Die Frau war tief bewegt, von den Worten ihres treuen Drachenfreundes, doch trotz allem hatte sie bereits einen Entschluss gefasst.
Als sie kurz darauf über ein weiteres, ziemlich flaches, breites Hochplateau segelten, sprach sie in Gedanken zu ihrem magischen Mantel: «Ich werde deine Kraft jetzt noch einmal brauchen!» Mit diesen Worten liess sie sich von Mondtänzers Rücken gleiten. Sogleich leuchten die Zeichen auf ihrem Umhang auf und umhüllten Alena mit ihrem Licht. Kurz darauf landete sie, erstaunlich elegant, mit den Füssen voran, auf dem Hochplateau. Es dauerte einen Moment, bis ihr Reittier bemerkte, dass sie nicht mehr auf seinem Rücken sass.
«Alena, nein!» rief der blauweisse Drachen. Er bremste seinen Flug ab und wendete, so schnell es ihm möglich war, um zu ihr zurückzufliegen.
«Nein Mondtänzer, bleib zurück! Ich muss mich Tenebris allein stellen. Niemand mehr, darf durch mich in Gefahr gebracht werden!»
Dann wedelte sie mit ihren Armen und rief, so laut sie konnte: «Tenebris! Tenebris! Hier bin ich! Das ist eine Sache nur zwischen uns beiden! Lass Mondtänzer in Ruhe!»
Der gewaltige Schattendrachen, war nun bei ihr angelangt und umkreiste sie mit einem boshaften, triumphierenden Blick in seinen Opal- Augen. «Soso, du siehst also endlich ein, dass du mir nicht entkommen kannst.»
«Nein! Ich werde nicht weiter vor dir davonlaufen,» gab die Frau entschlossen zurück. «Du uns ich, wir sollten reden.»
«Reden?!» brüllte der schwarze Drachen.
«Ja. Das geht doch nicht mehr so weiter. Du musst das Wasserdrachen- Reich in Ruhe lassen. Mondtänzer und seinesgleichen haben es nicht verdient, dass ihre Welt zerstört wird, nur weil du und ich… versagt haben.»
«Ich?» brüllte Tenebris noch wütender. «Ich habe nicht versagt! Ich erfülle stets die Anweisungen des grossen Schattenmeisters und dieser sagte mir, ich müsse dich töten.» «Aber was hättest du denn davon, mich zu töten? Ich war doch einst Teil dieser Welt.»«
Und genau darum geht es. «Die Drachenreiter haben schon lange ausgedient. Sie haben meinem Meister einst grosses Leid zugefügt. Darum werde ich alles daran setzen, ihre verderbte Saat ein für alle Mal auszurotten.» Tenebris landete nun ebenfalls auf dem Hochplateau. Er war wirklich unglaublich gross und Alena wich erschrocken ein Stück zurück.
«Lass sie!» hörte sie die wütende Stimme von Mondtänzer. Dieser machte sich gerade wieder bereit, seinen blauen Feuerstrahl, einmal mehr, gegen den schwarzen Drachen einzusetzen.
«Nein!» rief die Frau mit einer solchen Entschlossenheit, dass ihr Freund in seinem Vorhaben innerhielt.
«Du musst dich in Sicherheit bringen!» flehte sie den blauweissen Drachen an. «Du kannst hier sterben. Ich nicht.»
Tenebris liess ein dröhnendes Lachen hören: «Ach ja, du glaubst also wirklich, du kannst hier nicht sterben?»
«Nein, ich bin nur mit meinem Geist hier.»
«Als ob das einen grossen Unterschied machen würde. Man kann auch einen Geist so sehr zerstören, dass der Körper, der ihn beherbergt, seine Funktionen aufgibt.»
Kaltes Entsetzen, ergriff die Frau. War das, was Tenebris da sagte, wirklich möglich? Lähmende Zweifel bemächtigten sich ihrer. Verzweifelt griff sie an ihre Drachenkette. Doch irgendwie nützte es diesmal kaum etwas.
Tenebris Blick fixierte sie und auf einmal kam es Alena vor, als würde sie in einen schwarzen Strudel aus Depression, Angst und Zweifel hineingezogen. Schatten zogen sich um sie herum zusammen, versperrten ihr die Sicht und auf einmal… befand sie sich in einem schwarzen, endlosen Nichts. Sie blickte sich hilflos um. Wo um alles in der Welt, war sie?
Mondtänzer beobachtete entsetzt, wie Tenebris sich nun auf einmal anfing, in einen dunklen Nebel aufzulösen. Dieser Nebel umhüllte das ganze Hochplateau, mitsamt Alena und… auf einmal war seine Freundin, wie vom Erdboden verschwunden! «Nein!» rief er «Alena, wo bist du? Alena! Er zog mehrere Kreise um das Hochplateau, suchte daneben und darunter alles ab, aber die Frau war und blieb verschwunden!
Alena versuchte sich in dem dunklen Nichts das sie umgab zu orientieren, doch es gab schlichtweg nichts, nach dem irgendeine Orientierung möglich gewesen wäre. So war sie richtig froh, als sich auf einmal Tenebris opalartigen Augen, aus dem Dunkel herausschälten. Sie tastete nach dem finsteren Drachen, doch wie damals, nach ihrem Leber- Riss, gelang ihr das nicht.
«Was soll das, wo bin ich?» fragte sie, angestrengt darum bemüht, dass ihre Stimme nicht zitterte.
«Du bist nun im Reiche meines Meisters. Das grosse Schatten- Nichts ist sein zu Hause. Und… auch meins.»
Seine Stimme, erzeugte beim Sprechen, einen unheimlichen Hall.
«Nein, das ist nicht dein zu Hause!» sprach Alena, einer plötzlichen Eingebung folgend. «Dein zu Hause wäre die samtene Dunkelheit der Sternenhimmel, die blauschillernden Tiefen eines nächtlichen Meeres und die der funkelnden Gischt, eines tosenden, nächtlichen Wasserfalles. Denn du bist ein Nacht- Drachen. Kein Schattendrachen, keine Kreatur dieses endlosen Nichts hier!»
Als die Frau das sagte, weiteten sich Tenebris Augen einen Augenblick lang erstaunt. «Du warst einst mein Helfer,» fuhr die Frau mutig fort: «Jener, der mir dabei hätte beistehen sollen, meine inneren Schatten ans Licht zu bringen und sie dadurch schliesslich aufzulösen. Doch… du hast dich von den Schattenanteilen in mir und wohl auch in dir selbst, schliesslich korrumpieren lassen. Das war… tatsächlich zum grossen Teil meine Schuld. Ich habe das mitzuverantworten, weil ich mein Leben, nicht so gelebt habe, wie ich es hätte tun sollen. Ich habe meinen inneren Dämonen zu viel Macht gegeben und das hat sich auf dich und auch auf die Welt der Wasserdrachen sehr negativ ausgewirkt. Das… tut mir sehr leid. Ich bitte dich deshalb, mir zu vergeben.»
Die Augen des Schattendrachens blickten nun richtig verwirrt und sein Körper verfestigte sich auf einmal wieder etwas, so das Alena seine Silhouette, endlich ausmachen konnte.
«Ja,» sprach sie leise «da ist doch noch ein kleiner Funken Licht! Ein Licht… in dieser endlosen Finsternis. Du bist auch Teil dieses Lichts, Tenebris, auch wenn du es, im Moment, nicht glauben kannst.»