Der Notartermin fühlte sich so surreal an.
Wir hatten unser erstes gemeinsames Haus gekauft.
Vince sah mich mit großen Augen an, sobald wir unsere Unterschrift unter das Formular gesetzt hatten.
"20 Jahre lang einen Kredit abbezahlen, was gibts schöneres?", fragte er mich draußen, aber er drückte mir einen Kuss auf die Wange.
"Wir vermieten ja deine Wohnung und dann klappt das schon. Die Einnahmen reichen fast, um den Kredit zu decken. Und dann kommt ja hinzu, dass wir beide arbeiten und unsere eigenen Wohnung dort mithilfe von Freunden ausbauen und dann auch das Hotel vermieten und Events anbieten", versuchte ich ihn zu beruhigen.
Es war süß, dass ihm das alles Angst einflößte, aber auch völlig verständlich.
Der Kredit war ziemlich hoch und wir würden ihn ab nächsten Monat abstottern müssen und das, obwohl wir weder die Wohnung vermietet hatten, noch das Hotel einsatzfähig war. "Es sind nur zwei Monate, dann ist die Wohnung vermietet und dann startet hoffentlich der Hotelbetrieb in abgeschwächter Form", stimmte mir Mella zu, die zu uns gestoßen war.
Sie war zwar nicht mit beim Notar gewesen, aber sie konnte Vince und mein Überforderungsgefühl gut nachvollziehen.
"Was, wenn wir Kinder kriegen und das alles nicht mehr wollen?", fragte mich Vince. "Wir sind Eigentümer, wir können es entweder Verkaufen oder einen externen Geschäftsführer einstellen und zurück in deine Wohnung ziehen. Wenn es erstmal angelaufen ist, wird sich das alles zeigen. Und du verdienst gut." "Ja, aber", er schluckte. "Wir behalten die Wohnung doch, Vince. Wir können da immer hin zurück." Ich blieb stehen und nahm ihn fest in den Arm, während uns Mella mit schiefgelegtem Kopf ansah. Sie kannte meinen rationalen Ehemann gar nicht so panisch. "Wir haben es fünf Mal durchgerechnet, die Bank hat es fünf Mal durchgerechnet. Schatz, wir schaffen das", flüsterte ich in sein Ohr und er nickte, raffte sich wieder auf und war wieder klar im Kopf, so wie wir ihn kannten und liebten.
Wir gingen in ein Cafe und tranken gemeinsam einen Cappuccino, als Mel mich auf einmal ansah: "Findet ihr, dass ich zu fett bin?" Wir runzelten die Stirn. Melli war von uns am kurvigsten, allerdings lag sie im normalen Bereich und seit sie etwas Sport machte, ging es ihr auch wirklich physisch und psychisch gut. "Nein", antwortete ich ehrlich. Vince schüttelte ebenfalls irritiert den Kopf, er konnte es absolut nicht leiden, wenn wir solche Fragen stellten.
Er fand, dass das ein gesellschaftliches Problem war und er wollte wirklich nicht, dass es uns ebenfalls schlecht ging, nur weil wir uns auf unser Gewicht fokussierten, was wir deswegen auch versuchten zu vermeiden.
Und weil es eh um Gesundheut geht und nicht um Ästhetik.
"und findest du meine Nase zu groß?" Ich wechselte wieder einen Blick mit Vince, der die Stirn gerunzelt hatte. "Nein", sagte ich. Ertappte mich, wie ich genau hinsah und dabei sogar die Augen ein wenig zusammenkniff. "Du bist wunderschön", versicherte ich ihr.
"Wieso hat die andere von dir eine Art Schönheitseingriff bekommen und ich nicht?", fragte sie.
"Weil sie das wollte", erklärte ich. "Und du bist wunderschön. Wir haben nicht ihren Körper verändert, sondern nur was hinzugefügt."
Mella wirkte nun etwas beruhigt.
Dann fragte sie: "Willst du mir auch Piercings stechen lassen?" "Nein!", rutschte es mir etwas schroffer raus, als ich beabsichtigt hatte. "Findest du Piercings nicht schön?", langsam gingen mir ihre Fragen auf die Nerven, aber ich wusste, dass diese vermutlich aus einer inneren Unruhe entsprangen.
"Manchen Leuten stehen sie und anderen eben nicht, Melli", sagte ich. "Außerdem war es ihr innigster Wunsch. Sie wollte so aussehen. Und dann unterstütze ich das natürlich auch. Aber ich denke nicht, dass ich deinen Körper irgendwie modifizieren muss."
Mella nickte eifrig. In dem Moment klingelte mein Telefon. Ich ging ran. Es war meine Mutter. "und?", fragte sie. "Hat alles funktioniert?" "ja", stimmte ich ihr zu. "Es läuft alles, wie geplant." "Und? Dürfen wir dann auch mal im Hotel übernachten, wenns fertig ist?" Ich wechselte einen Blick mit Vince. Meine Eltern wussten nicht, welche Art von Hotel es werden sollte.
Sie waren einfach traditionell und diese Lebensweise wäre nichts für sie.
"Klar", sagte ich. "Ich dürft sogar eine Art Preview bekommen, das heißt, dass ihr noch in der Nacht vor der Eröffnung dort Probeschlafen dürft."
Meine Eltern freuten sich. "Da fühlen wir uns ja geehrt."
In Wirklichkeit stellte ich so sicher, dass sie mein Hotel nicht in Benutzung sehen mussten. "und ihr wohnt doch eh zu nah dran, um hier Urlaub machen zu wollen"; sagte ich. "Dann passt das Preview ja."
"Ja und es ist auch nicht so weit weg, dass wir dich nicht in deiner Wohnung besuchen können, oder?"
Ich hatte ihnen nicht die genaue Adresse gegeben und hatte auch nicht vorgehabt es zu tun, aber vermutlich musste ich es dann doch machen.
"Ja", sagte ich. "Natürlich können wir gern mal was ausmachen und ihr schaut euch auch, wenn ihr eh schon im Hotel seid, die Wohnung an. Aber ich finde es auch wundervoll, euch zuhause zu besuchen. Da wo ich aufgewachsen bin. Das ist auch sehr emotional für mich."
Meine Mutter verstand es zum Glück und merkte auch nicht, dass ich mich gerade abgegrenzt hatte.
"Bei deinen Geschwistern haben wir das auch so gemacht, deswegen wollte ich dir anbieten, dass wir euch Geld für die Küche in der neuen Wohnung dazugeben, falls ihr sie neu machen wollt. Es muss ja was renoviert werden, meintest du doch.
Und wenn ihr es nicht für die Küche braucht, dann sicher fürs Hotel."
"Das ist sehr sehr lieb von dir Mama", sagte ich und freute mich.
Das würde Vince sicher beruhigen. Wir hatten zwar durch die Hochzeitsgutscheine den Großteil der Spielzeuge und Kinkbezogenen Gegenstände gedeckt, allerdings fielen wie in jedem Hotel auch einige Anschaffungen an, die zwar von einem kleinen Puffer im Kredit und Eigenkapital getragen werden konnten, aber ein kleiner Zuschuss meiner Eltern machte den Beginn um einiges leichter.
Sie hatten unser Startkapital dadurch erhöht und das würde meinem Schatz auch gefallen.
"Und eure Mitbewohnerinnen? Werdet ihr die nicht vermissen? Die waren doch so reizend", seufzte meine Mutter am Telefon.
"Nun, das wissen wir noch nicht. Sie sind ja auch unsere engsten Freundinnen, die drei." "Ich dachte ihr habt nur zwei!" Ich fasste an meine Stirn. Stimmt, Neele wohnte gar nicht wirklich bei uns. "ja, die zwei Mitbewohnerinnen und Vince! Also in der neuen Wohnung wäre noch genug Platz, aber sie liegt etwas außerhalb... wir werden sehen."
"Nun, du kannst nicht erwarten, dass sie mitgehen, oder doch? Sie haben ja auch ihr Leben in der Stadt!"
Ich wusste nicht, wie ich es ihr erklären sollte. "Das haben wir noch nicht im Detail besprochen", wehrte ich ab. "Na! Aber wenn Kinder kommen, ihr seid jetzt ein Ehepaar, der Vincent und du. Dann passt das nicht mehr mit Mitbewohnerinnen. Die Zeit der Kommunen sind um!"
Ich verschluckte mich beinahe. "Mama! Mitbewohnerinnen sind völlig normal heutzutage. Da ist gar nichts schlimmes bei." "Ja", sie seufzte. "Ich will nur sichergehen, dass ihr es dann meinen Enkeln nicht schwerer macht, als nötig."
"Mama, deine Enkel" Vince sah mich schockiert an. "Deinen Enkeln wird es gut gehen, Mama." Vince fasste sich ans Herz, also beeilte ich mich zu sagen: "Aber ich bin nicht schwanger und ein Baby ist für die nächsten drei Jahre auch nicht geplant, Mama." "Gut, Kinder sind schlimm. Außerdem können mir deine Geschwister ja mal welche schenken, bis du soweit bist." "Danke?", irritiert von dieser Ehrlichkeit sah ich Melli an, die unter dem Tisch ihren Schuh ausgezogen hatte und mit ihrem Fuß in meinen Schritt gewandert war. "Das war ein Witz. Kinder sind wunderbar!", sagte sie. "Du, ich muss weiter machen. Sprechen wir nachher oder morgen nochmal?" "Natürlich. Hab dich lieb." "Tschüss mein Schatzibabysonnenschein."
"Mella du Miststück!", knurrte ich. "Lass das oder nur Vince und ich werden einen Orgasmus haben in der nächsten Zeit."