Alena erschrak so sehr, dass sie einen Satz rückwärts machte.
«T… Tenebris...! stotterte sie und wieder erfasste sie kaltes Entsetzen. Dieser Schattendrachen, war noch um ein Vielfaches grösser, als sie vermutet hatte. Doch sie riss sich mit aller Macht zusammen.
Mondtänzer stiess ein leises Grollen aus und schob sich schützend vor sie. Doch er wirkte wie ein Spielzeugdrachen, neben dem gewaltigen Tenebris. Langsam schälte sich nun der riesige Kopf selbigen, aus den wirbelnden Schneemassen. «Soso!» sprach er und seine Stimme liess die Höhle erbeben. «Da bist du ja endlich. Wurde auch langsam Zeit!»
«Was willst… du von mir?» stiess Alena erneut mit belegter Stimme hervor.
«Ich will diese Welt endlich von dir befreien, kleines Menschlein. Deine Zeit ist gekommen!»
Mit diesen Worten öffnete Tenebris sein riesiges, mit spitzen Zähnen bewehrtes Maul und stiess ein ohrenbetäubendes Brüllen aus. Es war so laut, dass sich dadurch einige Felsbrocken aus der Höhlendecke lösten und Alena sich mit einem Sprung nach vorn, in Sicherheit bringen musste. Mondtänzer jedoch, kümmerte sich nicht um die herabfallenden Steine und stiess erneut ein Grollen aus, diesmal war es noch um einiges lauter. «Lass sie in Ruhe. Sie ist noch nicht so weit!» rief er.
«Ach… tatsächlich? Sie ist noch nicht so weit?»
Tenebris schob seinen mächtigen Kopf nun so nahe an Alena heran, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. Dieser fühlte sich wie blankes Eis an. Doch sie war fest entschlossen, nicht zu weichen. Sie musste das wundervolle Wasserdrachen- Reich unbedingt retten. Koste es, was es wolle.
Tenebris lachte ein boshaftes Lachen: «Und da sitzt sie nun, wie eine kleine Ratte in der Falle. Wollen wir ein wenig miteinander spielen, kleine Kreatur?»
«Ich bin keine Ratte!» begehrte Alena auf. «Wie kannst du nur so überheblich sein! Schliesslich bist du auch ein Teil der Welt, die ich mit erschaffen habe!»
«Wie bitte!?» Wieder stiess Tenebris ein Brüllen aus. «Du kleines, unbedeutendes Wesen glaubst tatsächlich, dass du meine Schöpferin bist!»
«Ja, das glaube ich! Sonst hättest du nicht diese besonderen Augen. So schöne Augen kann der Schatten allein nicht erschaffen. Ich habe sie erschaffen. Davon bin ich jetzt immer mehr überzeugt.»
«Lüge!» donnerte der Schattendrachen. «Du hast mich ganz bestimmt nicht erschaffen!»
«Aber wer denn sonst?» erwiderte die Frau. «Die wundervollen, anmutigen Wasserdrachen, würden wohl kaum so ein Monstrum wie dich auf ihre Welt loslassen. Also muss ich es gewesen sein. Oder wer glaubst du, hat dich sonst erschaffen?»
«Der Grosse Schattenmeister!»
«Schattenmeister?» Alena blickte fragend zu Mondtänzer herüber.
«Der Schattenmeister ist ein alter Mythos unseres Volkes. Anfangs bestand unsere Welt nur aus Schatten und Dunkelheit. Doch dann wurde die erste Drachenmutter aus Sternenstaub erschaffen. Sie war strahlend weiss, eine wahre Königin. Ihr Licht vertrieb die Schatten, so dass diese nur noch in der Nacht oder in den dunklen Jahreszeiten ihr Unwesen treiben konnten. Der grosse Schattenmeister war damals der schlimmste Gegner der Drachenmutter. Er setzte alles daran, dass die Schatten wieder erstarken, doch das Licht der grossen Mutter war zu hell und es brachte allen Geschöpfen, die danach kamen, grosse Hoffnung und die erste Grundlage für ein neues Leben. Äonen herrschte dann Frieden und Eintracht in unserem Reich und auch in den anderen Elementreichen. Doch dann auf einmal tauchte Tenebris hier auf.»
«Ja genau!» rief der schwarze Drachen. «Ich bin der Gesandte des Schattenmeisters und ich werde dafür sorgen, dass seine Macht wieder erstarkt.»
Alena erschauderte und zugleich fühlte sie ohnmächtige Wut. «Niemals!» schrie sie und richtete sich zu ihrer vollen Grösse auf. «Ich werde das keinesfalls zulassen!»
«Als ob du daran jemals etwas ändern könntest!» donnerte der Schattendrache. Dann schnellte sein mächtiges Haupt urplötzlich vor und eine Reihe von grässlichen Zähnen schnappte nach ihr. Es war zu spät, um ihnen noch auszuweichen, denn all das kam sehr überraschend. Alenas Sicht verschwamm und sie sah nur noch kurz einen weissblauen Blitz, der sich zwischen sie und Tenebris totbringendem Gebiss warf. «Mondtänzer!» stiess sie hervor «Nein!»
Gleich darauf, fand sie sich wieder in ihrem Spitalbett…