Reihe nach intensiv musterte. Er tat so, als hätte er Orions Einwand nicht gehört, doch sie kannte ihn. Sie sah an der Art, wie sich seine Nackenmuskulatur unter seinem weißen Hemd anspannte, dass er wütend war. Sie konnte an seinen Schritten hören, dass er sich nur mühsam zurückhielt. Orion hatte noch immer nichts verstanden.
„Ich habe es bereits deutlich gesagt“, erklärte Tom schließlich, als er stehen blieb. „Eventuell fällt es einigen von euch schwer, meine Worte zu begreifen. Ich verstehe, dass die Gesellschaft euch anders erzogen hat. Ich verstehe, dass euer bisheriges Leben darauf ausgerichtet war, der Reinblut-Tradition zu folgen und eurem Haus Ehre zu machen. Eure Eltern und Vorfahren stolz zu machen.“
Obwohl sie einige Schritte hinter Tom stand und so die vier jungen Männer gut sehen konnte, klebte Hermines Blick doch an Toms Rücken. Sie hörte die Verachtung aus jedem seiner Worte heraussickern, als würde jede Silbe klebriges Gift mit sich tragen. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Dieser Tom war gefährlich.
„Das endet jetzt“, sprach er weiter und plötzlich war jegliche Wärme aus seiner Stimme verschwunden. Er klang nicht mehr verständnisvoll, sondern das Gift, das Hermine zuvor wahrgenommen hatte, trat für alle hörbar in den Vordergrund. „Ich verlange absolute Loyalität von euch. Dazu gehört nicht nur Verschwiegenheit. Verschwiegenheit ist eine Selbstverständlichkeit, die ich von Beginn an bei jedem von euch vorausgesetzt habe.“ Kurz hielt Tom inne, um insbesondere Orion genau anzuschauen. Der Junge sank in sich zusammen und trat zurück, um in den Reihen der anderen Schutz zu suchen. „Loyalität bedeutet auch, dass ihr meine Werte teilt und aktiv lebt. Es gibt nur eine Richtlinie auf dieser Welt, die über den Wert eines Menschen bestimmt – und das ist Macht. Wie magisch begabt ist ein Zauberer? Wie magisch begabt ist eine Hexe? Nichts anderes zählt.“
Hermine biss sich auf die Lippe. Wenn sie Toms Worte jetzt hörte, fragte sie sich einmal mehr, wie es zu ihrer eigenen Zeit dazu gekommen sein konnte, dass es nur noch um die Macht der Reinblüter über die Schlammblüter ging. Was war geschehen, dass Tom von seinen so deutlich formulierten Idealen abgelassen hatte? Alle seine jungen Anhänger hier verstanden ganz genau, was er wollte, was er verlangte. Wie hatte es sich so verdrehen können?
„Hermines Macht als Hexe wird nur von meiner eigenen Macht übertrumpft“, drangen die harten Worte von Tom zu ihr. Sie schluckte. Er übertrieb, doch vermutlich wollte er einen Punkt machen. „Jeder einzelne von euch ist nichts im Vergleich zu ihr. Ich erwarte, dass ihr sie entsprechend behandelt. Vergesst, was ihr über die hohlen Töchter aus Reinblut-Familien wisst. Vergesst, was ihr über hübsche Hexen wisst. Wenn ihr es ernst meint mit eurer Loyalität zu mir, dann versteht ihr, dass sie zu mir gehört. Ihr hört auf, ihre Stellung zu hinterfragen. Ihr hört auf, von einem negativen Einfluss auf mich zu flüstern. Ihr hört auf, über ihre Taten hinter verschlossener Tür zu spekulieren.“
Ihre Wangen brannten, während sie Toms hasserfüllten Worten lauschte. Noch nie in ihrem Leben war sie so vehement verteidigt und gelobt worden. Nicht einmal Harry oder Ron hatten es je für nötig befunden, so offen und direkt für sie einzustehen. Für Tom war sie keine Selbstverständlichkeit.
„Ihr drei werdet heute das Dunkle Mal nicht erhalten“, fuhr Tom mit Blick auf Orion, Humphrey und Peter fort. „Ihr habt es euch nicht verdient. Zeigt mir, dass ihr eure Loyalität ernst meint, und ich überlege es mir vielleicht zum Ende des Schuljahres hin anders.“
„Verstanden, mein Lord“, kam es wie aus der Pistole geschossen von Nott. Rasch wiederholten die anderen beiden seine Worte, doch ihnen fehlte dieselbe Überzeugung dahinter, das konnte selbst Hermine hören.
„Ihr dürft jetzt gehen“, erklärte Tom und machte eine kurze Handbewegung zur Tür.
Nur für den Bruchteil einer Sekunde huschte Notts Blick zu ihr, dann deutete er eine Verbeugung an und schritt Richtung Ausgang, gefolgt von Avery und Black. Lestrange blieb als letzter zurück, blass und schwitzend.
„Ich hoffe, du hast aus dem heutigen Tag gelernt, Lestrange“, zischte Tom ihm zu, während er sich direkt vor ihn stellte.
„Mein Lord“, flüsterte Rufus offensichtlich überfordert zurück. „Ich kann mich nur wiederholen. Es tut mir leid. Zu keinem Zeitpunkt war meine Loyalität zu dir … zu Euch im Wanken.“
Toms Hand schoss vor und schloss sich eisern um Lestranges Kehle. „Nicht mir schuldest du eine Entschuldigung, sondern Hermine.“
Nervös leckte Hermine sich über die Lippen, doch sie zwang sich, ihre Füße zu bewegen. Mit zitternden Knien stellte sie sich neben Tom und bemühte sich, einen kalten Gesichtsausdruck zu zeigen, der nichts von ihrer Panik verriet, die sie in der Nähe von Lestrange unwillkürlich verspürte.
Mit Macht stieß Tom den anderen Schüler von sich und zu Boden. Als hätte er instinktiv verstanden, was von ihm erwartet wurde, faltete Rufus die Hände vor sich und berührte mit der Stirn den kalten Steinboden. „Miss Dumbledore. Was ich getan habe, lässt sich nicht in Worte fassen. Ich bitte Sie aus tiefstem Herzen, verzeihen Sie mir meine Tat.“
Kalte Wut erfasste Hermine. „Ich habe deine Worte gehört, Lestrange. Ich nehme die Entschuldigung nicht an, denn sie ist nicht aufrichtig gemeint. Doch im Gegensatz zu dir bin ich kein Monster. Du hast genug gelitten für heute. Also, Tom. Ich akzeptiere seine Entschuldigung, auch wenn ich ihm nicht verzeihe.“
Hermine konnte nicht in Worte fassen, wie wütend sie war. Dachte Lestrange wirklich, dass es ihm zustand, sie um Verzeihung zu bitten? Zu Tom konnte er „Es tut mir leid“ sagen, aber nicht zu ihr? Es tat ihm nicht leid, er wollte nur, dass sie ihm verzieh. Und das würde sie niemals.
„Du hast sie gehört, Lestrange“, herrschte Tom seinen Anhänger an. „Erheb dich und dann mach, dass du davon kommst, ehe ich ihre Worte zum Anlass nehme, dich ernsthaft zu bestrafen.“
Hektisch stemmte sich Rufus auf alle Viere, ehe er stöhnend vom Boden aufstand. Die Folter steckte ihm offensichtlich in den Knochen. Mit einer Verbeugung zu Tom wollte er flüchten, doch Hermine hielt ihn mit einer Handbewegung auf.
„Nur dass wir uns verstehen, Lestrange.“ Sie betonte jedes einzelne Wort und schaute ihm direkt in die Augen. „Ich scheue mich nicht davor, ein Mitglied des Hauses Lestrange verschwinden zu lassen. Die britischen Zaubererfamilien bedeuten mir gar nichts. Und du weißt, dass ich immer das Haus Malfoy und meine eigene Familie Dumbledore hinter mir haben werde. Überlege dir gut, wie du dich in Zukunft verhältst.“
Rufus erbleichte noch mehr, nickte und wandte sich endgültig zur Flucht. Während Hermine dem beinahe rennenden Schüler hinterher schaute, wies Tom Fenrir an, in seine Höhle zurückzukehren, und legte den Schlafzauber erneut über ihn.
„Mein Herz“, wisperte er ihr zu, während er von hinten seine Arme um sie legte. „Wie geht es dir?“
Sie schloss die Augen und lehnte sich an seine starke Brust. „Besser. Ich meinte, was ich gesagt habe. Ich werde Rufus niemals verzeihen. Aber zumindest scheint er zu bereuen, was er getan hat, und sei es nur, weil er dich fürchtet. Und weil gerade jede Faser in seinem Körper schmerzt. Das genügt. Für den Augenblick.“
Sie atmete tief durch und genoss für einen Moment einfach nur das Gefühl, wie sich seine starken Arme um ihren Oberkörper schmiegten und sie festhielten. Ihr Sicherheit schenkten. Sie spürte Toms Herzschlag und seinen Atem in ihrem Nacken und die Wärme seines Körpers. Mit allem, was in den letzten Tagen geschehen war, hatte sie keine Zeit gehabt, seine Anwesenheit wirklich zu genießen. Und jetzt mehr denn je sehnte sie sich nach seiner zärtlichen Umarmung.
„Komm“, raunte er ihr zu. Seine Lippen streiften ihr Ohr und sandten einen wohligen Schauer über ihren Rücken. „Lass uns in mein Zimmer gehen. Ich weiß, wie anstrengend das gerade für dich war, und ich bin stolz auf dich. Du bist stark und mächtig und allen anderen überlegen. Aber jetzt darfst du schwach sein. Vor mir darfst du schwach sein.“
Heiße Tränen stiegen in Hermine hoch, doch sie schluckte sie runter und blinzelte sie weg. Immer wieder berührten Toms Worte etwas tief in ihrem Inneren, von dem sie nicht wusste, dass es da war. Eine Sehnsucht danach, nicht immer stark sein zu müssen.
Mit einem Lächeln drehte sie sich zu ihm um, ergriff seine Hand und legte sie sich auf ihre Wange. „Ich habe noch eine Überraschung für dich, aber das erzähle ich dir, wenn wir in deinem Zimmer sind. Ich wette, du wirst es lieben.“
Toms Mund verzog sich zu einem spöttischen Grinsen. Mit hochgezogener Augenbraue erwiderte er: „Warum klingt es so, als müsste ich Angst vor dieser Überraschung haben?“
Statt eine Antwort zu geben, zog Hermine nur ihrerseits eine Augenbraue hoch, ehe sie sich umdrehte und, ohne Tom loszulassen, mit schnellen Schritten den Ausgang ansteuerte.