«Nun, wie findest du das Fliegen?» fragte Mondtänzer nach einiger Zeit.
Alena welche sich noch immer voller Erstaunen und Begeisterung umsah meinte: «Es ist… einfach nur wunderbar und… ich habe auf einmal gar keine Angst mehr.» Dann fügte sie jedoch vorwurfsvoll hinzu: «Aber so einen Sturzflug wie vorhin, darfst du nicht mehr machen und wenn, dann will ich vorbereitet sein, klar?»
Mondtänzer liess ein wohlklingendes Lachen hören und sprach: «Okay, versprochen. Obwohl… du hast dich tapfer geschlagen, muss ich sagen. Dass du es unter diesen Umständen geschafft hast, wieder auf meinen Rücken zurück zu klettern zeigt, dass du dein altes Wissen nicht ganz vergessen hast.»
«Mein altes Wissen… könntest du mir das bitte einmal näher erklären?»
Der Drachen nickte: «Okay. Landen wir erst einmal auf dem grasbedeckten Hügel dort und ruhen uns etwas aus.»
Alena war einverstanden und sie landeten auf einer weichen, türkisblauen Wiese. Von hier aus hatte man einen wunderschönen Ausblick über das ganze umliegende Land. Etwas weiter entfernt fielen Alena einige dunkle und weisse Flecken in der Landschaft auf.
«Das sind die toten Zonen,» erklärte Mondtänzer traurig, der ihre Gedanken erneut zu hören schien. «Wo du die schwarzen Stellen siehst, ist der Boden verdorben, seit Jahren wächst dort nichts mehr. Bei den weissen Flecken, handelt es sich um Schnee- und einige Eisfelder, welche teilweise aus den Seen entstanden sind,…» Er hielt inne und auf einmal war es der Frau, als fege ein kalter Hauch über sie hinweg. Schaudernd schlang sie die Arme um sich. «Haben diese toten Zonen etwas mit Tenebris zu tun?»
«Ja, zum grossen Teil bestimmt.»
«Womit hat es denn noch zu tun?»
«Das ist auch für uns Wasserdrachen ein Rätsel. Auf jeden Fall ist irgendetwas aus dem Gleichgewicht geraten und ich glaube, dass dies mit deinem momentanen Zustand zu tun hat.»
«Aber warum sollte ausgerechnet ich an diesen Veränderungen beteiligt sein?»
«Wie ich bereits sagte, du bist ein Teil dieser Welt.»
«Ich verstehe einfach nicht, was du damit meinst. Warum sollte ich Teil dieser Welt sein?»
«Früher, warst du oft hier. Du hattest damals eine ganz besondere Beziehung zu uns Drachen. Ich vermute du hattest einstmals Drachenmagier- Vorfahren.»
«Drachenmagier- Vorfahren? Aber das ist doch völliger Blödsinn! Wie soll denn so etwas zugehen?»
«Es gibt uralte Geschichten aus früheren Zeiten, als die Grenzen zwischen der Drachen und der Menschenwelt noch fliessend waren. Damals lebten die Drachen noch unter den Menschen. Sie gaben sich jedoch nur wenigen zu erkennen und verbrachten die meiste Zeit in ihrer menschlichen Gestalt . Einige wenige Auserwählte allerdings, wurden von den verschiedenen Element- Drachen in ihr Wissen eingeweiht. Diese Auserwählten zeichneten sich oft durch gewisse Besonderheiten aus: Z.B. durch Hellsichtigkeit, erhöhte Medialität oder ein besonders vernetztes Denken. Manchmal sogar, hatten sie selbst Drachenblut, das kam jedoch eher seltener vor und wurde meistens durch Alchemie bewerkstelligt.
Die Wasserdrachen- Magier jedenfalls, gelten als sehr sensibel, haben eine ausgeprägte Intuition und fühlen sich ganz besonders mit der gesamten Schöpfung verbunden. In ihnen schlummert eine enorme Kraft, welche sie selbst jedoch oft lange nicht wahrnehmen. Sie müssen sie zuerst wiederentdecken und dann wiedererwecken. So wie du es gerade tust.»
«Aber… das alles klingt irgendwie… verrückt. Ich weiss nicht, ob ich das glauben kann.»
«Dann fühle es, fühle wie die Drachenkräfte zu dir zurückkehren!»
Alena horchte in sich hinein und tatsächlich fühlte sie sich irgendwie ganz neu gestärkt. Das vorherige Erlebnis beim Fliegen und ihre instinktive Reaktionen auf die, doch recht gefährliche Situation, hatte ihr Vertrauen gefestigt und sie glaubte nun tatsächlich, vielem etwas besser gewachsen zu sein. In ihr pulsierte eine kraftvolle, aufregende Energie, die ihr ganz neu und zugleich wunderbar vertraut vorkam.
Früher… ja früher, da hatte sie diese Energie tatsächlich noch häufiger gespürt. Dennoch konnte sie sich beim besten Willen nicht daran erinnern, dass sie schon einmal hier in diesem wundervollen Drachenreich gewesen war. Vielleicht in einem anderen Leben?
«Die Zeiten und Leben der Menschen, verschwimmen für uns Drachen…» sprach Mondtänzer «für uns ist alles ein nie endender Strom. Das Wasser fliesst an uns vorbei… endlos, scheinbar ziellos… denn wir sind schon uralt und dadurch ist unser Zeitbegriff ein anderer. Ich kann deshalb nicht mehr genau sagen, aus welchem Leben wir uns kennen. Ob aus diesem hier oder aus einem längst zurückliegenden. Doch in dir leuchtet eindeutig die Kraft der Wasserdrachen. Ich sehe es jetzt … ganz klar… Sie funkelt und pulsiert, wie der reinste Edelstein. Und…» Er deutete mit seiner Tatze auf sein Herz «ich spüre, dass wir verbunden sind. Verbunden auf eine ganz besondere Weise.»
Alena runzelte einen Moment lang die Stirn. Wie war das wohl gemeint? Doch dann schalt sie sich selbst für ihren Argwohn. Tatsächlich spürte sie, besonders nach dem ersten Ritt auf Mondtänzer, ebenfalls eine ganz besondere Verbindung zu diesem, wie Wasser- und Schneekristall, funkelnden Drachen und einen Moment lang kam es ihr sogar so vor, als seien er und sie mit einer unsichtbaren Silberschnur verbunden. Was nur hatte das zu bedeuten? Wurde sie womöglich doch wahnsinnig?
«Nein, du wirst nicht wahnsinnig,» gab Mondtänzer ihr die Antwort. «Du bist viel mehr dabei, langsam wieder aufzuwachen…»
Und während er das sagte, wachte Alena tatsächlich aus einem seltsamen Schlaf auf und fand sich wieder, in ihrem einsamen, nun wieder in Finsternis gehüllten Spitalbett…